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„Wenn wir genau hinhören, kann das Glück überall sein“

Vor 19 Jahren kam er mit einem Rucksack und vielen zurückgelegten Strassenkilometern nach Portugal. Monchique wurde ihm zur Heimat. Er begann aber in Pera, im Landkreis von Silves mit einem Projekt im Bereich der Kunst, das ihn an der Algarve bleiben liess. Alper Alagoz, der seine Heimat, die Türkei, im Alter von 21 Jahren verlassen hatte, fühlt sich heute eher als Portugiese denn als Türke. Heute mit 44 Jahren spricht der künstlerische Direktor und Geschäftsführer des Internationalen Festivals der Sandskulpturen (FIESA) mit uns über die Zukunft, seine Träume und über das, was man zum Glücklichsein braucht.

Sie sind ein Globetrotter. Warum haben Sie sich die Algarve zum Leben ausgesucht?
Nachdem ich 15 Jahre mit meinem Rucksack unterwegs gewesen war, bin ich nach Monchique gekommen. Während meiner Reisen hatte ich immer nur Tickets ohne Rückfahrschein gekauft, bis ich an die Algarve gekommen bin (lacht). Ich war mit jemandem aus Monchique zusammen und bin geblieben. In dem Jahr hatte ich angefangen Sandskulpturen zu machen in Ländern wie Belgien, Spanien…. und auch in Albufeira. Das war 1998 und ich hatte daran gedacht zu bleiben, weil es mir gefallen hatte und mir Portugal unwahrscheinlich gut gefällt. Fünf Jahre später habe ich mit dem FIESA Projekt begonnen.

Erzählen Sie uns von Ihren Zukunftsprojekten.

Alper Alagoz falar sobre felicidade
Alper Alagoz

Ich habe zwei grosse Projekte für die nahe Zukunft. Eins davon wird die Eröffnung eines neuen Geländes in Lagoa sein, grösser als die FIESA, das auf die Annahme des städtischen Nutzungsplanes (PDM) wartet. Es heisst MAE (Museum für Kunst und Unterhaltung). Ein Name der mir sehr gut gefällt, da er sich auf die Mutter(mae) als Schüzerin der Erde bezieht. Ich möchte einen Bereich schaffen, der sich von der FIESA unterscheidet und mich mehr der Land-Art, Skulpturen mit Holz, mit Bäumen, mit Wasser… widmen.

Das zweite Projekt, das mir schon seit ungefähr zehn Jahren durch den Kopf geht, ist ganz anderer Art. Ich hätte gerne eine Gruppe von Menschen, mit der ich etwas Neues anfangen könnte, etwas was dem Kommerz eine Absage erteilt und sich vom Geld als Handelswährung distanziert. In der Vergangenheit habe ich in ähnlichen Gemeinschaften gelebt und würde jetzt gerne meine eigene aufbauen. Mit anderen Menschen in einer Gruppe zu leben und zusammen für ein gemeinsames Ziel zu arbeiten, eine Art Utopie, für mich ist das die Erfüllung eines alten Traumes.

Warum sich nicht in eine andere Gesellschaft integrieren?
Mein hauptsächliches Anliegen ist, etwas in der Welt zu verändern, eine konkrete Idee von dem zu haben was wir erreichen wollen. In anderen Projekten wird oftmals sozusagen eine Flucht vor den Problemen gelebt. So denke ich nicht. Mein Ziel ist es, eine Gemeinschaft zu gründen, wo man im Freien arbeiten kann … mit einer Schule für die Kinder, einem lokalen Fernsehsender, der morgendliche Aktivitäten wie Yoga zeigt und nachmittags eine Konferenz, eine Sendung. Ich habe mit meiner Frau Cristina den Alqueva-See besucht und unglaubliche Plätze gefunden, um mit der Verwirklichung dieses Traumes zu beginnen.

 

Die FIESA gibt es nun seit 15 Jahren. Sie benutzen immer noch den gleichen Sand wie zu Beginn des Projekts im Jahr 2003. Ist das Ihre Idee von Recycling?
Ja, das ist sehr wichtig. Während der ganzen Jahre produzieren wir keinen Abfall. Wir zerstören ganz einfach am Ende der Saison die Skulpturen, um dann wieder neue zu konstruieren.

Das Projekt ist ein Beispiel für Nachhaltigkeit im Tourismusgeschäft. Wird diese Umweltpolitik auch in anderen Bereichen der FIESA, wie zum Beispiel in der Kneipe, angewendet? Haben Sie Ideen zur Verringerung von Plastikmüll?
Ja, diese Absicht besteht. In der Zukunft möchten wir eine Politik der generellen Wiederverwertung mit absoluter Müllvermeidung umsetzen.

Wieviele Beschäftigte hat die FIESA?
Im Moment 15, eine Anzahl die jedes Jahr während der Konstruktionsphase der Skulpturen steigt. Dieses Jahr rechnen wir mit 25 Technikern – wir hatten aber auch schon 60 – die 14 Bildhauer haben zwei Wochen am Thema der Sieben Freien Künste gearbeitet. In der Woche davor wurde alles auf ihre Ankunft vorbereitet, der Sand gepresst und auf den Feldern platziert und an der Beleuchtung gearbeitet.

Von wie vielen Monaten Arbeit sprechen wir?
Fünf Monate Ausstellung plus ein oder zwei für die Vorbereitung. Die Ausstellung öffnet im Mai und schliesst im Oktober. Das ist sicherer als der März, da der Regen während der Konstruktionsphase zum grossen Feind werden kann. Wenn die Skulpturen fertig und trocken sind, wird zu ihrem Schutz ein organischer Kleber aufgetragen, ansonsten würden sie zusammenbrechen. Im vergangenen Jahr hatten wir um die 120.000 Besucher.

Verstehen Sie die FIESA als Kunst oder als Unterhaltung?
Man kann sie als Kunst betrachten, aber meine Motivation ist es, einen Moment der Unterhaltung zu bieten. Wir haben einen bestimmten Arbeitsbereich und Skulpturen die einem Thema untergeordnet sind, was für einen Künstler einschränkend sein kann. In Zukunft werden wir einen Bereich für diese Art von Arbeiten haben, der freier ist.

Verstehen Sie sich als Künstler oder als Unternehmer?
Im Moment als Unternehmer. Aber eigentlich fühle ich mich nicht als solcher. Bevor ich mit diesem Projekt begonnen habe, hatte ich nie länger als 20 Tage pro Jahr gearbeitet. Als ich mein Land mit 21 Jahren verließ, hatte ich meinen Lebensunterhalt mit meiner Gitarre verdient und das hat mir immer gereicht. Wenn es möglich wäre, in einer Woche eine Skulptur zu schaffen, wäre sie sicher nicht für sechs Monate bestimmt. Das ist die Philosophie mit der dieses Projekt ins Leben gerufen wurde. Deshalb war es auf ein, maximal zwei Jahre angelegt.

Haben Sie Kunst studiert?
Ich habe Maschinenbau studiert, das Studium aber im vierten Jahr abgebrochen, weil ich die meiste Zeit mit meiner Band verbracht und in Clubs gespielt habe, oder Auftritte hatte. Und da ich im Unterricht oft fehlte, wäre der einzige Ausweg das Militär gewesen. So ist das in der Türkei, du hast dann gleich keinen Pass mehr. Gut, bevor das passiert ist, hatte ich einen Job in Schottland gefunden und mit behinderten Kindern gearbeitet.

Alper

Portugal ist nicht Ihr Land…..
Nein, ich bin Türke, aber fühle mich fast als portugiesischer Bürger. Ich besuche die Türkei ab und zu, um Freunde oder meine Eltern zu sehen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, in ein Land zurückzukommen, das ich liebe, würde ich wahrscheinlich wieder nach Portugal kommen.

Zu Beginn unseres Gesprächs sagten Sie, dass Sie bei Ihrer Ankunft in Monchique ein anderer Mensch gewesen seien. War es damals leichter glücklich zu sein?
Zu Anfang war es leichter ja, schon alleine weil ich nichts hatte, was mir gehörte und worauf ich aufpassen musste. Ich hatte keine wirklichen Verpflichtungen, wie Kinder oder Familie. All das ist langsam gekommen, das Leben hat sich geändert. Ich habe mein Leben verändert, ich habe ein Geschäft aufgebaut. Jetzt habe ich einen Sohn. Das hat einen sehr starken Einfluss, es verändert viel. Die Freiheit, die ich damals hatte, ist im Moment nicht möglich zu leben.

Was brauchen Sie um glücklich zu sein?
Glück ist für mich nichts Konkretes, es ist ein Geisteszustand, etwas schwierig für jeden von uns, diesen zu erreichen. Was mich glücklich macht, mag eine andere Person nicht glücklich machen. Es gibt vieles, was uns hindert, diesen Zustand zu erreichen. Trotzdem bin ich sicher, dass ich nicht viel brauche, um glücklich zu sein. Aber im Lauf der Jahre mit der Zunahme von Verpflichtungen und Verantwortungen, wird es immer schwieriger, diesen inneren Frieden zu finden, den ich bei meiner Ankunft in Monchique hatte, nachdem ich mit dem Rucksack 15 Jahre durch die Welt gereist war.

Machen Arbeit oder Familie Sie nicht glücklich?
Es gibt vieles was uns glücklich machen kann, aber für mich ist Glück etwas anderes, viel Persönlicheres.
Erstens ist ein kollektives Bewusstsein von grundlegender Bedeutung, denn selbst wenn ich mich sehr glücklich fühle, meine Mitmenschen dies aber nicht sind, wird mich das beeinflussen. Es ist auch notwendig die Welt zu organisieren. Wenn ich glücklich sein möchte, muss ich auch auf mein Herz hören, auf meinen Körper; alles Gute das mir begegnet annehmen, denn wenn wir genau hinhören, kann das Glück überall sein.

Woran glauben Sie?
Ich bin davon überzeugt, dass es viel mehr gibt, als wir wahrnehmen. Alles in der Welt ist in Harmonie verbunden.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, zehn Tage in einem leeren Raum zu ver-
bringen….
Das wäre sehr angenehm. Ich habe vier Mal in meinem Leben Vipassana Meditation* gemacht und das waren sehr produktive Momente für mich. Zehn Tage meditieren, niemanden sehen und mit niemandem sprechen… Wenn man am elften Tag damit aufhört, hat man tief im Inneren ein unbeschreibliches Gefühl, wirklich gut. Glück ist dieser Moment, aber es ist sehr subtil. Diese Empfindung kann man nicht festhalten oder auf mehr als zwei bis drei Tage ausdehnen. Wie Buddha sagte, jeder kann mit mir kommen. Du wirst zehn Tage brauchen, um Ruhe zu finden und sehen zu können. Deshalb möchte ich in Zukunft, wenn ich die Möglichkeit habe, diese Erfahrung fortsetzen.

Was ist Ihre größte Angst?
Ich befürchte, dass es keinen Ausweg aus den Wirren der heutigen Welt gibt. Aber es ist besser, positiv zu denken. Wir sind nicht viele, wir müssen uns zusammentun und etwas unternehmen!

Danke.

 

(1) – Vipassana Meditation ist ein Reinigungsprozess durch Selbstbeobachtung während eines Zeitraums von mindestens 10 Tagen Stille. Danach wird man „die Dinge sehen wie sie wirklich sind“,das ist die Bedeutung des Wortes Vipassana.

 

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