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Nº 144 – Salazar im Karnevalskostüm?

Samstag, der 4. März 2023.

Neulich bekam ich einen seltsamen Anruf, der sich auf unsere Theaterpräsentation von letzter Woche bezog. „Das war nicht vereinbart!“ – brüllte mir die Anruferin ins Telefon und somit in mein Ohr. Ich erhöhte erst einmal den Abstand des Telefons zu meinem Ohr und erwiderte dann, daß bezüglich der Präsentation gar nichts vereinbart worden sei, denn ich schließe keine Vereinbarungen, wenn ich etwas schreibe. Die Gedanken sind frei, sowohl für das Theater als auch für die Presse. Oder etwa nicht? 25. April!

Ich halte es für einen Fehler der Regie, wenn man dem Zuschauer ein Märchen erzählt, in dem die Fiktion auf der Realität basiert, diese aber manipuliert ist mit einer wunderbaren Lüge vom Recycling als Lösung. Das war alles, was ich zu sagen hatte.

Und ich erklärte meinen Standpunkt, daß ich grundsätzlich keine Rezension schreibe, ohne zuvor die Generalprobe gesehen zu haben. Und daran ändert auch keine noch so gut gemachte Presseerklärung etwas…

Ich lade mich also zu einer Theaterprobe ein, die mich interessiert und ich versuche die Protagonisten in den Szenen des Spiels zu fotografieren. Schon das wird mir untersagt und in Aussicht gestellt, ich könne mir Fotos aus dem Fundus des Theaters aussuchen. Wie weit geht also die Pressefreiheit in Lagos an der schönen Algarve im Jahr 2023?

Bevor ich die Präsentation geschrieben habe, also noch am Tag der Generalprobe, werde ich freundlich eingeladen, mir auch die Eröffnung im Theater anzuschauen. Gern, erwiderte ich. Am Telefon werde ich dann aufgefordert, die Geschichte aus der Publikation zu entfernen, weil sich diese kritisch mit dem Recyceln von Plastik beschäftigt. Denn Plastik ist nicht gleich Plastik und läßt sich nicht recyceln. Warum also Plastik nicht vermeiden, warum Plastik nicht boykottieren? Warum etwas postulieren, was bereits vor mehr als 30 Jahren gefordert wurde und mit dem Nestlé u.a. Unternehmen größtmögliche Probleme in der Natur verursachen … Die Lobby der Plastikindustrie (Öl und Chemie) erreicht auf diese Weise das kleine Theater in Lagos und schleicht sich mit einer Unwahrheit in den Plot ein…

Ein Theaterstück beschäftigt sich mit dem Thema Müll und bietet Recycling als Lösung an? Ich informiere die Regisseurin, daß Plastik nicht recycelt wird, sondern weggeschmissen oder nach Fernost exportiert wird. Das ist leider die Realität. Denn Plastik läßt sich nicht recyceln – es ist allenfalls ein „downcycling“ auch deshalb wird immer und immer wieder neues Plastik von der Industrie hergestellt und flutet die Meere, Strände, die Natur und die Mülldeponien dieser Erde. Unsere Welt quillt über vor Plastikmüll.

Das Resultat: ECO123 wird ausgeladen, die Premiere zu sehen. Die Karten an der Theaterkasse werden zurückgezogen und damit endet das Telefongspräch. Danke, Alice im Wunderland… Der Unterschied von gekaufter Werbung zu gelebtem Journalismus ist gewaltig und noch nicht bis nach Lagos vorgedrungen. Damit müssen Journalisten in diesen Tagen leben. Denn es ist noch gar nicht so lange her, daß Salazar sich verkleidete und unter die Karnevalsgesellschaft schmuggelte. Und siehe da, er wurde nicht erkannt…

 

Uwe Heitkamp (62)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.Translations: Dina Adão, John Elliot, Ruth Correia, Patrícia Lara, Kathleen Becker
Photos:Maria Clara Villa-Lobos; Faksimile Screenshots vom Video https://vimeo.com/244265258

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