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Die Natur lebt!

Ursprünglicher Wald

Vor kurzem erweckte eine aktuelle Webseite meine journalistische Aufmerksamkeit. Dazu muss ich anmerken, dass ich nur noch Webseiten empfehle, auf denen die Macher sich mit Namen und Adresse kenntlich machen. Anonymen Mist schaue ich mir grundsätzlich nicht mehr an. Ich halte das auch bei Telefonaten so. Wer mich anruft und seine Nummer unterdrückt, dem schenke ich weder kostbare Zeit noch Aufmerksamkeit. Da die Macher dieser neuen Webseite transparent vorgingen, rief ich sie einfach an und bat um ein Gespräch zum Thema, das sie veranlasst hatte, diese Webseite ins Internet zu stellen. Wir vereinbarten einen Termin zum Mittagessen in Porto. So kaufte ich mir einen Fahrschein, der mich im Alfa Pendula Zug um 7h30 von Tunes nach Vila Nova de Gaia bringen sollte. Das gemeinsame Mittagessen mit Interview fand im Restaurant des Botanischen Gartens statt und dauerte 120 Minuten. Am Nachmittag fuhr ich dann wieder zurück an die Algarve, wo ich gegen 20 Uhr eintraf. Meine Zugfahrt von rund 1.200 km für dieses Interview verursachte 15 kg CO2, wie mir der Internet-Rechner der Bahn (CP) mitteilte und dauerte knapp elf Stunden (hin und zurück).

Die Webseite lautet:
www.florestautoctone.webnode.pt

site floresta autoctone

Jorge Moreira
Jorge Moreira

Ich heiße Jorge Moreira, bin 52 Jahre alt, habe Umweltwissenschaften studiert und bin Umweltschützer und Ökologe. In meinem eigenen Betrieb repariere ich elektrische und elektronische Geräte. Bei der Ausübung meiner Arbeit versuche ich möglichst viel Material wiederzuverwenden, was nicht nur der Umwelt dient, sondern mir auch meinen Unterhalt sichert. Die meisten meiner Tätigkeiten im Umweltbereich sind jedoch gemeinnütziger Art.

Wie viele Kilometer fahren Sie pro Jahr?
Ich fahre durchschnittlich fünfhundert Kilometer pro Woche, da ich viel Reparaturmaterial aus den Dörfern im Landesinneren hole.

Lohnt sich dieser Aufwand überhaupt?
Ob es sich lohnt?

Wir alle hinterlassen unseren persönlichen CO2-Fußabdruck.
Ja.

Ein Portugiese verbraucht durch-schnittlich sieben Tonnen pro Jahr.
Unter der Woche, von Montag bis Donnerstag, arbeite ich normalerweise zu Hause und muss nicht wegfahren. Freitag ist der Tag, an dem ich die meisten Kilometer mache. Ich kompensiere also, indem ich versuche nur zu Hause zu arbeiten und an diesen Tagen meinen CO2-Fussabdruck niedrig zu halten. Was an Fahrten wirklich nötig ist, mache ich dann am Freitag.

Ich habe gefragt, da ich meinen Fußabdruck kenne, nämlich drei Tonnen pro Jahr.
Das Gewicht meines Fußabdrucks in Tonnen oder Kilogramm kenne ich leider nicht – diese Rechnung habe ich noch nie gemacht.

500 km pro Woche sind ca. fünf Tonnen pro Jahr, wenn Ihr Fahrzeug mit…
…es fährt mit Diesel. Aber es hat Filter und so weiter. Als ich es gekauft habe, galt es als das ökologischste Fahrzeug auf dem Markt. Erst nach dem Kauf erfährt man dann, dass dies doch nicht ganz stimmte, nicht wahr? Aber das sind Dinge, die ich nicht ändern kann.

Und Sie sind…?
… Miguel Dantas da Gama. Ich bin Elektronikingenieur. Das heißt, ich war Elektronikingenieur, denn ich habe damit aufgehört.

Ein Ingenieur, wie José Socrates?
Nein, nein, nein. Ich habe an der Universität Porto studiert, übe meinen Beruf zurzeit jedoch nicht aus. 2009 bin ich dem Naturschutzbund beigetreten. Ich war bei der Gründung von Quercus beteiligt und später entstand dann FAPAS – der Fond zum Schutz von Wildtieren. Bis dahin arbeitete ich in meinem Beruf. In 2009 transformierte ich mein Hobby in einen Vollzeitjob. Ich widme mich der Herausgabe von Büchern und habe sehr viel im Parque Nacional do Gerês zu tun.

Können Sie davon leben?
Seit ich aufgehört habe zu arbeiten, hat sich mein Leben etwas verändert. Ich fahre weniger mit dem Auto; in Porto bin ich nur zu Fuß unterwegs. Wenn ich in der Gegend zu tun habe, benutze ich meinen Motorroller und auch sehr oft das Fahrrad. Um ins Gebirge zu fahren, nehme ich den Jeep.

Sind Sie glücklich?
Ich bin mit meinem Leben zufrieden. In der Welt, in der wir leben, fühle ich mich privilegiert. Was in meinem Land passiert, macht mich aber nicht wirklich glücklich. Mich machen die fortbestehenden, sich verschlimmernden Probleme und Aspekte besorgt, die uns ja auch hierhergebracht haben. Wir haben schon seit langem gesagt, dass es so weit kommen würde, doch niemand will uns zuhören. Die Dinge ändern sich normalerweise nicht von allein zum Guten. Es gibt interessante Privatinitiativen, aber bei grundlegenden Fragen, die von staatlicher Seite in Angriff genommen werden müssten, sehe ich keine großen Veränderungen. Heute wird Nutznießung sehr oft mit Schutz verwechselt. Die Tatsache, dass die Menschen sich gerne in der Natur aufhalten bedeutet nicht, dass sie sie auch schützen. Für die Natur wird nicht viel getan.

Wie alt sind Sie?
60.

Kommen wir nun zu Ihnen, junger Mann.
Ich heiße Jerónimo Pinto Gama und bin ausschließlich Ökologe. Vor einigen Jahren war ich Mitglied eines Umweltverbandes namens GAIA, dessen Kurs recht hart und radikal war. Aber im Lauf der Zeit stellte ich fest, dass die wichtigsten Umweltprobleme mit denen wir konfrontiert sind, mehr Tiefe und Engagement benötigen. Sie erfordern einen gewissen Einsatz und mehr Ernsthaftigkeit. Deshalb begann ich, mich mit den Problemen stärker auseinanderzusetzen und sie scharfsinniger zu betrachten, um so zu langfristigen Lösungen zu kommen.

Haben Sie eine Lebenspartnerin?
Ich? Nein. Was hat das damit zu tun… (Lachen)?

Wie alt sind Sie?
Heute bin ich achtunddreißig Jahre alt geworden. Als Geschenk würde ich gerne einen wiederhergestellten, regenerierten Wald sehen. Ich glaube, das wäre das schönste Geburtstagsgeschenk, das man mir machen könnte.

Glücklich?
Ein bisschen glücklich, aber auch ein bisschen unvollkommen.

Unvollkommen? Ja.
Das ist das Thema dieser Ausgabe: Was können wir tun, um zu erreichen, was unser Leben erfüllt?

Bei uns ist auch José Marques, 74 Jahre alt, richtig?
Das stimmt, im Mai werde ich fünfundsiebzig. Ich bin in Porto geboren und komme aus der Generation vor dem 25. April. Die siebziger Jahre hier in Porto waren äußerst unruhig, aber andererseits auch sehr interessant.
In Frankreich – wo ich seit 1970 lebte, da ich nicht am Krieg in Afrika teilnahm – wurde ich auf die Ökologie aufmerksam. Damals war das in Portugal praktisch kein Thema. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich an unterschiedlichen ökologischen Initiativen teilgenommen. Im Jahr 2000 gründete eine Gruppe von Leuten den Verein Campo Aberto, dem ich seither angehöre. Obwohl den ländlichen Gebieten immer große Aufmerksamkeit gewidmet wurde, tauchte das Problem der Waldbrände immer wieder auf. Mein Hauptinteresse drehte sich immer mehr um das, was wir ländliche Wiederbelebung nennen, eine Bewegung zur Schaffung neuer Vitalität der ländlichen Gebiete im Landesinneren.
Aber entgegen den Erwartungen ist genau das Gegenteil eingetreten. Jahrzehnt für Jahrzehnt verließen die Menschen das Landesinnere, zogen in die Küstenregionen und das Hinterland verödete infolgedessen. Das begann sich dann in immer heftigeren und häufigeren Bränden widerzuspiegeln. Langsam wurde dieser Aspekt für mich immer wichtiger, aber erst 2016 bestand die Dringlichkeit, ihn in den Mittelpunkt zu rücken.

Welche Gefühle bewegen Sie?
Das vorherrschende Gefühl ist, nicht mehr viel Zeit zu haben und diese so gut wie möglich nutzen zu wollen. Ich möchte diese Zeit nutzen, etwas Sinnvolles zu tun – etwas, was anderen hilft und wenn es auch nur ein oder zwei Personen sind. Ich möchte dazu beitragen, die vielen Grausamkeiten der letzten Jahrzehnte zu korrigieren.

Sie sind Lehrer?
Ich war Lehrer, hatte aber noch andere Berufe. Auch die Fächer, die ich unterrichtete, waren unterschiedlich und deckten den gesamten literarischen Bereich ab: Sprachen, Portugiesisch, Französisch und Geschichte. Ich war auch Übersetzer, Redaktionsberater – einschließlich Herausgeber einer Enzyklopädie in den siebziger Jahren in Brasilien.

Sind Sie eher ängstlich oder mutig?
Angst und Sorge sind Gefühle, die sehr oft durchlebt und in einem inneren Prozess verarbeitet werden. Ich kann nicht sagen, ob ich sie habe oder nicht. Das ist irgendetwas, das auf ein gewisses Maß sublimiert und auch auf bestimmte Art für mich beherrschbar wurde, so dass ich nicht mehr einfach sagen kann, ob ich Angst habe oder nicht. Aber natürlich gibt es ganz konkrete Situationen in denen ich Angst verspüre.

floresta autoctone

Jorge Moreira (1967), Miguel Dantas da Gama (1958), Jerónimo Pinto Gama (1981) e José Carlos Marques (1945)

Was hat Sie bewegt, das Projekt www.florestautoctone.webnode.pt zu gründen?
Jorge Moreira:
In den sozialen Netzwerken entstand im letzten Jahr eine Bewegung, aufgrund eines Fotos, das ich veröffentlicht hatte. Es war eine Hommage an die durch die Brände im vergangenen Jahr verschwundenen Bäume. Da haben sich ein halbes Dutzend Leute zusammengetan, die das gleiche Gefühl hatten und sich wünschten, das Paradigma der Waldbrände zu ändern.
José Carlos erfuhr von der Existenz dieser Bewegung und berief als Koordinator ein Treffen ein, um über die Themen Brände und Vegetation zu diskutieren. Bei einem späteren Treffen entwickelte sich eine Idee, die in einem Appell für den ursprünglichen Wald gipfelte. Ich sehe den Wald mit anderen Augen. Der Wald hat seine Rechte, die Rechte der Natur. Der Wald darf nicht auf autoritäre, nur den Menschen in Betracht ziehende Weise, die einzig und alleine seinen Interessen dient, genutzt werden. Es gibt einen Fachbereich, den ich sehr schätze, das ist die Umweltethik, die Beziehung die wir alle mit der Natur und den anderen Lebewesen haben.

Der Vorsitzende von Portucel und Navigator sieht das vielleicht etwas anders, meinen Sie nicht?
Ich weiß, dass er das tut. Er betrachtet den Wald nur als Wirtschaftsfaktor der Gewinne erbringen muss.

Und Arbeitsplätze schafft.
Ja, aber die sind nicht wirklich sicher. Wenn wir nämlich eine Monokultur von Eukalyptus anlegen, wächst eben nur diese und wir können beten, dass sie nicht innerhalb eines Jahrzehnts abbrennt und wir am Ende mit Nichts dastehen.
Bei einem ursprünglichen Wald ist das anders: gewöhnlich muss man vor Ort sein und sich um ihn kümmern, zumindest in den ersten Phasen. Am Anfang braucht er viel Pflege bis er autark wird. Danach bietet er eine Vielzahl von Betätigungsfeldern, zusätzlich zum Management des Ökosystems, der Basis unseres Wohlbefindens, unseres Lebens.

Es geht darum, Verluste zu minimieren.
Selbstverständlich. Und die Brände wären weniger schwer. Stärke und Zerstörungskraft eines Brandes in einem gewachsenen Wald erreichen nie das verheerende Ausmaß, das wir bei den Monokulturen von Eukalyptus oder Pinien haben. Es gibt genügend Studien, die dies belegen: der Schweregrad bei einer Verbreitung von leicht entflammbarem Eukalyptus und Pinien ist wesentlich höher, als beispielsweise bei Eichen, Korkeichen, oder Birken. Außerdem spielt auch die Schönheit eine Rolle und das ist für mich nicht nur ein touristischer Aspekt, auch wenn Schönheit dazu dient, Portugal als Reiseziel noch ansprechender zu machen. Wir müssen unseren Horizont erweitern und endlich erkennen, dass wir tief mit der Natur verbunden sind.

Und wir brauchen die Schattenspender.

José Carlos Marques: Ganz genau. Diese Initiative – die Allianz für den ursprünglichen Wald – nahm ihren Anfang im Sommer 2016, in dem das Ausmaß der Brände erheblich größer war und es wesentlich mehr Todesopfer als in den Jahren zuvor zu beklagen gab, mit Ausnahme der Jahre 2003 und 2005, in denen wir es auch mit Bränden großer Waldflächen ähnlicher Dimension zu tun hatten.
Die Partnerschaft zwischen einer Gemeinde im Raum Porto und dem Verein Campo Aberto, für den ich tätig bin, wurde damals auf Vorschlag eines Anwohners aus Passos de Sousa, wo viele Brände gewütet hatten, wieder neu belebt. Wir sprachen dann über ein sehr langfristig angelegtes Projekt von zweihundert Jahren.
Das war für mich ein interessanter Denkanstoß. Denn es gab zwar ständig Veranstaltungen und Diskussionen darüber, was mit unserem Wald und unseren Naturflächen passiert, die Situation wurde aber immer nur aus einer kurzfristigen Perspektive betrachtet, ohne die grundlegenden Probleme in einen Zusammenhang zu bringen.
Zu diesem Zweck schlug ich die partnerschaftliche Organisation eines Treffens vor, dem wir den Titel Allianz zur endgültigen Verhinderung von Waldbränden gaben. Ich habe dann die drei Personen eingeladen, die jetzt hier sitzen und die ich – dank meiner Interessen und Aktivitäten – schon kannte. Miguel, Jerónimo und Jorge haben dann die Einführung bei der Diskussionsveranstaltung übernommen, die am 29. Oktober 2016 stattgefunden hat.
Ein Großteil der Brände hatte bereits Wälder zerstört, besonders viele im August. Zu Beginn dieses Treffens mit fast dreißig Teilnehmern, wurde jeder aufgefordert einen kurzen Vortrag darüber zu halten, wie den Bränden, die derart riesige Ausmaße annehmen, ein Ende gesetzt werden könnte.
Die Dinge nahmen ihren Lauf, was dann zu einem etwas anderen Namen führte: eine Allianz für den ursprünglichen Wald. Wir haben eine Reihe von Prinzipien und Ausgangspunkte erarbeitet, die auf einer im September veröffentlichen Webseite zusammengefasst sind.

Wir alle haben unsere Fehler – keiner ist perfekt. Wir müssen in die Bildung der Menschen investieren, ihnen begreiflich machen, dass unser Planet ein empfindliches Biotop ist. Wie können wir diese Idee in die Praxis umsetzen?
Jerónimo Pinto Gama: Die Allianz ist eine Initiative, deren wichtigste Grundlage in der Reflektion besteht, bevor Projekte zur Wiederaufforstung entwickelt werden.

Fehlt es an Umwelterziehung in der Schule?
José Carlos Marques: Ich habe mich mit dem Thema Umweltbewusstsein eingehend beschäftigt und bin da sehr gemischter Ansicht. Zweifelsfrei bildet die Erziehung eine fundamentale Grundlage. Es gibt so viele Formen, diese zu vermitteln und in die Praxis umzusetzen, dass wir uns intensiv damit beschäftigen müssen, um nicht in Banalitäten zu verfallen.
Die Kindererziehung ist sehr wichtig, da stimme ich ausdrücklich zu, ihre Wirkung wird jedoch bisweilen überschätzt. Wir dürfen nicht vergessen, dass aus Kindern Jugendliche und aus Jugendlichen Erwachsene werden; und es gibt eine Jugendkultur und eine Erwachsenenkultur. Die Kindheitskultur wird dann oft von der Jugendkultur und der Erwachsenenkultur verdrängt und verschwindet. Das passiert manchmal.

Was müssen wir lernen?
Miguel Dantas da Gama:
Es gibt viel zu lernen. Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Lage. Die Problematik der Wälder und der Brände ist nur eine Folge dessen. Wir haben ein wesentlich tiefer gehendes Problem – die Vegetationsdecke – und damit verbunden eine ganze Reihe weiterer Problembereiche, die wir im Laufe der Jahrzehnte vergrößert haben. Wir stecken in mehreren Teufelskreisen, aus denen sehr schwer zu entkommen ist. Unsere Gesellschaft kritisiert beispielsweise den amerikanischen Präsidenten, weil er schwerwiegende klimatische Probleme nicht zur Kenntnis nimmt, oder nicht akzeptiert. Aber dennoch verhalten wir uns genauso wie er. Auch wir ignorieren die Probleme, anstatt uns mit ihnen auseinanderzusetzten. Wir haben uns nicht verändert. Das betrifft auch den ländlichen Raum. Erst gestern wurde im Fernsehen gezeigt, wie einige Leute nachts Feuer machten. Diese Leute haben nicht verstanden, dass sich die Dinge ändern. Bilder die zeigen, dass die Menschen fliehen oder in den Häusern bleiben, wenn es brennt, demonstrieren nur, dass sie mit der Situation nicht umgehen, und auf eine veränderte Lage nicht angemessen reagieren können. Wir stehen nun vor dem Ergebnis einer Reihe von Fehlern, die im Zusammenhang mit der Zerstörung der Waldflächen gemacht wurden. Das hat mit der Landflucht zu tun. Zuerst wurde die Vegetation verändert und dann sind die Gebiete verlassen worden – vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. Unser Problem jetzt besteht darin, dass die vom Menschen sehr stark veränderten und sich dann selbst überlassenen Areale, nicht alleine überleben können. Wir müssen sie also soweit wiederherstellen, dass die Menschen schließlich zurückkehren können. Land- und Forstflächen, wie wir sie aktuell haben – große Flächen mit Monokulturen – helfen nicht dabei, Personen wieder anzusiedeln, die eben diese Gebiete verlassen haben, nachdem sie sie zerstörten. Das ist ein Teufelskreis aus dem wir nicht so einfach herauskommen.

Was muss getan werden?
Miguel Dantas da Gama:
Private Initiativen sind wichtig. Betrachten wir jedoch die Tiefe und das Ausmaß des Problems, kommt dem Staat eine grundlegende Rolle zu. Und der Staat stellt wiederum selbst ein Problem dar, weil sich die derzeitige Politik und die Konzepte für die Zukunft darauf beschränken, die Verantwortung bei der Lösung des Problems von sich zu weisen. Nur wenn der Staat – mit dem Engagement aller Beteiligten auf nationaler und lokaler Ebene und auch in den Gemeinden, die wiederbelebt werden müssen – sich wieder seiner Verantwortung stellt, um die notwendigen grundlegenden Maßnahmen durchzuführen, wird uns eine weitreichende Veränderung gelingen.

Was ist der erste Schritt?
Miguel Dantas da Gama:
Ich schätze den Wert lokaler Ad-hoc-Initiativen, die manchmal durch eine Aufmerksamkeit erregende Aktion schnell eine bestimmte Dimension erhalten und sich verbreiten. Dies gelingt jedoch nicht immer. Die Gesellschaft muss mobilisiert werden, sie muss begreifen, dass wir mit einem sehr schwerwiegenden Problem leben, das großer Veränderungen bedarf, deren Durchführung Jahrzehnte dauern wird. Wir werden einen mehr oder weniger langen Zeitraum zu durchlaufen haben, in dem wir erst einmal investieren müssen, um dann später etwas wieder zurückzubekommen. Es gilt einen Wald, den wir über Jahrhunderte zerstört haben, wiederherzustellen. In diesem Zeitraum ist sehr viel Hilfe und großes Engagement gefragt. Nur mit der Hilfe des Staates, mit seiner Präsenz vor Ort bei der Wiederherstellung einiger alter Strukturen, die nicht immer sinnvoll genutzt wurden, jedoch gute Arbeitsgrundlagen sind: Durch Einführung von Forstbaumschulen und Einstellung von Förstern, Privilegierung von Landbesitzern, die auf lange Sicht investiert haben, wird eine umfassende Wiederherstellung der Gebiete möglich sein.
Es gibt Fehler, die nur schwer zu korrigieren sind, zum Beispiel bei der Raumplanung – hier wurde eine Reihe von Grausamkeiten genehmigt: Häuser am Ende der Welt, Fabriken in Wohngebieten: hier im Norden und im Zentrum ist die Situation wesentlich komplizierter als im Süden. Verantwortlich für dieses Problem sind die seit Jahrzehnten gleichen Personen, die über Einfluss verfügen, in den Medien gehört werden und diese kontrollieren. Jetzt beschweren sich die Kommunalverwaltungen über die Brände und über fehlende Mittel, obwohl sie selbst es waren, die – gegen den Willen der Umweltschützer, die immer als Radikale und Extremisten bezeichnet wurden – für das Chaos bei der Flächennutzung verantwortlich sind. Es wurde gebaut wo nicht gebaut werden durfte, Monokulturen nahmen mehr und mehr Raum ein. Sie selbst haben die Probleme verursacht. Und heute dreht sich die Diskussion weiterhin um Zivilschutz, Feuerwehrleute und die ganzen Infrastrukturen. Jeder arbeitet gegen den anderen, weil es um den Schutz eigener Interessen geht und somit dem Kern der Sache nicht auf den Grund gegangen wird, nämlich der Durchführung von entsprechenden Wiederherstellungsmaßnahmen um Brände zu verhindern. Vielleicht würde es weniger Tote geben, wenn wir einen dynamischeren, effizienteren, besser kontrollierten Zivilschutz hätten… Aber es wird nicht aufhören zu brennen, solange wir diese Art von Wald und diese Art der Nutzung haben.
Und diese Art von Kosten-Nutzen Bilanz – denn heutzutage geht es um Aufforstung mit Monokulturen, die bei hoher Exportrate hohe Gewinne einbringen. Dabei entstehende Schäden werden auf dieser Rechnung nicht berücksichtigt. Schäden, die von uns allen bezahlt werden müssen und nicht von den Firmen, die die Monokulturen einrichteten und jetzt auch noch am verbrannten Holz verdienen. Bei solchen Rechnungen werden die Folgekosten vergessen – vom Verlust so vieler Menschenleben gar nicht zu sprechen.

Sprechen wir von Lösungen. Wer entscheidet?
floresta autoctone, Monchique

Miguel Dantes da Gama: Wir leben in keiner Traumwelt. Unser Idealismus geht nicht soweit, dass wir einen Wald fordern, der nur schön ist und biologische Vielfalt garantiert. Nein, auch wir wollen einen Wald, der am Ende rentabel ist, doch das braucht Zeit. Dieser Wald erlaubt den Menschen, ins Landesinnere zurückzukehren, mit ihm zu leben und eine Vielzahl an Produkten zu erwirtschaften, wie beispielsweise Holz, Trockenfrüchte und Honig. Auch holzverarbeitende Betriebe könnten sich dort ansiedeln – wir importieren Holz für die Möbelherstellung aus Brasilien und anderen Ländern – und viele forstwirtschaftliche Berufe und Aktivitäten, die in der Vergangenheit verloren gingen, könnten wieder neu entstehen.
Eine nachhaltige Forstwirtschaft würde auch unsere gesamte Wirtschaft beleben. Zurzeit erleben wir, auch aufgrund der Probleme in anderen Ländern, einen enormen Tourismusboom. Aber wer hat schon Lust, in einem Land Urlaub zu machen, in dem innerhalb von zwei oder drei Tagen hundert Menschen bei Waldbränden sterben? Während meines ganzen Lebens gab es nach meiner Erinnerung, höchstens drei Unfälle in Portugal, bei denen so viele Menschen zu Tode kamen, darunter ein Flugzeugunglück auf Madeira und ein Zugunglück. Aber dieses Mal sind hundert Menschen auf offener Straße verbrannt!
Bemerkenswert ist, dass viele, die sich jetzt beklagen, Opfer ihrer eigenen, teilweise auch selbstverschuldeten Unkenntnis, wenn nicht sogar Ignoranz, geworden sind. Ein in sich widersprüchliches Problem, das dringend angegangen werden muss.

Was können wir tun gegen diese Ignoranz? Fangen wir in der Schule an?
Miguel Dantas da Gama: Ja, genau. Aber auch im gesellschaftlichen Diskurs und in den Medien muss eine Veränderung stattfinden. Alle Maßnahmen und Vorkehrungen, die getroffen werden können, um Brände zu vermeiden, sollten ins Tagesprogramm aufgenommen werden. Doch anstatt dem eigentlichen Problem auf den Grund zu gehen, wird das Leid der vom Brand Geschädigten zur Schau gestellt und von über die Regierung schimpfenden Feuerwehrleuten berichtet.

Was möchten Sie als Verein tun?
Miguel Dantas da Gama: Initiativen bündeln und verknüpfen. Zurzeit versuchen wir herauszufinden, wie unsere Ideen in der Gesellschaft ankommen und wie viele Menschen wir für deren Umsetzung gewinnen können.

Wie viele Unterschriften haben Sie bekommen?
José Carlos Marques: siebenhundertvierzig Unterschriften in einem Monat. Wir haben es hier aber nicht mit einer gewöhnlichen Petition zu tun, bei der tausende von Namen gesammelt werden, um diese dann bei irgendeiner Behörde einzureichen. Es handelt sich vielmehr um eine Art dauerhafter Solidarität hunderter aufmerksamer Bürger, deren Anzahl hoffentlich noch weiter steigen wird, die auf lokaler Ebene zusammenarbeiten möchten, um die Entwicklung in ihrer Region zu beobachten, zu begleiten und Maßnahmen zu Neuanpflanzungen zu fördern.

Jorge Moreira: Wir ermuntern die Menschen zur Zusammenarbeit, zu einer gemeinsamen Suche nach Lösungen, um das was im Wald falsch läuft, wieder in Ordnung zu bringen, indem sie beispielsweise heimische Baumarten anpflanzen, die wesentlich feuerresistenter sind und auf diese Weise den Wald sozusagen reparieren.

José Carlos Marques: Genau darum geht es: Kooperationsbereitschaft wecken und Brücken bauen, zusammenbringen was getrennt ist, aber zusammengehört. Wir organisieren uns und wollen gehört werden. Das hier ist der erste Schritt dazu.

Miguel Dantas da Gama: Ich möchte das Thema Bildung, das wir vor Kurzem schon angesprochen hatten, noch einmal aufgreifen, José Carlos stellte richtig fest, dass so manches Mal nach der Kindheit sehr viel vergessen wird. Der Bildung kommt meiner Meinung nach eine zentrale Bedeutung zu, sie muss uns jedoch ein ganzes Leben lang begleiten – ich nenne das transversale Bildung. Unsere Schulen brauchen viel mehr Kontakt zur Realität und wir müssen eine Kultur entwickeln, die sich der Lebensrealität stellt. Nicht der Wettbewerb, sondern Kooperationsfähigkeit sollte auf dem Stundenplan stehen. Natur darf nicht mehr nur unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden, sondern mit Respekt, Fürsorge, Liebe und dem Verständnis, dass wir sie alle zum Leben brauchen. Wenn die Schulen das vermitteln können, wird sich nicht nur unsere Einstellung zur Natur grundlegend ändern, sondern es wird sich auch eine völlig andere Gesellschaft entwickeln.
Von einer Gesellschaft, die beherrscht, zerstört, konsumiert und ausbeutet, würden wir uns zu einer integrativen Gesellschaft verändern, die ihre Sorgfaltspflicht bei der ökonomischen Wertschöpfung wahrnimmt. Das ist für mich transversal: wir müssen schon in der Kindheit damit beginnen – das ist unsere Aufgabe.

Wie können wir das bewerkstelligen?
Miguel Dantas da Gama: Wir müssen unsere Lebensweise gründlich überdenken.
Jerónimo Pinto Gama: Unsere Priorität liegt in der Veränderung des forstwirtschaftlichen Konzepts. Das heißt, uns geht es nicht einfach nur um Wiederaufforstung, sondern um eine grundlegende und organisierte Planung des Waldes. Wir brauchen Waldfachpläne auf lokaler, regionaler und später auch nationaler Ebene.
Ich persönlich bin kein großer Befürworter nationaler Waldfachpläne. Es gibt regionale Pläne, da die Wälder im Norden anders sind, als im Süden und im Osten anders als im Westen. Auch die klimatischen Bedingungen sind regional unterschiedlich. Wir haben bisher keine konkreten angemessenen Maßnahmen entwickelt, um diesen Paradigmenwechsel einleiten zu können.
Mittlerweile sind wir aber dabei, die zur Schaffung eines ursprünglichen Waldes notwendigen Rahmenbedingungen zu entwickeln, woraus sich folgende Planbereiche ergeben: ein Plan auf juristischer Ebene, ein Plan im Bereich der Gesetzgebung, ein Forstplan zur Umsetzung vor Ort, ein Bürgerplan…und, im Lauf unseres Gesprächs ist mir noch eingefallen, dass es auch einen Plan geben müsste, der die Unternehmen einbindet, denn auch sie haben eine soziale Verantwortung, die sie hier wahrzunehmen haben.

Danke.

About the author

Uwe Heitkamp, 55, Journalist und Filmemacher, ist seit 25 Jahren in Monchique, Portugal zuhause. Er unternimmt gern lange Wanderungen in den Bergen und schwimmt in Gebirgsbächen und Seen. Schreibt und erzählt Geschichten über Menschen und ihre Bezüge zur Ökologie und Ökonomie. Sein aktueller Film „Erben der Revolution“, erzählt über 60 Minuten die Geschichte einer Wanderung durch Portugal. Zehn Menschen berichten aus ihrem Leben. Alle Protagonisten zusammen malen ein Bild vom Leben und Arbeiten in den Bergen Portugals. Der Film offenbart Einblicke in die Schönheit der Natur und das Leben der normalen Menschen. Welcher Weg bestimmt die Zukunft des Landes? (Abonnieren Sie ECO123 und sehen Sie den Film in der Mediathek)

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