Kommunen und lokale Akteure können beim Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung Pionierarbeit leisten und einen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein einleiten. Dies ist die Überzeugung von BEACON, der “Brücke zwischen europäischen und lokalen Klimaschutzmaßnahmen”. Das europäische Projekt zielt darauf ab, Klimaschutzmaßnahmen, Zusammenarbeit und Lernprozesse unter den kommunalen Akteuren zu fördern und bewährte Verfahren zur Umsetzung des Pariser Abkommens und der Ziele von 2030 weiterzuverbreiten. Finanziert von Deutschland (das Land mit den höchsten Emissionen in Europa und weltweit an sechster Stelle), umfasst das Projekt in Portugal fünf Gemeinden und wird vom Zentrum für Ökologie, Evolution und Umweltveränderung – cE3c (Fakultät der Wissenschaften der Universität Lissabon FCUL) und dem Institut für Sozialwissenschaften koordiniert. Gil Penha-Lopes, forschender Professor bei cE3c und einer der Koordinatoren des Projekts, erklärt uns, was jetzt schon getan wird und was in der Zukunft geschieht.
Seit 2011 beschäftigen Sie sich mit dem Klimawandel. Mit welchem Szenario sind wir heute konfrontiert?Vor einigen Jahren entstanden neue Szenarien, die verschiedene mögliche Wege aufzeigten. Wir sollten natürlich das Szenario zugrunde legen, bei dem bis 2030 ein Höchststand der Emissionen erreicht ist, die dann reduziert werden. Das heißt, wir müssen bis dahin alle nötigen Infrastrukturen geschaffen und Verhaltensänderungen herbeigeführt haben, um einen nachhaltigeren Lebensstil zu etablieren und eine starke Reduzierung der Emissionen zu erzielen.
Alle anderen Szenarien sind insofern etwas pessimistischer, da sie davon ausgehen, dass es uns nicht gelingen wird unsere Verhaltensweisen und Paradigmen zu ändern, und die unter diesen Umständen zu erreichende Reduktion der Emissionen dann nicht ausreicht, um am Ende des Jahrhunderts unter einer Erderwärmung von 1,5 ° C bis 2 ° C zu bleiben. Es gibt auch Szenarien des „business as usual“, nach denen sich die Emissionen bis nach 2050 erhöhen. Dies ist die pessimistischste Aussicht, denn wir reden hier von einem Planeten, der am Ende des Jahrhunderts um sechs bis acht Grad wärmer sein wird. Im besten Fall wird es uns gelingen die Erderwärmung unter 1,5 ° C zu halten. All dies in Bezug auf die vorindustrielle Ära, Mitte des 18. Jahrhunderts.
Ich denke, wir befinden uns mit unserem derzeitigen Konsumniveau auf dem Weg in eine Welt, die etwa vier bis fünf Grad wärmer sein wird, was für unsere und zukünftige Generationen bereits verheerende Auswirkungen nach sich ziehen wird. Wir sprechen von einer Welt mit einer größeren Anzahl und höherer Intensität von Extremereignissen, wie Wirbelstürmen und Flutregen sowie Monsunen in verschiedensten Teilen der Welt. In manchen Gebieten werden langanhaltende Dürreperioden herrschen, während es in anderen zu Überschwemmungen kommen wird.
All dies führt zu Störungen im gesamten globalen System, dessen Widerstandkraft nur gering ist. Daraus resultieren steigende Lebensmittelpreise und stellenweise auch Nahrungsmittelknappheit. Viele Arten können mit diesen Veränderungen nicht Schritt halten, deswegen wird es auch zu einem großen Verlust an Biodiversität kommen, deren Auswirkungen wir unmittelbar, unter anderem im Bereich der Lebensmittel, zu spüren bekommen. Ich möchte hier auf die wichtige Rolle hinweisen, die Bienen und Insekten in unserem Leben spielen.
Sorgen sich lokale Behörden und die Bevölkerung um dieses Thema?
Vor Ort passiert schon einiges. Ich sehe viele Unternehmen und Kommunen, die eine Änderung wollen. Wir sprechen hier von einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen um bis zu 40%. Es geht nicht mehr um eine Reduzierung von nur fünf bis zehn Prozent, die wir manchmal erreichen, indem wir die Systeme ein wenig effizienter machen, usw.
Hier geht es um das Erfordernis eines grundlegenden Systemwandels: die Art, wie wir leben, wie wir mit der Umwelt interagieren, wie wir arbeiten … um die Notwendigkeit, von einem Ort zum anderen zu gelangen und darum, wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren und transportieren.
Wir müssen all das neu überdenken und dürfen nicht versuchen, einfach weiterzumachen, ein wenig effizienter zu werden und ansonsten alles beim Alten zu belassen – wovon immer noch oft die Rede ist.
Zum Beispiel beim Transport. Die Lösung kann offensichtlich nicht darin bestehen, dass jeder vom Auto mit Verbrennungsmotor zum Elektroauto wechselt. Dies widerspricht vor allem dem Ziel, Emissionen zu reduzieren, die zum Großteil bei der Produktion von Neufahrzeugen und insbesondere von solchen mit Batterien entstehen.
Eine Lösung wäre der Umstieg auf öffentliche, elektrische Verkehrsmittel, die hauptsachlich aus einem Netz von erneuerbaren Energien versorgt werden, bei gleichzeitiger starker Verringerung des Transportbedarfs.
Ich denke, wir sind davon noch weit entfernt. Vielleicht kommt das erst dann, wenn wir die großen Auswirkungen bereits zu spüren bekommen: Extremereignisse, Anstieg des Meeresspiegels, sich verändernde Jahreszeiten, Verringerung der jährlichen Regenmenge und Wassermangel in den Staubecken und -seen.
Selbst wenn wir jetzt anfangen etwas zu tun, braucht das ganze natürliche System seine Zeit – Jahrzehnte, eventuell sogar Jahrhunderte. Eine Änderung von einem Tag zum andern wird nicht möglich sein – die Probleme sind ja auch nicht über Nacht entstanden. Und wahrscheinlich reagieren wir – wie immer – zu spät.
Wie wichtig ist es, kommunale Anpassungsstrategien zu entwickeln?
Es ist von grundlegender Bedeutung auf lokaler Ebene Abhilfemaßnahmen und Schadensbegrenzungsstrategien umzusetzen. Wir sprechen von einer Reduzierung der Emissionen in der Größenordnung von 40 bis 80%, mehr und mehr auch von der Kohlenstoffspeicherung und dass alle organischen Abfälle nicht mehr in Deponien entsorgt, sondern auf lokaler Ebene in gute Böden umgewandelt werden. Von dort aus entstehen Ökosysteme, die hinsichtlich der Artenvielfalt wesentlich produktiver sind. Monokulturen, wie sie in jeder Gemeinde existieren, werden aufgegeben und zu einem sehr dichten „Agroforest“ (Agroforstwirtschaft = landwirtschaftliches Produktionssystem, das Elemente des Ackerbaus mit solchen der Forstwirtschaft kombiniert.) Der Kohlenstoff wird dabei in Biomasse und im Boden gebunden.
Wir müssen unsere persönlichen Transporte reduzieren, unsere Lebensmittel lokal, saisonal und in größerer Menge produzieren.
Autofahrten müssen eingeschränkt und stattdessen das Fahrrad mehr genutzt, Häuser besser gebaut und isoliert, die Dächer begrünt werden usw. All dies führt natürlich zu steigenden Preisen und es ist wichtig soziale Ausgrenzung dabei zu vermeiden.
Unter dem Gesichtspunkt der Anpassung an den Klimawandel müssen die Gemeinden realisieren, welche lokalen Auswirkungen jetzt schon zu spüren sind und welche davon sich in Zukunft noch verstärken können. Hitzewellen nehmen an Häufigkeit und Dauer zu, die Wassermenge nimmt ab, wenn es aber regnet, dann sintflutartig. Wir müssen sowohl in den Ökosystemen als auch in den Infrastrukturen die Wasserdurchlässigkeit der Böden verbessern und das Wasser in Stauseen und -becken auffangen, weil es ansonsten einfach Richtung Meer fließt, Städte überschwemmt und Erdrutsche auslöst.
Auch die nachhaltige Energieerzeugung in einigen Gemeinden ist eine Form dieser Anpassung, weil wir nicht wissen, ob andere Länder in der Lage sein werden, uns Energie verkaufen zu können.
Naturbasierte Designtechniken, wie beispielsweise Agroforstwirtschaft, sind eine Möglichkeit, viele dieser Probleme auf einmal zu lösen. Dazu gehören Böden, Nahrungsmittelproduktion, Baumaterialien, Kohlenstoffbindung und eine bessere Anpassung an die veränderten Lebensbedingungen.
Das Beacon-Team bringt Menschen aus den Natur- und Sozialwissenschaften zusammen, um diesen Prozess zu unterstützen …
Zuerst gab es das lokale Climadapt-Projekt, das Anpassungsstrategien für 26 Gemeinden in Portugal entwickelte, die unter climadapt-local.pt zu finden sind.
Das BEACON-Projekt setzt den Schwerpunkt dabei auf Schadensbegrenzung. Denn eine Anpassung könnte ja auch erfolgen in dem einfach noch mehr Energie verbraucht und mehr Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen werden! Wir müssen uns immer bewusst sein, dass bei allem was wir tun, die Eindämmung der Umweltschäden Priorität haben muss. Nur wenn wir das Problem an der Wurzel packen, werden wir es schaffen, uns in ausreichender Form anzupassen!
BEACON wird vom deutschen Umweltministerium finanziert und zielt darauf ab, die Lücke zwischen europäischen Schadenbegrenzungsstrategien und denen der Kommunen zu schließen, indem ein kommunales Netzwerk in Europa geschaffen wird, insbesondere zwischen Süd-, Ost- und Mitteleuropa. Wir möchten den Kommunen die Möglichkeit geben, ihre Strategien vor allem im Energiesektor von der Produktion über die Verteilung bis zum Verbrauch festzulegen und umzusetzen.
Welches sind die größten Hemmnisse für reale Veränderungen?
Tatsächlich gibt es immer Möglichkeiten, Hindernisse zu überwinden. Wichtig ist aber, dass Änderungen unter Einbeziehung aller Beteiligten vorgenommen werden. Es ist mir bewusst, dass dieser Prozess länger dauern kann, aber er führt zu wesentlich nachhaltigeren Veränderungen.
Es gibt einige regionale und nationale Gesetze und Richtlinien, die diesem Prozess möglicherweise abträglich sind, wie dies bei Energieerzeugergemeinschaften in Portugal der Fall ist. Aber es ist der richtige Weg. Die Worte Müll und organischer Abfall in den Gesetzestexten durch Ressourcen zu ersetzten, war schon sehr hilfreich. Und wir bedienen uns der nicht genutzten, lokalen biologischen Ressourcen für die ökologischen Bedürfnisse vor Ort. In einigen Fällen kann die dadurch entstandene lokale Dynamik und das gewonnene Wissen auf die nationale Ebene übertragen werden und somit auch dort Veränderungen initiieren. Ich sehe hier, vor allem angesichts der Dringlichkeit der Situation, nicht viele Hindernisse.
Seit Kyoto sehen wir, wie politische Entscheidungsträger Ziele setzen, die nicht erreicht werden. Es besteht ein Missverhältnis zwischen der Forderung nach Nachhaltigkeit zum einen und der Erhöhung der Emissionen und der Zerstörung von Ökosystemen zum anderen. Das örtliche politische Leben wird immens von Wahlkampf, Vetternwirtschaft und Korruption bestimmt. Sind sich Bürgermeister und Gemeinderäte über die Situation im Klaren? Können wir von ihnen echte Veränderungen erwarten?
Ich würde sagen, wir haben keine andere Option. Wenn Bürgermeister und Gemeinderäte dies nicht tun, muss die Zivilgesellschaft aktiver werden, sich mehr einbringen, als nur alle vier Jahre zur Wahl zu gehen.
Es besteht oft eine Diskrepanz zwischen dem Bürgermeister, der diese Veränderungen unterstützt, und dem Rest des Systems, mit dem das Rathaus interagieren muss, um sie durchzusetzen.
Wir haben Fälle, in denen die Bürgermeister sehr stark in das Projekt involviert waren, wie in Loulé oder Viana do Castelo. Durch den Diskurs zum Thema Verhaltensweisen hat sich hier etwas geändert. Der Bürgermeister von Loulé war während eines vierstündigen Workshops bei uns und brachte den stellvertretenden Bürgermeister, sechs Ratsherren, die Leiter der städtischen Wasserwerke und Abteilungsmitarbeiter usw. mit. Zwei technische Mitarbeiter der Stadt nehmen am Doktorandenprogramm Klimawandel und nachhaltige Entwicklung teil. Dies ist ein Musterbeispiel für proaktive kommunale Führung.
Was möchten Sie nach den zwei Tagen der Workshops besonders hervorheben? Was inspiriert Sie?
Die südeuropäischen Teams, die Portugiesen und die Griechen und das deutsche Team kamen zusammen, um die in ihren örtlichen Umgebungen herrschenden Situationen besser verstehen zu lernen. Die Teilnehmer hatten die Gelegenheit aus ihrem Umfeld herauszukommen und zwei Tage konzentriert an diesem Thema zu arbeiten, Beispiele zu betrachten, Kontakte auszutauschen und sich inspirieren zu lassen. Oft verharren wir zu sehr in unserer persönlichen Betrachtung der Dinge und ohne Zugang zu anderen Sichtweisen gelingt es uns nicht, unseren Blickwinkel zu verändern.
Welche Projekte haben Sie in diesen Gemeinden inspiriert?
Es gab mehrere Projekte. Die meisten kommen aus Deutschland und laufen schon über einen längeren Zeitraum. Die Kommunen haben ihre Infrastruktur umweltfreundlich gestaltet, dabei viel Energie gespart und fördern den öffentlichen und kollektiven Nahverkehr mit entsprechenden Tarifangeboten und dergleichen. Sie kreieren Städtische Gärten für die Allgemeineheit und sorgen durch Märkte für nachhaltigere Lebensmittel. Sie fördern ein nachhaltigeres Verhalten der Menschen in ihren Haushalten durch Finanzierungen oder Steuersenkungen. Viele Kommunen produzieren und verkaufen ihre eigene Energie selbst oder fördern die Stadtteile bei Erzeugung und Verteilung von Energie, aber auch bei deren Verkauf nicht nur an das Netzwerk, sondern auch direkt an benachbarte Stadtteile und andere Verbraucher und fördern so ein dezentraleres und faireres Ressourcenmanagement. Wir haben sehr gute Beispiele gesehen.
Danke.