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Nº 34 – Alentejo: der ideale Ort für das Ende der Globalisierung

Mittwoch, der 20. Mai 2020

von Leila Dregger

Stell dir vor – ich weiß, dazu braucht es eine Portion Fantasie, so unwahrscheinlich ist es – also stell dir vor, eine Pandemie würde den globalen Handel lahmlegen – und zwar dauerhaft. Keine Massenproduktion von Billiggütern in China mehr, keine Containerschiffe aus Fernost, die unsere Häfen anlaufen. Das würde nicht nur die Wale betreffen, die endlich keine Stresshormone mehr ausschütten. Das würde die Banken in den Ruin treiben, und die multinationalen Konzerne würden wie Dominosteine umkippen, einer nach dem anderen. Und es würde die Regale unserer Supermärkte leeren. Und dann?

Dann kommt es darauf an, was wir regional und lokal vorbereitet haben. Und da habe ich eine richtig gute Nachricht für alle, die hier in Portugal leben, im Besonderen im Alentejo: Wir haben beste Chancen, einen solchen Zusammenbruch zu überleben.

Gehen wir doch einmal durch: Was ist es, was wir zum Leben brauchen? Nahrung – natürlich. Bisher – seit der Mitgliedschaft in der EU – werden etwa 80% unserer Lebensmittel importiert. Das war aber nicht immer so. Alte Leute im Alentejo erinnern sich noch lebhaft daran, dass in ihrer Kindheit (fast) alles lokal produziert wurde, was man zum Leben brauchte – Getreide, Gemüse, Fleisch, Gewürze, Heilkräuter, Früchte, Honig, Oliven und Olivenöl, Wolle, Baumaterial, Brennmaterial. Auch wenn es heute im Sommer so kahl aussieht: Im Prinzip leben wir in einer Gegend mit hohem landwirtschaftlichen Potential und ganzjährigen Anbaumöglichkeiten. Agrar-Investoren wissen das, nicht umsonst suchen sie die Region heim wie die Fliegen das Klo – die Fliegen mögen den Vergleich bitte entschuldigen. Zwar haben Abholzung, Tiefpflügen, Agrarchemie und Klimawandel die Bedingungen erschwert – aber mit modernen Methoden der Mischkultur, von biologischem Anbau bis Permakultur, von Montado bis Agroforesting kann die Zerstörung rückgängig gemacht und Boden aufgebaut werden. Einige Modelle und Betriebe zeigen das auf sehr gute Weise. Was brauchen wir noch?

Natürlich: Wasser! Kaum jemand glaubt es, wenn ich sage, dass unser Jahresniederschlag hier ebenso hoch ist wie in meiner früheren Heimat Berlin (600mm). Aber es ist so – oder war zumindest so bis vor einigen Jahren. Nur weil der ganze Regen im Winter fällt, fehlt das Wasser im Sommer. Aber schauen wir in das gesegnete Hinterland von Vila Nova de Milfontes: Tatsächlich gibt es hier mindestens 1.000 Quellen, die Region war ein wahres Wasserparadies, und zwar ganzjährig. Hier gibt es viel zu heilen – vor allem durch Aufforstung in Mischkultur. Bis das aber greift, müssen wir unbedingt den Abfluss des winterlichen Niederschlags so verlangsamen, dass das Wasser wieder in den Boden eindringen kann. Wasserretentionslandschaften aus Teichen, Gräben, Aufforstungen und Swales dezentral, an vielen Orten können die Wüstenbildung rückgängig machen. In Rajastan (Indien) zeigte der Arzt Rajendra Singh, wie das geht: Durch seine Graswurzelbewegung der fast 10.000 regionalen Wasserretentionsbecken fließen sieben ausgetrocknete Flüsse wieder, rund 2.000 Dörfer sind wieder bewohnbar geworden. Das ist auch hier möglich, erste Landbesitzer gehen diesen Weg, es müssen viel mehr werden, damit unser Land wieder fruchtbar wird und die Quellen wieder fließen. Was brauchen wir noch?

Klar, ohne Energie läuft gar nichts. Und das ist das geringste Problem in der Region mit der längsten Sonnenscheindauer Europas. Aber halt – Photovoltaik ohne Globalisierung? Wie soll das gehen? Durch lokale Produktion. Wir brauchen Solarforschung und -produktion vor Ort. Und nicht nur Photovoltaik, sondern auch Solarkocher, so wie Celestino Ruivo von der AlgarveUniversität sie seit Jahren initiiert. Oder Hochleistungs-Solarspiegel, wie sie in Tamera zur Hightech-Reife gebracht wurden. Der Alentejo könnte DIE Forschungsregion für dezentrale Solarenergie werden – und zwar speziell für Geräte, die auf in die Produktion durch die Großindustrie angewiesen sind. Ja, und was brauchen wir noch?

Neben vielem anderen brauchen wir einander. Die menschliche Komponente. Und da möchte ich tatsächlich nirgendwo anders leben als hier, wenn die globalen Systeme zusammenbrechen. Der gewachsenen Sozialstruktur der hiesigen portugiesischen und multikulturellen Bevölkerung – so fragil sie sein mag – traue ich mehr Resilienz, Nachbarschaftshilfe, Freundlichkeit auch in Angesicht von Not und Angst zu, als jeder städtischen Gesellschaft weiter nördlich in Europa. Spätestens jetzt können und sollten wir anfangen, in unsere Nachbarschaften zu investieren. Nicht Geld, sondern Interesse, Freundlichkeit, gegenseitige Hilfe. Also – Nahrung, Wasser, Energie, Gemeinschaft – der Alentejo hat die besten Voraussetzungen. Es ist Zeit, sie zu erkennen, wertzuschätzen, sie auszubauen.

Leila Dregger

Tamera, Odemira

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