Clive Viney ist zusammen mit Ray Tipper Autor des Buches „Algarve Wildlife the natural year“. Als langjährig in Tavira ansässiger Naturforscher ist er besorgt über die Bodenerosion und die Zerstörung des natürlichen Lebensraums des in der Nähe von Castro Marim gelegenen Naturschutzgebiets. Ein Teil des Reservats wurde “der neuesten Modeerscheinung der Avocado-Produktion” geopfert.
Er stellt Fragen und fordert Antworten von ICNF (Portugiesisches Institut für Wald- und Naturschutz), SPEA (Portugiesische Gesellschaft zum Studium der Vogelwelt) und anderen Behörden. Sein Vorgehen hat die Aufmerksamkeit der Generaldirektion Umwelt bei der Europäischen Kommission geweckt und diese veranlasst zu untersuchen, ob die ausgedehnte Anpflanzung von Avocadobäumen im Naturschutzgebiet gegen europäische Richtlinien verstößt.
Zu den Fragen gehören: Wie ist es möglich, dass traditionelles Grasland im Naturschutzgebiet in der Nähe von Castro Marim, das einst Lebensraum der Zwergtrappe war, für die Avocado-Produktion freigegeben wurde? Handelt es sich bei dem Schutzgebiet um ein besonderes Schutzgebiet für Vögel nach EU-Bestimmungen oder gar um ein besonderes Schutzgebiet im Rahmen der europäischen Vogel- und Habitatrichtlinie, wie es in der EU Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ausgewiesen wird? Verstößt diese Maßnahme also gegen EU-Naturschutzvorschriften? Die Generaldirektion Umwelt in der Europäischen Kommission hinterfragt die Zerstörung ebenfalls und wartet auf Antworten. Sollten ähnliche Fragen nicht auch im portugiesischen Parlament gestellt werden?
Warum interessieren Sie sich für dieses Land in der Nähe von Castro Marim?
Ich besuche die Zentralregion des Cerro do Bufo bei Castro Marim etwa alle sechs Monate, um spazieren zu gehen und die Tierwelt zu beobachten. Ich war Ende September dieses Jahres dort und war entsetzt über den Anblick, der sich mir bot – vor mir lag lebloses Land. Die niedrigen grasbewachsenen Hügel im Schutzgebiet waren verschwunden und wurden durch schwarzes Plastik und viele Morgen Avocadobäume ersetzt. Anfang Oktober kam ich mit meiner Kamera zurück. Es waren keine Schilder zu sehen, die das Gebiet als Privatbesitz auswiesen, auch bin ich durch kein Eingangstor gegangen. Ein junger Mann kam mit dem Auto auf mich zugefahren und fragte mich, was ich tun würde. Er sagte mir, ich solle aufhören, Fotos zu machen, da dies hier nicht erlaubt wäre. Er forderte mich zur Herausgabe meiner Kamera auf, aber ich antwortete, dass ich sofort gehen würde. Das tat ich dann auch und habe so meine Kamera gerettet. Ich fragte mich natürlich, was er da beschützte und warum? Ich hätte gerne ein Schild gesehen, das darüber informiert, wer diese Plantage angelegt hat. Es ist ziemlich schockierend, was dem Land hier angetan wurde. Ich bin nicht gegen Monokultur, aber inmitten eines Naturschutzgebietes hat sie nichts verloren. Vor dem Anlegen dieser Plantage war dort Weide- und Ackerland, auf dem jedoch nichts Wichtiges angebaut wurde. Ich habe immer gedacht, dass Monokulturen in Naturschutzgebieten verboten wären.
Welche Auswirkungen hat das auf die Tierwelt?
Die Zwergtrappe ist ein außergewöhnlicher Vogel, sie hat dort gebrütet, tut es aber jetzt nicht mehr, da sie die offene Landschaft zum Brüten bevorzugt, die an diesem Ort nun verschwunden ist. In der Algarve war dies möglicherweise ihre letzte Brutstätte. Also werden wir diesen Vogel wahrscheinlich nicht wiedersehen.
Andere Vögel wie der europäische Goldregenpfeifer und der nördliche Kiebitz, Schwärme von Feldlerchen und Grauammern waren dort auch zu finden. Dies war vielleicht auch der beste Ort an der Algarve, um den Häherkuckuck zu beobachten. Oft konnte man Kolkraben, Wanderfalken oder Rohrweihen dabei zusehen, wie sie anderen Vögeln nachstellten. Der Iberische Hase war in diesem Gebiet verbreitet. Brachpieper, Steinschmätzer und Schafstelzen kamen auf der Durchreise vorbei. Sie sind alle verschwunden und ich vermute, es liegt daran, dass hier einem Landwirt ein Zuschuss aus EU-Mitteln zum Anbau von Avocados gewährt wurde.
Wer ist Ihrer Meinung nach für die Zerstörung des Lebensraums verantwortlich?
Nun, das Institut für Naturschutz und Wälder (ICNF) hat ein Gebäude im Naturschutzgebiet, das aber nur unter großen Anstrengungen zu erreichen ist. Ich konnte nicht feststellen, dass von dortaus Kontrollgänge durchgeführt werden und bin mir nicht sicher, was dort getan wird. Was an der Algarve passiert, ist wirklich schockierend und jemand muss hier die Verantwortung übernehmen. Diese Plantage hat zur Zerstörung des Herzens eines unserer berühmtesten Naturschutzgebiete geführt und der biologischen Vielfalt der Region einen nichtwiedergutzumachenden Schlag versetzt. Ich habe SPEA, die portugiesische Gesellschaft zum Studium der Vogelwelt kontaktiert. Sie schrieben zurück und baten mich um eine Karte, die ich aber schon geschickt hatte. Wenn Sie einen Blick auf die Karte werfen, sehen sie hier eine grüne Fläche, einen riesigen hässlichen Klumpen, dort stehen jetzt Avocadobäume. Ich habe seitdem nichts mehr von SPEA gehört. Auch die British Bird Association, RSPB, wurde von mir informiert. Obwohl es sich um eine britische Vereinigung handelt, interessiert man sich dort auch für internationale Themen. Ich wurde in dieser Angelegenheit an BirdLife International verwiesen. Bisher habe ich von diesen Vereinen keine wirkliche Antwort erhalten – nur Schweigen.
Was sollte Ihrer Meinung nach denn passieren?
Ich denke, wir stehen hier vor vollendeten Tatsachen. Was ich gerne erreichen würde, ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Lebensraums. Aber ich glaube nicht, dass es dazu kommt. Wenn es stimmt, daß hier ein EU-Zuschuss erfolgt ist, kann ich nicht sehen, wie das rückgängig gemacht werden könnte. Vielleicht können wir aber etwas anderes tun. Es gibt noch viele weitere Bereiche im Naturschutzgebiet und wir können dafür sorgen, dass dort nicht das gleiche geschieht. Wir müssen die Öffentlichkeit auf das aufmerksam machen, was hier gerade passiert und können so vielleicht verhindern, dass sich so etwas andernorts an der Algarve oder in Portugal wiederholt. Wir können die Vergabekriterien für Wasserlizenzen hinterfragen. Unter welchen Bedingungen werden solche Lizenzen vergeben? Werden mehr Brunnen gebohrt? Welche Chemikalien werden dabei verwendet und in den Boden eingebracht? Warum werden Vögel und andere wildlebende Tiere nicht geschützt?
Ist dies das erste Mal, dass Sie auf einen derartigen Verlust des natürlichen Lebensraums stoßen?
Nein, Ähnliches geschah in der Ria Formosa, wo große Plastikgewächshäuser für den Erdbeeranbau errichtet wurden. Wer um alles in der Welt hat dafür die Zustimmung gegeben? Ist das die gleiche Organisation (ICNF) wie in Castro Marim?
Ria Formosa ist das empfindlichste und anfälligste Gebiet des Vogellebensraums. Es gibt viele Salinas -Salzpfannen – die für Zugvögel sehr attraktiv sind. Die Erdbeerfarmen hätten stattdessen auch auf den zahlreich vorhandenen Brachflächen angelegt werden können, aber sie wurden hier angesiedelt. Das Gebiet war früher Brutstätte für den Triel. Aufgrund der Gewächshäuser brütet dieser Vogel nun nicht mehr dort.
Was ist dabei die vorrangige Frage,die sofort beantwortet werden muss?
Wie konnte das passieren? Wer hat das im Falle von Castro Marim genehmigt? Was machen die Leute in diesem ICNF-Gebäude in Castro Marim? Das Gebäude ist bereits sechs oder sieben Jahre alt, wird jedoch nicht instandgehalten. Dem ICNF wurden Mittel zur Verfügung gestellt, um Informationstafeln aufzustellen, Pfade anzulegen und einen Vogelbeobachtungsposten zu bauen. Die Pfade sind zugewuchert, die Schilder heruntergefallen und der Beobachtungsposten ist seit jeher verschlossen. Besucher, die nach dem Informationszentrum des Naturschutzgebietes suchen, finden ein nicht gerade einladendes Gebäude vor. Ich bin der festen Überzeugung, dass bei der Einrichtung eines Naturschutzgebietes der Öffentlichkeit Zugang ermöglicht werden soll, das gilt auch und gerade für Kinder. Das Naturschutzgebiet ist Teil des portugiesischen Naturerbes und sollte für zukünftige Generationen erhalten werden. Dafür werde ich mich weiter einsetzen. Ich habe bereits viele Menschen angeschrieben, denn es gilt sicherzustellen, dass sich auch die Öffentlichkeit einsetzt und zukünftige Verwüstungen verhindert.
Anmerkungen:
Netflix – Verdorben – Der Avocado-Krieg.
In den 1970er Jahren wurden Avocados als Luxuslebensmittel verkauft. Jetzt werden sie als Superfood vermarktet. Jedes Jahr werden weltweit 11 Milliarden Avocados konsumiert.Avocados bevorzugen eine feuchte Umgebung und eine gute Wasserversorgung.
Verdorben – Der Avocado-Krieg auf Netflix ist eine sehenswerte und erschreckende Darstellung der Auswirkungen des Avocadoanbaus. Zwei Hauptbedrohungen für die Landwirte sind Anstieg der Einflussnahme von Kartellen in Mexiko und der mangelnde Zugang zu Wasser aufgrund der Avocado-Produktion in Chile.Die Dürre in Kalifornien hat dazu geführt, dass Landwirte die Avocado-Produktion reduzieren müssen. Ähnlich sind Avocado-Farmen in Chile, die Wasser aus den beiden Hauptflüssen beziehen, dafür verantwortlich, dass kleine traditionelle Farmen nicht mehr ohne Bezahlung Zugang zu Wasser haben. Kleinbauern verkaufen ihr Land wegen mangelnder Wasserrechte aufgrund großer Avocado-Produktion.Es wird geschätzt, dass die mexikanischen Drogenkartelle mit dem Anbau und Verkauf von Avocados 152 Millionen US-Dollar verdienen.
https://firstwefeast.com/eat/2015/02/blood-guacamole-mexican-cartels-run-avocado-trade-and-extort-farmers
Um eine Avocado ernten zu können, sind bis zu 830 Liter Wasser nötig.
http://www.slate.com/articles/technology/future_tense/2014/05/_10_percent_of_california_s_water_goes_to_almond_farming.html?via=gdpr-consent