Alfredo Cunhal Sendim (49) ist Bauer mit Leib und Seele und Besitzer des landwirtschaftlichen Betriebs „Herdade do Freixo do Meio” in der Nähe von Montemor-o-Novo. In seinen jungen Jahren Jarbeitete er an der Algarve und war Fischer in Ferragudo. Eigentlich wollte er Fischer bleiben. Dann aber versetzte ihn ein Traum, ein „Paradies auf Erden“ zu schaffen, in die Weiten des Alentejo. Ein Agrarökosystem namens „Montado“ bedeutete für ihn die Zukunft mit dem Potenzial, den Planeten zu retten.
ECO123: Was genau ist ein Montado? Warum ist seine Entdeckung für Sie ebenso bedeutsam wie die Entdeckungen, die Portugal im Laufe seiner Geschichte machte?
AC: Montado ist eine wunderbare portugiesische Geschichte, die wahrscheinlich nur möglich wurde, weil hier so viele verschiedene Völker und ihre Kulturen durchgezogen sind, von den Korinthern über die Römer zu den Arabern und Christen. Montado ist ein Ökosystem, aber kein natürlich gewachsenes Ökosystem, sondern ein bäuerliches Ökosystem. Bäuerlich deshalb, weil es von Menschenhand geschaffen und geführt wird und damit noch bessere Erträge als die einstige Naturlandschaft liefert.
Wie fing alles an?
Es begann mit einem natürlichen, ursprünglichen Ökosystem, damals noch ohne Haustiere, das wir den “silva lusitana”, den Lusitanischen Wald nennen und der sich hier nach der zweiten Eiszeit bildete. Dann kam der Mensch ins Spiel. Er besiedelte das natürliche Ökosystem und begann es auf seine Bedürfnisse nach Nahrung, Brennstoff und Wohnraum hin zu verändern. In diesem Zuge führte er domestizierte Arten ein, zähmte weitere und nutzte auch einige Wildarten. So entstand der Montado, ein Agrarökosystem, weitaus komplexer als das ursprüngliche System und mit besseren Ertragsmöglichkeiten als den von Natur aus gegebenen.
Welche Rolle spielt der Baum in diesem System?
Bäume sind ein Schlüsselelement. Das mediterrane Klima ist eine der wenigen Weltklimazonen, in der man sich bemüht, trotz der jährlichen Trockenperiode von mindestens zwei bis drei Monaten ohne Niederschlag und mit hohen Temperaturen eine große Vielfalt an Nahrungsmitteln zu erzeugen. Das ist praktisch in keiner anderen Klimazone der Fall. Das Drama unter diesen Umständen ist, dass die Gemeinschaften von Bodenlebewesen, Bakterien, Pilze, Insekten usw. sterben, wenn sie nicht genügend Feuchtigkeit bekommen. Die Bäume hier gehen mit ihren Wurzeln bis zu 30 oder 40 Meter in die Tiefe bis zum Grundwasser und bringen es im Sommer an die Oberfläche, so dass es auch dem Mutterboden zugute kommt. So können die Mikroorganismen überleben. Dies ist die erste und wahrscheinlich einzige nachhaltige Bewässerungsanlage. Im Winter funktioniert sie anders herum: das überschüssige Wasser an der Oberfläche wird durch das Wurzelsystem in die Tiefe verteilt. Darüber hinaus bieten die Bäume Schatten, was in der Hitzeperiode sehr wichtig ist. Und sie bilden eine Reihe von Symbiosen mit Pilzen und Bakterien, die wiederum in Beziehung mit anderen Lebewesen stehen und somit einen lebenswichtigen Nährstoff-Kreislauf erzeugen.
Was hat Sie zu diesem Projekt motiviert?
Ursprünglich wollte ich einfach nur Fischer sein. Nur sehr selten habe ich auch an die Möglichkeit gedacht, Bauer zu werden. Die Hauptmotivation entstand durch die Gelegenheit des Augenblicks. Ich bekam die Möglichkeit zur Betreuung eines Landwirtschaftsguts, wo viele Menschen davon abhingen, dass der Hof gut geführt wird. Durch mein Studium an der Universität von Évora hatte ich eine landwirtschaftliche Ausbildung. Meine Mutter brauchte Hilfe und so erhörte ich den Ruf der Stunde.
Sie leben jetzt schon seit 25 Jahren auf dem Anwesen. Warum sind Sie hier?
Abgesehen von der herrlichen Naturlandschaft hatte ich das Glück, hier viele Menschen kennenzulernen, die mir dabei halfen, das zu verstehen, an was ich heute glaube. Ich glaube, der Mensch ist nicht besonders intelligent. Intelligent ist das System, in dem er lebt. Wir sind Teil eines kosmischen Projekts auf diesem Planeten, der simplen Strategie des Überlebens. Wir haben die Fähigkeit bekommen, von der Natur zu lernen. So wie die Natur komplexe Ökosysteme entwirft, können wir das auch, und sogar noch viel umfassender. Wir können uns unser eigenes Paradies erschaffen, einen wirklichen Garten Eden. Unsere Aufgabe aber ist es, die Natur zu verstehen und sie zu verbessern. Dieses Bewusstsein erfüllt mich sehr und gibt mir Sicherheit. Wir Menschen sind der neue Humus, auf dem eine bessere Zukunft für unseren Planeten wachsen wird.
Wo sehen Sie das Ökosystem “Montado” in 20 Jahren?
Wir wissen, dass wir die Probleme unserer Welt mit Wasser und ökologischem Denken lösen müssen. Die Zukunft liegt in der Agro-Ökologie. Montado ist in dieser Hinsicht eine Erfolgsgeschichte, mit der wir gut im Rennen liegen. Wir beschäftigen uns mit dieser Philosophie schon seit mehr als tausend Jahren. Erst in letzter Zeit geriet sie in Vergessenheit. Wenn wir es schaffen, dieses Konzept wiederzubeleben, haben wir damit in Portugal und im ganzen mediterranen Raum einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Regionen. Damit haben wir schon einmal einen Vorsprung, aber wir machen das nicht genau gleich wie früher. In der Zwischenzeit haben wir dazugelernt und konstruieren den Montado nach den ursprünglichen Regeln und Denkweisen, jedoch mit neuen Techniken und Elementen.
Handelt es sich bei Montado um die intelligenteste Form der Zusammenarbeit von Mensch und Natur?
Absolut. Mit Montado schaffen wir ein System, das Symbiose anstelle von Konkurrenz fördert. Wie arbeiten mit Lebewesen, die in der Lage sind Steine zu essen, wie die Pilze, die aus dem Gestein Phosphor lösen. Wir arbeiten mit Bakterien, die den stabilen Stickstoff aus der Atmosphäre holen und ihn in reaktivem Stickstoff umwandeln, der für die Pflanzen verwendbar ist. Wir arbeiten mit einer Reihe von verschiedenen Organismen, die ein dynamisches, ausbaubares System bilden. Wir sind derzeit bei der Gestaltung eines neuen Montado auf 120 Hektar, mit neuen Techniken, aber nach den gleichen Prinzipien, auf andere Spezies und eine effizientere Wassernutzung ausgerichtet.
Welche Produkte werden auf Ihrem Bauernhof erzeugt?
Wir stellen alle mediterranen Lebensmittel her, mit Ausnahme von Fisch. Wir bieten mehr als 300 Produkte an, aber alles in kleinen Mengen. Aus der Waldbewirtschaftung kommen Holz, Kork und Früchte wie Eicheln, Pinienkerne, Oliven, Trauben, Medronho und wilde Pilze. Wir züchten auch verschiedene Tiere; Schweine, Kühe, Schafe, Ziegen, Truthähne, Gänse, Legehennen und Masthühner. Und wir produzieren eine Vielzahl von essbaren Früchten, Gemüse, Getreide und Hülsenfrüchte.
Lohnt sich das finanziell?
Wir verdienen damit immer noch kein Geld. Aber seit fünf Jahren schaffen wir es, zu überleben. Immer mit großen Investitionen, die wir zumindest durch die Wiederverwendung der Erträge abzahlen können.
Wenn kein unmittelbarer finanzieller Gewinn dabei abfällt – was ist dann Ihr Ziel?
An erster Stelle steht die Zufriedenheit, das Glück. Das wertvollste Ergebnis unserer Anstrengungen ist unser Projekt, das wir hier aufbauen. Darüber hinaus erzielen wir weitere Werte, auch wenn sie im Kapitalismus keine Bedeutung haben. Bodenkapital ist der größte Reichtum, den wir besitzen können. Ferner ein produktives, ausgewogenes Ökosystem, dass unsere Bedürfnisse auf allen Ebenen erfüllt, sei es zur Ernährung oder im Landschaftsschutz. Ich bin um vieles reicher, wenn ich einen lebendigen Boden besitze, wenn ich autark bin und in der Lage, Nahrung für die vielen Leute, die hier leben, zu produzieren, als wenn ich eine Menge Geld auf der Bank hätte.