Die Art und Weise, wie wir uns zu Fuß auf der Erde fortbewegen, ist von größter Bedeutung. Sie wirkt sich direkt auf unseren Körper und auf unsere Psyche aus. Im Hinblick auf jegliches Schuhwerk muss bedacht werden, dass es unsere Füße sind, die eine direkte Verbindung mit dem Boden herstellen, die Erde betreten und sich auf ihr fortbewegen. Genau hier kommt GEA-Waldviertler ins Spiel, als Vorbild für ein nachhaltig ökonomisches Finanzierungsmodell mit ökologischer Perspektive und voll Achtung für unseren Planeten. Das Unternehmen setzt auf eine der Konsumgesellschaft entgegengesetzten Haltung und hat damit Erfolg. Es braucht Zeit, um ein Paar Schuhe herzustellen. Es kann 20 Minuten dauern, aber auch dreieinhalb Stunden in Anspruch nehmen, je nach Komplexität. Das aber sorgt auch für eine Langlebigkeit von fünf, zehn oder sogar noch mehr Jahren, selbst bei täglichem Gebrauch. Und um die Langlebigkeit der verschiedenen Schuhmodelle zu gewährleisten, haben einige der 49 bestehenden GEA-Geschäfte, verteilt auf Österreich, Deutschland und die Schweiz, eine eigene Abteilung, in der die Kunden ihre Schuhe reparieren oder neu besohlen lassen können. Aber beginnen wir am Anfang.
Wir befinden uns in der Gemeinde Schrems in der Provinz Niederösterreich, nahe der Grenze zur Tschechischen Republik. Die Geschichte der Waldviertler Schuhfabrik könnte anderen Produktionsstätten in der Region mit reicher industrieller Vergangenheit gleichen: textilverarbeitende Betriebe, die in den 80er und 90er Jahre ihre Tore schlossen. Aber in einem Fall nahm die Geschichte einen anderen Verlauf. Im Jahr 1984 erwarb Heini Staudinger, zu jenem Zeitpunkt Eigentümer von zwei GEA-Läden in Wien, die vor dem Ruin stehende Waldviertler Fabrik. Damals waren dort 12 Mitarbeiter beschäftigt. Heute arbeiten hier etwa 170 Mitarbeiter. Schrems bleibt ein verschlafenes Nest, das zwar im Herzen Europas liegt, aber das wie eine vergessene Region erscheint, da hier im Inland in den vergangenen Jahrzehnten die Bevölkerungszahl stark gesunken ist. Im Jahr 1971 hatte Schrems noch mehr als 6.000 Einwohner. Heute sind es nur noch etwas mehr als 3.000, vergleichbar mit dem, was auch im Süden Portugals, in Monchique oder Alcoutim, zu beobachten ist.
Das Konzept? Gehen, Sitzen, Liegen.
Heutzutage ist das Ansehen von GEA-Waldviertler so groß, dass Tagesausflüge zu der Manufaktur angeboten werden, wo heuer pro Tag etwa 400 Paar Schuhe produziert werden. Neben den Schuhen werden auch verschiedene Lederwaren, wie etwa Taschen, Gürtel und andere Accessoires hergestellt. Darüber hinaus werden Matratzen (mit Pflanzenkautschuk oder Kokosfasern), Betten und andere Möbelteile gefertigt, alles ohne Kunststoffe, ausschließlich aus organischem Material und von Hand mit Hilfe von Maschinen hergestellt. “Ich glaube an das Produkt, es ist ehrlich. Es ist nicht wie bei Nike und anderen Massenanfertigung. Wir machen hier die Dinge mit Leidenschaft. Wir glauben an das, was wir tun, und identifizieren uns mit dem Unternehmen”, sagt Christophe Bodnir (26), der in der GEA seit sechs Jahren beschäftigt ist. Derzeit arbeitet er in der Schuhreparaturabteilung. Zur gleichen Zeit ist er für Führungen von Besuchern durch das Unternehmen verantwortlich. “Wir werden von Gruppen von vier Personen aufwärts bis zu ein oder zwei Busladungen täglich besucht, die von Österreich oder Deutschland zu uns kommen, um unsere Einrichtungen und Philosophie kennenzulernen”, erklärt er. Der Direktverkauf an den Verbraucher ist eines der Standbeine des Unternehmens. Die vielen Besucher der Manufaktur von fern her gewährleisten dies. Neben dem Laden und der Produktionslinie, in direktem Kontakt mit den Arbeitern, werden alle übrigen Einrichtungen besucht. Am Ende wird noch ein kurzer Film über die Firmengeschichte, das Konzept, die Technik und die vom Unternehmen eingesetzten erneuerbaren Energien gezeigt.
Die Präsentation der Schuhproduktionstechniken und des verwendeten Materials, gehören zu den wichtigsten Momenten der Führungen. “Das Material ist aus Tierhaut, ein Naturprodukt, komfortabel, anpassungsfähig und robust”, sagt Christophe und hebt zugleich die Haltbarkeit der Schuhe hervor, die zwischen 100 und 180 Euro kosten. “Sie sind zwar nicht billig. Wenn aber die Leute Schuhe aus China für 30 Euro kaufen, kaufen sie ohne nachzudenken. Dann werfen sie diese auch ohne einen Gedanken zu verschwenden wieder weg. Es ist kein Witz, aber wir haben Schuhe, die, selbst wenn sie jeden Tag getragen werden, durchaus zehn Jahre lang halten. Wir können sie zwei-drei Mal neu besohlen, aber der Rest bleibt stets in gutem Zustand,” sagte er und gibt ein Beispiel: “Wir haben eine 80-jährige Kundin, die ihre Schuhe schon seit 24 Jahren trägt und vor kurzem zum vierten Mal die Sohlen erneuern ließ. Aber das ist ein besonderer Fall. Im Durchschnitt rechnen wir mit einer Lebensdauer von etwa zehn Jahren. Die Schuhe mögen im ersten Moment teuer erscheinen, aber im Vergleich zur “Laufzeit” sind sie billig”, betont er.
Gesellschaftliche Nachhaltigkeit
Die GEA-Waldviertler sind keine Gemeinschaft im herkömmlichen Sinne, aber sie funktionieren durch starke, verbindende Elemente: Nachhaltigkeit und Achtsamkeit. Jeden Freitag bekommt jede Abteilung eine Kiste mit Obst und Gemüse, Eiern und Käse vom Unternehmen geschenkt, alles von lokalen Produzenten bezogen, zur freien Verteilung unter den Mitarbeitern. Es handelt sich um eine Initiative, die das Ãœberleben einiger landwirtschaftlicher Hersteller in der Region sichert, die sonst nicht mehr produzieren würden. Gleichzeitig weckt sie in den Mitarbeitern das Bewusstsein um die Bedeutung von lokal angebauten Bio-Lebensmitteln für die Ernährung. Parallel dazu fördert sie gute Ernährungs- und Einkaufsgewohnheiten. Somit wird direkt und indirekt der Kauf dieser Produkte lokaler Produzenten von den Arbeitnehmern des Unternehmens stimuliert, die somit weniger in Supermärkten einkaufen, wo es um die Qualität des Essens nicht immer gut bestellt ist. In Bezug auf Nachhaltigkeit beim Energieverbrauch sind fast alle Gebäudekomplexe in Schrems mit einer spezifischen Wärmeisolierung versehen worden, was Energie spart und gleichzeitig für eine ausgewogene Innentemperatur in Relation zur Umgebung sorgt. Laut Heini Staudinger “besitzt das Unternehmen das größte Gebäude in ganz Europa, das mit einer Isolierung aus Schafwolle gedämmt wurde.” Photovoltaische Energieproduktion ist eine weitere Sparte von GEA-Waldviertler, da sie doppelt so viel Energie produzieren wie sie selbst benötigen. Der Rest wird an das heimische Stromnetz verkauft. Die Investitionen in die Solarzellen, die auch auf anderen, verteilt in der Stadt liegenden Gebäuden installiert wurden, brachten zum Teil Privatpersonen auf. “Die Leute können durch den Kauf von Gutscheinen im Wert von 200€, die wir dann in die Solarenergie investieren, ein gutes Werk für die Umwelt tun. Im Gegenzug erhalten sie zehn Gutscheine á 30€, also insgesamt 300€, die sie in unserem Laden ausgeben können”, erklärt Renate Gönner, Direktorin der integrierten Akademie, das vom Unternehmen entworfene Modell, und sie fügt hinzu: “Mehr als zehntausend Gutscheine sind bereits verkauft und in die Solarinstallation und -produktion investiert worden.”
Wertschätzung der Mitarbeiter
Die von der Firma entwickelten Maßnahmen und die internen sozialen Beziehungen unter der Belegschaft, in der viele der 170 Arbeiter einander kennen, machen einen bedeutenden Unterschied aus. In sozialer Hinsicht werden die Kontakte untereinander hochgeschätzt und sogar der Verantwortliche des Unternehmens, Heini Staudinger, spricht fast alle seine MitarbeiterInnen mit Vornamen an. In der Kantine hängen zur Kenntnisnahme aller die Fotografien der MitarbeiterInnen, die in diesem Monat Geburtstag feiern. Es gibt für viele Menschen gute Gründe, sich aus Eigeninitiative bei GEA-Waldviertler um eine Arbeitsstelle zu bemühen. Unter ihnen ist auch Alpha Barry (33), geboren in Guinea und seit zehn Jahre in Österreich, wo er als Schlosser, Schuster, Tischler und Mechaniker arbeitete. “Ich bin gekommen, weil ich mich mit der Philosophie identifiziert habe. Hier verdiene ich das gleiche wie vorher, aber ich fühle mich wie eine Person und nicht nur wie eine Nummer. Wenn du krank wirst, lassen sie dich nicht links liegen, sondern kümmern sich um dich. Es bin jetzt seit drei Jahren hier, und ich gehe hier auch nicht mehr weg”, betont Alpha mit strahlenden Augen. Die junge Österreicherin Lisi, Tochter von Eigentümern eines GEA-Ladens seit 20 Jahren, verbrachte mit ihren Eltern die Ferien auf dem Firmengelände in Schrems und blieb letztendlich dort. “Heini fragte mich eines Tages, ob ich nicht hier bleiben wolle, um zu arbeiten, da ich das Konzept ja schon von meinen Eltern kennen würde. Und jetzt bin ich schon gut drei Jahre da. Meine Freunde fühlen sich betrogen, weil sie trotz ihres Studiums nicht das verdienen, was sie für angemessen halten und sich kein größeres Haus oder Auto kaufen können. Aber für die Menschen, die hier beschäftigt sind, liegt der wahre Reichtum in uns selbst und nicht im Besitz. Er liegt in dem Glück, das wir jeden Tag empfinden, weil wir zu einer besseren Welt beitragen.”
Die Bewusstseins-Akademie
Neben dem Geschäft und den verschiedenen Produktionslinien, gehört zu den Bereichen der GEA-Waldviertler auch das Gebäude der Akademie, eine der wichtigsten Einrichtungen in Bezug auf das im Unternehmen praktizierte Bewusstsein und seine Philosophie. Hier treffen sich jedes Wochenende mehrere Dutzend Menschen aus Österreich und Deutschland, um an Workshops zu Themen wie Musik, Fotografie, Handwerk, Kunsthandwerk, Homöopathie, Yoga, Meditation bis hin zu Schulungen in Chi-Gong teilzunehmen. Die Angestellten müssen dafür nicht bezahlen. Es wird sogar angeboten, sich während des Wochenendes auf der Produktionsstraße von eigener Hand ein Paar Schuhe anzufertigen. Die Akademie funktioniert als eine Art Denkschmiede zur Einrichtung verschiedenster Kurse. Zweimal in der Woche kommen Therapeuten der Traditionellen chinesischen Medizin, Akupunktur und Massage in die Firma. “Wir setzen auf die Homöopathie, und es hat sich als eine gute Form der Prävention herausgestellt, mit der die Menschen seltener krank werden”, bekräftigt Renate Gönner, Leiterin der Akademie und auch eine der Verantwortlichen für die Afrika-Stiftung. “Wir haben ein Afrika-Konto, auf das die Spenden an die Stiftung eingehen. Der größte Teil wird im Gesundheitsbereich ausgegeben”, erklärt sie. Zu einem wichtigen Teil der Kommunikation des Unternehmens gehören die beiden Quartalspublikationen: das GEA-Magazin mit dem Produktsortiment und Berichten über GEA und dann die Zeitschrift „Brennstoff“ mit Beiträgen verschiedener Autoren, Journalisten und Schriftsteller, die als reine Nahrung für Gehirn und Seele der LeserInnen gedacht ist. “Gast auf Erden” ist eine der Grundideen der Unternehmenspublikationen. Und zu Gast werden auch die beiden Jugendlichen aus Monchique sein, die hier die Möglichkeit bekommen werden, in die Schuhmacherkunst und das Handwerk eines unverwechselbaren Unternehmens einzutauchen und zu lernen. Ein Unternehmen, das daran interessiert ist, die Erde auf eine andere Art und Weise zu begehen.