Am Anfang war (wahrscheinlich) das BMX. Wer in den 80er Jahren oder zu Beginn der 90er aufgewachsen ist, dachte nicht groß über das Fahrrad nach. Es war einfach Teil des Lebens – es war da. Dann kam die Pubertät, Ausgehen am Abend, dann die Universität oder die Arbeit. Die Räder wurden vergessen oder man spezialisierte sich auf Nischensportarten wie Radrennen oder Mountainbiking.
Mittlerweile jedoch hat sich die Welt verändert, und die Menschen mit ihr. Die Fahrräder kamen wieder zum Vorschein. Dieses Mal mit Bedacht und Voraussicht: um Geld einzusparen, um wieder fit zu werden oder um die Umwelt zu schonen. Fahrräder wurden zum alternativen Transportmittel, um zur Arbeit zu fahren, sie schlichen sich ins tägliche Leben der Menschen zurück, bis sie unerlässlich wurden, zum Einkaufen fahren, zum Ausgehen oder sogar für die Ferien.
Heutzutage ist das Fahrrad nicht mehr nur ein alternatives Transportmittel, es ist Kulturgut. Es gibt tatsächlich eine kulturelle Bewegung rund um dieses Objekt. Es ist vollkommen unmöglich, unser Land zu besuchen, ohne diesen Asphaltrittern zu begegnen, den jungen und alten, die das Rad Zeit ihres Lebens als Fortbewegungsmittel nutzen. Auch in Lissabon ist das Zweirad eine Konstante geworden. Es gibt kaum einen Pfosten, an dem nicht irgendein Fahrrad angekettet ist: nagelneue, Spezialanfertigungen oder welche aus dem Supermarkt.
In Portugal gibt es die verschiedensten Ausprägungen der Fahrradkultur. Besonders erwähnenswert ist die Bewegung Fahrradfreitag, die von der MUBI, dem Verein für innerstädtische Mobilität mit dem Fahrrad, organisiert wird. Mehr als 1.000 Teilnehmer sind schon über jeweils 1.000 Kilometer gestrampelt, indem sie jeden Freitag mit dem Rad zur Arbeit gefahren sind. Wer nicht viel Geld für ein Rad ausgeben kann oder will, kann sich an Läden wie Rcicla wenden, die alte Fahrräder wieder aufarbeiten. Und wer handwerklich geschickt ist, kann auch über Sites wie OLX , Ocasião, Custo Justo oder Algarve123 fündig werden. Bei Roda Gira kann man sich sein persönliches Rad basteln, oder man bewirbt sich bei der Firma Camisola Amarela um einen Platz in der Fahrradstaffel. Freie Radlervereine wie die Matilha Cycle Crew organisieren Radtouren und Picknicks. Oder man radelt mit Massa Crítica, die jeden letzten Freitag des Monats Radtouren in verschiedenen Städten des Landes veranstalten, von Braga im Norden bis Faro im Süden. Wer sich mit dem Rad nicht sicher im städtischen Straßenverkehr fühlt, kann bei Cenas A Pedal Fahrradkurse belegen, um sich an die tägliche Fortbewegung auf zwei Rädern zu gewöhnen.
Doch wer glaubt, zum Radeln brauche man Spezialkleidung aus Lycra und einen Körper wie ein Tour-de-France Fahrer, hat sich getäuscht. Die Gruppe Lisbon Cycle Chic stellt auf ihrer Seite Radfahrer vor, die für den Alltag gekleidet sind. Auch H&M hat kürzlich in Partnerschaft mit Brick Lane Bikes eine Linie für städtische Radfahrer herausgebracht. Rund um das Fahrrad gibt es schon so viele Neuigkeiten und Fans, dass ganze Zeitschriften sich ausschließlich mit den sozialen Komponenten der städtischen Fahrradkultur befassen, wie das Jornal Pedal und B:Cultura da Bicicleta. Um es mit den unsterblichen Worten Einsteins zu sagen: “Das Leben ist wie Rad fahren – um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, muss man in Bewegung bleiben.”
Interviews:
Nuno Sota
Laden Roda Gira
Wie fing alles an? (das Rad fahren)
Es fing vor fünf Jahren an. Meine alte Arbeitsstelle war vier Kilometer entfernt und ich dachte, es wäre klüger, mit dem Rad dahin zu fahren.
Was bedeutet das Fahrrad für Sie?
Irgendwohin zu radeln macht Spaß. Mit dem Rad ist man flexibler als alle anderen. Wir halten, schalten und ruhen uns aus, wann wir wollen.
Was änderte sich in Ihrem Leben, als Sie anfingen, Rad zu fahren?
Vor allem änderte sich mein Erleben der Stadt und der anderen Verkehrsteilnehmer. Man erlebt drei Standpunkte: den des Autofahrer (ich fahre auch Auto), den des Radfahrers und den des Fußgängers. Dadurch gewinnt man besondere Einblicke und übt mehr Rücksicht.
Wann benutzen Sie das Fahrrad nicht?
Meistens wenn ich längere Strecken fahren muss, wo das Fahrrad nicht schneller ist, und wenn ich Sachen transportieren muss.
Ist Rad fahren eher Transport oder Aktivismus?
Das Rad ist eindeutig ein Transportmittel, doch durch die großen Änderungen, die es in den Städten bewirkt, wurde es auch zu einer Form von Aktivismus. Aber wenn wir das zum Kampf ausarten ließen, könnten wir den Spaß und die Entspannung, die es bringt, nicht mehr genießen.
Ricardo Marques
fährt täglich Rad
Wie fing alles an? (das Rad fahren)
Das ist schon so lange her, das weiß ich kaum noch. Ich erinnere mich an einen Sonnentag, mit Hilfe meines Vaters als Ko-Pilot im Sattel… Von da an war das Rad immer da.
Was bedeutet das Fahrrad für Sie?
Ein Ding aus Rohren und zwei Rädern, ein Paar Pedale und mehr oder weniger Technik. Manche sind hübscher als andere. Meine waren nie so hübsch, aber ich habe sie aus ganzem Herzen geliebt.
Was änderte sich in Ihrem Leben, als Sie anfingen, Rad zu fahren?
Ich kannte nie eine andere Realität, das Fahrrad war immer schon Teil meines Lebens. Es hat aber im Laufe der Zeit verschiedene Rollen und Stellenwerte eingenommen. Seit etwas mehr als einem Jahr ist es sehr wichtig auf meinem Arbeitsweg geworden und hat öffentliche Transportmittel, die ich täglich benutzte, verdrängt. Seit neuesten bereite ich mich darauf vor, meinen einjährigen Sohn mitzunehmen und wann immer ich kann, radel ich lange Strecken.
Wann benutzen Sie das Fahrrad nicht?
In allen Situationen, wo ein Auto nötig ist. Also Reisen mit der Familie, wenn man große oder schwere Sachen transportieren muss, wenn es um lange Strecken geht, die mein Körper nicht packt.
Ist Rad fahren eher Transport oder Aktivismus?
Spaß, Geselligkeit, Wohlfühlen. Alles sehr egoistisch. Wenn das als Beispiel dient, umso besser!
Bietet Portugal gute Bedingungen für Radler? Was könnte man verbessern?
Portugal hat viele Seiten, einige sind radlerfreundlicher als andere. In meinem Umfeld herrschen ausreichend gute Bedingungen, um ohne größere Probleme Rad fahren zu können. Natürlich könnte man die Infrastruktur ausbauen und verbessern, doch die wahre Herausforderung sitzt in den Köpfen der Leute. Auf den Straßen wird es immer Situationen geben, die von Dummheit, Achtlosigkeit und mangelndem Respekt zeugen. Ich denke nicht, dass die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, für Radfahrer so viel anders sind als für Auto- oder Motorradfahrer oder für Fußgänger.
MUBI
Verein für innerstädtische Mobilität mit den Fahrrad
Wie fing alles an?
Im Jahr 2009 haben einige Radler, die regelmäßig bei Massa Crítica mitfuhren, beschlossen, einen Verein zu gründen, der den Einsatz des Fahrrads als Transportmittel fördern sollte und der effektive Maßnahmen ergreifen sollte, um das Radfahren angenehm, effizient und verantwortungsvoll zu gestalten. Der Verein gründete sich als Kollektiv unter kollegialer Leitung, was bis heute erhalten blieb, und ist immer offen für neue Radler, die dieselben Ziele haben und bereit sind, dafür zu arbeiten.
Was bedeutet das Fahrrad für Sie?
Eine der besten Arten, sich fortzubewegen. Man ist in Kontakt mit den Leuten und nah dran an seinem Umfeld. So können wir unser Viertel oder unsere Stadt besser entdecken. Es ist das effizienteste Transportmittel für kurze oder mittlere Entfernungen im Stadtgebiet. Es ist das Haupttransportmittel in der Stadt für den Weg zur Arbeit, in der Freizeit, für Fahrradtourismus auf längeren Strecken. Außerdem ist es ein Kultgegenstand, ein Statussymbol, das für einen urbanen, gesunden und alternativen Lebensstil steht, der in unserer Gesellschaft immer mehr Verbreitung und Akzeptanz findet. Es repräsentiert eine Strategie des nachhaltigen, umweltfreundlichen und günstigen Transportes, der gleichzeitig unsere Städte humaner machen kann.
Was änderte sich in Ihrem Leben, als Sie anfingen, Rad zu fahren?
Rad fahren spart vor allem Zeit. Das erscheint nicht immer so, doch es ist die pure Wahrheit! Wir werden gesünder und der Hintern wird fester. Der Berufsstress verschwindet. Wir finden mehr Freunde. Wir werden glücklicher und ruhiger. Wir verbinden uns mehr mit unserer Stadt, unserer Nachbarschaft und entwickeln ein besseres Verständnis für den Raum, der uns umgibt. Wenn man Rad fährt, interagiert man mehr mit dem Umfeld und den Leuten darin. Und schließlich hat auch das Radfahren im Straßenverkehr dazu geführt, dass wir als Autofahrer mehr Rücksicht auf Radfahrer und Fußgänger nehmen.
Wann benutzen Sie das Fahrrad nicht?
Wenn ich große Strecke fahren muss (mehr als 20 Kilometer) und es kein anderes Transportmittel wie die Metro, Züge oder ähnliches gibt, die ich mitbenutzen kann. Es macht nämlich wirklich Spaß und ist effizienter, wenn man immer wieder Möglichkeiten entdeckt, noch weiter zu kommen und das Beste aus dem Rad als Transportmittel macht!
Ist Rad fahren eher Transport oder Aktivismus?
Transport, natürlich, das immer. Aktivismus glücklicherweise oder leider auch. Die geltenden Gesetze stipulieren die Gleichheit der Transportmittel, insbesondere die Straßenverkehrsordnung, in der die Fahrräder als Fahrzeuge definiert werden, die die Straßen befahren dürfen. Leider macht das Gesetz aber auch Unterschiede zwischen den Transportmitteln, was die allgemeinen Vorfahrtsregeln und die Position auf der Straße angeht, was unter anderem in der Praxis dazu führt, dass die Sicherheit und die Gleichbehandlung der Radfahrer beeinträchtigt werden. Dann stellt man fest, dass man noch daran arbeiten muss, dass Radfahrer die gleichen Rechte wie alle anderen Verkehrsteilnehmer haben.
Bietet Portugal gute Bedingungen für Radler? Was könnte man verbessern?
Rad fahren ist sehr einfach und der natürlichsten Art der Fortbewegung, dem Zu-Fuß-Gehen, sehr ähnlich. Insofern ist es klar, dass man in Portugal radeln kann, wie in jedem anderen Land der Welt, ungeachtet der geografischen, ökonomischen, politischen, infrastrukturellen etc. Gegebenheiten. Wenn man die Entwicklung betrachtet, die seit Ende des 19. Jahrhunderts und während des 20. Jahrhunderts auf öffentlichen Flächen stets motorisierte Fahrzeuge bevorzugt hat, findet man sich heute in einer Situation wieder, in der die Fortbewegung zu Fuß oder per Rad nicht nur weniger wettbewerbsfähig, sondern auch weniger bequem und sicher ist. Jede Verbesserung der Mobilität von Fußgängern und Radfahrern kann nur möglich sein, wenn man in Politik und Planung bei der Stadtplanung wieder die Fortbewegung zu Fuß oder per Rad in den Mittelpunkt stellt. Das soll kein Kreuzzug gegen die Autofahrer sein, doch es reicht nicht, nur die vielen Autos aus den Städten abzuleiten, um nachhaltige Raumplanung zu betreiben. Portugal hat dieses Niveau noch nicht erreicht. Bisher sind die Maßnahmen zur Förderung der Mobilität von Fußgängern und Radfahrern reines Lippenbekenntnis. Zu einem wirklichen Paradigmenwechsel fehlt offensichtlich der Mut oder die Fähigkeit. Das muss dringend geändert werden. Und daran arbeitet die MUBI, mit konkreten Vorschlägen bei Gemeinden und der Regierung.