ECO123: Du arbeitest jetzt in Braga?
Roberto Merrill: Ja, ich bin als Wissenschaftler nach Portugal zurückgekehrt, um meine Promotion zu schreiben, die ich durch die FCT (Stiftung für Wissenschaft und Technik) finanziert bekomme. Ich habe politische Philosophie studiert und lebe erst seit zwei Wochen in Braga. Dort wurde mir wunderbarerweise ein Lehrstuhl angeboten, was mich sehr glücklich macht.
Wie bist du zur Bewegung für das Bedingungslose Grundeinkommen gekommen?
In meiner Doktorarbeit zu politischer Philosophie befasste ich mich mit der Neutralität des Staates. Wodurch wird die Autorität des Staates legitimiert? Was verschafft Gesetzen ihre Berechtigung? Und dann gibt es da eine sehr alte Debatte, die wahrscheinlich auf das Manifest zur Toleranz von John Locke zurückgeht, eine Einstellung vor allem der Liberalen. Darin wird behauptet, dass der Staat, um gerecht zu urteilen, moralische Neutralität einhalten muss. Der Staat darf seinen Bürgern keinen Lebensstil aufzwingen. Lasst die Menschen frei entscheiden, wie sie leben möchten, und gebt ihnen dazu die finanziellen Mindestvoraussetzungen. In dieser Debatte kam ich auf Philippe van Parijs, einen belgischen Philosophen, der das berühmte Buch „Real Freedom For All“ (leider auf Deutsch nicht erhältlich) schrieb. Es ist die fundierte Rechtfertigung für das Bedingungslose Grundeinkommen. Der elementare Punkt dabei ist, dass das Thema „Grundeinkommen“ nichts mit politischen Anschauungen zu tun hat, folglich unabhängig davon diskutiert werden muss. Und genau das hat eine große Anziehungskraft auf mich ausgeübt, weil meine Auseinandersetzung mit dem Thema bisher sehr theoretisch war. Es ist auch ein Weg, um meine Forschungsstudien etwas praxisbezogener fortzuführen. Es ist immer gut für einen Philosophen, den Blick auf die Wirklichkeit nicht zu verlieren.
Diese Idee wurde auch in der UN-Verfassung berücksichtigt.
Genau, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wie in fast allen anderen auch.
Was ist deiner Meinung nach der Grund dafür, dass die portugiesische Regierung dieses Konzept zur Befreiung seiner Bürger von der Existenzangst noch nicht realisiert hat?
Die Menschen sind nicht sehr liberal bzw. nicht in der Lage, sich moralischen Urteilen darüber zu enthalten, wie Menschen leben sollten. Sie schaffen Bedingungen, unter denen schwer zu leben ist. Ist es gerecht, Menschen Geld zu geben, die nicht arbeiten wollen? Ich denke, das ist eine große ideologische Bremse, die aber, richtig überlegt, leicht zu entkräften ist. Das ist keine vernunftgesteuerte Diskussion. Und dann kommt da noch die Angst vor der Nichtfinanzierbarkeit hinzu. Ich glaube, dass die meisten, selbst wenn sie ein wenig darüber nachdenken, sich überhaupt nicht vorstellen können, wie das finanziert werden könnte. Ich möchte da oben in der Region Minho noch in diesem Jahr meine Doktorarbeit in Wirtschaftswissenschaften darüber schreiben, vor allem über das Thema: „Wie finanzieren wir das BGE?“ Dazu studiere ich die Grundlagen der Wirtschaft und komme so von der moralischen Begründung zu praktischen.
Was bedeutet liberal für dich?
Das Wort liberal kommt von der politisch liberalen Bewegung. Es ist ein großer zivilisatorischer Fortschritt, Menschen wie vor allem den Engländer John Locke hervorgebracht zu haben, die sich mit all ihrer Kraft für die Erlangung und Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts einsetzten. Dazu gehört auch, Menschen wegen Armut zu stigmatisieren sondern den vorhandenen Reichtum umzuverteilen, so dass sie ihre Freiheit ausleben können. Dies ist ein weiterer unter Liberalismus geführter Aspekt
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Das BGE muss finanziert werden. Hast du eine Idee, wie dies realisiert werden kann? Wenn wir an nur 500 € pro Kopf denken, sind das schon gleich 48 Mrd. € pro Jahr.
Es besteht kein Zweifel, dass das finanzierbar ist, ohne den Staatshaushalt zusätzlich zu belasten und ohne die Staatsverschuldung zu erhöhen. Wir würden lediglich die Steuern anheben müssen, das aber so gering, dass davon kaum etwas zu spüren ist. Anstatt sich drei Jachten im Jahr zu kaufen, kauft man eben nur zwei. Damit kann man natürlich nicht dem kapitalistischen Lebensstil frönen, dem Konsum, unendlich viele Luxusgüter zum Leben brauchend. So sieht der Entwurf aus. Es scheint durchaus Sinn zu machen. Konkret steht die Idee dahinter, jedem erwachsenen portugiesischen Einwohner einen monatlichen Betrag von 420 Euro zur Verfügung zu stellen und 20% davon für jedes Kind.
Vielen Dank.