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Satire

Nº 61 – Das Virus heißt Homo Saphiens.
Satire

Samstag, der 14. November 2020

Ich gehe immer den Weg des geringsten Widerstandes. Sie auch? In dieser Woche habe ich in der Zeitung gelesen, daß schon jetzt ein Impfstoff gefunden wurde, der zu 90% gegen den Klimawandel wirkt. Der INCF habe seine Zulassung beantragt, schrieb der Journalist. Ich fiebere dem Ganzen schon entgegen. Wann wird es so weit sein? Und wer erhält das Vakzin zuerst? Na, dann lasse ich mich doch mal impfen, oder nicht? Oder sollte ich eventuell auf einen noch besseren Wirkstoff warten, der dann letztendlich 100-prozentig wirkt? Ob die Wirkstoffe einem Imunität gegen die Hitzewellen garantieren und was das langfristig für meine DNA bedeuten könnte, kann heute ja noch keiner so genau einschätzen. Vielleicht mutieren wir alle nach der ersten Impfung zu einem Monster? Ich habe gelesen, man braucht immer zwei Impfungen. Vielleicht verlerne ich das Sprechen und krabbele von einem zum anderen Tag auf allen Vieren herum? Weiß man’s? In meinem nächsten Leben möchte ich ein Affe sein.

Fragen über Fragen. Ich suche auch immer die billigste Lösung. Eine weitere zu beantwortende Frage stellt sich bezüglich der  Nebenwirkungen. Es gibt erste Hinweise, dass sie sich beim Impfstoff im Rahmen der üblichen, für die Wirksamkeit auch nötigen Impfreaktionen bewegen. Was das heißt? Also zuerst Schüttelfrost und dann grüne Verfärbung der Haut. Ich mag die leichte Brauntönung sowieso nicht. Eine systematische Auswertung stehe aber noch aus, erinnere ich mich. Haarausfall? Kein Problem. Die wenigen Haare, die ich noch habe…. Sollten unerwarteterweise schwere Nebenwirkungen bekannt werden, könnte die Zulassung verzögert oder gar verhindert werden. Und dann stellt sich noch die Frage nach den Altersgruppen. Bislang ist nicht bekannt, ob der neue Impfstoff gegen den Klimawandel auch in älteren Personen eine hohe oder auch nur die nötige Wirksamkeit entfaltet. Das wäre aber wichtig, um die besonders gefährdeten älteren Mitmenschen mit dem Vakzin auch schützen zu können.

Vor drei Monaten, im letzten Sommer, habe ich mir aus Spaß ein Thermometer in die Hosentasche gesteckt. Nach kurzer Zeit hat es mir angezeigt, daß da, in dieser Hosentasche, ein Klima von 40 Grad herrschte. Kaum zu glauben. Eigentlich hatte ich hohes Fieber und ich fühlte mich auch ganz krank. Das lag bestimmt am Klimawandel – aber ja, ich merkte, daß da etwas nicht stimmte. Jeden Sommer fühle ich mich an manchen Tagen etwas matt und schlapp und ich werde das blöde Gefühl im Kopf nicht los, daß ich etwas an mir selbst verändern müßte, um die hohen Temperaturen gesenkt zu bekommen. Aber eine größere Kühltruhe kaufen, ist im Moment wirklich nicht drin. Und auf Pump kaufe ich in Zeiten des Klimawandels sowieso nichts mehr. Mit meinem Geld muß ich vosichtig umgehen. Zur Zeit habe ich alles, was ich brauche, Toilettenpapier inklusive.

Also bin ich erst einmal vorsichtig mit meinem Hund auf die Straße gegangen, habe meine Maske aufgesetzt und im Café unten einen bica bestellt. Schon kam mein Freund João daher und wir haben angefangen, das nächste Wochenende zu planen. Fußball oder Strand? Madrid oder London? Formel 1 oder Rallye de Monchique? Aber es ist doch Klimawandel, habe ich erwidert. Da müssen wir doch drinnen bleiben. Oder mit dem Hund spazieren gehen. Ich hatte ein wenig Furcht davor, daß es wieder so heiß werden könnte und wir haben uns entschieden, das Ganze eine Nummer kleiner aufzuziehen. Wir haben einfach nur im Patio gegrillt, da sieht uns keiner, wir haben uns ein paar Flaschen Bier genehmigt und den Ghettoblaster mitgenommen. Dann kamen noch Isabel und José und Rodrigo und Margarida dazu und abends sind wir mit dem Auto in die Disco gefahren. Das hat gerockt. Am Montag darauf war ich auf einmal krank. Wieder dieses Fieber und jetzt auch noch Husten dazu. Klar, wir hatten beim Tanzen die Masken abgesetzt. Man hatte uns vor dem Virus gewarnt. Die Klimakrise jedenfalls hat mich jetzt voll erwischt. Hilfe, ich fühle mich auf einmal so schwach!

Nun liege ich auf dem Sofa und suche im Internet, wo ich das mit der Impfung gelesen habe. Vielleicht gibt es Informationen auf Erste Hilfe? Wenn die das schaffen würden, einen Impfstoff zu produzieren und ich danach praktisch wieder alles machen kann, was meine Seele erfreut, werde ich mich wohl gegen den Klimawandel impfen lassen. Oder habe ich mich geirrt? War das gar nicht der Klimawandel, sondern irgendwas anderes?

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, John Elliot, Kathleen Becker

Fotos:dpa

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