Ist Friede die Fähigkeit, Konflikte zu bewältigen?
Ja, darüber müsste ich mal eine Weile nachdenken. Könnte man vielleicht so sagen. Vielleicht ist es auch, Konflikte aushalten, mit Konflikten leben zu können. Es ist wichtig, nicht in einem RICHTIG und FALSCH Denken zu enden. Oder in „nur einer von uns kann Recht haben“, sondern sich dort zu treffen, wo wir gleiche Interessen haben.
Ist die gewaltlose Kommunikation ein Werkzeug hin zu mehr Frieden?
Ich würde nicht sagen, sie ist ein Werkzeug. Sie hat Werkzeuge, aber eigentlich ist sie noch viel mehr eine Haltung oder eine Lebensweise.
Kann uns die gewaltlose Kommunikation – wenn wir uns von alten Mustern befreien – nicht nur im zwischenmenschlichen, sondern auch im politischen Bereich weiterbringen?
Ja. Wenn ich Debatten verfolge, entdecke ich Verhaltensweisen, die meistens auf der Strategieebene stattfinden, statt sich an den Bedürfnissen zu orientieren. Wir werden Lösungen finden, wenn nicht nur eine Partei und eine Position gewinnen und die anderen müssen dann mitgehen und das aushalten. Die Begegnung auf einer menschlichen Ebene ist wichtig. Es geht nicht darum, dass einer aufgibt, sondern darum, Wege zu finden, möglichst viele gemeinsame Bedürfnisse zu erfüllen.
Wie war Ihre Jugend?
Ich habe mich so erlebt, dass ich auf eine ganz bestimmte Art und Weise sein wollte. Es wird nicht wirklich viel danach gefragt, welche Bedürfnisse ein Kind oder Jugendlicher hat. Ich erinnere mich nicht gefragt worden zu sein, warum ich nicht in den Unterricht in der Schule gekommen bin. Das ist mir tatsächlich passiert. Keiner meiner Lehrer hat mich gefragt, warum kommst du nicht in den Unterricht? Was ist es, was dir hier fehlt? Was findest du dort, wo du stattdessen hingehst? Das hätte mir geholfen, mich gesehen zu fühlen und eine Lösung zu finden, als nur zu hören, das ist schlecht, dass du nicht kommst und du musst kommen, sonst geben wir dir schlechte Noten.
Was bedeutet Schule für Sie und was ist da in Erinnerung geblieben?
Natürlich habe ich in der Schule viel gelernt. Aber ich habe auch erfahren, dass wir als Wesen nicht wirklich gesehen wurden, als das, was wir sind und was wir wollen und wie wir uns am besten entfalten können. Es sollte ein bestimmtes Programm auswendig gelernt werden. Es gab zwar auch immer wieder die Ermahnung, selbstständig denken zu lernen, aber das habe ich im Unterricht selten erlebt.
Wo wir wirklich als Menschen gesehen wurden, war in der Theatergruppe. Das war für mich überhaupt noch der Grund zur Schule zu kommen, in so einer Zeit, in der ich eine Krise und ich mich wenig willkommen gefühlt hatte.
Selbstständig denken habe ich in meinem Elternhaus gelernt, wo ich mit der Friedensbewegung in Kontakt gekommen bin, mit Menschen, die versucht haben, kritisches Denken zu etablieren und Fragen zu stellen. Wie kann man Frieden schaffen? Warum gibt es auf dem Planeten Kinder, die verhungern?
Was wäre ein erster Schritt zu einer gewaltfreien Kommunikation?
Das wäre, dass wir alle frühzeitig lernten, mit unseren Bedürfnissen in Kontakt zu kommen und zu wissen, was wir brauchen, wenn wir eine bestimmte Sache tun. Die gewaltfreie Kommunikation geht grundsätzlich davon aus, dass jedwedes Handeln eines Menschen geschieht, weil er sich Bedürfnisse erfüllen möchte. Bei jeder Handlung steht eine Motivation dahinter. Wir sind damit nicht immer erfolgreich, das liegt auch daran, dass wir oft gar nicht wissen, was wir uns erfüllen wollen. Wenn wir da geschult wären, würde uns das viel Schmerz ersparen, in uns selber und im Kontakt mit anderen Menschen.
Wenn wir von einem materiellen Bedürfnis sprechen, kommen wir zum Konsum und zum Wegwerfen…
Ja, das ist ein gutes Beispiel für eine Handlung, wo eineR sich nicht bewusst darüber ist, was für ein Bedürfnis sie oder er sich damit erfüllen will. Ich kaufe mir irgendetwas, weil irgendetwas in mir sagt, wenn ich das kaufe, ginge es mir besser, dann wäre ich glücklicher. Man weiß nur nicht, welches Bedürfnis man sich damit erfüllen will und ganz oft passiert es dann, dass man erst viel später merkt, dass das Bedürfnis dann doch nicht erfüllt ist. Es geht nur um eine Art Befriedigung.
Wenn ich mich aber wirklich frage, was ich mir damit erfülle, komme ich vielleicht darauf, dass es ganz andere Strategien gibt, Glück zu finden. Die Sorge um den Planeten zum Beispiel und viele andere.
Wie möchten Sie leben?
Ich möchte mit Menschen leben, die die gleiche Vision teilen, die an der gleichen Vision mitarbeiten wie ich.
Warum nicht mit Menschen, die ihre Vision nicht teilen, sondern eine gegensätzliche? Das wäre doch auch interessant…
Ich suche Gefährtenschaft, Geborgenheit, Gemeinschaft. Da finde ich Verständnis, Austausch und Effektivität und dadurch werde ich genährt. Dadurch tue mir wohl und finde Zugehörigkeit. Weil sich gemeinsam mehr bewegen lässt. Dadurch kann ich mich dann auch mit anderen Menschen auseinandersetzen, die eine ganz andere Meinung haben als ich. Ich brauche eine Gemeinschaft, die mir wohl tut und in der ich Vertrauen finde. In Kontakt mit der Natur leben, ist auch ein Grund, warum ich nach 13 Jahren aus der Großstadt weggezogen bin und in Kontakt mit Menschen verschiedenen Alters lebe, also auch mit Kindern und älteren Menschen.
Als Therapeutin sind Sie auch davon abhängig, dass der Erfolg Sie küsst. Gibt es da ein besonderes Erlebnis?
Eins, was am präsentesten, weil erst kürzlich passiert ist war, dass mir eine Klientin gesagt hat, eigentlich hatte ich vor, mich noch kurz vor meinem Geburtstag umzubringen. Dann habe ich sie gefragt, was sie bewogen habe, es nicht zu tun? Sie sagte mir darauf, dass sie durch unsere gemeinsamen Sitzungen gelernt habe, jetzt besser zu verstehen, was hinter ihren Gefühlen liegt und was sie im Leben braucht und welche Bedürfnisse sie habe. Da war ich sehr berührt.
Gewaltfreie Kommunikation ist ein Schlüssel, um sich selbst besser verstehen zu lernen und besser für sich zu sorgen und viel besser mit anderen Menschen in Kontakt zu gehen. Ich höre Menschen sagen, oh ich wünschte, das hätte ich vor 60 Jahren gelernt, dann wäre mein Leben ganz anders verlaufen, weniger schmerzhaft.
Kommen wir noch einmal zurück an den Anfang unseres Gesprächs und reden wir über Frieden. Was bedeutet das auf ihre Arbeit bezogen?
Frieden ist die Fähigkeit, miteinander reden, miteinander leben zu können, auf eine Art und Weise, die alle Menschen mit berücksichtigt und ihnen Raum lässt. Große und kleine Menschen, männliche und weibliche Menschen, die Mehrheits- und die Minderheitenmeinungen, alle.
Es wird immer Missverständnisse und Konflikte geben – es stellt sich nur die Frage, wie wir damit umgehen. Eine friedliche Gesellschaft lässt sich daran messen, wie Menschen miteinander umgehen, dass man sich nicht übergangen fühlt.
Danke.