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Das Ende der Ozeane?

Interview mit Prof. Dr. Mojib Latif (61) GEOMAR, Kiel in Deutschland

Prof. Dr. Mojib Latif
Prof. Dr. Mojib Latif

ECO123: Wir machen ja nun eine Zeitschrift, in der wir immer wieder versuchen, Wirtschaft und Ökologie miteinander in Einklang zu bringen. Meinen Sie denn das geht?
Mojib Latif: Ja, ich bin mir sicher, dass das geht. Man redet heute ja immer sehr viel über Nachhaltigkeit, ein Begriff, der allerdings schon sehr abgenutzt ist. Ich glaube, der Begriff müsste eher von den Medien als Zukunftsfähigkeit interpretiert werden. Wenn man ihn so versteht, dann sieht man sofort, dass Ökonomie und Ökologie keine Gegensätze sind, sondern nur gemeinsam funktionieren können. Leider sind wir im Moment dabei, unsere Zukunft zu verspielen, weil wir die Ökosysteme derart belasten, dass auf lange Sicht gesehen sich die Lebensbedingungen auf unserem Planeten verschlechtern. Deswegen gehören Ökologie und Ökonomie einfach zusammen.

Möchten Sie das einmal etwas näher ausführen?
Also nehmen wir zwei Beispiele. Das eine ist die Artenvielfalt. Die Biologen sagen, dass wir Menschen von einem bestimmten Grad an von der Artenvielfalt abhängen. Das Paradebeispiel sind die tropischen Regenwälder und der Verlust an Artenvielfalt, weil man die Region in ihrer Ursprünglichkeit komplett zerstört. Das zweite Beispiel ist die Art und Weise wie wir Energie erzeugen. Auch hier belasten wir die Ökosysteme extrem. In meinem Buch habe ich beschrieben, dass wir jede Menge Öl ins Meer einleiten, was dann auch das Leben gefährdet. Es passiert tagtäglich. Das ist schon ein ganz normaler Vorgang, dass pausenlos Öl ins Meer fließt. Es wird uns aber immer nur bewusst, wenn es große Unfälle gibt. Das Gleiche gilt für Radioaktivität und andere Giftstoffe.

Irgendwann kippen die Ökosysteme, wenn wir sie nicht gleich von vornherein wie bei den Regenwäldern komplett vernichten. Die Ökosysteme können sich zwar zu einem gewissen Grad anpassen, aber irgendwann kippen sie und meistens ohne Vorwarnung. Das ist ja das Verhängnisvolle. Denn wenn man das Gefühl hat, alles ist gut, die Natur kann sich anpassen, aber irgendwann kommt einfach „The Point Of No Return“. Den verschlafen wir, weil wir es gar nicht merken.

Wie bringen wir Ökonomie und Ökologie so zusammen, so dass sie im Einklang miteinander stehen? Haben Sie einen Masterplan?
Das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie man Wirtschaft betreibt. Das kurzfristige Denken und Handeln durchdringt die gesamte Weltwirtschaft. Das ist verhängnisvoll für die Umwelt. Da geht es nur um Gewinnmaximierung so schnell wie möglich und alles was langfristig passiert, wird ausgeblendet. Wir müssen bei den Studenten ansetzen, dass wir das traditionelle Wachstumsbild, das ja fast allen Wirtschaftswissenschaftlern gemein ist, reformieren.

Da müssten Sie eigentlich Wirtschaft unterrichten statt Ozeanographie.
Im Prinzip ja. Sie glauben gar nicht, was für Konflikte ich da mit den Kollegen aus den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten habe. Aber anders geht es nicht. Nehmen wir die Überfischung. Wenn man kurzfristig zu viel Fische aus dem Meer holt, sehen wir das Resultat. Wir haben Studien veröffentlicht, die zeigen, dass wenn man die Fischbestände ein paar Jahre in Ruhe lässt, also nicht mehr so stark fischt, dann können sie sich wieder erholen. Dann holt man hinterher umso mehr Fische raus. Aber dieses „sich Zeit“ nehmen, einige Jahre mal etwas kürzer zu treten, um dann auch mehr Gewinn zu haben, das passiert eben nicht.

Also „Weniger ist Mehr“ wäre der Leitspruch, den wir auch für die Sardinenfischerei anwenden könnten?
Genau.

Wie lösen wir denn das Problem einer Weltwirtschaft, die sich eine Flotte von 53.000 Handelsschiffe leistet, Tendenz steigend, und die jährlich neun Mrd. Tonnen Güter über die Seewasserwege transportiert? Die kann man ja nicht von einem Tag auf den anderen abschaffen?
Wir müssen es ja nicht immer global betrachten, wir können ja bei uns in Europa, in Deutschland, in Portugal anfangen…

Prof. Dr. Mojib Latif…einer muss immer anfangen…
Ja. Ich frage mich, ob es nötig ist, ein Produkt wie Joghurt oder Eier von Norden nach Süden transportieren zu lassen und umgekehrt. Wir produzieren ein Wachstum, dass nur ein Scheinwachstum ist, das eigentlich niemandem dient, außer das man Profit macht. Der Grund warum das alles funktioniert ist, weil Transport fast gar nichts kostet. Transport zahlen wir aus der Portokasse. Wenn man sich irgendetwas von Australien oder China mit dem Containerschiff kommen lässt, kostet das fast nichts. Das geht in die Kalkulation fast gar nicht ein. Transport ist sehr billig. Da muss man ansetzen.

Ich sehe schon, Sie sind ein Freund des neuen transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP.
Wenn man es ironisch meint, ja. Das ist eben genau die falsche Richtung, in die wir uns bewegen.

Die richtige Richtung hieße dann Transition und Genügsamkeit?
Ja. Transformation. Natürlich. Das ist die Lösung in vielerlei Hinsicht. Das hat natürlich auch mit einer Wertedebatte zu tun. Wir geben uns ja Scheinwirklichkeiten hin. Wenn wir auf die Straßen gucken, egal ob in Europa oder den USA, sehen wir Geländewagen. Wer braucht in unseren Städten, und es werden immer mehr davon, einen Geländewagen? Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man das tut. Da sind wir wieder bei „weniger ist mehr“. Ein Geländewagen ist kein Wert. Familie und Kinder, Freundschaften, auch gutes Essen, langes miteinander gut essen und reden, das sind Werte.

Sind Sie noch Optimist oder eher schon Pessimist?
Ich bin ein hoffnungsloser Optimist. Das hat verschiedene Gründe. Ich glaube, am Ende des Tages haben wir gar keine andere Wahl, diesen neuen Weg, der eigentlich ein alter ist, den wir nur vergessen haben, zu gehen. Denn im Prinzip ist ja niemand dagegen, diesen Weg der Harmonie zu gehen. Wir werden lernen, anders zu denken. Denn wenn wir mit dem fortfahren, was wir jetzt machen, werden unsere Probleme immer größer. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Einsicht wachsen wird. Ein Indiz dafür ist, dass Barack Obama jetzt sein Klimapaket vorgestellt hat, noch rechtzeitig vor Paris.

Wenn wir jetzt die Flüchtlingsströme sehen, wäre es fantastisch zu glauben, dass sich das Problem von selbst löst. Das werden immer mehr werden. Da muss man sich irgendwann doch mal fragen, und die ersten Leute fangen jetzt an, sich das zu fragen, warum ist das denn so? Wo kommen die denn her? Weil es eben diese Ausbeutung zwischen Nord und Süd gibt und weil wir auf Kosten der anderen hier leben. Deswegen bin ich mir sicher, dass diese Einsicht wachsen wird. Das tut natürlich im ersten Moment weh. Wir müssen die Probleme an der Wurzel anpacken und dort lösen.

Wie lösen wir das Problem CO2?
Ganz einfach. Mit erneuerbaren Energien. In Portugal ist das doch überhaupt kein Problem. Nicht mal in Nordeuropa. Wir sind auf unserer Erde umgeben von Sonne, Wind und Wasser. Warum nutzen wir sie nicht? Weil es offensichtlich ein paar Leute in ein paar Ländern gibt, die uns von fossilen Brennstoffen abhängig machen. Nüchtern betrachtet, ist diese Art des Wirtschaftens undemokratisch. Wirtschaft muss sich doch orientieren an den Bedürfnissen der Menschen. Ich meine, es ist doch nicht das Bedürfnis der Menschheit, von Öl, Gas und Kohle abhängig zu sein. Wir müssen dahin, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht die Menschen für die Wirtschaft.

Wie machen Sie das für sich selbst?
Ich habe ein kleines Auto und fahre mit einer Geschwindigkeit von nur 100 auf der Autobahn und ich fahre viel mit dem Fahrrad. Leider fliege ich zu viel.

Können Sie sich persönlich vorstellen, im Jahr mit 3.000 kg CO² Emissionen auszukommen? Stichwort Kyoto.
Im Prinzip geht das natürlich. Dann müsste ich meine Flugtätigkeit einstellen und könnte nicht mehr auf Konferenzen sprechen. Aber man muss die Welt um sich herum auch ein bisschen konditionieren, sonst geht das nicht. Videokonferenzen, wenn man sich unterhalten will, ja. Natürlich kaufe ich in Deutschland keine Äpfel aus Spanien und auch keine Erdbeeren zu Weihnachten. Brauchen wir Salzstreuer mit Licht aus China? Wie viel Blödsinn braucht unsere Konsumgesellschaft noch? Wir leben verschwenderisch und werfen die Hälfte unserer Lebensmittel weg.

Warum heißt Ihr Buch „Das Ende der Ozeane?“
Ich habe versucht, ein Buch über die Faszination der Meere zu schreiben. Gerade in der Tiefsee gibt es noch viele unentdeckte Tiere, auch Fische, die aussehen wie Monster. Dort gibt es noch viel zu entdecken und zu verstehen.

Andererseits wollte ich deutlich machen, dass wir die Meere immer mehr belasten, die Einleitung von Giften wie Öl und Radioaktivität, aber auch wie wir das Meer nutzen, die Überfischung, auch die Sünden, die wir an Land und in den Flussmündungen begehen, Stichwort Aquakultur mit Antibiotika.

Es gab zwei Ereignisse, die mich bewogen haben, dieses Buch zu schreiben: das eine war der größte Ölunfall aller Zeiten im Golf von Mexiko in 2010. Die Menschen und das Meer leiden noch heute darunter, besonders unter dem Lösungsmittel Corexid, dem Gift, das man auf den Ölteppich gespritzt hat, um Öl in Wasser aufzulösen. Das wiederum führte dazu, dass die ölabbauenden Bakterienarten, aber auch Fischlarven und Kleinstlebewesen vergiftet wurden. Man erhöht die Giftigkeit von Rohöl um etwa das Fünfzigfache. Eine Methode, Presse und Politik zu manipulieren. Das Öl sollte aus den Augen der Öffentlichkeit verschwinden. Greenwashing.

Das andere war der Atomunfall von Fukushima und das gigantische Ausmaß an radioaktivem Meerwasser, das die Kernschmelze der havarierten Atomkraftwerke kühlen sollte und hinterher wieder in den Pazifik eingeleitet wurde.

Ich habe dieses Buch auch geschrieben um zu dokumentieren, wie die Partikularinteressen von Konzernen wie BP und TEPCO die Politik dominieren gegen die elementaren Interessen des Gemeinwohls.

Wie sehen Sie die Beziehung der Wissenschaft zur Wirtschaft? Sie forschen und veröffentlichen ja. Kommt es nicht vor, dass die Wissenschaft mit ihren Forschungsergebnissen die Wirtschaft erst dazu anregt, das Meer und seine Rohstoffe auszubeuten?
Ja, die Gefahr besteht immer, dass wir ausgenutzt werden. Sicherlich aber ist es keine Lösung auf Wissenschaft zu verzichten oder nicht mehr zu publizieren. Wir versuchen ja, die Welt um uns herum zu verstehen und das ist auch eine große Errungenschaft der Menschheit. Aber dieses Ausnutzen gibt es, das ist wahr. Ich habe als Meteorologe und Meeresforscher angefangen, das El Niño Phänomen zu erforschen und damit die Erwärmung des pazifischen Ozeans und die weltweiten klimatischen Auswirkungen dieser Erwärmung, z.B. Dürre in Asien, Namibia und Kalifornien. Einige haben das zum Anlass genommen, Wälder abzufackeln.

Es muss Regeln geben, wie wir uns zu benehmen haben. Ich habe einmal die Frage gestellt, warum müssen wir, der Staat oder wer auch immer nachweisen, dass das, was ein Unternehmen macht, schädlich für die Umwelt ist? Warum muss ein Unternehmen nicht nachweisen, dass es unschädlich arbeitet? Man muss die Beweislast umkehren und das Verursacherprinzip anwenden. Das Regelwerk ist von gestern und stimmt nicht mehr. Wir sehen das auch bei der Finanzwirtschaft. Es braucht sehr wohl eine neue Ethik, die unsere Ökonomie in der Ökologie verankert.

1. Die Helmholtz Gemeinschaft gibt es seit 1995 als eingetragenen gemeinnützigen Verein. Ihr Sitz ist Bonn. Sie betreibt Geschäftsstellen in Bonn und Berlin. Der Verein unterhält 15 Zentren in Deutschland, u.a. das Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und drei Auslandsgeschäftsstellen in Brüssel, Moskau und Peking. Das Gesamtbudget des Vereins umfasst 2015 knapp vier Milliarden Euro. In der Helmholtz Gemeinschaft arbeiten 37.939 Menschen, davon 14.734 WissenschaftlerInnen, 6.171 Doktoranden und 1.657 Auszubildende. Laut Satzung betreibt sie Spitzenforschung in sechs Bereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr sowie Schlüsseltechnologien und Materie.
2. Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ist eine der führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Meeresforschung in Europa. Aufgabe des Instituts ist die Untersuchung der chemischen, physikalischen, biologischen und geologischen Prozesse im Ozean und ihre Wechselwirkung mit dem Meeresboden und der Atmosphäre. Die Forschungsschwerpunkte sind in vier zentralen Bereichen zusammengefasst: Ozeanzirkulation und Klimadynamik, marine Biogeochemie, marine Ökologie, Dynamik des Ozeanbodens. GEOMAR betreibt Meeresforschung. Das Institut trägt mit mehreren international ausgerichteten Studiengängen aktiv zur Ausbildung des Nachwuchses im Bereich der Meereswissenschaften bei. Es unterhält vier Forschungsschiffe, Langzeitobservatorien, ein kleines U-Boot und einen Unterwasserroboter, der bis zu 6.000 Meter tief tauchen kann. GEOMAR ist Mitglied des Marine Boards der European Science Foundation. Es beschäftigt 850 Mitarbeiter.
Mojib Latif3. Prof. Dr. Mojib Latif (61) studierte vier Semester BWL bevor es ihn zur Meteorologie an die Uni Hamburg zog. Er promovierte und habilitierte in Meereskunde (Ozeanographie) zu dem Thema „El Niño“. Viele Jahre arbeitete er am Max Planck Institut für Meteorologie. Seit 2003 ist der Wissenschaftler Latif in Kiel am GEOMAR tätig. Dort leitet er den Forschungsbereich „Ozeanzirkulation und Klimadynamik“. ECO123 besuchte ihn dort und sprach mit ihm über ökologische und ökonomische Lösungsansätze für die Ozeane. Sein aktuelles Buch „Das Ende der Ozeane“ (erschienen im Herder Verlag) beschäftigt sich mit den Weltmeeren als Grundlage unserer Existenz, dem Ursprung allen Lebens auf der Erde.

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