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Kardinal PeterTurkson

„Was Portugal durchmacht, ist für Entwicklungsländer normal“

Kardinal Peter Turkson ist in einfachen Verhältnissen in Ghana aufgewachsen. Heute ist er einer der einflussreichsten Männer des Vatikans. Im Interview mit ECO123 ruft er die Krisenstaaten Europas dazu auf, ihre Ansprüche herunterzuschrauben.   Papst Franziskus kritisiert eine „unsichtbare Tyrannei der Märkte“ und spricht von einem „neuen Tanz um das goldene Kalb“. Ist das nicht etwas übertrieben? Er ist mein Vorgesetzter, wie könnte ich ihm widersprechen? (lacht) Aber im Ernst: Natürlich hat der Papst recht. Seit 2008 leben wir nun mit der Finanzkrise, und nichts deutet darauf hin, dass sie bald verschwindet. Vielmehr geht eine Nation nach der anderen in die Knie. Wie lange wollen wir da noch zuschauen? Wer ist für die Krise ihrer Meinung nach verantwortlich? Ich will nicht mit dem Finger auf einzelne Banken und Menschen zeigen. Aber es ist doch klar, dass die Finanzkrise keine Naturkatastrophe ist wie etwa ein Tornado. Verantwortlich für diese Krise sind Menschen, die zu kurzsichtig entschieden haben und die zu schnell Profite wollten. Natürlich spielen auch finanztechnische Aspekte eine Rolle, vor allem aber ist die Krise eine menschlich-ethische. Es geht um unzureichende moralische Maßstäbe, vor allem um Gier. Was schlägt der Vatikan konkret vor? Man sollte eine Steuer auf Finanzgeschäfte einführen und die Einnahmen daraus den Ländern geben, die Not leiden. Wir sind auch dafür, die Universalbanken aufzuspalten in traditionelle Geschäftsbanken und Investmentbanken. Außerdem sollten Kreditinstitute das billige Geld der Zentralbank nicht parken. Sie müssen es in den Kreislauf einspeisen, damit die Wirtschaft gedeihen kann. Im Moment kommt das Geld nicht da an, wo es gebraucht wird. Papst Franziskus sagt, durch Verschuldung gehe in vielen Ländern die Bindung an die reale Wirtschaftskraft verloren. Sollte Deutschland Ländern wie Griechenland und Portugal deshalb die Schulden erlassen? Der frühere Papst Benedikt XVI. hat in seiner dritten Enzyklika „Caritas in Veritate“ Großzügigkeit als einen möglichen Weg vorgeschlagen, um der Krise Herr zu werden. Wenn Deutschland einem schwächeren Mitglied der Gemeinschaft gegenüber großzügig sein könnte, wäre das im Sinne des alten Papstes und empfehlenswert. Deutschland ist wirtschaftlich bislang nicht eingebrochen. Wenn es auch nach einem Forderungsverzicht mit etwa gleicher Kraft weitermachen könnte, sollte Großzügigkeit nicht zu schwer fallen. In den Verträgen zur Währungsunion steht, dass kein Land für die Schulden eines anderen verantwortlich ist. Außerdem hat die frühere griechische Regierung Statistiken gefälscht, um in den Euro-Club zu kommen. Viele Deutsche sehen nicht ein, warum sie Griechenland angesichts dieser Vorgeschichte helfen sollten. Sie wollen die Griechen lieber bestrafen? Tja. Natürlich können sie das machen. Aber wenn sie Griechenland in der Gemeinschaft der Währungsunion halten wollen, wird das nicht helfen, denn Griechenlands industrielle Basis ist schwach.

“Der Vatikan geht nicht in Länder, die unter dem Euro-Rettungsschirm sind”
Die katholische Kirche ist selbst nicht gerade arm. Warum zeigt sich der Vatikan Griechenland gegenüber nicht großzügiger und spendet Geld für den kriselnden Staat? Der Vatikan erscheint reich. Sie vergessen aber, dass Tausende Kirchengemeinden vom Geld des Vatikans abhängen, vor allem in Afrika und Asien. Das führt dazu, dass jedes Jahr, wenn unsere Finanzleute in Rom die Jahresendrechnung machen, wir auf Spenden angewiesen sind, um die Bilanz ausgleichen zu können und flüssig zu bleiben. Nehmen Sie nur mal den Päpstlichen Rat „Cor Unum“, der die humanitären Hilfsaktionen des Heiligen Stuhls in Krisen- und Katastrophengebieten organisiert. Ich kenne den Präsidenten dieses Rates sehr gut und weiß, wie oft er in Länder wie Haiti, Venezuela und Syrien reist. Und wann immer er aufbricht, bringt er Geld für die Notleidenden mit. Der Vatikan geht nicht in Länder, die unter dem Euro-Rettungsschirm sind. Aber wir gehen überall sonst hin auf der Welt, wo die Not groß ist, und versuchen, sie zu lindern. Sie sagten vorhin, dass Gier eine der zentralen Ursachen der Wirtschaftskrise ist . . . . . . definitiv! Gier beeinflusst das Urteilsvermögen, sie verdirbt alles. Gier gilt der katholischen Kirche sogar als Todsünde. Ja, aber nicht jeder Banker an der Wall Street drückt sonntags die Kirchenbank. Den Nichtchristen unter ihnen erkläre ich Gier so: Ein Mensch, der sich stets mehr Nahrung auf den Teller lädt, als er essen kann, handelt gierig. Das geht auch mit Geld – wenn sich jemand viel mehr nimmt, als er zum Leben braucht. Im Markus-Evangelium sagt Jesus: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ Ab welchen Verdienst- oder Vermögensgrenzen muss ich mir Sorgen machen? Die Bibelstelle sagt nicht, dass Wohlstand teuflisch ist. Sie bedeutet, dass Reichtum ein Hindernis sein kann, um ein einwandfreies Leben zu führen und ein guter Christ zu sein. In Deutschland gab es eine heftige Debatte um das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden von VW, Martin Winterkorn, der im Jahr 2011 etwa 17,5 Millionen Euro überwiesen bekam. Ist das zu viel, um als guter Christ zu gelten? Es geht nicht um genaue Summen. Sogar ein Euro kann zu viel sein: Etwa wenn Sie auf der Straße jemandem begegnen, der Hunger leidet, und sie verweigern ihm diesen einen Euro, mit dem er sich etwas zu essen kaufen könnte. Der Wohlstand ist uns von Gott gegeben, er darf nie ein Hindernis auf dem Weg zu ihm sein. Trotzdem kann man sich natürlich fragen, ob jemand wirklich 17,5 Millionen Euro braucht. Was macht man mit so viel Geld? Man kann doch auch mit 50 000 Euro wunderbar leben.
Wenn in dieser Krise die ärmeren Länder etwas bescheidener wären und die reichen etwas großzügiger, wäre sehr viel gewonnen.”
Sie kamen in Ghana als viertes von zehn Kindern zur Welt. Ihr Vater war Zimmermann, Ihre Mutter hat Gemüse auf dem Markt verkauft. Heute zählen Sie zu den mächtigsten Männern des Vatikans. Was raten Sie anderen, die in ärmlichen Umständen aufwachsen? Sie dürfen niemals aufgeben, nie verzweifeln, dürfen harte Arbeit nicht scheuen und sich nicht zu schade sein, sich die Hände schmutzig zu machen. Wer aus meinem Erdteil, Afrika, stammt, ist übrigens oft ausdauernder und widerstandsfähiger gegen Enttäuschungen im Leben als Leute von der nördlichen Erdhalbkugel. Und noch etwas möchte ich bei der Gelegenheit sagen. Nur zu! Was Griechenland und Portugal und die anderen sogenannten Krisenländer in Europa durchmachen, ist für viele Entwicklungsländer normal. Denen schreiben die Weltbank und der Internationale Währungsfonds täglich auch genau vor, was sie tun und was sie lassen müssen. Die betroffenen Länder müssen ihre materiellen Ansprüche definitiv senken, sie dürfen aber keinesfalls aufgeben. Wenn in dieser Krise die ärmeren Länder etwas bescheidener wären und die reichen etwas großzügiger, wäre sehr viel gewonnen.    
Zur Person Cardinal Peter TurksonPeter Turkson kommt aus denkbar ärmlichen Verhältnissen: Turkson wurde 1948 in Ghana als viertes von zehn Kindern geboren. Seine Mutter verkaufte Gemüse, sein Vater arbeitete als Zimmermann. Er schaffte es an die Universität und studierte Theologie im heimatlichen Amisano und New York. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Stationen an diversen Instituten ernannte ihn Papst Johannes Paul II. im Jahr 1992 zum Erzbischof von Cape Coast. Vor vier Jahren rückte Turkson zum Vorsitzenden des „Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden“ auf und zählt damit zu den zehn mächtigsten Männern der katholischen Kirche. Er gilt als guter Netzwerker und hat sich in den vergangenen Jahren durch seinen Einsatz für arme Menschen als „das soziale Gewissen des Vatikans“ profiliert. Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. zählte Turkson zu den Favoriten für dessen Nachfolge. Einigen Wettbüros in London galt er sogar als wahrscheinlichster Kandidat.
Das Gespräch führte Christoph Schäfer.

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