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In zehn Schritten klimaneutral.
Heute: der 4. Schritt. Keine Emissionen mehr bei der Arbeit

Nº 92 – Meine Weltreise
In zehn Schritten klimaneutral.
Heute: der 4. Schritt. Keine Emissionen mehr bei der Arbeit

Samstag, der 19. Juni 2021

Es geht heute nicht darum, welchen Job ich ergreife. Es geht nur um ein einziges Prinzip und das gehört zu jedem Job dazu: das Ende der Verbrennung fossiler Brennstoffe bei gleichzeitiger Nutzung sauber erzeugter Energien. Bei einem Bauern geht es um die Benutzung des Traktors, des Mähdreschers, von Werkzeugen, die mit Benzin oder Diesel angetrieben werden. Es geht auch darum, ob ich Tieren mit Respekt gegenübertrete und ob ich meinen Bauernhof auf Biolandwirtschaft umstelle, oder weiterhin mit Glyphosat die Natur vergifte. Es geht auch ums natürliche Düngen und um so viel mehr.  Beim Piloten eines Flugzeugs handelt es sich um die Verbrennung von Kerosin. Bei Fern- und Taxifahrern ist es der Diesel und bei vielen anderen Berufen läßt sich kaum eine Alternative zur Verbrennung von Derivaten aus Erdöl finden. Sie werden vermutlich aussterben. Das Gerede von Null-Emissionen läßt sich nur konkret lösen, wenn Transporte von der Straße auf die Bahn verlegt oder vermieden werden. Die Bahn wird bekanntlich elektrisch betrieben. Ich habe für mich auch eine Lösung gefunden. Die beginnt mit der Einstellung, wo ein Wille ist – ist auch ein Weg. Nichts ist leicht im Leben, aber es beginnt immer mit der Leichtigkeit. Und die finde ich in meiner Hängematte.

Seit ich eine Hängematte besitze, brauche ich keine Uhr mehr. Ich gestehe, daß ich mich manchmal nach dem Mittagessen in diese Hängematte lege, um ein Nickerchen zu machen. Man liegt so gut darin. Es ist nämlich eine breite Hängematte, so eine für zwei Menschen. Ich habe sie irgendwann mal zum Geburtstag geschenkt bekommen oder vielleicht war das auch andersherum. Irgendwas jedenfalls war da mit Geburtstag …  Manchmal verschwimmen die Dinge, wenn ich mich in sie hineinlege. Es ist wie der Ãœbergang von einer in eine andere Welt. Und diese Welt ist klimaneutral. Während ich also vor mich hindöse und in den blauen Himmel schaue, sehe ich ein weißes Wölkchen, daß vom nordwestlichen Horizont nach Südost, zum Meer geblasen wird. Dann schließe ich meine Augen. Das tut gut. Mein Horizont öffnet sich. Ich hänge im Schatten eines Pfefferbaumes und mein Hund spielt mit einer Zitrone, die er schon nahezu ausgelutscht hat. Dieses gelbe Etwas versucht er nun, mir in diese schöne Hängematte zu legen. Komm, sagt er, spiel mit mir… Falls Arbeiten die Fortsetzung von Spielen ist, so dachte ich einmal, als ich noch ein Kind war, dann…

… dann drehe ich mich jetzt auf die andere Seite, um aus dem Wirkkreis einer nassen Schauze zu kommen. Lass mich liegen und stör meinen Halbschlaf nicht, flüstere ich ihm zu. Ich brauche meine Zeit zum Träumen. Er aber nimmt mich nicht ernst, lacht mich aus, denn er folgt mir auf die andere Seite. Eigentlich liege ich in dieser Hängematte, um zu entspannen. Und es stimmt, man kann die Welt um sich herum vergessen. Alles wird so leicht. Manchmal falle ich in trance und weiß dann nicht mehr, ob ich noch wach bin oder schon schlafe, oder ob ich schon träume oder ob die Fantasie mir nur einen Streich spielt. Die Welt in einer guten Hängematte wird mit der Zeit so leicht, daß man sich vorkommt wie auf einer Reise. Diese kostet nichts und ist bereits klimaneutral. Die Wolke ist in der Zwischenzeit schon weitergezogen und aus meinem Blickfeld verschwunden. Heute fliegen keine Flugzeuge am Himmel. Es ist Sonntag. Da sind weniger Touristen unterwegs. Ich denke an die vielen Flugzeugpiloten und an ihre CO2 Fussabdrücke. Mir wird ganz schwindelig. Aus der Ferne dringen Fetzen von röhrenden Motoren des Autodromes zu mir herüber. Aber auch das vergeht langsam. Und so stelle ich mir vor, nun meine Worte fliegen zu lassen, denn meine Gedanken sind schon unterwegs.

Vor nicht allzu langer Zeit fragte mich ein Student, wie ich den Satz des „weniger ist mehr“ von der Theorie her in die Praxis umsetzen könne. Wir leben langsamer ohne Uhren, antworte ich ihm spontan. Die Jahre und Tage vergehen weniger schnell. Die Hängematte hat in meiner Philosophie von Zeit einen sehr wichtigen Platz eingenommen. Sie hängt im Raum und schwingt mit der Zeit. Ein Seil hängt von der Decke und falls es mir zu ruhig wird, ziehe ich ein wenig und bringe mich damit wieder in Schwung. Mein Mobiltelefon ist leise gestellt, die Uhr habe ich irgendwo hingelegt und längst vergessen. Jetzt schaukele ich wie in meinen frühen Tagen hin und her. Wann Arbeitstag ist, sollte ein Journalist von seiner Hängematte aus bestimmen, nicht umgekehrt. Prioritäten. Der Zustand, in den ich dann gerate, hat etwas von Meditation. Alle Sorgen sind vergessen, alles Schnelle wird langsam, alle Probleme lösen sich von selbst, was natürlich nicht stimmt. Mit der Hängematte gewinne ich den Eindruck von meiner eigenen Welt, die sich doch eigentlich mit mehr als 107.000 Stundenkilometern pro Stunde durch Zeit und Raum im Universum bewegt, und die mich ganz langsam und ganz klein werden läßt. Meistens bin ich in meiner Hängematte in der Lage, grundlegende Entcheidungen zu treffen. Wie beginne ich eine Geschichte und wie lasse ich sie enden? Wie wird ein Journalist klimaneutral? Der Student schaut mich immer noch fragend an? Langsam werden steht in Korelation zu achtsam werden. Beim Pendeln in meiner Hängematte verursache ich kein CO2, transformiere keine fossilen Brennstoffe zu schlechtem Klima und bestehe nicht darauf, effektiv, effizient und fortschrittlich zu sein. Das Rattenrennen, immer Erster zu werden und schneller zu sein als die anderen, ist mir dann so fern, daß ich mich innerlich bereits darüber amüsiere. Wir wollen klimaneutral leben, doch wie machen wir das? Ich gerate in meiner Hängematte in einen Zustand, bei mir selbst zu sein und meine Entscheidungen für mich selbst zu treffen. Ich fühle mich auf einmal ausgeglichen. Ich lehne es seit geraumer Zeit ab, ein Flugzeug zu benutzen, um meinen Beruf auszuüben, oder um in den Urlaub zu fliegen. Wann immer ich Sehnsucht habe, lege ich mich in meine Hängematte.

Raus aus der Stadt, raus aufs Land. Wenn du dich traust, deine Armbanduhr gegen eine Hängematte einzutauschen, erkläre ich dem Studenten, wirst du noch früh genug erfahren, wie spät es ist. Hat uns die Uhr geholfen, das Klima zu schützen? Im Laufe des Tages zieht die Sonne von Ost nach West, denn die Erde dreht sich nach Osten und meistens wachst du noch rechtzeitig am Nachmittag auf, um deinen Kartoffeln und deinem Gemüse auf dem Feld Wasser zu geben, damit du dich und die deinen davon ernähren kannst. Der Student schaut mich mit großen erwartungsvollen Augen an und wartet noch auf einen konkreten Hinweis, wie ein Mensch es schaffen könne, im Einklang mit der Natur zu leben. Werde langsamer, nimm dir weniger vor: einen Termin und ein Thema am Vormittag, ein anderes am Nachmittag. Schau genau hin, was du siehst. Geh die Dinge sorgfältig an, die du machst. Keiner zwingt dich in eine Uhrzeit hinein. Ich arbeite manchmal sehr lange, manchmal aber auch gar nicht. Keiner kann mir befehlen, 40 Stunden auf fünf oder sechs Tage aufzuteilen Und ein Sonntag kann auch am Mittwoch stattfinden. Das alles ist meine Entscheidung und jeder kann sich seinen Beruf aussuchen, wie mein Hund sich seine Spielzeuge. Wenn eine Zitrone vom Baum zu Boden gefallen ist, spielt er damit. Meine Zeit in der Hängematte ist gerade vorbei. Der Hund will jetzt unbedingt mit mir spielen. Kann man es ihm verwehren?

 

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, Tim Coombs, João Medronho, Kathleen Becker
Fotos: dpa

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