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TAG 6
Salir – Cortelha – Barranco do Velho

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Salir – Cortelha – Barranco do Velho

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Salir – Cortelha – Barranco do Velho

Die ersten hundert Kilometer habe ich nun geschafft. Es fällt mir leichter als ich es mir vorgestellt habe, denn ich gehe ohne jedwedes Training auf Wanderschaft. Der Vorteil, der das fehlende Training kompensiert ist, daß ich den Weg kenne und das ich langsam gehe und so Kondition aufbaue. Die gesamte Strecke der Via Algarviana sind rund 300 Kilometer. Es gibt den ersten, den östlichen Abschnitt von Alcoutim bis Barranco do Velho, die Mitte von Barranco do Velho bis Monchique und den westlichen Teil von Monchique bis ans Südwestkap.

Sichtung von Monchique von der Serra do Caldeirão aus

Ich packe meinen Rucksack, nehme meinen Wanderstock und mache mich frühzeitig am Tag auf den Weg. Es ist noch keine neun Uhr und ich denke an meinen Aufstieg in die Serra do Caldeirão. Konzentration und Achtsamkeit sind hier gefragt. Der Tag wird sich wieder bis auf 31 Grad Celsius erhitzen, so der Wetterbricht. Kein Regen, trocken. Dementsprechend staubig sind die Wege, gefährlich ist die Route aufgrund der klimatischen Bedingungen. Bei einem möglichen Waldbrand kann man nicht einfach flüchten. Die heutige Distanz beläuft sich auf 15 km minus 3,9 km, die ich gestern schon gegangen bin, als ich Salir durchquerte und nach Alagoas hinausging. Zur Mittagszeit werde ich bis Barranco do Velho zu Fuß gehen, von 100 auf 515 Höhenmeter hinaufsteigen.

Das Frühstück war gut im Casa Nova Alagoas und Dona Margarida eine exzellente Gastgeberin. Das Frühstück hat mich gestärkt und es kann einen Wanderer nur zufriedenstellen, wenn er abends gefragt wird, was er am nächsten Morgen zum Frühstück zu essen und zu trinken bevorzugt. Zu Trinken habe ich auch genug, zwei volle Flaschen Wasser.

Ich mußte auch keine Marmelade in Plastik verpackt aufreißen und auch keinen geklebten Schinken zurückgeben. Und auch Trinkwasser war für einen Wanderer über Nacht im Zimmer vorrätig. Dona Margarida hatte es sich germerkt, als ich ihr abends sagte, ich würde mich vegetarisch ernähren und weder Schinken noch Wurst zum Frühstück zu mir nehmen. Es gibt ja Herbergen in denen die rechte Hand nicht weiß, was die linke anstellt und solche Informationen werden von der Spätschicht nicht an die Frühschicht weitergegeben. So fällt die Infomation, daß jemand sich vegetarisch ernährt, oder Intoleranzen mit Lebensmitteln hat (z.B. Gluten) einfach unter den Tisch.

Wieder quere ich die EN 124 und gehe von Alagoas über Pedras Ruivas und Carrasqueiro bis nach Cortelha, was rund acht Kilometer sind. Vor dem Anstieg in die Berge durchquere ich ein ausgetrocknetes Bachbett, in dem ich sonst immer ein Bad im kristallklaren Wasser nehme. Stattdessen konstatiere ich einen gelöschten Waldbrand. Bäume und Schilf am Ufer des Ribeira Seca sind schwarz. Es muß relativ schnell gelöscht worden sein. Ich befinde mich im siebten Sektor der Via Algarviana. In 2013 wurde hier der große Waldbrand von Cachopo kommend von den vereinigten Feuerwehren der Algarve aus Loulé gestoppt, bevor die Brände sich noch weiter in das Land fressen konnten. Sie konnten nur entstehen, weil es Funkenflug beim Flexen eines Flügels von Windgeneratoren gab. Damit hate der Handwerker nicht gerechnet.   Grobe Fahrlässigkeit, nicht etwa Vorsatz, sind bei mehr als der Hälfte aller Waldbrände die Ursache. Ich schaue gegen den Berg, den ich Schritt für Schritt auf dem Feldweg hinaufsteige und betrachte dabei dichtes Buschwerk. Hier könnte jederzeit wieder ein Feuer ausbrechen. In Cortelha finden jedes Jahr Motocrossrennen statt und verschiedene, sehr steile Pisten werden mit Motocrossmaschinen in den Berg gefräßt. Unglaublich steil ist das, was die Fahrer hier bewältigen müssen, wenn sie zwischen den Bäumen im Slalom ihren Maschinen und Motoren alles abverlangen. Waldbrände entstehen meist durch Unachtamkeit und Nachlässigkeit. Feuerschneisen gibt es an den steilen Hängen kaum. Funkenflug könnte genau hier wieder einmal viel Wald in Rauch auflösen und die Bäume masakrieren. Dicht an dicht stehen hier Pinien und Korkeichen. Ein Funken und die ganze trockene Natur entzündet sich in meterhohen Flammen. Ziemlich bald müssen wir uns entscheiden, ob wir mit der Natur in Harmonie und Frieden leben möchten oder Abenteuer bewältigen wollen und uns die Natur dabei untertan machen. Was bringt es der Menschheit, die Wälder unserer Erde weiterhin brennen zu sehen?

Ich steige zwei Stunden hoch bis ich die EN2, die Faro im Süden und Chaves im Norden Portugals miteinander verbindet, erreiche. Links geht es zur Mülldeponie des Sotavento, rechts nach São Bras de Alportel und nach Faro, der Hauptstadt der Algarve, sowie nach Loulé. Unterhalb der Straße liegt Cortelha und das Restaurant Casa do Presunto, das von vielen, die hier vorbeikommen, besucht wird. Es ist auch eine Pension mit der Linzenz AL und bietet Wandergruppen neun Doppelimmer mit Dusche oder Badewanne an und ein Restaurant, das für seine lokale, landestypische Küche über die Distriktgrenzen hinaus bekannt ist. Meine letzten drei Kilometer brechen an. Jetzt führt der Weg von Norden nach Süden. Ich habe heute noch keine einzige Eichel gefunden. Die Bäume tragen wenig Blätter am Ende des Sommers zu Beginn der Regenzeit, die nicht beginnen will. Die Korkeichen können nicht mit uns Menschen reden. Wenn wir aber die Zeichen der Jahreszeit genau beobachten, wenn wir uns die Zeit nehmen für einen Baum, dann entdecken wir, daß sich sehr viele Bäume des Hinterlandes der Algarve auf „dem Zahnfleisch“ bewegen. Sie haben mehr als die Hälfte aller Blätter gegen Ende Oktober, Anfang November abgeworfen und laufen im Modus des für sie überlebenswichtigen „Notstromaggregats“. Wenn ihre Wurzeln auf kein Wasser mehr stoßen, wenn am Ende des Sommers sich der Wasserspiegel so weit abgesenkt hat, daß sie im Trockenen stehen, dann beginnt der langame Prozeß des Abschaltens aller Funktionen: Pinien werfen ihr Nadeln ab, die Blätter der Korkeichen verfärben sich zuerst braun, dann fallen auch sie ab. Alles, was nicht essentiell ist zum Überleben, wird abgeworfen, der Ballast. Meist sprießt dann auch ein einsamer kleiner Ast ganz unten am Fuße des Baumes aus der Rinde. Damit stellt der Baum sicher, daß er sich trotz existenziellen Wassermangels noch eine minimale Change auf ein Überleben sichert. Denn ein Baum kennt keinen vom Menschen verursachten Klimawandel oder weiß nicht, warum es nicht regnet. Denn normalerweise hat es immer im Oktober ergiebig geregnet an der Algarve. Man kann das an den Jahresringen eines abgstorbenen und gefällten Baumes nachweisen und auch Laien können dies erkennen. Manche Jahreringe sind breiter (viel Regen), andere schmaler (wenig Regen). Ein Baum ist des Menschen innigster Freund. Er transformiert CO2 zu Sauerstoff, dem Stoff aus dem wir unser Leben machen.  Ein Baum muß sich in einem Stadium des absoluten Notfalles befinden, wenn er damit beginnt, seine Blätter oder Nadeln abzuwerfen.

Und die Bäume in der Serra do Caldeirão (und in der Serra de Monchique) befinden sich in einem solchen Notfall, denn die im Jahre 2013 übrig gebliebenen Korkeichen zwischen Cortelha und Barranco do Velho sind bereits hinüber. Sie ragen wie Knochen aus dem Boden am Wegesrand und begrüßen den Fußgänger der Via Algarviana, sofern sie denn noch stehen und nicht vom Wind umgeweht worden sind. In Barranco do Velho, nach knapp 120 Kilometern beende ich meine Recherchereise zu Fuß durch das Zentruim der Algarve am sechsten Tag, von Monchique kommend, einem Weg nach Osten folgend, der einst einmal ein alter Pilgerweg war und die Aorta des Königreiches Algarve, auf dem man von Dorf zu Dorf, Haus zu Haus, von Fluß zu Fluß gehen konnte und der die Menschen miteinander verband.

Man besuchte sich und ging ein paar Tage gemeinsam über Land, nahm den Esel oder das Pferd mit, um Proviant zu transportieren, oder Geschenke. Man kam zu Quellen, an denen Wanderer und Pilger, Reisende zwischen den Welten, ihre Wasserreserven wieder auffüllten, man traf sich in einer Kaschemme zu Essen und Trinken und übernachtete im Freien oder fand eine Herberge: in Monchique ebenso wie in Silves, Messines, Alte und Salir, in Cortelha, Barranco do Velho und in Cachopo, Vaqueiros, Furnazinhas und in Alcoutim, und drüber auf er anderen Seite, in Marmelete, in Aljezur und Bensafrim und Barão São João, Vila do Bispo und am Kap. Wer damals seinen Fußmarsch an der spanischen Grenze begann, war nach zehn bis 15 Tagen am Südwestkap, dem Ende der alten Welt. Viele Geschichten und Mythen ranken sich um dieses Ende der alten Welt. Mehr als 1.000 Jahre existierte dieser alte Pilgerweg bis ein Erdbeben am 1. November 1755 dafür sorgte, daß er in Vergessenheit geriet. Nur den Mittwochswanderern, diesen Ausländern, die das ganze Jahr an der Algarve über leben, ist es zu verdanken, daß sie diesen Weg zwischen 1990 und 2005 wieder aus der Versenkung holten und ihn dem Verein Almargem aus Loulé übergaben, der ihn dann mit 119 Holzschildern, anderen Markierungen und vielen Subventionen in Höhe von 370.000 Euro wieder ausschilderte. Er trägt die Bezeichnung GR 13, was soviel bedeutet wie Die Große Route 13. Er ist der magische Fußweg, den jeder einmal in seinem Leben gegangen sein sollte.

Wie diese Geschichte zu Ende geht? In Barranco do Velho warten ein Hund namens Max und eine Frau namens Stefanie auf mich und nehmen mich mit nach Hause, nach Monchique, meiner zweiten Heimat. Was ich zu Fuß in einer Woche gegangen bin, schaffen wir mit dem Auto in nicht einmal zwei Stunden. Wie langweilig Autofahren doch sein kann, oder?

 

P.S.: Ich werde die ganze Via Algarviana am Samstag, dem 30. April wieder zu Fuß gehen. Das nächste Mal von Anfang bis zum Ende. Das dauert 14 Tage und ich hoffe sehr, daß es in der Zwischenzeit ausgiebig regnen wird, den Bäumen und allen Kreaturen der Natur zu liebe. Ich nehme noch ein paar Weitwanderer mit auf diesen einzigartigen Spaziergang. Falls sie wollen, schreiben Sie mir eine persönliche Email an editor@eco123.info.

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Fernando Medronho & Kathleen Becker
Fotos: Uwe Heitkamp, Henk Hin

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