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Nº 139 – Nach Portugal mit der Eisenbahn?

Samstag, der 17. Dezember 2022.

Neulich las ich in der ECO123, daß der Ort Monchique vom Aussterben bedroht sei. Und im selben Magazin fand ich online eine Stellenausschreibung. Was soll ich sagen, der Zufall ist schuld daran, daß ich Leipzig verlies, meiner Neugier nicht widerstehen konnte und mich auf die Socken machte, nach Monchique im gleichnamigen Gebirge. Ich wollte den Job. Und hier ist meine Geschichte.

 

Reisen soll ja Freude machen, soll sicher, möglichst schnell und preisgünstig sein. Mit Billigflügen konnten wir uns diese Wünsche über Jahre hinweg erfüllen. Nun wird Fliegen teurer. Außerdem hat sich herumgesprochen, das wir mit jeder Flugmeile schädliche Emissionen verursachen. Jedenfalls mehr, als würden wir die gleiche Distanz mit der Bahn zurücklegen. Was also muss geschehen, damit wir freiwillig und gern am Boden bleiben und auf die Schiene wechseln? Um diese Frage zu beantworten, macht sich unser Autor auf den Weg. Etwa 3.000 Kilometer, von Leipzig in Deutschland, quer durch Europa bis nach Monchique, im Süden Portugals. Sechs Tage ist er unterwegs, in vier Etappen, mit allerhand Gepäck und wachen Augen.

 

Erste Etappe: Leipzig (Deutschland) nach Basel (Schweiz)

 

Das Monstrum

Start im Leipziger Hauptbahnhof, dem angeblich größten Kopfbahnhof Europas. In den Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das Innere dieses über einhundert Jahre alten kolossalen Bauwerks vollkommen verändert. Auf drei Etagen lässt sich hier so gut wie alles einkaufen, was man zum Leben braucht und natürlich vieles, was niemand wirklich braucht. Dieser Bahnhof ist faktisch zu einer Shopping-Mall mit Gleisanschluss mutiert. Ich schiebe meinen E-Scooter zu Gleis 14, bin gebucht auf einen Intercity Express Richtung Wiesbaden. Mit Umsteigen in Frankfurt/Main, werde ich zum ersten Etappenziel in der Schweiz, rund fünf einhalb Stunden unterwegs sein. Es werden dann sechs Stunden, weil der Zug Verspätung hat. Für diese erste Strecke habe ich 54 Euro bezahlt, ohne Platzreservierung, denn die ist in deutschen Zügen nicht obligatorisch.

Eine Frau begleitet mich zum Bahnsteig. Vermutlich ist sie kurz vor der Rente. Eine viel zu große Uniform schlottert ihr um Arme und Beine. Sie gehört zum sogenannten “Sicherheitspersonal” und ist so freundlich, das erste Foto dieses kleinen Abenteuers zu schießen: Der Reisende vor einem Schild mit der etwas prahlerischen Aufschrift “Messestadt Leipzig”.

Zu meinem Gefährt sagt sie nichts. Ich hatte vor Beginn der Reise vorsichtshalber nicht angefragt, ob die Mitnahme eines Elektrofahrzeugs in Zügen überhaupt gestattet sei: “Wer viel fragt, bekommt viel Antwort”, sagten wir früher in der DDR. Dahinter verbarg sich die Erfahrung, dass viele Funktionsträger lieber “NEIN” sagen, weil sie für ein “JA” die Verantwortung übernehmen müssten. Das Ansinnen des Fragenden könnte ja verboten sein. Man weiß es oft nicht genau. Das Regelwerk in Deutschland ist wie in Portugal unüberschaubar. So scheint es auch im Falle der neuen zusammenklappbaren E-Scooter zu sein. In den “Besonderen Internationalen Beförderungs- Bedingungen der Deutschen Bahn AG”, letzte Fassung vom 21. September 2022, findet sich an keiner Stelle ein konkreter Hinweis. Jeder Reisende dürfe “in der Regel nicht mehr als drei leicht tragbare Gegenstände als Handgepäck mitnehmen, soweit sie über und unter dem Sitzplatz verstaut werden können”, heißt es weitgehend interpretierbar. Mein E-Scooter ist zusammengeklappt, immerhin ein Meter zwanzig lang. Surfbretter, die nicht gestattet sind, Skier, Musikinstrumente und Kinderwagen werden ausdrücklich erwähnt. Sie seien nur zugelassen, wenn im Zug geeignete Abstellmöglichkeiten vorhanden sind. Es kann also durchaus passieren, dass mir das Zugpersonal einer der insgesamt fünf Transportgesellschaften, deren Dienste ich auf der gesamten Fahrt nutzen muss, den Zutritt verwehrt. Das wäre fatal, denn die Tickets sind an bestimmte Züge gebunden. Flexible Fahrkarten wären um ein Vielfaches teurer. Auch die notwendigen Ãœbernachtungen in Basel, Girona und Sevilla sind im Voraus  gebucht und bezahlt. Trotzdem riskiere ich es. Denn in Ermangelung eines Führerscheins will ich den Roller in den Bergen von Monchique nutzen. Ich möchte unabhängig sein von den spärlichen und zugleich teuren Busverbindungen in der Region. So hieve ich, auf dem Rücken einen achtzehn Kilogramm schweren Rucksack, in der einen Hand eine schwere Tasche für Laptop und Papiere, in der zweiten meinen einundzwanzig Kilogramm schweren Elektroroller die Stufen zum Waggon hoch. Vorsorglich hatte ich das Monstrum in einen undurchsichtigen Jutesack verpackt. Falls der Schaffner fragt, werde ich mit unschuldigem Augenaufschlag behaupten, es handele sich um einen zusammenklappbaren Rollstuhl, ohne den ich mich nicht gut fortbewegen könne. Und ich werde mit brechender Stimme ergänzen: “Ich bin sechzig Jahre alt”…

 

Die unsichtbaren Städte

Der Waggon ist brechend voll. Im Gang drängeln sich Passagiere. An ihnen vorbei in andere Waggons? In der Hoffnung auf freie Plätze? Scheint aussichtslos. Ausgerechnet heute hat das Bordpersonal eines der kleineren Abteile gesperrt. Darin lediglich zwei uniformierte Bahnangestellte. Ein knappes Dutzend Sitze sind unbesetzt. Nimmt das Personal die Menge der Mitreisenden nicht wahr? Oder ist das so etwas, wie die Arroganz der Macht? Im größeren Teil des Waggons, dem für “nicht Priveligierte”, lichtet sich das Wooling allmählich. Ich kann einen der letzten freien Sitzplätze ergattern. Mit Hilfe der älteren Dame mir gegenüber gelingt es auch, mein “Monstrum” hochkant zwischen einige Koffer zu klemmen. Bei der nächsten Station müssen die Dame und ich unsere Plätze schon wieder räumen. Eine lebhafte Gruppe junger Frauen vertreibt uns selbstbewusst, sie haben nämlich reserviert. Mir dämmert die Einsicht, Reservieren wäre vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen. Alle vier sind Anfang Zwanzig. Sie studieren, wie sich später herausstellen wird. Während der Fahrt ließt eine von ihnen laut von ihrem Laptop vor: “Die Menschen in der Stadt Eusapia möchten den Ãœbergang vom Leben in den Tod so angenehm wie möglich machen”. Ich lausche unfreiwillig. Mir war ein frei gewordener Platz in ihrer Nähe angeboten worden: “Darum haben sie unter der Erde ein Spiegelbild ihrer Stadt erschaffen. Dorthin werden die Verstorbenen verbracht…”. Erstaunlich, denke ich, womit sich junge Menschen heutzutage so beschäftigen. Ist das eine Folge der vermeintlichen Pandemie? Die Angst vor dem Tod? Hier im Zug scheint sie noch immer gegenwärtig zu sein, die Angst. Weil Masken sie sichtbar machen. Niemand in diesem Waggon widersetzt sich dem staatlichen Reglement, das anders als in allen übrigen Ländern Europas, in öffentlichen Verkehrsmitteln noch immer eine Maskenpflicht vorschreibt. Ich sehe sogar kleinen Kinder, die Masken tragen (müssen). Ich trage keine. Ich bekomme darunter Platzangst. Natürlich gilt das nicht als hinreichender Grund für eine Befreiung von der Maskenpflicht. Ich weiß, da ist jegliche Diskussion fruchtlos. Ich diskutiere auch nicht mehr. Ich esse. Ich bringe es fertig, die gesamten sechs Stunden lang zu essen. Schön klein geschnittenes Gemüse. Und ich werde in Ruhe gelassen: “Guten Appetit!”, wünscht mir das Zugpersonal. Irgendwann beginne ich ein Gespräch mit den jungen Frauen. Stadtplanung sei ihre Studienrichtung, erfahre ich. Die Geschichte über den Tod wäre ihre Semesterarbeit und “von irgend so einem Philosophen geschrieben.” Sie müssten sich damit befassen, weil es beim Entwurf  einer Stadt auch um die Atmosphäre, also um Gefühle gehen müsse, nicht nur um praktische Nutzbarkeit. Ich räume ein, mir würde die geschilderte Stadt überhaupt nicht gefallen. Wenn ich mir nur den Geruch in der unterirdischen Nekropole vorstelle, wird mir übel. Sie wüssten auch nicht, warum sie gerade diese Geschichte behandeln sollten, aber irgendwie faszinierend fänden sie es schon. Die Geschichte heißt “Die unsichtbaren Städte” und ist von Italo Calvino. Ich hab’s “gegoogelt”.

 

Zweite Etappe: Basel (Schweiz) über Lyon (Frankreich) nach Girona (Spanien)

Eine Stadt namens Basel

In einer netten kleinen Pension unweit des Bahnhofs Basel SBB wache ich mit Schmerzen auf. Muskelkater in den Kniekehlen kannte ich noch garnicht. Trainieren hätte ich sollen, bevor ich vierzig Kilogramm Gepäck durch Europa schleppe. Von Basel habe ich freilich so gut wie nichts gesehen, denn zwischen Ankunft am Abend und Abfahrt am folgenden Morgen blieben etwa 12 Stunden. Davon wollte ich wenigstens acht nutzen, um mich durch ausreichend Schlaf auf die nächste Etappe vorzubereiten. Heute muss ich zwei Mal in Frankreich umsteigen, in Mulhouse Ville und Lyon. Diese Strecke hatte ich zuvor auf der Landkarte ausgemacht. Obwohl es nach Anzahl der gefahrenen Kilometer der kürzeste Weg ist, den man auf der Schiene Richtung Portugal zurücklegen kann, werde ich zum zweiten Etappenziel Girona in Spanien, fast elf Stunden unterwegs sein. Natürlich hatte ich zuvor versucht, meine Tickets im Internet zu kaufen. Doch für die Online – Buchungssysteme nationaler Bahngesellschaften sind zwei Ländergrenzen offenbar unüberwindlich. Die Deutsche Bahn entschuldigt sich, die französische SNCF zeigt die Verbindungen, verweigert aber den Verkauf und die spanische Renfe scheint empört, weil eine Stadt namens Basel nicht existiere. Die Schweizer hingegen, traditionell weltgewandt, würden durchaus Fahrkarten online verkaufen. Diesen Service lässt sich die SBB mit fast dreihundert Schweizer Franken aber so teuer bezahlen, dass ich mein Anliegen ganz traditionell an einem Leipziger Bahnschalter vortrage. Die nette Verkäuferin kommt sichtlich ins Schwitzen. Dafür ist auch eine der Glasscheiben verantwortlich, mit denen neuerdings die Verbreitung des Corona-Virus verhindert werden soll. Leider wurde dabei nicht bedacht, dass der Bahnhofslärm im Hintergrund jegliche Verständigung zwischen Personal und Kunden verhindert. Um der Angestellten die Worte nicht von den Lippen ablesen zu müssen, schiebe ich mein Ohr immer wieder um die Barriere herum, ihr entgegen. Das scheint illegal. Eine hinzu eilende Vorgesetzte hat’s gesehen und ermahnt mich lautstark und unmissverständlich. Komme das noch einmal vor, müsse ich den Platz verlassen. Kleinlaut beginne ich zu verstehen, wie Gehörlose sich fühlen müssen. Der ganze Prozess, an dem übrigens drei Mitarbeiterinnen nacheinander, teilweise auch gleichzeitig beteiligt sind, dauert schließlich fast eine Stunde. Da hatte ich sie in der Hand, die ersehnten Tickets, sogar mit Rabatt, der Senioren unter 65 Jahren allerdings nur in Spanien gewährt wird. Für diese zweite Strecke habe ich inklusive der obligatorischen Platzreservierungen 135 Euro bezahlt. Im französischen TGV, einem Schnellzug der diesen Namen wirklich verdient, weil er mit fast 300 km/h durch die Landschaft schießt, ganz leise übrigens, ohne dass es zu spüren ist, in diesem Zug genieße ich nach langer Zeit, kein Außenseiter mehr zu sein. Nur ein einziges Pärchen, vermutlich Deutsche, tragen die vermeintlich vor Viren schützenden schnabelartigen Staubmasken. Später, im Zug nach Spanien, sitzt ein Freak mit Gitarre neben mir. Sein “Haptschiii” reißt mich alle paar Minuten aus meinen Gedanken und auf meinem Handrücken spüre ich einen Schauer winziger Tröpfchen. ‘Masken schützen nicht’, denke ich tapfer und freue mich, dass er zum Schneuzen hinaus in die Toilette geht. Der Bahnhof von Lyon ist noch erwähnenswert. Da steht inmitten von Tristesse und Gedränge…ja was? Ein Klavier! Mit der freundlichen Einladung “Du bist dran!”. Tatsächlich sitzt einer dran, ein Reisender, wie ich erfahre. So neutralisieren perlende Klänge einer Etüde von Chopin, die für Bahnhöfe typische akustische Umweltverschmutzung.

 

Dritte Etappe: Girona (Spanien) nach Sevilla (Spanien)

Eine Pause

Eigentlich wäre die katalanische Stadt Barcelona, Heimat des berühmten Architekten Antoni Gaudi, als Ziel der vorherigen Etappe naheliegend gewesen. Dort starten die Hochgeschwindigkeitszüge Richtung Westen und Süden. Ein Freund riet mir aber, die  Touristenmetropole zu meiden und stattdessen kurz vorher, in der kleineren, aber ebenso historischen Stadt Girona, die Fahrt zu unterbrechen. Ich buchte diesmal zwei Nächte. Eine Pause war dringed nötig. Insgesamt 18 Stunden hatte ich bis hier in mehr oder weniger vollen Zugabteilen verbracht, war fünf Mal ein und ausgestiegen. Ich wollte einen Tag lang nicht auf der Schiene verbringen, vor allem wieder ein warmes Essen genießen. Mein Proviant war zur Neige gegangen, obwohl ich reichlich mitgenommen hatte: Viel frisches Obst und Gemüse, Brot aus dem Bioladen, Käse und Wein. Was ich auf Bahnhöfen und in Zügen an Essbarem fand, war fade bis widerlich, ungesund und teuer. Für ein trockenes Omelett auf Kartoffelbasis, in der Größe einer Kinderhand, dazu ein Tütchen mit vollkommen geschmacklosem Weizengebäck, musste ich 5,50 Euro berappen. Das Gebäck war so hart, das hat vermutlich der spanische Zahnärzteverband entwickelt, um den Umsatz seiner Mitglieder zu steigern. Einen Tag Pause in Girona. Zwar verlängert das meine Reise und verteuert sie auch, aber Spaziergänge durch die Altstadt, das Schlendern über den Markt und ein Mittagsmenü, das nicht durch das Schaukeln eines Zuges über den Teller wandert, hatten mich mit der Idee langsamen Reisens erst einmal versöhnt. Ausgeruht warte ich vor der Eingangskontrolle zum Bahnsteig. Sicherheitskräfte, die hier auch wirklich so aussehen, als könnten sie für Sicherheit sorgen, beäugen mich kritisch. Wie auf einem Flughafen, wird jedes meiner Gepäckstücke durchleuchtet. Das “Monstum” hatte ich zuvor quasi legal gemacht, indem ich im Büro der spanischen “Renfe” alles vorgezeigt, mit Namensschildern versehen und die freundliche Zusage erhalten hatte, auch mein E-Fahrzeug mitnehmen zu dürfen. Auch die Tickets waren unkompliziert im Internet zu buchen, sogar in verschiedenen Sprachen. Ich hätte von Barcelona, über Madrid und Lissabon, Richtung Faro und schließlich bis Portimao fahren können. Noch einmal zwei Tage in verschiedenen Zügen, mit vier mal Umsteigen. Eine Strecke von mehr als 1500 Kilometern, die sich natürlich auch im Preis niederschlagen würden. Stattdessen wählte ich die kürzere unkompliziertere Strecke über Sevilla, auch wenn ich später auf einen Bus würde umsteigen müssen. Für diese dritte Etappe habe ich insgesamt 130 Euro bezahlt. Im Zug ein kleiner Schock: Wie in Deutschland herrscht hier Maskenpflicht. Aber anders als dort, gibt es keine ermahnenden Lautsprecherdurchsagen, keine strafenden Blicke aufmerksamer Fahrgäste, niemand achtet auf mich, den Reisenden ohne Maske. In den Sitzreihen der spanischen Hochgeschwindigkeitszüge: Mit Leder bezogene Sessel und viel Platz für die Beine, selbst in der Touristenklasse. Nach acht Stunden komme ich pünktlich und nur ein wenig müde am dritten Etappenziel an: Sevilla.

 

Vierte Etappe: Sevilla (Spanien), über Portimao (Portugal), nach Monchique (Portugal)

 

Der Absturz

Von Sevilla aus, gibt es lediglich eine Busverbindung Richtung Faro und Portimao. Mühsam zwänge ich mich in den zuvor gebuchten Platz im Ãœberlandbus der spanischen Transportfirma “Alsa”. Dabei stoßen meine Knie schmerzhaft an den Sitz vor mir. Mit meiner Größe von einem Meter siebzig und knapp 60 Kilogramm, könnte man mich als klein und dünn bezeichnen. Wie mag es der großgewachsenen, zumeist wesentlich gewichtigeren Mehrheit der Fahrgäste ergehen? Nicht viel besser, als in der Economy-Class eines Flugzeugs, denke ich, und schiele zu den Pictogrammen an den Fensterscheiben des Fahrzeugs: “Extra Platz” wird hier versprochen, auch ein “WC”, was zu den Grundbedürfnissen Fernreisender in Bussen gehört. Als ich dringend austreten möchte merke ich, die Toilette ist abgesperrt. Da unser Bus ohnehin bereits mehr als eine Stunde Verspätung hat (ein LKW war auf der Autobahn liegengeblieben), hat der Fahrer Erbarmen und legt eine Pinkelpause ein. Verglichen mit mehr oder weniger komfortablen Eisenbahnzügen, ist diese Etappe ein echter Absturz. Als der Bus wieder startet, gellt ein Schrei durch den Innenraum. Einer der Fahrgäste ist verschwunden. Ein Abfahrtsignal hatte es nicht gegeben. Wir anderen waren so schnell wie möglich auf unsere Plätze zurück gekehrt in der Sorge, dass uns genau dies passieren könnte. Der Verlorene wird gesucht. Man findet ihn schließlich in der langen Warteschlange, die sich am einzigen Verkaufstresen dieser Tankstelle gebildet hat. Endlich kann es weitergehen. Mit zwei einhalb Stunden Verspätung, also nach sechseinhalb Stunden, kommen wir am Busbahnhof von Portimao an. Ein Pendelbus bringt den Reisenden in die Stadt. Dort befindet sich der Haltepunkt des Regionalbusses, der in die Berge hoch, nach Monchique fahren soll. Tatsächlich, ich muss ein wenig warten, aber es fährt an diesem Abend noch ein Bus. So erreiche ich schließlich, nach neun einhalb Stunden Fahrt und zwei Umstiegen, das Ziel dieser vierten Etappe: Monchique. Dafür habe ich nur rund 30 Euro bezahlt.

Nochmal – oder lieber nicht?

Langsam reisen hat etwas! Ich spüre die Entfernung, die ich zurück gelegt habe. Aber es ist ungleich anstrengender, als eine Flugreise. Für die Zug – und Busfahrkarten zusammen, habe ich etwa 350 Euro bezahlt und war etwa 35 Stunden unterwegs, die Übernachtungen nicht eingerechnet. Sammelunterkünfte sind ab ca. 30 Euro pro Nacht zu haben. Ich habe für fünf Übernachtungen rund 450 Euro bezahlt. In Girona und Sevilla hatte ich jeweils einen Tag Pause eingelegt. Ohne diese Unterbrechungen hätte ich die Strecke zwar in vier, statt sechs Tagen hinter mich gebracht, von den charmanten Städten auf meiner Strecke aber ebenso wenig mitbekommen, als wäre ich über sie hinweg geflogen. Zum Vergleich: Einen Flug von Leipzig nach Faro, mit Zusatzgepäck, kann ich derzeit für etwa 300 Euro im Internet buchen. Die Fahrzeiten zum Flughafen Leipzig/Halle und die Strecke vom Flughafen Faro bis Monchique hinzu gerechnet, wäre ich etwa 20 Stunden unterwegs. Hier steht also EIN Reisetag durch die Luft gegen mindestens VIER Reisetage am Boden und etwa 300 Euro für den Flug gegen rund 800 Euro, für Zug, Bus und Übernachtungen. Lässt sich das überhaupt vergleichen?

 

Klar, es muss! Denn wenn Reisen über Land eine echte Alternative zum Fliegen werden soll, müssen nicht nur die Verkehrsmittel selbst schneller werden, mit kürzeren Strecken und weniger Umstiegen. Ich sehne mich zurück in die Zeit, als Nachtzüge zwischen vielen Europäischen Destinationen fuhren, nicht nur in die Hauptstädte. Mit etwas Glück kam man ausgeruht am Zielort an. Neben den Verkehrsmitteln selbst, muss auch die Infrastruktur um sie herum, also Bahnhöfe, Ticketerwerb, die Zusammenarbeit der Bahngesellschaften, nicht zuletzt die Qualität der gastronomischen Einrichtungen, das alles muss besser werden. Und zwar mit Hochgeschwindigkeit!

 

 

Argo Matthias Toying

traduções: Ruth Correia & Kathleen Becker | fotografias: Argo Matthias Toying

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