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Restaurantkritik von Uwe Heitkamp und Graciete João 

Geöffnet von Dienstag bis Sonntag

Restaurantkritik von Uwe Heitkamp und Graciete João 

Restaurantkritik von Uwe Heitkamp und Graciete João 

Samstag den 29. Abril 2023.

Wir stehen vor dem Eingang des Restaurants Camilo hoch oben über der Bucht von Lagos und warten darauf, daß der Türsteher uns akzeptiert. Wenn er wüßte, wer wir sind, würde er das Band vielleicht nicht für uns öffnen. Was er sagt, ist speziell. Nur wenn wir hier essen & trinken wollten, würde er uns drinnen noch einen der wenigen freien Tische zuweisen. Zur Information: wir befinden uns nicht vor dem Eingang einer Diskothek. Es ist Mittagszeit.

Sollten wir jedoch nur etwas zu trinken bestellen wollen, könnten wir uns irgendwo draußen vor dem Eingang einen freien Platz an einem der Tische vor dem Sand suchen. Nein, nein, wir möchten schon essen & trinken, erwidern wir. Sehen wir denn aus wie Touristen? Tragen wir Badekleidung?

34 Jahre kenne ich das Restaurante Camilo schon und ich habe es für Sie, liebe Leser, diese Woche ausgesucht, um zu testen, ob es immer noch so gut ist wie damals, oder vielleicht sogar noch etwas besser … als das Essen in einer kleinen Baracke noch ganz nah auf dem Felsen über dem Meer serviert wurde, der dann abzubrechen drohte. Denn die Natur nimmt sich jedes Jahr ein paar Felsen und irgendwann kam das Meer so nah heran, daß das Restaurant umziehen mußte. Es wurde einige Meter zurückversetzt und weiter hinten neu gebaut: modern und vorerst sicher. Das war 2011. Seitdem ist der Glaskasten mit Veranda eine Goldgrube, auch weil die Sicht so spektakulär ist, atemberaubend, einmalig. Von hier oben haben wir den uneingeschränkten Blick auf das Meer, die Sicht auf Alvor, Portimão und die Unendlichkeit. Und geht eine(r) die Holztreppe hinunter, ist da der Strand neben den Grotten. Wir befinden uns also kurz vor dem kleinen Kap, dem Ponta de Piedade, vor dem Leuchtturm von Dona Ana… Soweit zu unserer Orientierung.

Zum Essen. Käse, Brot und Oliven bestellen wir als Couvert. Der circa sechs Wochen gereifte Schafskäse (€ 5,50) aus Santiago da Guarda, Ansião (es gibt ähnlichen Käse in gleicher Qualität in Monchique und Salir, lokale Ökonomie, kürzere Anfahrtswege) wird mit einem Schälchen einer roten Souße gereicht, die ich gleich einmal vorkosten möchte. Das Rezept ist das streng gehütete Geheimnis der Küche. Nur soviel sei verraten, die „Molho“ besteht aus süßen, kleingehäckselten, roten Früchten und dem mild-scharfem Höhepunkt aus einer Chilischote. Ausgewogen im Geschmack, denn es läßt den Verkoster weiteratmen und nimmt ihm nicht den Geschmacksinn. Eine Flasche Monchique Wasser (ph 9,5) aus der Glasflasche wird gereicht. Und eine Gemüsesuppe (€ 2,90) kommt auf der Basis von Möhren, Kartoffeln (sähmig) und mit kleinen grünen Bohnen als Dekoration, heiß & gut. Das Auge ißt ja immer mit.

Der Tagesfisch liegt ausgebreitet am Eingang zum Restaurant auf Eis und wird aus Düsen mit feuchter und kalter Luft befrischt. Jeder Gast muß an ihm vorbei. Ein Vermögen für einen Gastwirt. Hier liegen einige tausend Euro ausgebreitet für den Fischesser zum Genuss. Wie lange es diese Auswahl, die den Reichtum der Algarve verkörpert, wohl noch geben wird? Und was macht der Gastwirt mit dem Fisch, den er nicht verkauft? Immer diese lästigen Fragen von Journalisten. Aber ja, was macht ein Fischrestaurant mit dem nicht verkauften Fisch, oder anders gefragt, warum mußte dieser Fisch überhaupt gefangen werden, wenn er am Ende übrig bleibt und vielleicht in den Müll wandert? So läßt sich Kapitalismus am besten studieren. Aber vielleicht wird der Fisch zu Paté weiterverarbeitet?

Ich studiere die Speisekarte und frage die sehr auskunftsfreudige Kellnerin, ob sie auch etwas für Vegetarier hätte, also weder Fisch noch Fleisch, denn in der Karte suche ich vergeblich nach einem Gericht ohne totes Tier. Und ein Omelett möchte ich nicht schon wieder essen. So erfahre ich, daß das erst noch kommen wird mit der vegetarischen Küche. Sind Veganer und Vegetarier also Menschen, die ihrer Zeit so weit voraus sind? Ob wir vielleicht später, so in  zwei oder drei Jahren noch einmal wiederkommen sollten? Nein, der Koch würde mir ein Nudelgericht mit Gemüsesouße zubereiten. Klingt zuerst einmal nicht schlecht. Trotz allem ist es nicht besonders anregend. Und warum wird das nicht in der Karte angeboten? Bevor ich also in Gedanken schon den Platz wechsele und mich zu den trinkenden Touristen begebe, bestätige ich die Tagliatelle mit Gemüse (Preis acht Euro, angenehmer Preis) und darf meinen Platz unter dem Sonnenschirm auf der Terasse des Restaurants behalten. Gerettet.

Graciete nimmt das Filet vom schwarzen „Peixe Espada“ zum Preis von 18 Euro. Zu teuer? Nun, die Menschheit kann nur überleben, lese ich in einem Buch, wenn sie keine Treibhausgase mehr emittiert und wenn sie genügsam wird. Diese Erkenntnis ist schlicht, aber schwer umzusetzen, besonders in einem Restaurant am Meer mit Sonne. Der Küchenbetrieb brummt. Rund hundert hungrige Menschen wollen Fisch essen und denen ist es egal, wieviele Fische noch im Meer herumschwimmen, Hauptsache hier & heute gibt es saftig gegrillten Fisch – auch wenn es der vorletzte Fisch sei, der da gerade aus dem Meer herausgeholt und auf den Holzkohlegrill gelegt wird. Verzichten will keiner in einem so schönen Restaurant. Und weil die Köche (noch) nicht ohne Fisch & Fleisch kochen können, weil sie nicht auf vegane Rezepte geschult sind, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich brav zu bedanken. Obrigado. Was dann serviert wird, ist nicht so spektakulär wie der Meerblick, aber mit dem feinen und filigranen Besteck sogar essbar. Schnell ist der Nachtisch bestellt. Aus den 15 angebotenen Nachtischen in der Karte wähle ich den Bratapfel aus und liege damit sogar richtig. Köstlich. Wein? Wir speisen in Lagos. Nichts liegt näher, als den Rotwein des lokalen Winzers Guillaume Leroux aus Sargaçal, Monte da Casteleja, 2021, sulphatfrei, zu wählen. Es gibt ihn nicht.

Nach langem Abwägen sind wir bereit, dem Restaurant zwölf von 15 Punkten zu geben. Gutes Personal. Einmalige Lage. Toiletten picobello. Hätte es eine Karte mit vegetarischen Gerichten gegeben und einen lokalen Wein, ja dann, dann wäre die Benotung möglicherweise noch besser ausgefallen. Trotzdem ist das Restaurante Camilo empfehlenswert, sei es für einen Besuch zu zweit oder auch für eine große Hochzeitsgesellschaft. Kommt auf den Geldbeutel an. Dazwischen gibt es noch viele andere Anlässe zu einem guten Mittagessen und über die gut bestückte Weinkarte mit vielen anderen Weinen, habe ich noch gar kein Wort verloren. Und noch was: Es ist nie zu spät im Leben, sich noch ein wenig weiter zu entwickeln, sei es persönlich und auch geschäftlich…

 

Restauarante Camilo, Estrada da Ponta da Piedade, Praia do Camilo, 8600-544 Lagos, Tel. +351-282.763.845 und 968.691.143, geöffnet von Dienstag bis Sonntagmittag von 12 Uhr bis 21h30; https://camilorestaurante.com; https://montecasteleja.com/

 

Uwe Heitkamp (62)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.Translations: Dina Adão, John Elliot, Ruth Correia, Patrícia Lara, Kathleen Becker
Photos:Graciete João

 

 

 

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