Ein Essay von Theobald Tiger
Kennen Sie das? Sie machen etwas um Ihrer Selbstwillen. Einfach, weil es Ihnen Spaß macht. Weil es eigene Interessen befriedigt. Oder auch, weil es eine Herausforderung darstellt. Bestes Beispiel: ein Autor schreibt eine Geschichte. Eine Modedesignerin kreiert einen Hut. Ein Maler malt ein Bild. Dann die andere Seite derselben Medaille: Sie erbringen eine bestimmte Leistung, weil Sie sich davon einen Vorteil, zum Beispiel eine Belohnung, ein Gehalt, einen Gewinn, eine Investition mit Rendite o.ä. versprechen. Oder weil Sie Nachteile, eine Bestrafung vermeiden möchten.
Gehen wir arbeiten, um Geld zu verdienen, oder verdienen wir Geld, um zu arbeiten? Während eine Krise die andere in den Tagesmedien jagt, setzt sich ECO123 ab und macht sich hier und heute Gedanken über Wirtschaftsutopien. Warum sollten wir uns nicht mit dem Traum einer besseren Welt, einer erfreulicheren Zukunft befassen? Wie sähe so ein Land mit seinen Menschen aus, in dem nicht nur die Gedanken, Meinungen und Handlungen frei wären, sondern in dem sich seine Bürger auch keine Sorgen mehr um ihre Existenz machen müssten? Im ersten Teil unserer zweiteiligen Wirtschaftserie befassen wir uns mit dem „Bedingungslosen Grundeinkommen“. Die Idee ist, dass jedem Bürger monatlich ein bestimmter Geldbetrag zur Verfügung gestellt würde, egal ob er/sie nun zur Arbeit ginge oder nicht. Philosophen und Ökonomen streiten sich seit mehr als 500 Jahren über dieses Thema und die damit verbundene Frage:
Macht Geld gierig?
… oder nicht? Kann es sich eine Gesellschaft, ein Land, ein Staat überhaupt leisten, jedem volljährigen Bürger, egal ob Frau oder Mann, arm oder reich, egal welcher Rasse, Religion und Nationalität zugehörig, ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) zu zahlen? Die Frage, die sich daraus ableitet lautet: würden Menschen auch weiterhin arbeiten gehen, wenn sie nicht mehr arbeiten müssten, weil sie sowieso vom Staat – beziffern wir einmal für diese Geschichte – monatlich € 500, erhalten würden? (Sagen Sie uns dazu Ihre Meinung in den Kommentaren am Ender dieser der Seite)
Skeptiker des Bedingungslosen Grundeinkommens sind der Überzeugung, dass eine solche monatliche Zahlung ungerecht sei, denn sie würde die Faulen unter uns belohnen und die Fleißigen benachteiligen. Im Übrigen sei ein solches Geschenk sowieso nicht zu finanzieren.
Stimmt das? Könnten sich Länder wie Portugal oder Griechenland, Irland oder Spanien oder selbst die hochverschuldeten USA, Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, wenn es die Mehrheit der Einwohner wollte, kein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) leisten? Was würde ein BGE von € 500 die Gesellschaft kosten und was beim Einzelnen bewirken? „Erst einmal ermöglicht es jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben ohne Existenzangst“, sagt der Philosoph und Befürworter Roberto Merrill. (Lesen Sie unser Interview mit ihm auf Seite Xy) Das BGE schaffe die Voraussetzung zur individuellen Freiheit und zur Selbstverwirklichung. Keiner müsse sich mehr an eine Arbeit verdingen, die er gar nicht machen wolle. Die Folge? Ein Leben mit weniger Stress und weniger Schulden.
Schauen wir einmal zurück auf die Geschichte der letzten beiden Generationen und drehen wir einmal die Zeiger unserer Uhren zurück. Reflektieren wir die derzeitigen Krisenszenarien. Heute berichten die täglichen Nachrichten in ihren Krisengeschichten von einer „verlorenen“ Generation in Spanien, die keine Arbeit findet, obwohl sie bestens ausgebildet ist und von Menschen in Griechenland, die sich erschießen, weil sie kein Geld mehr zum Leben haben und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Bankenkrise, Schuldenkrise, Eurokrise. Seit sieben Jahren geht das jetzt so. Es scheint nicht ganz klar zu sein, wer nun genau in der Krise steckt: Politiker, Ökonomen, Banken, Staatshaushalte, der Euro, wir alle? Oder hängt vielleicht alles miteinander zusammen?
Der Wirtschaftsjournalist Phillip Laage*¹, der ein Volontariat über viele Monate in Brüssel während der EU-Krise absolvierte und dabei genau beobachtete, schreibt nach seiner Sicht der Dinge, dass die Krise keine europäische sei. „Um zu verstehen, warum die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise nicht mehr aufhören wird, muss man das innerste Funktionsprinzip des weltweit dominierenden Wirtschaftssystems analysieren.“ Es gehe um die Regeln dieser Ordnung, aus der sich alle Folge-entwicklungen ableiten ließen. Aufstieg und anzunehmenden Niedergang dieses Systems seien abhängig von der Funktionalität des Grundprinzips.
Unser Wirtschaftssystem basiert auf dem Widerspruch des ökonomischen Prinzips der Gewinnmaximierung, den zur Neige gehenden Ressourcen bei stetem Wachstum der Bevölkerung und ihren Folgen. Es gilt die Maxime: Gewinn als Differenz aus Ertrag und Aufwand: ein Unternehmer investiere in etwas und bekäme am Ende mehr heraus, als er hineingesteckt habe. Es ginge darum, die eingesetzten Produktionsfaktoren – Kapital, Arbeitskraft, Maschinen, Fachwissen, Zeit, Energie – möglichst profitabel zu verwerten. Das war vor 100 Jahren so, das treffe heute auch noch zu. Der Verkäufer auf dem Fischmarkt arbeite nach diesem Prinzip, der mittelständische Winzer, die Hedgefonds in der Wall Street. Kein Händler, Unternehmer oder Investor sage: wenn ich alle Erträge und Aufwendungen gegeneinander aufrechne, dann stünde am Ende eine schwarze Null. Man würde diesen Menschen auslachen – und seine Firma würde bald von einem Konkurrenten übernommen.
Das sei die Logik des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Es ginge darum, in kürzerer Zeit bessere Waren und Dienstleistungen bei geringeren Kosten herzustellen. Jedes Unternehmen – ob in Portugal oder wo auch immer in der Welt – will Gewinne machen. Dadurch steige der Wert aller produzierten Waren und Dienstleistungen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Eine Zunahme des BIP bedeute Wirtschaftswachstum. Jedes Unternehmen strebe einen möglichst hohen Gewinn an. Die Volkswirtschaft als Ganzes strebe nach Wachstum.
Doch schauen wir einmal ganz genau hin. Wie sieht dieses Wirtschaftswachstum seit 50 Jahren aus? Es handelt sich um exponentielles Wachstum. Wachstum, das klingt immer noch vor allem nach Wohlstand. Es klingt nach der Entfaltung einer Gesellschaft, letztlich nach Leben selbst: denn Pflanzen wachsen, Bäume und Kinder wachsen auf. Warum sollen nicht auch Unternehmen und Volkswirtschaften wachsen?
Die Antwort habe mit der Frage zu tun, wie Gewinn auf der Mikroebene des Wachstums entsteht. Angenommen Tesla stellt im Monat mit 1.000 Mitarbeitern 1.000 Elektroautos her. Dieses Unternehmen kauft irgendwann Roboter, die seine Autos automatisch zusammensetzen können, die selbst elektronische Feinarbeit präzise und fehlerfrei ausführen. (https://youtu.be/8_lfxPI5ObM,) Das Unternehmen wird wohl 80% seiner Mitarbeiter, die es für die Produktion seiner Autos nicht mehr braucht, entlassen. Es zahlt die Löhne nicht aus Menschenfreundlichkeit. Es steht im Wettbewerb mit japanischen und deutschen Anbietern (Lesen Sie unsere Titelgeschichte über das portugiesische Elektroauto VEECO auf Seite xy). Tesla muss Kosten sparen. Es handelt strikt nach dem ökonomischen Prinzip. Was aber passiert, wenn sich die entlassenen Mitarbeiter keine Autos mehr leisten können, weil sie nur noch Arbeitslosengeld beziehen? Sie fallen als Nachfrager und Konsumenten aus. Ein Unternehmen muss sich fragen: Wer kauft unsere Elektroautos, wenn wir am Ende nur noch 15 Entwickler, fünf Designer und 180 Arbeiter brauchen, um 1.000 Autos am Tag herzustellen?
Was geschieht bei fehlender Kaufkraft, oder bei Sättigung eines Marktes, wenn weniger Steuern in die Staatskasse fließt, sich aber die Sozialausgaben des Staates erhöhen. Wenn menschliche Arbeit durch Maschinen und Computer ersetzbar ist, werden die überflüssigen Mitarbeiter entlassen – jedes Unternehmen handelt nach diesem Prinzip. Oder sie lassen in Ländern produzieren, in denen der Lohn niedrig ist. Das ist der industriellen Landwirtschaft so ergangen, der Textilindustrie Portugals, Großbritanniens und Deutschlands. Gerade eben passiert das ebenso in der Industrieproduktion mit der neuen Batteriefabrik von Tesla in Mexiko. Auch der Dienstleistungssektor steuert auf die gleiche Entwicklung zu: indische Callcenter arbeiten für MEO, Vodafone und einen großen Teil des europäischen Bankensektors.
Die industrielle Revolution bei den Webern im 19. – oder in der Landwirtschaft des 20.- und der Computer und Roboter im 21. Jahrhundert vernichtet mehr Arbeit, als sie neue schafft. Darauf findet unser jetziges Wirtschaftssystem keine Antwort. Hier beginnt der Widerspruch. Dem Menschen wird immer mehr Arbeit abgenommen: von Maschinen, Computern, Robotern. Arbeitsplätze fallen in allen Berufen dem sogenannten technischen Fortschritt zum Opfer. Gleichzeitig vermehrt sich die Menschheit rasant: immer mehr Menschen haben immer weniger Arbeit. Die Verteilungsfrage wird so zwingend wie noch nie. Klimawandel und Überbevölkerung tun ihr übriges. Wir stehen am Beginn eines Wandels, der unser Leben komplett verändern wird. Deshalb hört die Krise auch nicht auf.
Wie soll es im 21. Jahrhundert noch möglich sein, den Sozialstaat des 20. Jahrhunderts mit Leistungen wie Arbeitslosen- und Krankengeld, Kindergeld, Wohngeld, Bafög, Rente u.a. weiterhin aufrecht zu erhalten? Wie soll es in zehn oder 20 Jahren noch möglich sein, dass der Staat Krankenhäuser finanziert und bürokratische Monster wie Arbeitsamt und staatliche portugiesische Sozialversicherung; in denen sich staatliche Beamte von Montag bis Freitag eher „ausruhen“ im Vergleich mit Arbeitern in Berufen aus der freien Wirtschaft, in denen um jeden einzuholenden Auftrag sieben Tage lang gekämpft werden muss? Ist nicht jetzt – wann sonst – die Zeit gekommen uns einmal über das Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Gedanken zu machen?
Mit immer weniger menschlicher Arbeit gibt es immer weniger Lohn, weniger Kaufkraft, weniger Konsum, weniger Steuereinnahmen und immer mehr Arbeitslose. Je mehr Branchen auf menschliche Arbeit verzichten können, umso mehr nimmt die Wirtschaft, nimmt die Gesellschaft Schaden. Es ist der große kapitalistische Widerspruch zwischen der betriebswirtschaftlichen und der volkswirtschaftlichen Logik: Je näher jede Einheit des Systems seinem inhärenten Ziel kommt, umso mehr zerstört sich das System als Ganzes selbst.
Dieser Widerspruch ist wie ein Samenkorn, in dem alle fehlerhaften Auswüchse des heutigen Wirtschaftssystems angelegt sind. Dieser Widerspruch erklärt die Teilung der Welt in so viele Arme und so wenige Reiche, den Überfluss im Mangel. Die Geschichte dieses Widerspruchs ist spannender als jeder Kriminalroman, es ist die Geschichte von Frieden und Wohlstand, von Ausbeutung und Elend. Es ist letztlich die Geschichte des Menschen als Sklave der Moderne bis zur Überdehnung, an der Grenze der Gegenwart, an der wir heute stehen.
Denn unser System funktioniert nur, solange genug neue Arbeit entsteht und genug Ressourcen vorhanden sind. Die meisten Menschen glaubten bis vor kurzem, dass es nun immer so weitergehen müsse mit dem Wohlstand und dem Wachstum auf Kosten der Natur. Der italienische Wissenschaftler Ugo Bardi*² aus Florenz schreibt sehr anschaulich, wie das Zeitalter schwindender Ressourcen (Rohöl, Kohle, Gas, Eisenerz, Holz usw.) die Menschheit in einen permanent ansteigenden Stresszustand versetzt, von immer mehr Menschen, die nach dem gleichen Prinzip wirtschaften und immer hemmungsloser unseren Planeten ausbeuten. Endzeitstimmung. Wie soll sich da eine Finanzierung des Bedingungslosen Grundeinkommens für alle ökonomisch noch umsetzen lassen?
(Ende erster Teil) Lesen Sie mehr über die Finanzierung des BGE in der nächsten Ausgabe
*² Prof. Ugo Bardi, Der geplünderte Planet
Oekom Verlag München, http://www.bpb.de • www.rendimentobasico.pt • http://www.bcg.com •