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Der Traum von einem Solardorf

Noch gibt es gesetzliche Hürden. Aber die Veränderung ist nicht aufzuhalten und die Kommunen wollen bei der Energiewende an vorderster Front stehen. In der Gemeinde São Luís könnte die erste Gemeinschaft erneuerbarer Energien entstehen.

Die Frühsommersonne scheint auf die sechs neuen Sonnenkollektoren der Einwohner von São Luís in Odemira. In diesem beschaulichen Dorf im Südwesten wird der Slogan „Power to the people“ wörtlich genommen.

„Wir leben in einem sehr bevormundenden Markt. Bei der Verteilung der Elektrizität in Portugal wird es zu einer großen Veränderung kommen. São Luís möchte vorbereitet sein, wenn es soweit ist und vielleicht sogar den gesamten Eigenbedarf selbst abdecken“, sagt uns André Perreira, nachdem er die Installation beendet hat. Er kommt von der Abteilung für erneuerbare Energien der Kooperative Minga in Montemor-o-Novo und arbeitet mit der Initiative „Energie mit Freude“ zusammen. Hier investiert nicht jeder Einzelne für sich, sondern die Einwohner haben gemeinsam ihre Solarkits per Sammeleinkauf bei Minga erworben. Neben dem Anbringen der Kollektoren, gibt André Pereira den Einwohnern auch seine Kenntnisse weiter, damit sie in den Bereichen Installation und Reparaturarbeiten autonom werden.

“Gründung einer Gemeinschaft für Erneuerbare Energien” ist das Thema der Sitzung, die am 8. Juni in der Sociedade Recreativa Musical e SanLuizense stattfindet. Auf dem Programm stehen Workshops zu erneuerbaren Energien, die einführendes theoretisch-praktisches Wissen und Kenntnisse zur Do-It-Yourself-Anwendung vermitteln sollen. Außerdem soll die Planung der Energiegemeinschaft, im Hinblick auf materielle und organisatorische Gesichtspunkte, im Rahmen einer für alle offenen Gesprächsrunde diskutiert werden.

Auf dem Dach des Vereins, wie auch auf den Dächern der Gemeindeverwaltung und der „Casa do Povo“ (Gemeindehaus), befinden sich Sonnenkollektoren. Mit ihnen ist 2012 der Traum entstanden. “Die Idee war, auf öffentlichen Gebäuden Paneele zu installieren, um eine bestimmte Menge Energie zu erwirtschaften, und mit diesen nachhaltig erzielten Erträgen, Sozial- und Umweltprojekte der Gemeinde zu fördern”, erinnert sich Sérgio Maraschin. Diese Idee gewann im Rahmen einer kommunalen Bürgerbeteiligung in Odemira 125.000 Euro. Der Traum, aus São Luís ein Solardorf und später eine Solargemeinde zu machen, nahm Gestalt an. Dies war der Weg zur Energieautarkie mit erneuerbaren, dezentralen, demokratischen und kohlenstoffarmen Mitteln. Im Jahr 2017 wurde eine Studie zum Energiebedarf des Dorfes erstellt. Jetzt ist der erste Sammelkauf erfolgt.

Zum ersten Treffen im Januar brachte André Pereira ein Solarpanel mit. “Man könnte meinen, dass jeder das Objekt bereits kennen würde. Aber für viele war dies der Moment der Erkenntnis: Das kann ich auch in meinem Haus einsetzen“, erinnert sich Sérgio. „Durch vertraut machen, entmystifizieren und vereinfachen wurde ein Wendepunkt erreicht.“

„Vier Monate sind vergangen, von der am 20. Januar geborenen Idee „lasst uns einen Sammelkauf machen”, bis die Leute sich endlich zur Besprechung der weiteren Vorgehensweise zusammengesetzt haben!“ Einige sind in der Zwischenzeit abgesprungen.

Diese Erfahrung ist auch auf andere Dörfer übertragbar, garantiert Sérgio, “es gibt andere Gemeinden, in denen es sicherlich effizienter und schneller gehen könnte”, sagt er lachend, vielleicht auch bezüglich des Arbeitstempos einer selbstorganisierten, auf freiwilliger Arbeit basierenden Initiative im ländlichen Alentejo.

Sérgio Maraschin, der „Energie mit Freude“ unterstützt und São Luís beim Übergang zu erneuerbaren Energien begleitet, lebt hier seit zehn Jahren mit seiner Lebenspartnerin. „Wir haben uns hier niedergelassen und sind hier glücklich.“ Auf einem kleinen Grundstück bauen sie Obstbäume an, setzen die Prinzipien der Permakultur um und streben nach einem ruhigeren Leben. “Ich bin nicht mehr 20, es ist Zeit, etwas Konstruktiveres und Sinnvolleres zu tun. ”

Ein “Versuchslabor”

„Nur durch Dezentralisierung unseres Grundmodells der Energieerzeugung – das Brechen der Kartelle, die gegenwärtig das Monopol im aktuellen Energieproduktionssystem besitzen und die Schaffung von neuen dezentralen Formen der Energietechnik – kann sich das ökologische und kulturelle Umfeld erholen, das die Entstehung der politischen Demokratie in Europa ermöglicht hat“ schrieb Marvin Harris 1977 (Kannibalen und Könige, Editionen 70, 1990). Der amerikanische Anthropologe verstand die zentrale Energiegewinnung als Grundlage zur Kontrolle und Autorität eines Staates und als Bremse für Demokratie und freies Leben.

Vierzig Jahre später sind die neuen dezentralen Formen der Energietechnik da. “Die Technologie existiert!”, Ruft Sérgio Maraschin. “Die Paneele sind heute wirklich erschwinglich. In Bezug auf die Sonnenexposition besteht ein sehr gutes Potenzial. Die jungen Leute sind begeistert. Der schwierigste Schritt ist weder die Bereitstellung finanzieller Mittel noch die Wahl der richtigen Technologie. Die größte Herausforderung besteht darin, die Menschen zusammenzubringen, um für ein gemeinsames Ziel zusammenzuarbeiten. Der entscheidende Punkt ist, uns selbst zu organisieren!”

„Zum ersten Mal liegt der Prozess von Energieerzeugung und -verbrauch in den Händen der Bürger.“ Das sagt uns Ines Campos, Koordinatorin des europäischen Projekts PROSEU an der Fakultät für Informatik der Universität Lissabon, das sich São Luís bei der Entwicklung einer Gemeinschaft für erneuerbare Energien anschloss. Mit einem Team aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen – Wirtschaft, Politik, Soziologie, Maschinenbau, Energie und Biologie – ist São Luís für sie sozusagen ein „Versuchslabor”. Unsere Vorgehensweise dabei ist Forschung – Umsetzung. Wir wollen nicht führen oder etwas aufzwingen, sondern zu einem Prozess beitragen, der bereits im Gange ist und in den Händen dieser Gemeinschaft liegt.”

Die Forscherin weist darauf hin, dass alle Gesellschaften, insbesondere in Ländern, die durch eine industrielle Revolution gegangen sind (Europa, USA, China, Brasilien …) ihre Wirtschaft dekarbonisieren müssen. Bei dieser Umstellung des Energiesystems handelt es sich um mehr als einen Technologiewechsel – es geht um einen gesellschaftlichen Wandel: ein neues Verständnis dessen, was Energie ist und dementsprechende neue Verhaltensweisen. “Dieser Übergang bedeutet eine radikale Veränderung: Das Energiesystem der Zukunft kann völlig anders sein. Es ist eine andere Welt.”

Inês sieht zwei verschiedene Möglichkeiten zur Umgestaltung des Energiesystems: “Fossile Brennstoffe werden einfach durch erneuerbare Energien ersetzt und das Verteilungssystem weiterhin von zentralisierten Betreibern und Händlern beherrscht, oder wir können uns die Natur erneuerbarer Energien zu Nutze machen und diese auch zuhause produzieren. Eine Ölquelle im Garten zu haben ist utopisch, aber ein Sonnenkollektor auf unserem Dach ist durchaus machbar.”

“Wir möchten hier keine 20 Hektar große Photovoltaikanlage haben, sondern träumen von kleinen, dezentralen Einheiten, die überall verstreut sind “, bekräftigt Sérgio. “Jedes Haus, jedes öffentliche Gebäude, jeder Verein, produziert seine eigene Energie und gibt den Überschuss an seine Nachbarn – mit oder ohne Vergütung. Die Vielzahl dieser Produktionseinheiten sind über das bereits existierende Netz – welches ein öffentliches Gut ist – zusammengeschlossen oder verbinden sich in isolierten Netzwerken. ”

Der richtige Zeitpunkt ist jetzt

In ganz Europa vollzieht sich bereits ein Wandel. In Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien oder Frankreich entstehen zahlreiche Genossenschaften und sogenannte Gemeinschaften für erneuerbare Energien, die dezentral produzieren. Und in keinem dieser Länder scheint die Sonne so, wie in Portugal. Auch in Spanien entstehen immer mehr Energiegenossenschaften.

“In Portugal gibt es nicht mehr Energiegemeinschaften, weil das Gesetz keinen kollektiven Eigenverbrauch zulässt”, erklärt Inês Campos. Das Bonussystem, das bisher jede an das Netz verkaufte kWh vergütete, wurde 2014 durch das Eigenverbrauchsgesetz abgelöst. Dieses ermöglicht nur den individuellen Eigenverbrauch – was nicht selbst verbraucht wird, kann zu einem sehr niedrigen Preis an das Netzwerk verkauft werden. Es erlaubt weder den kollektiven Eigenverbrauch – das heißt die gemeinsame Investition und Verwaltung eines Produktionssystems sowie den gemeinschaftlichen Verbrauch der erzeugten Energie – noch den direkten Verkauf der überschüssigen Energie an eine Gemeinde oder andere potenzielle benachbarte Abnehmer.

Auch der Netzbetreiber, im Allgemeinen die EDP Distribuição, ein vormals öffentliches Unternehmen, das während der “Krise” an den chinesischen Riesen Three Gorges verkauft wurde, fördert den kollektiven Eigenverbrauch in der Regel nicht.

Nach dem Pariser Abkommen präsentierte die Europäische Union jedoch Ende 2018 die Überarbeitung der Richtlinien für erneuerbare Energien und den Elektrizitätsmarkt. Die Mitgliedstaaten – inklusive Portugal – müssen sicherstellen, dass diese Überarbeitungen bis 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Der neue Rechtsrahmen muss die Definitionen der Begriffe „Jointly Acting Renewables Self-Consumers“ (Gemeinsam handelnde Verbraucher im Bereich der erneuerbaren Energien) und „Renewables Energy Communities“ (Erzeuger- und Verbrauchergemeinschaften für erneuerbare Energien) übernehmen. Diese neuen rechtlichen Statuten bieten die Möglichkeit, dezentrale Produktionssysteme für erneuerbare Energien gemeinsam zu nutzen und zu verwalten. Eine Energiegemeinschaft kann zum Beispiel ein Gebäude in Lissabon sein, oder eine Wohnanlage. Eines der erhofften Ergebnisse dabei ist, künftig den freien Austausch und den Verkauf von Überproduktionen zwischen den verschiedenen Akteuren auf dem Strommarkt (Eigentümergemeinschaften, Stadtteile oder Nachbarschaftsvereinigungen, Unternehmen, Institutionen oder Mikronetzwerke) zu ermöglichen.

“Trotz gesetzlicher Beschränkungen ist jetzt der richtige Zeitpunkt, ein Modell für Energiegemeinschaften in Portugal zu erörtern. Die Energiewende vollzieht sich jetzt und die lokalen Gemeinschaften müssen bei dieser Transformation eine zentrale Rolle spielen”, sagt Sérgio.

“Wie können wir ein kollektives Eigenverbrauchssystem finanzieren? Was können wir schon jetzt im Rahmen der zurzeit gültigen Gesetze tun, was in nicht zu ferner Zukunft und wie bereiten wir uns auf diese Zukunft vor?” fragt Inês.

“Es ist wichtig, dass Gemeinschaften einerseits eine führende Rolle bei der Entwicklung eines neuen Energiemodells spielen”, schließt Sérgio Maraschin, “Aber sie müssen andererseits auch aktiv an deren Management beteiligt sein und im Mittelpunkt kollaborativer und partizipativer Entscheidungsprozesse stehen, um den Übergang zu einem neuen, grüneren, umfassenderen und transparenteren Energiesystem zu ermöglichen.”

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