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Blaues Gold

Als ich hinaus aufs Land zog, erfüllte ich mir einen Traum: zurück zur Natur; zu sauberem Wasser, zu guter Luft, reiner Erde und zu Selbstversorgung. Das war der ursprüngliche Plan. Mit der Stadt hatte ich abgeschlossen; mit Lärm, Stress, Verkehrschaos; mit Beton, Müll, schlechter Luft, den vielen Menschen auf so engem Raum. Ich zog aufs Land und in die Berge auf ein Stück Land mit Waldgarten bei Monchique. Darauf befand sich auch eine Quelle, der Ursprung eines Baches, der Richtung Küste zu einem Fluss wurde und in den Atlantik mündete. Seit ich die Natur mit ihren Jahreszeiten wieder spüre, erfreue ich mich am Wasser und trinke es. Dieser ureigene Blick auf das Wasser schärft meine Achtsamkeit. Denn eine Quelle ist das Spiegelbild und der Beginn des Lebens. Es reflektiert den Zustand der Natur.

Rio Tajo

 

Die Ressource Wasser basiert hauptsächlich auf Regen. Wo ich lebe, ist die jährliche Niederschlagsmenge von 1.100 bis 1.400 mm im Jahr auf 600 bis 700 mm geschrumpft. Die Regenmenge hängt davon ab, ob man vor dem Berg (nach Süden) oder hinter dem Berg (nach Norden) lebt. Manche Wissenschaftler halten die globale Erwärmung für die wichtigste Ursache des weltweiten Süßwassermangels und sagen ein Absinken des Wasserspiegels in allen Flüssen und Seen der Welt voraus. Das bedeutet, dass wir im Süden Portugals künftig mit extremem Wassermangel leben müssen. Was das für die Wirtschaftsfaktoren Tourismus und Landwirtschaft bedeuten wird, ist klar: weniger ist mehr, nachhaltig wirtschaften die einzige Lösung. Aber was bedeutet das in der Realität? Das fragen wir Teresa Fernandes, CEO der Wasserwerke der Algarve, Águas do Algarve SA. auf den Seiten 47 bis 52.

Wer mit der Natur lebt, muss sich entscheiden. Von Anfang an war klar: keine Pestizide, keine Fungizide, keine Herbizide und auch kein Kunstdünger; stattdessen organische Landwirtschaft für den eigenen Gebrauch. Mit dem vorhandenen Wasser wurden junge Bäume gepflanzt und bewässert. Anfangs war noch nicht klar, wie extrem heiß und trocken es im Süden werden könnte. Im letzten Jahr erwärmte sich die Atmosphäre durchschnittlich 2,4 Grad Celsius mehr als in normalen Jahren. Es war das heißeste und trockenste Jahr seit 1931. Und jetzt soll uns ein neuer und vielleicht noch heißerer Sommer bevorstehen?

In der Natur lernt man, mit den Winden zu leben. Heute offenbaren diese Winde das meteorologische Chaos, das vorherrscht. Das Klima hat sich schleichend verändert, die Winde wechseln täglich ihre Richtungen, haben ihre Langzeitstabilität verloren und verursachen mal extrem heißes und trockenes, dann wieder kaltes und feuchtes Klima. Das gab es zwei Jahrzehnte zuvor so nicht. Noch nie gab es so viele schwüle Tage, noch nie so viele Gewitter vor dem Sommer, noch nie so wenig Regen im Winter. Die Atmosphäre unseres Planeten heizt sich auf. Die Lebensbedingungen werden unfreundlicher. Der Regen kommt normalerweise mit den richtigen Winden aus südwestlichen Breitengraden, aus der Weite des Atlantiks, sagt der Bauer, sagen die Fischer. Schwere, vollgesogene Wolken regnen sich im Winter über dem Süden Portugal ab. Doch heute kommt der Wind vermehrt aus östlicher Richtung, vom Festland und vom Mittelmeer und aus dieser Windrichtung kommen kaum Regenwolken bei uns an. Bei täglichen Temperaturmessungen und Vergleichen mit den Werten des IPMA (Instituto Português do Mar e da Atmosfera) wurden in Monchique in 2017 an 32 Tagen zwischen Juni und Oktober 2017 Höchsttemperaturen von mehr als 40°C im Schatten gemessen. Der letzte ergiebige Regentag des Jahres 2017 war Sonntag, der 26. März: im Frühjahr wohlgemerkt, nicht im Herbst! Die klimatischen Veränderungen zeigen Wirkung.

Onda de calor

 

Intakte Mischwälder spielen für den Schutz und für die Reinigung von Süßwasser eine lebenswichtige Rolle. Sie absorbieren Schadstoffe, bevor diese in Flüsse und Seen gelangen und bieten vielfältigen Lebensraum für viele Tierarten. Über die Jahre erfuhr ich, dass ein nicht zu vernachlässigender Aspekt des Klimawandels dessen Auswirkung auf die Süßwasserreserven ist. Ich bemerkte, dass das im Boden befindliche Wasser schneller verdunstet und so die Aufrechterhaltung des Süßwasserkreislaufs beeinträchtigt wird. Das eigene Wasser wurde nicht nur von Jahr zu Jahr wichtiger, aus der Quelle floss auch immer weniger Wasser. Während am Anfang das Wasser das ganze Jahr über den Bach nährte, begann das Gewässer in den Jahren nach den Waldbränden von 2003 nur noch im Winter nach dem Regen zu fließen. Das war das Ende der Fische. Um Regenwasser zu sammeln, errichtete ich Zisternen an den höchst gelegensten Stellen des Waldgrundstückes, um die Gravitationskräfte des freien Falls zu nutzen. Zisternen so konzipieren, dass das Wasser vom Hügel ins Tal fließen kann, ohne Einsatz von Pumpen. Heute gibt die Quelle so wenig Wasser, dass der Bach seit Mai 2017 trocken liegt. In der Quelle wachsen jetzt oft schon Algen, die regelmäßig mehrmals im Jahr gesäubert werden muss. Eine solarbetriebene Pumpe lässt das Wasser zirkulieren, um die Algenbildung zu vermindern. Richtig harte Zeiten stehen uns jedoch noch bevor.

Da heute bereits die Mehrheit der Menschheit auch in Portugal in urbanen Zentren, also Städten lebt, die so geplant und gebaut sind, dass Verantwortung für das eigene Wohlbefinden immer mehr abgegeben wird – der Strom kommt aus der Steckdose und das Wasser aus dem Wasserhahn, entdecken Stadtbewohner die Wasserknappheit erst, wenn es zu spät ist. Es ist das System, das man schon aus der industriellen Landwirtschaft und aus vielen Kommunen kennt. Die eigenen oberirdischen Wasservorräte sind irgendwann aufgebraucht, die Stauseen leer, die Flüsse vergiftet. Lesen Sie auch unser Interview mit Arlindo Marques über die Papierherstellung der Firma Celtejo am Rio Tejo auf den Seiten 36 bis 41. Also bohrt man nach Wasser und stößt auf einen unterirdischen Aquifer. Schätzungsweise ein Drittel der Weltbevölkerung von 2,5 Milliarden Menschen, hauptsächlich in den Städten, sind mittlerweile für ihre Trinkwasserversorgung auf das unterirdische Grundwasser angewiesen. Die weltweit bevölkerungsreichsten Länder China und Indien beziehen ihr Wasser mindestens zur Hälfte bereits aus dem Grundwasser. Länder wie Dänemark und die Niederlande sind fast völlig von dieser Quelle abhängig. Das Problem bei der Grundwasserentnahme besteht darin, dass man es nicht sehen kann. Dass ein Aquifer zur Neige geht, merkt eine Kommune, ein Bauer oder ein Industrieunternehmen erst, wenn ein Bohrloch mit einem Mal versiegt.

 

Die Vorräte unseres Wassers sind endlich. Wenn ein Aquifer erst einmal erschöpft ist, sinkt nicht nur der Grundwasserspiegel, die Pegelstände von Flüssen sinken und Quellen und Bäche versiegen. Es hängt davon ab, wie viel Wasser den Aquifern entnommen wird. Lesen Sie dazu unser Interview über die gewerbliche Nutzung von Wasser aus Monchique und dessen Export nach China und Kanada im Anschluss.

Während der Mensch bereits seit Jahrtausenden Brunnen und Wasserminen nutzt, ist die massive Entnahme von Grundwasser durch Bohrlöcher ein Phänomen, das erst im 20. Jahrhundert durch die Verbreitung der Elektrizität und kostengünstiger Pumpen möglich wurde. In vielen Teilen der Welt feierte man die künstliche Bewässerung mittels Pumpen zunächst als Geschenk des technischen Fortschritts, weil sie es ermöglichte, das ganze Jahr über Getreide und Gemüse anzubauen. Man versprach sich höhere Erträge pro Hektar landwirtschaftlich nutzbarer Fläche. Monokulturen, besonders entlang der Küste des Alentejo und am Ria Sado, traten an die Stelle früherer Vielfalt und werden mit großen Mengen an Pestiziden und Düngemitteln begleitet. Lesen Sie dazu unsere Reportage aus dem Alentejo „Der traurige Fluss“ auf den Seiten 26 bis 33. Tatsächlich nahmen kurzfristig die Erträge enorm zu, allerdings zu Lasten des Bodens und des Wasserhaushalts. Die sogenannte Grüne Revolution aber hat nach mehr als 50 Jahren industrieller Landwirtschaft den Artenreichtum zerstört, die Umwelt mit Chemikalien verseucht und von intensiver Bewässerung abhängig gemacht. Bauern müssen nun um das knappe Wasser konkurrieren und einen teuren Preis dafür bezahlen. Tausende von Jahre war es bäuerliche Sitte, sich Wasser zu teilen und es zu hüten, was den traditionellen Zusammenhalt der Dörfer bei Überschwemmungen, Dürren und in Sorge für das Wasser garantierte. Heute erfahren wir täglich Situationen, in denen der Kampf um das Wasserrecht entbrannt ist, Nachbarschaftsstreit bis hin zu Gewaltexzessen ist nicht unüblich.

Nicht nur Kapstadt mit seinen vier Millionen Einwohnern hat ein gravierendes Wasserproblem. Auch Mexiko City sitzt buchstäblich fast auf dem Trockenen. Die 20 Mio. Einwohner Metropole bezieht heute 70 Prozent ihres Wassers aus Aquifern und die Entnahme geht um 50 Prozent schneller vonstatten als die natürliche Wiederauffüllung durch Regen. Etwa ein Drittel des städtischen Wassers muss auf eine Höhe von 2.300 Meter über dem Meeresspiegel gepumpt werden, teilweise aus 300 Kilometern Entfernung. Diese Reserven sind beinahe verbraucht. Zudem sinkt die Stadt seit Jahrzehnten immer tiefer ins Erdreich, weil die Hohlräume, in denen sich das Grundwasser gesammelt hatte, leer geworden sind. Dieser Vorgang, auch aus den Kohle- und Erdölförderregionen bekannt, wird als Erdsenkung bezeichnet. Mexiko City war die erste Stadt, die dieses Phänomen als Folge von Wasserentnahmen zu spüren bekam, denn die Stadt liegt auf einem schwammähnlichen, porösen Untergrund und versinkt jährlich um 50 Zentimeter. An Betonbrücken und Hochhäusern werden immer wieder neue Risse festgestellt. Mexiko gehört zu den Ländern, in denen schwere Erdbeben zum täglichen Leben dazu gehören. Die Situationen ähneln sich. Auch Tokio, Manila und Dhaka – neben vielen anderen Metropolen – versinken langsam.

Die Wasserkrise beschränkt sich nicht auf die Großstädte und weit von uns entfernte Länder. Sie wird greifbar in jedem Winkel im Süden Europas. Ein Weiter So führt in die Katastrophe. Denn die Uhr tickt. Sauberes Wasser, unser Allgemeingut, das wir rund um die Uhr verbrauchen, verschwenden und verschmutzen, ist von einem Allgemeingut zu einer Handelsware geworden. Reiche können es sich noch leisten – Arme werden verdursten. Die Menschheit muss sich bewusst werden, dass die Wasservorräte unseres Planeten endlich sind.

Seit der Entstehung unserer Erde ist die Wassermenge gleich geblieben. Es handelt sich mehr oder weniger um das gleiche Wasser, das zirkuliert. Mit jedem Jahr jedoch wird es ungleicher verteilt. Wenn der Süden Europas verdorrt und der Norden in den Fluten des Regens versinkt, müssen wir daraus Konsequenzen ziehen. Mit Wasser, der Grundlage unseres Lebens, ob mit Quellen, Bächen oder Flüssen, mit Seen und Aquifern müssen wir viel verantwortungsvoller und noch nachhaltiger umgehen. Das wird auf der Basis von Marktwirtschaft, von Angebot und Nachfrage, nicht funktionieren. Denn jeder von uns hat ein Recht auf sauberes Trinkwasser.

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