„Ich wurde in Goa, Indien, geboren“ erzählt Domingos Xavier Viegas zu Beginn des Gesprächs mit ECO123 im Garten des Verlags. „Ich bin portugiesischer Staatsbürger und kam mit meinen Eltern und drei Brüdern hier her. Unsere Eltern wollten bessere Bildungsmöglichkeiten für uns und es war ihnen klar, dass das nicht einfach wäre, wenn wir in Goa bleiben würden. Mein Vater war Beamter, und wir ahnten bereits, dass Indien Goa annektieren wollte, und so sind wir nach Portugal ausgewandert. Wir haben unser Land 1958 verlassen, das dann 1961 tatsächlich von der Indischen Union übernommen wurde. Danach kamen wir ein paar Mal zurück, um den Kontakt nicht zu verlieren. Wir haben Familienangehörige in Indien, Goa und Pakistan zurückgelassen. Unsere Familie ist auf der ganzen Welt verteilt.“
Als Kinder träumen wir von unserer Zukunft. War es Ihr Traum, Professor an der Universität von Coimbra und Spezialist für Waldbrände zu werden?
Nein. Mein Traum als kleiner Junge war es Luftfahrtingenieur zu werden. Die Luftfahrt war meine Leidenschaft und ich hätte gerne Maschinen – in diesem Fall Flugzeuge – entwickelt. Aber dann musste ich mich nach und nach umorientieren, denn in Portugal gab es dafür leider keine Gelegenheit. Ich hatte auch nicht die Absicht auszuwandern, ich dachte wir sollten im Land bleiben und zu dessen Entwicklung beitragen. Ich suchte in meiner akademischen Laufbahn nach einem Bereich, der mir die Freiheit gibt, nicht nur das zu tun, was ich mag, sondern auch das, was ich als wichtig und notwendig erachte.
Wie kamen Sie mit dem Thema Brände in Kontakt?
Ich bin Maschinenbauingenieur. Mein Spezialgebiet ist Dynamik, und ich habe in den Bereichen Industriedynamik, Windtechnik, industrielle Abwasseranlagen, Fahrzeugdynamik und Windlastauswirkung gearbeitet, habe mich aber auch immer mit gesellschaftlichen Fragen befasst, wie zum Beispiel mit dem Thema Verkehrsunfälle und anderen Problemen, die die Gesellschaft direkt betreffen – dazu gehören eben auch die Waldbrände.
Wann haben Sie diesen inneren Ruf zum ersten Mal gespürt?
Als ich jung war, 16 Jahre alt, ereignete sich in Sintra ein Unfall, bei dem 25 Feuerwehrleute starben. Das war 1966. Ich war sehr betroffen – auch weil ich mich in der Nähe dieser Region aufhielt. Im Jahr 1985, kurz nach meiner Promotion, ereignete sich in Armamar ein Unfall, bei dem 14 Feuerwehrmänner der gleichen Organisation starben. In der Zeitung las ich, dass der Wind sich gedreht hatte und diese Bewegungsänderung den Tod der Menschen verursachte. Ich dachte: Wir untersuchen die Wirkung des Windes in verschiedenen Bereichen. Warum versuchen wir nicht zu verstehen, was bei Bränden passiert, um Menschen zu helfen und solche Unfälle zu verhindern?
Ihre Forschungsarbeit ist für deren Genauigkeit bekannt. Sie untersuchen die – oft ungeklärten – Ursachen von Waldbränden. Ihrem Team gelang es, die Ursache der Waldbrände in Pedrogão Grande im Jahr 2017 und in Monchique im Jahr 2018 aufzuklären. Ich las mit großem Interesse den Bericht an das Parlament 2018. Das ist Pionierarbeit. Wie hat das begonnen?
1985 startete ich mit meinen Studenten und Kollegen ein kleines Projekt. Nach und nach schlossen sich mehr Menschen an, auch aus anderen Fachgebieten – niemand in Portugal studierte Waldbrände – und wir wurden zunächst bei kleineren Projekten unterstützt, später auch bei Projekten der Europäischen Union. So begann die interdisziplinäre Forschungsarbeit in verschiedenen Bereichen und es entstand ein Forschungsteam mit entsprechenden Arbeitsbedingungen und Strukturen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon einiges an Forschungsarbeit geleistet auf deren Grundlage wir unsere Expertise und Hilfe anbieten konnten. Es freut uns, dass wir unser Ziel erreicht haben, das Feuer besser zu verstehen und auf diese Weise zu mehr Sicherheit für die Menschen beizutragen. Und wir konnten einige Verbesserungen am System vornehmen, insbesondere bei der Brandbekämpfung. Nun gilt es Systemverbesserungen auch in Bereichen voranzubringen, die die Bevölkerung unmittelbar miteinbeziehen.
Sie sind 69 und arbeiten noch?
Ja, weil es mir Freude macht. Und ich möchte auch weitermachen, solange ich die Kraft und die geistigen Fähigkeiten habe und meine Mitarbeit erwünscht ist. Ich arbeite nahezu seit 40 Jahren an diesem Thema.
Was erscheint Ihnen im Rückblick besonders erwähnenswert?
Die Geschichte der Brände in Portugal. Eine Statistik für den Zeitraum der 1940er Jahre zeigt uns die Brände und die dabei verbrannte Fläche. Wenn wir die loarithmische statt lineare Skala betrachten, fällt uns auf, dass es in den 1940er bis 1970er Jahren Dutzende oder Hunderte von Bränden im Land gab. Es kam dann zu einem starken Anstieg in den 80ern und jetzt verzeichnen wir zwischen zwanzig- und dreißigtausend Vorkommnisse pro Jahr. Das gleiche trifft auch auf die Größe der verbrannten Fläche zu. Sie wuchs stetig an und erreichte vor allem in den Jahren 2003, 2005 und 2017 katastrophale Ausmaße.
Wie erklärt sich diese Zunahme?
Es gibt viele Faktoren. Erstens wurden in den 1940er Jahren Pinienwälder angelegt, die heranwuchsen und in den 60er und 70er Jahren ein großes Volumen an brennbarem Material darstellten. Während dieser Zeit verließen immer mehr Menschen die ländlichen Regionen und kümmerten sich nicht mehr um die Waldgebiete. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Temperatur in diesen Jahren um mindestens zwei Grad gestiegen ist. Das sind einige der Gründe, die seitdem zu diesem Trend beigetragen haben. Natürlich gab es auch andere positive Faktoren – wie zum Beispiel verbesserte Systeme zur Brandbekämpfung – aber es ist ein sich ständig weiterentwickelnder Prozess, der scheinbar nicht zum Stillstand kommt.
Wurden bei Ihrer Arbeit die Auswirkungen des Klimawandels berücksichtigt?
Seit 2002 können wir beobachten, dass es immer weniger regnet. Wir erleben lange Sommer und Dürreperioden mit Hitzewellen. In diesen Jahren konnten wir aber auch eine Verbesserung der Effektivität im Bereich Brandbekämpfung feststellen. Hier konnten in unserem Land die größten Fortschritte verzeichnet werden. Das führte dann auch dazu, dass von den zwanzig- oder dreißigtausend Bränden nur 20% eine Fläche von mehr als einem Hektar betrafen. Das große Problem ist die Anzahl der Brandvorkommen pro Tag in den fünf Jahren von 2003 bis 2007. Es gab Tage, an denen wir es mit über 500 Bränden zu tun hatten – und dies im Hochsommer. Im Jahr 2012 hatten wir das gleiche Problem – es gab Tage, an denen bis zu 600 Brände gemeldet wurden. Je mehr Brände pro Tag zu verzeichnen sind, desto mehr Waldfläche verbrennt auch.
Selbst wenn es uns gelungen ist, die Effektivität der Brandbekämpfung stark zu verbessern, hoffen wir natürlich, dass es nicht noch einmal zu Schäden wie 2017 kommt, bei denen unter widrigen Wetterbedingungen das Risiko besteht, dass riesige Flächen dem Feuer zum Opfer fallen. 2017 brannte es an drei Tagen gleichzeitig im Zentrum und im Norden des Landes – die Flammen wüteten vom Meer bis ins Landesinnere. In vielen Gemeinden waren Opfer zu beklagen. Seit 2017 hat unser Team auch die Statistik tödlicher Unfälle genau verfolgt und musste bisher 120 Todesopfer verzeichnen. Ich habe diese beiden Ereignisse im Detail untersucht und bezüglich des Brandes in Pedrogão festgestellt, dass sich dieser bei sehr hohen Temperaturen sehr schnell entwickelte. Hier an der Algarve wissen die Leute, was Temperaturen von 40 oder gar 42 Grad bedeuten, aber viele Menschen in den Städten haben davon keine Vorstellung.
Für die Bekämpfung von Waldbränden unter diesen Temperaturbedingungen spielt das Entstehen von starken Winden bei Gewittern eine besondere Rolle. Wie müssen Feuerwehrleute vorgehen, wenn sie bei diesen Temperaturen mit einem Feuer konfrontiert werden? Genau das war das Problem in Pedrogão. Es handelte sich um eine Mehrzahl von Bränden, was dazu führte, dass sich die Feuerwehrmänner verteilten. Es gab zwei Brandschwerpunkte. Unser Team hat bei seinen Nachforschungen festgestellt, dass diese Brände durch eine 15-Kilowatt-Stromleitung erst an einem Punkt und dann eine Stunde später 3 km weiter entlang derselben Leitung ausgelöst wurden und sich ausbreiteten. Zuerst wurde das Feuer zur Linken versucht zu löschen. Danach konnte der zweite Brandherd aus Mangel an Ressourcen nicht mehr bekämpft werden. Es gab einen Camcorder, sogar eine ganze Reihe von Kameras, die den Brandverlauf aufzeichneten.
Vielen Menschen ist nicht bekannt, dass sich ein Sturm, eine Gewitterfront, auf das Feuer zubewegte. Dieses Gewitter führte dann zu den Auswirkungen, die wir auf den Fotografien sehen können. Zwischen 18 Uhr und 18.15 Uhr wurden die ganzen Bemühungen zur Bekämpfung der Hauptfeuerfront zunichte gemacht und das Feuer breitete sich im gesamten Gebiet aus. Der Brand war bereits vorher schwer zu kontrollieren, was nun gänzlich unmöglich wurde. Die Flammen erreichten die Dörfer und gefährdeten die Bewohner.
Wie kam es zu derart zahlreichen Todesfällen? Wie müssen wir uns bei Waldbränden verhalten?
Am nächsten Morgen war ich am Brandort, um zu untersuchen unter welchen Umständen die Opfer ihr Leben verloren. Ich sprach mit allen Überlebenden, mit Menschen, denen ich auf der Straße begegnete. Und was ich gehört und daraus gelernt habe, sollte meiner Meinung nach allen Leuten bekannt gemacht werden, um zu versuchen solche Situationen in Zukunft zu vermeiden.
Auf dieser Strecke ist das Gelände rechts der Straße steil abfallend. Von dort fiel eine Pinie quer über die Straße. Dadurch wurde die Straße unpassierbar und zehn Fahrzeuge, die sich in diesem Abschnitt befanden, kamen von dort nicht mehr weg. Ich kenne Leute, die wegen dieser Pinie gestorben sind.
Wir wissen von Menschen, die noch um acht Uhr abends in ihren Häusern zu Abend aßen, beschlossen sich in Sicherheit zu bringen und dann alle um neun Uhr auf der Straße gestorben sind.
In der Zisterne eines Hauses in Nordeirinho überlebten elf oder zwölf Menschen. Es ist für die Gemeinden wichtig zu wissen, dass es solche Rettungsmöglichkeiten gibt. Ganz in der Nähe dieses Dorfes aber starben weitere Menschen. Meine Kollegen gingen drei Monate lang von Haus zu Haus und dokumentierten alle Auswirkungen des Brandes. Diese Befragung ergab, dass die meisten zerstörten Häuser durch sekundäre Brandherde verursacht wurden und die unmittelbare Umgebung dieser Häuser nicht instand gehalten und von brennbaren Materialien befreit worden war.
Reden wir über Monchique?
In Monchique hatte ich mit mehreren Bränden zu tun. Der erste war im September 2003, als es ein Opfer gab – Herr Joao Nunes – soweit ich weiß, das einzige Todesopfer an der Algarve. Ich war vor Ort, um diesen Fall zu untersuchen.
Dann gab es das Feuer 2018, das nach Datenlage im Gebiet von Perna de Negra in unmittelbarer Nähe einer Mittelspannungsleitung (15 kW) ausgelöst wurde, die entlang des Entstehungsgebiets des Brandes verläuft. Insbesondere bei Stromleitungen, die durch mit Eukalyptus bepflanzte Gebiete laufen, sollte aufgrund des raschen Höhenwachstums von Eukalyptusbäumen äußerste Vorsicht walten, da es zu Berührungsentladungen oder sogar zu Beschädigungen der Stromleitungen kommen kann.
Es herrschte sehr starker Wind. Mir ist bekannt, dass Alferce evakuiert wurde und die Dinge nicht wie von den Behörden beabsichtigt liefen. Es wird inzwischen zunehmend davon ausgegangen, dass es notwendig ist, Personen, die dazu in der Lage sind, vor Ort bleiben zu lassen, um ihren Besitz verteidigen zu können.
Was können wir tun, um Waldbränden vorzubeugen?
Wir wissen, dass wir es mit einem komplexen, schwer zu ergründenden Problem zu tun haben. Viele Brände sind auf menschliches Handeln zurückzuführen – manche entstehen durch Fahrlässigkeit, andere durch böswillige Absicht – aber wir dürfen nicht die Ursachen jener Brände außer Acht lassen, die auf eine andere Weise ausgelöst wurden. Die Bürgerbeteiligung ist integraler Bestandteil eines dazu entwickelten Programms, und wir müssen daran arbeiten, es zu optimieren.
Das Nationale Brandschutzsystem Sistema Nacional de Saúde – Defesa contra os Incêndios basiert auf zwei Säulen: Eine besteht aus ICNF (Institut zum Schutz von Natur und Wald), ANPC (Zivilschutzbehörde) und GNR (Nationalgarde). Die andere Säule sind wir alle. Alle Aufgaben, die nicht von den drei genannten Institutionen geleistet werden, müssen von uns übernommen werden. Dabei ist die Rolle der Gemeinden sehr wichtig, in denen zurzeit eine große Bereitschaft besteht, sich einzubringen. Brände wie in den Jahren 2017 und 2018 werden sich wiederholen. Sie sind passiert und kommen weiterhin vor. Die Konsequenzen dürfen aber nie mehr derartige Ausmaße annehmen.
Ein wichtiger Aspekt, den wir bereits angesprochen haben ist, die Lebensqualität der Bewohner in Waldregionen zu verbessern. Wir mussten leider feststellen, dass unser Land jahrelang seine Ressourcen nicht ausgeschöpft hat. Jetzt gilt es aber auf extreme Brandszenarien vorbereit zu sein, ohne die entsprechenden Brand- und Katastrophenschutzpläne wird das jedoch nicht zu leisten sein.
Die Bevölkerung sollte ihre Häuser nur verlassen, wenn der Evakuierungsplan durchgeführt werden muss. Wir brauchen medizinische Notfallstationen für den Katastrophenfall sowie mit eigenen Ressourcen ausgestattete Such- und Rettungsstellen.
In vielen Gebieten wurden eigene Schutzorganisationen gegründet. Das sind keine Feuerwehren, aber Menschen, die über entsprechendes Training, Ausrüstung und Fahrzeuge verfügen. Im Jahr 2016 besuchten wir einen Ort bei Funchal auf Madeira an dem ein Brand gewütet hatte. Dabei fiel uns ein Haus auf, eines der gefährdetsten in dieser Gegend, das jedoch völlig unbeschädigt blieb. Es war intakt geblieben, obwohl sich die Flammen aus allen Richtungen näherten, weil seine Bewohner sich mit entsprechenden Maßnahmen auf die Brandabwehr vorbereitet hatten.
Mit unserer Forschungsarbeit versuchen wir, Lösungen zu entwickeln. Wenn es ein Verteidigungssystem um Häuser und Dörfer gäbe, würden die Bewohner sicherer leben und Zerstörungen könnten verhindert werden.
Das sind die Konsequenzen, die wir aufgrund unserer Erfahrungen ziehen müssen. Wir müssen uns mit der Brandproblematik auseinandersetzen, unsere Kenntnisse über das Wesen der Brände ständig verbessern, auch wenn wir wissen, dass deren Bekämpfung fast immer unsere Möglichkeiten übersteigt. Die Gesellschaft muss sich darauf vorbereiten, immer wieder mit solchen Situationen konfrontiert zu werden. Wir müssen hinnehmen, dass Menschen in vielen Situationen derart bedroht werden, dass die Evakuierung unumgänglich ist, dies aber nicht immer so sein muss.
Wir sollten in Zusammenarbeit mit den Kommunen Risiken identifizieren, die Menge an brennbarem Material verringern und das Emissionsniveau senken. Es muss ein Frühwarnsystem geschaffen werden. Wir müssen die Gemeinden darauf vorbereiten, dem Feuer auch ohne fremde Hilfe zu trotzen.
Ein Überlebender der Brände, der zwei Familienangehörige verlor, die vor dem Feuer fliehen wollten, sagte uns: “Auch wenn ich 100 Jahre alt werden würde, werde ich während eines Brandes nicht von zuhause weglaufen.”
Vielen Dank für Ihren Besuch in Monchique.