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Nº 111 – Utopie?

Samstag, der 23. Oktober 2021.

…wer bestimmt eigentlich unsere Zukunft, wenn eine Bedrohung über uns liegt, die täglich an der Tür zu unserem Bewußtsein klopft und die die meisten auf keinen Fall in sich hereinlassen wollen. Noch sperren die meisten Europäer diese Bedrohung erfolgreich aus. Sie haben ihre Türen und Fenster verrammelt, besonders wenn es darum geht, die ersten Klima- und Kriegsflüchtlinge aus Afrika aufzunehmen, die aus dem Mittelmeer gerettet werden konnten. Als wenn man die Bedrohung des Klimanotstandes langfristig so einfach ignorieren könnte! Viele junge Menschen schauen der Bedrohung bereits heute ins Auge und die Alten verteidigen den Status Quo mit einem Achselzucken. Denn die Bedrohung ist schon lange keine ferne Utopie mehr und sie ist nicht etwa weitergezogen, wie schlechtes Wetter. Unwetter hinterlassen Zerstörungen, Waldbrände Verwüstungen. Die meisten alten, weißen Europäer beteiligen sich an der Verdrängung der Klimakrise und machen lieber weiter so wie bisher. Alles wurde bisher und immer wieder gut. Es sind die jungen Menschen und die Klimaflüchtlinge, die ihre Zukunft gefährdet sehen und die eine Perspektive verlangen, jetzt und bevor die Hitze der Sommer unerträglich wird. In diesem Sinn veröffentlichen die Geschichte einer Weltumsegelung…

 

Wir, schreibt Paul Piendl (23) in sein Logbuch, haben es einem amerikanischen Segler zu verdanken, unsere Route über den Atlantik nicht direkt in der Karibik enden zu lassen, sondern uns von unten her den „Windward Islands“ zu nähern. Er schwärmte regelrecht von dem Land. Von der Unberührtheit der Natur, der Herzlichkeit der „locals“ und der abwechslungsreichen Schönheit der Gegend. Französisch-Guyana, Suriname und Guyana sollen das sein, was die Karibik vor 50 Jahren einmal war.

Auf der Suche nach einem Leben in intakter Natur segelt Paul Piendl mit seinen Freunden und dem 45 Jahre altem Segelboot WASA um die Welt. ECO123 begleitet sie und erzählt ihre  Geschichte. Wie beeinflußen der Klimawandel die Träume und die Realität die jungen Menschen? Was erleben sie? Wie wirkt sich der Klimawandel auf ihre Reise aus?

Auf den sieben Meeren:

Mit dem Segelboot um die Welt

Der junge Paul Piendl feiert seinen 23. Geburtstag auf seinem Segelboot

Fühlen wir den kognitiven Schmerz, wenn wir uns an die Zeiten erinnern, in denen wir Alten unsere Zukunft geplant haben und den nächsten Urlaub? Inzwischen hat sich die Lage dramatisch verfinstert. Nicht nur, dass die Vorstellung einer Zukunft für junge Menschen verloren geht; nein, unser System von Marktwirtschaft, Geld und Gier und wir Menschen in dieser Posse, sind im Begriff, bei vollem Bewusstsein die natürlichen Lebensgrundlagen aller Lebenwesen zu zerstören. Es ist kein Theaterstück für irgendeine Bühne. In der Klimakrise begegnet die Zivilisation ihrer eigenen Endlichkeit, und fürs Erste ist die Zukunft kein offener Horizont mehr, bietet keine langfristige Perspektive von Zukunft, sondern wiederkehrende Vergangenheit. Uns Konsumenten kommen die Sünden des fossilen Zeitalters aus der Zukunft entgegen, all die Umweltverbrechen, der ganze Dreck von nur 150 Jahren Industriegeschichte. Die Klimakrise erschüttert die Hoffnung auf eine sichere Zukunft. Wie hält man das als junger Mensch aus, ohne dabei verrückt zu werden?

Du hast keine Chance, ergreife sie. So gehe ich ins wöchentliche ZOOM Gespräch mit Paulo Piendl. Er ist gerade 23 Jahre alt geworden und erfüllt sich seinen Jugendtraum. Jede Woche sprechen wir über Details seiner Weltumsegelung, auch über das Wetter, das Eingebettetsein in das Naturelement Wasser. Er schreibt in Etappen über seine Reise, führt Tagebuch und ein Blog und läßt ECO123 in sein Logbuch schauen. Er wird in Costa Rica arbeiten gehen müssen, wenn er den Pazifik überqueren will, sagt er. Er sei kein Sohn reicher Eltern. Mitten im ZOOM Gespräch zieht auf offenem Meer eine leere Plastikflasche vorbei. Dort wo sie eigentlich nicht hingehört. Das sind die Vorboten einer Zivilisation, die ihrem Planeten nichts anderes schenkt als Abfall. Sollen die Lebewesen der Ozeane im Plastikmüll der Menschheit ersaufen?

Paul befindet sich mit zwei Freunden auf dem Weg mit seinem 9-Meter-Segelboot von Lagos in Portugal über die Kanarischen Inseln mit dem Golfstrom und den Passatwinden bis nach Französisch Guyana. Er will weiter durch den südlichen Teil der Karibik nach Panama, durch den Kanal nach Costa Rica. Allein die Kanalpassage wird ihn 2.000 Dollar kosten. Viel Geld für ein kleines Segelboot. Von dort, so stellt er sich das vor, geht es nach Französisch Polynesien – und weiter im Pazifik nach Australien. Das soll seine Route werden. Ob er sie schafft? Oder ob er eher in den großen Müllstrudel des Pazifiks gerät, wo er auf keinen Fall hineingeraten möchte?

 

Der Atlantik.

Lange vor dem Ausbruch des Vulkans auf La Palma beladen die drei Jungen das Boot ein letztes Mal mit frischem Obst und Gemüse. Mehl, Reis, Nudeln und Linsen, Mais, Bohnen, Erbsen, Pilze, Rot- und Weißkraut. Viele Dosen finden ihren Weg in die Staufächer und die Bilge. Mit 250 Litern Wasser und weiteren Säften und Softdrinks sind Paul und seine beiden Freunde Leon und Moritz gut gerüstet, mindestens 25 Tage auf See verbringen zu können. Das würde reichen für eine Atlantiküberquerung. Greta Thunberg und Boris Herrmann brauchten dafür auch nur 14 Tage.

ECO123 fragt: „Wie bereitet ihr euch auf ein eventuelles Unwetter vor?“ Paul erklärt: „Um uns unterwegs mit Wetterinformationen zu versorgen, haben wir zwei Möglichkeiten. Die eine ist, via Satellitentelefon den Papa um ein Wetterupdate zu bitten. Die andere ist mir, da meist kommunikativer, lieber. Wenn sich ein Frachter bis auf Funkreichweite nähert, nutze ich die Gelegenheit zu einem small-talk. Über das AIS (Automatisiertes Identifikationssystem für Schiffe und Yachten) finde ich leicht den Schiffsnamen heraus und kann auf diese Weise die Brücke der Frachter direkt kontaktieren. Mit einem „Freighter, Freighter, Freighter, this is sailing vessel WASA, can you hear me? Over!“, versuche ich Kontakt aufzunehmen. Ich glaube, die meisten wachhabenden Offiziere auf der Brücke sind froh, ein wenig Abwechslung zu bekommen. Oft erhalten wir nicht nur die gewünschten Wetterinformationen mitgeteilt, sondern plaudern noch kurz über das nächste Ziel und wünschen uns gegenseitig eine gute Fahrt…“

Paul nimmt sich vor, jeden Tag um 12 Uhr Logbuch zu führen und die aktuelle Position in eine Seekarte einzutragen. Bei seinen Einträgen fängt er mit grundlegenden Informationen an. Dazu gehören die Position der WASA, der aktuelle Logstand, der Kurs, Windgeschwindigkeit und Richtung sowie eine Aussage über das Wetter und die Wellen. Die Berechnungen des Etmals, der zurückgelegten Strecke in 24h, gehört ebenso dazu, wie kurze Notizen zu besonderen Vorkommnissen oder dem allgemeinen Geschehen an Bord, sie vervollständigen den Eintrag. Und abends kommen noch die Einträge ins Tagebuch hinzu.

Von einem Pärchen auf La Palma kurz vor ihrem Auslaufen bekommt Paul den guten Rat: „Schreibe jeden Tag etwas auf. Sonst kommt ihr drüben an und die Überfahrt besteht aus nicht mehr, als „Einmal die Segel hochzuziehen und am Ende wieder runterzulassen“.

“Wie recht sie hatten”, sagt Paul. “Vor allem die erste Woche war sehr anstrengend. Wir mussten uns an die starken Rollbewegungen des Schiffes und den neuen Schlafrhythmus während der Wachschichten gewöhnen. Wir schlafen viel. Die Tage verfließen ineinander und schon am Ende der ersten Woche weiß niemand mehr, ob wir den ersten Fisch am dritten, vierten oder doch schon am zweiten Tag gefangen hatten.

Sonntag,14. Februar;

12 Uhr UTC: Log:453sm; Kurs 224°; Position: 23°33.4’N, 22°42.0’W; Wellen: 3m; Wind NE 13kts scheinbar; Etmal 143 Seemeilen.

Gestern wurde zum ersten Mal „geeimert“. Ab jetzt ist jeder zweite Tag Waschtag! Die Nacht ist wenig spektakulär. Haben die Segel ein wenig gerefft.

Heute Morgen hing ein Fisch am Haken. Laut Buch eine „ frigate makerel“.

18.30 Uhr: Den Fisch gab es mittags, angebraten mit Gemüse. Lecker! Außer Kochen nicht viel zu tun.

Die Nacht, beginnend mit dem Sonnenuntergang, fortdauernd bis irgendwann am Nachmittag, haben die Freunde ihre Zeit an Bord in Drei-Stunden-Schichten aufgeteilt. So sitzt immer mindestens einer im Cockpit und kann Wache halten. Zu seinen Aufgaben gehört es, alle Parameter wie den Kurs, die Windrichtung und seine Stärke im Blick zu behalten. Er scannt den Horizont nach Lichtern anderer Schiffe und überwacht auch auf dem Kartenplotter mit AIS die Umgebung.

Kleine Kursänderungen können durch ein kurzes Ziehen an der Steuerleine der Windfahne leicht allein umgesetzt werden. Kommt aber ein Schiff verdächtig nahe, oder nimmt der Wind so weit zu, so dass die Segel gerefft werden müssen, muß der Skipper geweckt werden. Es ist keinem erlaubt, während der Nacht allein das Cockpit zu verlassen, um etwa an den Segeln zu arbeiten. Dass sie zudem nachts Schwimmwesten tragen und sich am Boot in dafür vorgesehene Ösen und Leinen einhaken, ist selbstverständlich.

Mittwoch, 17. Februar:

07.15 Uhr UTC, 05.15 Ortszeit: Seit gestern Nacht ist es nebelig. Sicht maximal 1- 4 Seemeilen. Leon hat ein Fischerboot zwischen den Nebelschwaden entdeckt. Sie haben kein AIS eingeschaltet. Mit dem Radar finden wir sie in nur zwei Seemeilen Entfernung! Gruselig, mitten im Nebel auf hoher See.

12 Uhr UTC: Log: 888sm; Kurs 250°; Position: 19°09.62’N, 28°34.40’W; Wellen: 3m; Wind: NE 10kts; Etmal:130 Seemeilen.

Es ist immer noch nebelig. Gerade hat uns eine große Welle voll erwischt. Wasser spritzt über das ganze Boot und ergießt sich in einem ordentlichen Strahl durch das kleine Bullauge in Leon’s Bett. Leon ist jetzt wach…

Der Nebel hält noch für zwei weitere Tage an. Aus Respekt vor weiteren Begegnungen mit unsichtbaren Fischerbooten lassen wir in der ersten Nacht das Radargerät laufen. Da aber nichts weiter zu sehen ist, wir keinen Strom aus unseren Solarzellen generieren können und den Motor nicht ständig laufen lassen wollen, fahren wir schon in der nächsten Nacht wieder blind.

Das Leben an Bord wird mit der Zeit immer leichter. Nach einer Woche haben sich unsere Körper und Sinne gut an das Geschaukle gewöhnt. Obwohl unsere Sauerteigansatz vor ein paar Tagen gestorben ist, fangen wir wieder an, unser eigenes Brot zu backen. Jetzt zwar mit Trockenhefe, aber immer noch sehr lecker.

 

Sonntag, 21. Februar:

12 Uhr UTC: Log: 1447; Kurs 250°; Position: 14°57.61#N, 036°52.39‘W; Wellen: 3- 5m; Wind: NE 15-20kts; Etmal:146 Seemeilen.

In der Früh erst Kaffee, dann Musik und Apfel. Später Sport und Dehnen. Cockpit putzen.

Ich entdecke einen Riss am Unterliek der großen Genua. Müssen es also bergen und nähen. Leichter gesagt als getan. Da beide Vorsegel von einem Fall gehalten werden, müssen beide Segel gleichzeitig geborgen und anschließend eines wieder gesetzt werden. Es dauert rund 50 Minuten bis wir wieder unter vernünftiger Besegelung (Großsegel und Genua als Schmetterling) fahren.

Moritz fällt auf, dass das Dampferlicht lose am Mast baumelt. Muss also hochklettern und es wieder befestigen. Moritz sichert mich. Ganz schön anstrengend mit den Wellen, aber alles gut gegangen.

Montag, 22. Februar

12 Uhr UTC: Log: 1.592; Kurs 250°; Position: 13°43.54’N, 038°56.34‘W; Wellen: 3- 4m; Wind: NE 16kts; Etmal:145 Seemeilen.

Nichts Besonderes passiert bisher. Viel Seegras, (Algen) im Meer. Ein Hinweis darauf, das die Temperatuen des Atlantikwasers zu hoch sind. Segelnähen steht an.

Die darauffolgenden Tage verlaufen recht ähnlich. Abwechselnd nähen Leon und Paul den Riss in der Genua. Die Arbeit ist anstrengend und es ist schwer, sich zu konzentrieren. Nach nur 30 Minuten mit dem großen Tuch auf dem Schoß ist man bereits durchgeschwitzt und bereit für ein Nickerchen. Das Segeln auf ihrem Kurs, nämlich genau vor dem Wind, ist mit dem Setup, den sie während der Reparatur fahren, nicht sehr angenehm. Wenn sie nicht aufpassen und zu schnell die Wellen hinabsurfen, laufen sie aus dem Ruder und schlagen quer. Das Groß killt und das Vorsegel steht back. Am Mittwochabend, zwei Tage später, können sie endlich wieder zur normalen Passatbesegelung wechseln.

Freitag, 26. Februar

10 Uhr: Müsli zum Frühstück. Welle. Müsli am Boden. Guten Morgen!

12Uhr UTC:  Log: 2.151; Kurs 250°; Position: 08°47.04’N 046°37.30‘W; Wellen: 3m; Wind: NE 13kts; Etmal:132 Seemeilen

Wie üblich ist der Wind jetzt weniger als in der Nacht. Die Wellen schaukeln uns schon seit ein paar Tagen kräftig hin und her. Kurzer Nieselregen. Finde plattgesessenen, fliegenden Fisch im Cockpit. Lecker!

16 Uhr: Fiiiisch! Die Angel ist noch nicht einmal seit fünf Minuten im Wasser, als ich eine schöne Mahi Mahi Dame an Bord hebe. Beim Filetieren finde ich Würmer im Bauch und im Fleisch. Sehr schade! Stattdessen Bratkartoffeln mit Ei zum Abendessen.

Die letzten Tage vergehen wie im Flug! Sie sind wie elektrisiert von dem Gedanken es fast geschafft zu haben. Sie haben sich so an die Bewegungen gewöhnt, dass es ihnen nichts mehr ausmacht unter Deck neue Brotsorten zu probieren, gar einen ordentlichen Chiabattateig zu kneten. Sie lesen, treiben Sport, kochen und vertreiben sich die übrige Zeit mit kleineren Arbeiten: den genähten Taklingen am Ende von Schoten und Leinen oder dem Wiederannähen abgerissenen Knöpfe.

Montag, 1. März:

6 Uhr UTC: Meine letzte Nachtschicht ist vorbei. Ich bin aufgeregt und so wach, dass ich mit Leon zusammen im Cockpit sitzen bleibe, anstatt zu schlafen. Noch 51 Seemeilen bis Französisch-Guyana! Das Wasser verfärbt sich von blau zu braun. Ein Vorbote des nahenden Ufers und der vielen Flüsse aus dem Regenwald;

Haben einen fremden Passagier an Bord: Ein Vogel schläft oben auf dem Radarturm;

11.45: Wind ist eingeschlafen. Es regnet. Motoren seit 11.30 Uhr;

12.15: Einfahrt in das Fahrwasser zum Mahoury River;

14.00: Funkkontakt mit französischem Navystützpunkt am Flussufer. OFFIZIELL ANGEKOMMEN!!

Sie haben es geschafft! Sie sind über den Atlantik gesegelt! 2.526 Seemeilen. Schon beim Erreichen der Flussmündung haben sie Mobilfunkempfang (EU und damit kostenlos) und können ihre Eltern anrufen. Diese haben sich zuhause zusammen getroffen und verfolgen gemeinsam die letzten Meilen des Törns über das Satellitentracking. Nicht nur  die drei Jungens sind also in Feierlaune. Auch den Eltern muss ein riesiger Stein vom Herzen gefallen sein, nachdem sie sehen, dass ihre Kids in bester Verfassung und wie sie es ausdrücken „wohlgenährt“ in Südamerika angekommen sind…

Lesen Sie nächste Woche die Fortsetzung der Geschichte von Paul und seinem Segelboot…

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen: Dina Adão,  Rudolfo Martins, Kathleen Becker
Fotos: Paul Piendl

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