Die 39-jährige Evgenia Emets wuchs in Moskau und Kiew auf und kam später über London nach Portugal, wo sie zehn Jahre lang lebte und ihr Kunststudium abschloss. In London lernte sie – durch Zufall oder nicht – ihren zukünftigen Ehemann Victor aus Polen kennen, mit dem sie gemeinsam durch Portugal reiste und das Solardorf Tamera im südlichen Alentejo besuchte. Kurz danach begannen sie Pläne für einen Umzug zu machen. Ihr ursprünglicher Traum war die Gründung einer Gemeinschaft in einem der verlassenen Dörfer irgendwo in Portugal. So sind sie im Oktober 2017 in Ericeira gelandet. Evgenia hatte gerade ihren ersten 40-minütigen Dokumentarfilm mit dem Titel Eternal Forest fertiggestellt. ECO123 präsentierte den Film auf dem letzten Leserseminar. Uwe Heitkamp traf sie im Botanischen Garten in Lissabon zu einem längeren Gespräch über ihre ökologischen Ansichten und zukünftigen Kunstprojekte.
Wie kam es zu ihrem Interesse an Wald, Bäumen und der Natur? Was hat Ihnen den nötigen Anstoß gegeben?
Ich glaube, dieses Interesse war schon immer da. Aber nun, nach einem Jahr Arbeit an Eternal Forest ergeben sich neue Perspektiven. Ich fange an zu verstehen, dass dieses Interesse eigentlich in jedem von uns steckt und es nur eines kleinen Impulses bedarf, um es wieder zu erwecken. Ich bin ein Stadtmensch, obwohl ich umgeben von Bäumen aufgewachsen bin. Ich habe in Städten gelebt, sogar in Großstädten. Natürlich hatte ich immer Kontakt mit der Natur, aber das ist nicht das Gleiche, wie in der Natur zu leben. Was mir wirklich den Anstoß gab, den ich brauchte, war die Einladung eines unserer Freunde, das erste Treffen zur Wiederaufforstung zu besuchen, das nach den Bränden von Pedrogão in Elvas stattfand. An diesem dreitätigen Treffen nahmen etwa 80 bis 90 Personen teil. Der Grundgedanke war, darüber nachzudenken, wie verschiedene Gemeinschaften in einem lebendigen Netzwerk zusammenarbeiten können, um die Wiederaufforstung in Portugal und Spanien zu unterstützen. Im Grunde ging es also eher um eine Vision für die Iberische Halbinsel. Das Ganze wurde zu einer Art Weltcafé, in dem die Leute konkrete Vorschläge zur Diskussion stellten. Ein Teilnehmer schlug vor zu diskutieren, wie Kultur und Kunst uns zukünftig dabei unterstützen können, die Wiederaufforstung zu forcieren, bestimmte Sachverhalte zu verstehen und uns helfen zu erkennen, was getan werden muss. Ich schloss mich also dieser Gruppe an und natürlich wurde dort sehr emotional diskutiert. Es war kurz nach den Bränden und es gab Menschen im Raum, die Land verloren hatten, oder deren Pläne zunichte gemacht wurden. Sie fragten, wie Kunst und Kultur ein Mittel sein könnten, um konkrete Projekte zur Wiederaufforstung zu fördern und so eine Veränderung einzuleiten. In diesem Moment begann ich wirklich als Künstlerin zu denken. Mir wurde bewusst, dass ich mit der Natur arbeite. Als ich das Treffen verließ, fuhren wir viele Kilometer durch verbranntes Land. Diese Bilder lassen mich nicht mehr los, sie sind immer gegenwärtig und bleiben in steter Erinnerung.
Wie haben Sie es geschafft, einen engeren Kontakt mit der ländlichen Bevölkerung herzustellen? Sie sprechen noch kein Portugiesisch.
Ich beschloss, irgendwo in Portugal in der Nähe der Brände einen Platz zu suchen und fand die Künstlerresidenz Raizvanguarda in Góis. Das war der perfekte Ort, um dieses Projekt zu beginnen. Die Gegend um Góis hatte unter den Bränden gelitten. Die Feuer waren großflächig und hatten sich schnell ausgebreitet. Alles geschah über einen kurzen Zeitraum von 24 Stunden. Es war ein verheerendes Feuer, das äußerst schnell um sich griff. Und die Kunstresidenz befand sich sehr nahe an diesem Ort. Also schlug ich das Projekt Eternal Forest vor. Ich hatte vor, dort anderthalb Monate für meine Recherche zu verbringen. Mein Fokus lag darauf, mit den Menschen zu sprechen und bei diesen ersten Treffen zu lernen und etwas mitnehmen zu können, um daraus meine Ideen zu entwickeln. Meine Vorstellung war, die Meinung der einfachen Menschen zu hören, die hier zu Hause sind, in der unmittelbaren Nähe der Plantagen und des Waldes, in den Naturräumen und auf ihrem eigenen Ackerland. Ich wollte wissen, was diese Leute zu sagen haben. Mein Vorschlag, den ich in der Künstlerresidenz Raizvanguarda unterbreitete war: „Ich gehe dorthin, um mit den Einwohnern zu sprechen und Interviews zu führen, die dann zur Grundlage einer Dokumentation werden. Die Interviews werden – so wie sie sind – Teil eines Films, in dem die Menschen ihre Gefühle ungefiltert zum Ausdruck bringen und sie sollen auch meine eigene Poesiearbeit inspirieren.“
Und das habe ich dann gemacht. Am Ende der Arbeit in der Kunstresidenz veranstalteten wir eine Ausstellung, mit einer Kombination aus visuellen poetischen Werken, stellten ein Künstlerbuch mit allen Gedichten vor und zeigten den ebenfalls in diesen künstlerischen Kontext eingebunden Film mit 12 Interviews der Menschen aus der Umgebung von Góis, Lousã und Arganil, in denen wir mit ihnen über ihre Beziehung zum Wald sprechen. Ich wollte wirklich, dass sich die Leute öffnen, um zu sehen, was dabei herauskommt. Wenn ich den Menschen spezifische Fragen stellte, antworteten sie natürlich auch auf Umwegen und fingen an, ihre eigenen Geschichten zu erzählen.
Was war die wichtigste Frage?
Natürlich gab es viele Ideen in Bezug auf mögliche Lösungen: dies und das müsste passieren, die politischen Entscheidungsträger ausgewechselt werden und es müsste ein stärkeres Bewusstsein von Gemeinschaft und Selbstorganisation entstehen. Es gab eine Menge unterschiedlicher Ideen, aber die grundlegende Frage war: “Was hindert uns daran, diese Änderungen heute einzuleiten? Warum passiert eigentlich nichts?“ Dazu müssten die Leute ihr Umfeld analysieren, aber auch in sich selbst hineinschauen, um festzustellen, welche Art von unverrückbaren Eckpfeilern bestehen und um herauszufinden, was geändert werden kann. Aber aus irgendeinem Grund geschieht dies nicht, irgendetwas scheint die Sicht zu blockieren – das entdeckte ich, als ich mit immer mehr Menschen sprach. Die Ursachen dafür liegen im kulturellen Bereich. Kultur ändert sich nicht über Nacht, es dauert sehr lange, ihre Muster zu verschieben. Es gibt auch Bereiche, zu denen wir nur sehr schwer Zugang finden, wie beispielsweise Religion, die in der menschlichen Psyche so starke und strenge Muster geschaffen hat, dass es Jahre dauert, diese zu verändern. Und natürlich existiert auch die Idee der Naturverbundenheit immer in uns. Wie können wir diese Verbundenheit neu definieren, um sie tatsächlich sinnvoll einsetzen zu können? Obwohl sich diese Verbindung in tausenden von Jahren sowohl im physischen als auch im psychischen Bereich unserer Existenz – als Teil des Ökosystems – entwickelt hat, dringt sie erst jetzt langsam an die Oberfläche und beginnt uns zu kontrollieren und sogar zu manipulieren. Es stellt sich jedoch immer wieder die Frage: „Warum machen wir diesen nächsten Schritt nicht?“ Für mich ist diese Frage sehr wichtig und ich mache mir natürlich meine eigenen Gedanken dazu.
Haben Sie herausfinden können, warum wir nicht in Harmonie mit der Natur leben? Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen, als Sie den Film gemacht haben?
Ich sehe eine weitgehende Verfremdung und Abkopplung von der Natur. Die Naturverbundenheit ist zwar Teil unseres Wesens, wird aber von uns unterdrückt. Ich glaube jedoch, dass sie sich befreien und lebendig werden muss. Das bedeutet jeden Tag, beim Aufwachen, den Drang, ja die Notwendigkeit zu spüren, mit der Natur in Kontakt zu treten. Das geht uns allen so. Für manche Leute beginnt es vielleicht mit Spaziergängen im Park. Für andere mit dem Pflanzen von Bäumen. Es könnte aber auch viel tiefschichtiger sein – sozusagen ein Versuch zur Selbstfindung. Manche Menschen wollen vielleicht in die Wildnis, um sich dort zu verlieren und neu zu finden. Aber ich denke, damit uns das bewusst wird, muss dieses Bedürfnis so klar artikuliert sein, dass wir nicht dagegen ankämpfen können. Wir müssen uns sagen: “Ok, diese Gedanken sind so stark, dass sie jetzt realisiert werden müssen. Ich muss das heute tun, denn morgen kann es zu spät sein.” Es beginnt mit dieser persönlichen, emotionalen und mentalen – wenn Sie möchten auch “spirituellen” oder “energetischen” – Verbindung. Rein rational können wir uns das auf diese Weise erklären: „Ok, ich fühle mich besser. Ich weiß, es ist besser für meinen Körper, besser für meine Gesundheit, barfuß zu laufen, selbst etwas zu ernten, zu beobachten oder einfach nur Spaß zu haben, als würde ich im Wald baden.“ Alles fängt dort an…
Sie haben in einem brandgeschädigten Gebiet gearbeitet. Welche Beziehung haben Sie zum Element Feuer entwickelt?
Ich habe definitiv eine freundschaftliche Beziehung zum Feuer, weil ich viel Feuer in mir habe. Es drängt mich, aktiv zu sein. Dafür mag ich das Feuer sehr, habe aber durchaus auch Angst und Respekt davor. Wenn die Energie des Feuers zu groß wird und außer Kontrolle gerät, wenn sie nicht mehr mit den anderen Elementen Wasser, Erde und Luft im Gleichgewicht ist, dann führt dieses Ungleichgewicht, dieses Überhandgewinnen eines Elements, zu Katastrophen. Seit Jahrhunderten machen sich Menschen das Feuer zunutze. Aber erst jetzt wird uns richtig bewusst, dass Feuer nicht von selbst existiert, nicht wahr? Feuer existiert nur unter bestimmten Bedingungen und in einer bestimmten Umgebung. Diese beiden Faktoren wurden von uns derart verändert, dass es sich unkontrolliert ausbreiten kann. Die Energien, derer wir uns bedienen, müssen beherrschbar bleiben. Wasser wird durch Erde kontrolliert. Auch Feuer muss durch andere Elemente kontrolliert werden. Bei den von uns geschaffenen Monokultur-Landschaften aus leicht brennbarem Material ist das Feuer jedoch nicht aufzuhalten. Anders ausgedrückt: In dieser Umgebung gibt es kein Gleichgewicht der Elemente, das durch seine Biodiversität verhindern könnte, dass sich das Feuer geradlinig ausbreitet. Feuer erlischt, wo es auf zu viel Feuchtigkeit stößt. Auch gibt es feuerresistente Baumarten, die helfen können, das Feuer zu stoppen.
Sind diese Brände unkontrollierbar?
Ja genau. Und ich möchte dabei nicht einmal auf die dunkle Seite der menschlichen Beteiligung eingehen. Ich weiß nicht, ob ich das sagen sollte, aber als ich die Einheimischen fragte, waren sich alle einig, dass diese Brände leider nicht von allein entstehen. Es ist alles miteinander verbunden: Die abgebrannten Gebiete, werden von den Unternehmen zu viel niedrigeren Preisen von den Eigentümern erworben – so entsteht ein Teufelskreis …
Die Schattenwirtschaft des Feuers?
Wir sind zu ängstlich, um dieses Thema anzusprechen. Es ist schwierig. Wenn ich beispielsweise meinen Freunden aus Süditalien sage, „Hört mal zu, es könnte möglich sein, dass diese Brände keine natürlichen Ursachen haben”, antworten sie mir: “Das kennen wir, so ist es auch in Italien.“ Deshalb bin ich der Meinung, dass wir unbedingt an den Punkt kommen müssen, an dem wir „Stop!“ sagen. Dazu müssen wir einen Weg finden, eine Diskussion in Gang zu bringen, bei der alle an dieser Frage interessierten Teilnehmer die gleichen Möglichkeiten bekommen sich einzubringen. An diesem Tisch müssen verschiedene Gemeinden, Organisationen und normale Bürger, Geschäftsleute und Ökologen, Philosophen, Künstler und Ökonomen vertreten sein. Ich glaube nicht, dass wir ohne ein solches Diskussionsforum weiterkommen können.
Wie setzen Sie das um?
Wir haben den Film über zwanzigmal vorgeführt und werden das auch noch weiter tun. Jedes Mal, wenn ich den Film bei bestimmten Organisationen zeige, führen wir anschließend eine Diskussion. Natürlich ist jede Diskussion anders. Die letzten Vorführungen haben mich jedoch veranlasst, diese Diskussion in eine Podiumsdiskussion umzuwandeln. Zurzeit sind drei Podiumsdiskussionen in Lissabon in Planung, eine in der Beira Baixa – eine weitere in der Roca Galerie, und es wird hoffentlich noch eine an der Fakultät für Bildende Künste der Universidade de Lisboa stattfinden. Wir müssen uns auf bestimmte Themen konzentrieren, zum Beispiel wie wir mit unseren Naturräumen verantwortlich umgehen können – nicht aus einem Blickwinkel der Ausbeutung, sondern um etwas Neues zu schaffen. Warum brauchen wir diese Räume und warum brauchen wir Biodiversität? Darauf müssen wir die Diskussion aufbauen. Versuchen wir, uns nicht auf Problembeschreibung und Feststellung der menschlichen Schuld zu beschränken, sondern konstruktive Ansätze zu entwickeln und Lösungen zu finden.
Dann würde ich gerne ein Modell für Workshops erstellen. Ich habe dazu folgende Idee: Stellen Sie sich vor, Sie treffen sich mit Ihren Gemeindemitgliedern in Monchique, mit den Menschen, die in der Region leben, die dort sein wollen und bereit sind, sich in die Diskussion einzubringen. Dann laden Sie aber auch Vertreter des Rathauses, und auch Vereine ein, die sich für diese Aufgabe interessieren und sich an ihr beteiligen wollen. Laden sie alle Interessierten. Sie müssen wirklich versuchen, Menschen mit verschiedenen Blickwinkeln und Meinungen – die sich natürlich auch widersprechen können – zusammenzubringen. Vielleicht sollten Sie dies zuerst an ein oder zwei Orten ausprobieren, um herauszufinden, welche Struktur für einen solchen Workshop am besten geeignet ist. Ziel dieses Workshops ist es, dass die Leute anfangen, regelmäßig zu diskutieren, Fragen zu stellen und die richtigen Lösungen für ihre Region zu finden. Ich möchte, dass die Menschen dabei die Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse und Träume zum Ausdruck zu bringen und klar zu sagen, wofür sie kämpfen. Denn nur wenn wir alle interessierten Parteien hören und ihre Bedürfnisse verstehen, können wir die richtige Lösung für den Wald finden. Ich würde gerne eine Reihe von Organisationen gewinnen, mit denen dieser Diskussionsprozess initiiert werden kann, und dieses Modell an alle Interessierten weitergeben, um zu sehen, was nach einem Jahr dieser Arbeit herauskommt.
Welches Ziel hatten Sie sich gesetzt, als Sie an dem Film gearbeitet haben?
Als ich begann, hatte ich folgendes Bild von Portugal vor Augen: „Ok, ich bin jetzt hier und weiß, dass es auch intakte Natur gibt, aber ich habe keine Ahnung wieviel Fläche dieses Landes einfach nur aus verheerenderer Monokultur besteht. Außerdem brennt es und dies hat enorme negative Folgen für den Lebensunterhalt der Menschen. Häuser werden zerstört, Mieteinnahmen fallen weg”.
Für mich war das ein bisschen schockierend. Mit dem Film versuchte ich zu verstehen, wie es aktuell in den Herzen und Köpfen der Menschen aussieht, ob die Verbindung zur Natur besteht und wenn ja, wie sie sich auswirkt. Ich wollte die Menschen direkt befragen und in ihren Antworten hören, ob und in welcher Form diese Verbindung besteht oder nicht. Mich interessierte ihre Sicht auf die Dinge und natürlich auch ihre Visionen und Träume für die Zukunft, wobei eine der Fragen lautete: “Was ist Ihr Traum für das Land, in dem Sie leben?” und eine andere: “Wie sehen Sie dieses Land in hundert Jahren?” Ich hatte ein wirklich großes Problem, darauf Antworten zu bekommen, weil niemand darüber reden wollte. Nur ein oder zwei Leute haben mit von ihren Träumen erzählt. Die erste Reaktion auf diese Frage war eher wie folgt: „Aus diesen und jenen Gründen wird es so und so sein, so ist das eben.“ Die Visionen basieren somit einzig auf dem aktuellen Stand der Dinge – das war schockierend für mich. Ich sagte: „Vielen Dank für ihre Meinung, aber was würden Sie sich wirklich wünschen? Wenn Sie die jetzige Situation einmal vergessen, wenn Sie etwas verändern könnten, was wäre dann Ihr Traum für diesen Ort? “
Ich brauchte also Zeit, um die Menschen dazu zu bringen, sich zu öffnen und mir von ihren Träumen zu erzählen. Ebenso möchte ich durch das Organisieren dieser Diskussionsrunden und Workshops, dass die Menschen sich mehr öffnen und zu träumen beginnen, das Träumen von etwas nicht Existentem erfordert Vorstellungskraft. Dazu sind Zusammenarbeit, Gemeinschaftsgefühl und Selbstorganisation nötig, wovon im Moment leider nicht viel vorhanden ist. Bevor wir dies nicht haben wird es, denke ich, nicht möglich sein, gute, dauerhafte und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen.
Ist es nicht interessant, dass die Menschen keine Zukunftsträume haben?
Ja, das ist es.
Und was bedeutet das? Warum haben die Menschen keine Träume oder Vorstellungen über ihre Zukunft? Warum sind sie nicht neugierig? Ist es eine Frage der Bildung?
Ich denke, Bildung spielt eine große Rolle dabei, dass von Generation zu Generation der menschliche Geist nur innerhalb bestimmter Grenzen funktioniert, die dazu dienen, nur eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Die Menschen müssen in das System passen und innerhalb des Systems funktionieren. So wird das in den Familien in die nächste Generation weitergetragen. Es gibt jedoch kaum Platz zum Träumen. Heute Morgen habe ich über Altruismus nachgedacht. Existiert er oder nicht? Warum tun manche Leute unglaubliche Dinge, wie zum Beispiel ganze Wälder zu pflanzen? Haben sie das getan, weil dies der einzige Sinn in ihrem Leben war? Ihr wichtigster Traum, ihre Lebenserfüllung? Gab die Umsetzung ihren Tagen einen Sinn? Ich denke wir haben alle eine Aufgabe zu erfüllen. Ich denke auch, die Menschen nehmen das Leben für selbstverständlich, alltäglich – das Leben kann aber nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Der wichtige Punkt ist doch: wenn wir anfangen das Leben als selbstverständlich zu betrachten, sind wir nur mit unserer Routine beschäftigt, wir können uns um gar nichts anderes kümmern, weil wir nicht über die nötige Energie und Aufnahmefähigkeit verfügen, zu erkennen, was um uns herum geschieht. Aber das Leben findet auf sehr vielen Ebenen statt und dennoch beteiligen wir uns nur an einem schmalen Streifen, der 0,01 Prozent des Geschehens unseres Umfelds ausmacht. Wir gehen zur Arbeit, erziehen unsere Kinder und schicken sie in die Schule. Ich weiß es nicht, aber vielleicht reicht das nicht mehr. Vielleicht müssen wir uns noch ein bisschen mehr engagieren, denn die Erfahrung zeigt, dass es nicht gut ist, die Entscheidungsbefugnis nur irgendwelchen Organisationen, Unternehmen oder Politikern zu überlassen. Dieser Machtverlust ist auch einer der Gründe, warum wir keine Träume haben. Weil wir uns nicht in der Lage sehen, Dinge zu ändern, etwas für uns selbst zu tun, haben wir diese Leute gewählt, damit sie das an unserer Stelle erledigen.
Das Dilemma heißt Teilnahme oder Dominanz?
Wir müssen uns für die Teilnahme entscheiden, aber das bedeutet auch, sich von vielen Verhaltensweisen zu verabschieden.
Wie möchten Sie in einem Workshop Personen, die auf Teilhabe setzen mit jenen zusammenbringen, denen ihre Dominanz wichtig ist? Leute, die Monokulturen pflanzen, haben kein Interesse an dieser Teilhabe.
Nein, das haben sie nicht.
Diese Leute bestimmen was im Boden wächst. Wo liegt also die Lösung zwischen diesen beiden Positionen, zwischen Teilen und Dominieren?
Es wird ein langwieriger Prozess. Ich glaube nicht, dass sich das über Nacht ändern wird. Ich glaube, wenn Sie es nicht schaffen das Herz eines Menschen zu berühren, dass Sie ihn auch nicht dazu bewegen werden, seine Meinung zu ändern. Mit anderen Worten, wir müssen bei gemeinsamen Veranstaltungen anfangen, einander zuzuhören. Jeder kann seine Gedanken zum Ausdruck bringen, weil jeder das Recht dazu hat, nicht nur die Leute mit Geld und Macht. Wichtig ist, dass wir lernen, unsere Ohren und Herzen zu öffnen und dass wir uns wirklich bemühen, einander zuzuhören. Ich denke es ist wichtig, dass die Leute, die zu diesen Treffen kommen, zumindest diesem Minimalkonsens zustimmen.
Wollen Sie also Portucel, die Papierfirma Navigator, einladen?
Warum nicht?
Und sie mit Naturschutzverbänden wie Quercus und LPN zusammenbringen?
Wir müssen Diskussionen auf allen Ebenen beginnen, aber auf jeden Fall auch die Papierfirmen einbeziehen, was – sagen wir mal – das größte Problem darstellt. Aber das größte Problem könnte auch die größte Chance sein. Ich glaube nicht, dass sie sich über Nacht ändern werden, aber dass sie sich ändern müssen. So wie ich es sehe, gibt es keine Möglichkeit, Änderungen zu vermeiden. Aber wie werden diese Veränderungen aussehen und wann werden sie passieren? Ich bin der Meinung, dass das schon viel zu lange dauert. Wir müssen die Zeit aufholen, die wir verloren haben.
Ist es schon zu spät?
Das will ich nicht sagen, aber wir müssen schneller vorgehen. Wir können einfach nicht länger warten. Ich bin sicher, dass es in diesen Unternehmen viele Leute gibt, die gerne etwas anderes machen würden, aber nicht wissen wie.
Können Sie in wenigen Worten sagen, was Sie mit Ihrem Film erreichen wollen?
Eines meiner Ziele war, den Menschen bewusst zu machen, dass etwas in ihrem Leben fehlt, etwas sehr Wichtiges. Etwas Existenzielles. Aber was genau ist das? Ich möchte, dass sie Dinge in Frage stellen, anfangen ihren Gefühlen zu folgen und Antworten für sich selbst zu suchen. Diese Idee von einem Wald erscheint zur jetzigen Zeit fast wie ein Trugbild, denn wo findet man heute in Portugal noch einen Naturwald? Wir müssen ihn wiederentdecken.
Danke.