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Heini & die Arche Noah

Heini Staudinger (62) ist der Chef der Schuhmanufaktur GEA-Waldviertel. Seit 1984 praktiziert er sein Modell für ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Dieser etwas andere Unternehmer misstraut dem herkömmlichen Bankensystem und der globalen freien Weltwirtschaft. Seine Investitionen hat er mithilfe von Privatkrediten von Freunden geschultert. Heini entpuppt sich als Prophet, nicht jedoch in religiösem Sinne, sondern mit Rat und Tat. Er sieht seine Firma als eine eine Art Arche Noah im gegenwärtigen Wirtschaftssystem.

ECO123: Sind Sie von einer grünen Wirtschaft überzeugt?
HS: Alles andere wäre dumm. Auf eine Wirtschaft zu setzen, die unsere Umwelt zerstört, ist verrückt, wie wir schon aus der Geschichte lernen können. Eigentlich müssen wir noch radikaler handeln, als wir es schon in unserer Firma handhaben. Ich hoffe, es gibt bald eine Bewegung nach dem Motto “Sag JA zum Leben”, und wir wollen Teil dieser Bewegung sein mit Menschen, die wissen, dass kein Weg daran vorbei geht, mit der Natur zu kooperieren, weil die aktuelle Wirtschaftsweise sie zerstört!

Nach welcher Philosophie ist Ihr Unternehmen ausgerichtet?
Vor allem nach dem Gewissen, für Solidarität und Respekt, für jeden Einzelnen, für alle zusammen und für die Natur. Auch Nachhaltigkeit ist wichtig, Beziehungen zu schaffen zwischen dem Netzwerk lokaler Erzeuger und ihrer Region. Der Weg, für den wir uns entschieden haben, macht uns zu einer Art Arche Noah in der Schuhindustrie. Alle hier in der Gegend sind pleitegegangen. Übrigens, falls es einen Experten in der Entwicklung von Schuhen in Portugal geben sollte, würde ich ihn gern bei mir anstellen! Es würde ausreichen, wenn er Englisch spräche und Deutsch lernen wollte. In Ihrem Land gibt es derzeit weit mehr Kundige auf diesem Gebiet als in Österreich.

Aus Portugal, aus Monchique, werden zu Ihnen zwei junge Menschen kommen, um zu lernen, wie man Schuhwerk repariert und herstellt.
Unsere Türen stehen offen. Sie können gern für einige Monate kommen und sehen, ob sie bei uns in die Lehre gehen möchten. Voraussetzung ist, dass sie unabhängig sind, sich nicht absondern, sondern die nötigen Schritte unternehmen, auch um Deutsch zu lernen. Das wird ihnen alles erleichtern. Wir haben hier Menschen verschiedener Nationalitäten, die alle auch Deutsch sprechen.

Und wenn sie in Schrems wohnen möchten?
Wenn Sie Interesse haben, kümmern wir uns um Ihre Unterkunft. Wir können ihnen einen ein bis dreijährigen Ausbildungsvertrag, basierend auf circa 35 Wochenstunden, zehn Wochen Berufsschule und fünf Wochen Urlaub, anbieten.

Erzählen Sie uns ein wenig über die Anfänge ihres Unternehmens.
Im Jahr 1980 eröffnete ich mein erstes GEA-Schuhgeschäft, 1984 mein zweites, und im selben Jahr kaufte ich auch die Fabrik. Früher arbeiteten in der Region 15.000 Menschen in der Textilindustrie, das waren die Hälfte aller Arbeitsplätze. Von diesen 15.000 Stellen im Textilbereich blieben weniger als 500 übrig. Allein zwischen 1978 und 1995 wurden mehr als 10.000 gestrichen, alle in der Textilindustrie, die damit auch so gut wie verschwand.

Es schien nicht die beste Zeit gewesen zu sein, um ausgerechnet in diesem Bereich zu investieren.
Die gesamte Textilindustrie verließ Länder wie Österreich, Deutschland oder die Schweiz aufgrund der hohen Lohnkosten. In den 70er und 80er Jahren verlegte Deutschland einige seiner Textil- und Schuhfabriken nach Portugal, wechselte dann weiter nach Osteuropa und später nach China, die jetzt wiederum in Äthiopien produzieren. Die Kosten für eine Arbeitsstunde in Äthiopien liegen bei zehn Cent, während sie in China etwa zwanzig Mal soviel kostet. Das ist ein Spiel von Verrückten.

Wie sehen Sie diese Praxis im europäischen Vergleich?
Ich sage oft, dass die Europäische Union zwar den Friedensnobelpreis erhalten hat, aber: ich glaube, wenn jemand etwas für den Frieden tun will, darf er nicht die Ärmsten mit den niedrigsten Löhnen von ganz Europa unterdrücken. In unserem Unternehmen erhält jeder Mitarbeiter zwischen 1.000 und 2.000 Euro netto. Wir haben festgelegt, dass die höchsten Löhne nicht mehr als doppelt so hoch wie das niedrigste Gehalt sein sollen.

Wie haben Sie es geschafft, einen Industriebetrieb zu Zeiten des Niedergangs der umliegenden Werke in der Region aufzubauen?
Heini Staudinger - GEAMit Ausdauer. Nicht aufgeben! Viele Unternehmer denken, der Zweck ihres Geschäfts läge darin, sie reich zu machen. Ich denke, dass Reichwerden sehr langweilig sein muss. Ich habe kein eigenes Bankkonto und auch kein eigenes Geld, außer dem, was ich in meiner Tasche in dieser Tüte hier bei mir habe. Aber ich habe alles, was ich brauche.

Die Art, wie Sie die Finanzierung für Ihr erstes Geschäft im Jahr 1980 auf die Beine stellten, war einzigartig. Vielleicht so etwas, was wir heute als Crowdfunding bezeichnen.
Das war vor 35 Jahren. Ich benötigte ungefähr 25.000 €, wollte aber nicht die Bank um Geld bitten, sondern fragte meine Freunde, ob sie mir etwas von ihrem Geld leihen wollten, um mir zu helfen, mich selbstständig zu machen. Nach zwei Tagen hatte das Geld zusammen, um meinen Laden in Wien zu eröffnen.

Haben Sie all Ihre Investitionen mit dieser Praxis finanziert?
Wir haben bereits rund fünf Millionen Euro von etwa 350 Personen erhalten. Unsere Betriebsmittel, Materiallager und die fertigen Produkte sind mit acht Millionen bewertet, plus weitere sieben Millionen, die wir in unsere Immobilien investiert haben. Dieses Vermögen von 15 Millionen ist ausreichend, um den Menschen, die in uns investiert haben, Sicherheit zu geben.

Und welche Meinung haben die Banken dazu?
Mein Kontakt mit den Banken hat sich immer hier auf Schrems beschränkt. Ihre Angestellten sind freundlich, aber sie sind nicht frei. Sie müssen sich an endlos viele Vorschriften halten, und es ist ihnen gar nicht erlaubt, Geld für Material wie Leder oder Schuhe zu verleihen. Das war zu Beginn ein Problem, das dann aber unbedeutend wurde, als wir mit der privaten Finanzierung anfingen. Und im Jahr 2008, als die Lehman Brothers, die große US-Bank, bankrott ging und Insolvenz anmelden musste, hat das uns sogar geholfen, weil die Menschen anfingen, ihren Glauben an diese globale Wirtschaft zu verlieren und unsere Strategie auf der Grundlage einer regionalen Wirtschaft mit neuen Augen zu sehen.

Sie wurden von den Behörden bestraft?
Ja. Die Tatsache, dass wir Geld von Privatpersonen erhielten, die damit in unser Unternehmen investierten, brachte uns Probleme mit den österreichischen Finanzbehörden. Schließlich musste ich sogar eine Geldstrafe von 2.626 € zahlen, weil diese Behörde der Ansicht war, dass ich wie eine Bank gehandelt hätte, ohne die erforderlichen Berechtigung dazu zu haben. Aber am Ende sind wir durch diesen Kampf noch beliebter geworden.

Und wie ist die Situation jetzt?
Jetzt ist es legal. Am 1. September 2015 wurde in Österreich das Gesetz dazu geändert. Nun haben wir ein neues Gesetz für private Investitionen, stark beeinflusst durch den Konflikt, den ich mit den Finanzbehörden des Landes ausgefochten hatte.

Interessant ist, dass nun viele Ihrer Seminare von Bankangestellten besucht werden. Was schließen Sie daraus?
Heini Staudinger - WaldviertlerJa, das ist kurios. Geld hat eine sehr große Zerstörungskraft, und die Welt ist, wie sie ist, weil alles auf maximalen Gewinn ausgerichtet ist. Das führt dazu, dass viele kleine Geschäfte und Fabriken verschwinden und dass die meisten Schuhe und anderen Waren jetzt aus China kommen. Ich spreche in meinen Seminaren über das Leben, die Wirtschaft, unsere Gesellschaft, die die Menschen zu Egoisten macht, die die Natur zerstören. Und ich spreche darüber, wie wir es anders machen können. Die Leute hören gern etwas darüber. Mehrere meiner Reden sind auf Youtube und einige sind sehr beliebt.

Glauben Sie, Sie können die Welt verändern?
Wenn man etwas anders macht, verändert man damit auch die Welt um sich herum. Aber ich glaube auch, dass die Möglichkeiten sehr beschränkt sind, den nächsten großen Bankencrash zu verhindern. Das Finanzsystem wird irgendwann zusammenbrechen und bis dahin die Menschen weiterhin unterdrücken. Aber für unsere Würde es ist viel besser, zu versuchen, uns mit aller Kraft dem Erhalt des Lebens zu widmen.

Wie sehen Sie sich in 10 oder 20 Jahren?
Ich werde weiterhin mein Bestes tun, um zu überleben, Schuhe in Österreich zu produzieren und Leute für ein gutes Leben in den vergessenen Regionen des Landes zu begeistern. Menschen mit offenem Geist und Herz sind die ideale Voraussetzung, um einen Ort zu schaffen, an dem es sich gut leben lässt.

About the author

Alexandre Moura (39). JJournalist, gebürtiger Farense. Seit dem Jahr 2000 arbeitet für landesweite und regionale Presse, für das Fernsehen und verschiedene Radios in den Bereichen des aktuellen Tagesjournalismus ebenso wie in des Ressorts Kultur, Sport und allgemeine Information.

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