Es ist ein kühler Herbstabend. Ãœber die Gesichter der Zuhörer huscht unaufhörlich der Widerschein eines Lagerfeuers. Sie erzählen und hören Geschichten über den Fluss Sado, dieses Gehöft und seinen Garten. Wie war es hier wohl vor 50 Jahren, als noch feudale Verhältnisse herrschten und Landarbeiter mit ihren Familien diesen Hof bewohnten? Und wie könnte dessen Zukunft aussehen? Ausladende Zweige eines Walnussbaums recken sich über allen und erzeugen ein Gefühl von Geborgenheit. Es ist, als tanzten die Elfen über den Köpfen der Zuhörer. Aber halt mal: Wer legt eine Feuerstelle unter einem Baum an? Auch wenn sie so gut mit Steinen gesichert ist wie diese! “Macht euch keine Sorgen, das Feuer schadet dem Baum nicht”, sagt José Arantes, der Gastgeber. Er baumelt gelassen auf einer Korkschaukel, die von einem Ast des Nussbaums hängt. “Ich kenne den Baum seit meiner Kindheit, denn meine Familie hat ihn aus Anlass meiner Geburt gepflanzt. Ich weiß, was ihm gut tut und was nicht.”
José Arantes ist ein erstaunlicher Mann. Er bringt es fertig, mit Traditionen zu brechen und sie gleichzeitig zu wahren. Anders als alle Großgrundbesitzer seiner Ahnenreihe lebt er selbst auf seiner Herdade und steckt die Hände in die Erde. Seine Familie besitzt 3.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche, aber er erfindet und baut Gärten für Menschen, die keinen Platz haben – vertikale Gärten für drinnen und draußen. Seine Pinienplantagen und Korkeichenwälder sind ertragreich und biologisch zertifiziert, aber er durchsetzt sie mit vielen anderen Baumarten, macht sie so zu einem Mischwald wachsender biologischer Vielfalt.
Den Großteil seiner Zeit und Liebe widmet er aber seinem ein Hektar großen Gemüsegarten: Wie die früheren Landarbeiter der Herdade erzeugt er selbst das Gemüse, das er und seine Familie zum Leben brauchen. Aber vor allem dient der Horta do Zé als Lehrgarten für Selbstversorger. José Arantes unterstützt Menschen darin, sich selbst zu versorgen. Dafür restauriert er nach und nach die ganze Herdade de Porches.
Das Gefühl von Zugehörigkeit
Ich befinde mich südlich von Alcacer do Sal im Alentejo. Gemächlich schlängelt sich hier der Sado-Fluss durch hellgrüne Reisfelder. Auf den Hügeln um mich herum stehen ausgedehnte Pinienplantagen, dahinter der Montado*. Auf Reis und Kork beruhte bis zur Nelkenrevolution von 1974 der Reichtum vieler Traditionsfamilien aus Lissabon und Cascais. Erzeugt wurden sie auf Großgrundbesitzen wie der Herdade de Porches. 19 Familien lebten hier und erwirtschafteten fast unter Leibeigenschafts-Bedingungen den Mehrwert für die Großgrundbesitzerfamilie. “Die Arbeiter waren elendig arm”, erzählt José, “aber immerhin hat hier niemand gehungert.”
Was die Landarbeiter zum täglichen Leben brauchten – Gemüse, Brot, Fleisch, Fisch, Eier und Käse, handwerkliche Produkte – erzeugten sie selbst auf dem Hof, zu dem auch eine Bäckerei, eine Schmiede, eine Schreinerei und eine Reisverarbeitung gehörten.
Fast alles konnte auf dem Hof hergestellt werden. Von außen kamen nur Metalle und manchmal Holz. Abfälle gab es nicht, alles wurde recycelt und wiederverwendet. José erinnert sich noch gut. In den 60er Jahren, als er mit seiner Familie an Wochenenden herkam, gab es hier noch keine Straße. Der einzige Weg war mit der Fähre über den Sado und zu Fuß über die Reisfelder. Alles wurde mit Pferden transportiert. “Die Arbeiter und ihre Familien gingen einmal im Jahr nach Alcacer und besorgten sich auf dem Markt die wenigen Dinge, die sie von außen zum Leben brauchten oder sich wünschten.
Sie trugen ihre Schuhe über den Schultern mit sich, um sie zu schonen und in Alcacer trotzdem gut gekleidet zu sein. Trotz der Armut kann ich mich auch an ihre Fröhlichkeit erinnern. Sie sangen viel, sie waren einander nah und fühlten Zusammengehörigkeit. Das ist, was den meisten Menschen heute fehlt, natürlich ohne die schlimmen feudalen Verhältnisse”, bemerkt José Arantes abschließend.
Die Herdade de Porches wurde durch die Landreform 1974 enteignet, dann von einer Kooperative betrieben und nach einigen Jahren von der Familie wieder übernommen. Das Land wurde dann von einem Verwalter bewirtschaftet, die Produkte aber nicht mehr auf dem Hof verarbeitet. Die Maschinen und vielen Arbeiter wurden nicht mehr gebraucht, die Gebäude verfielen.
Selbstversorgung als gesellschaftliche Notwendigkeit
Als junger Mann kümmerte das José kaum. Er ging nach New York und machte Karriere als Tänzer. Als er und seine Frau nach Portugal zurückkehrten, hatten sie auf den Einfall, sich auf dem Landsitz seiner Familie niederzulassen. “Wir wollten eine Art Ökotourismus aufbauen, hatten aber gar keine Ahnung davon.” Also hieß es lernen. José belegte zunächst einen Kurs in organischer Landwirtschaft in Beja und erlebte – eine Art Erleuchtung: “was ich in den zwei Wochen dort lernte, war lebensverändernd für mich. Ich hörte nie mehr auf, mich in diesem Bereich weiterzubilden. Ich erkannte die absolute Notwendigkeit für einen tiefen Wandel der Gesellschaft. Alle Menschen müssen das Recht und die Möglichkeit haben, ihre Lebensmittel selbst anzubauen.”
Er hörte den Satz von Bill Mollison, dem Gründer der Permakultur: “Schaust du aus dem Fenster und siehst nicht deine Lebensmittel wachsen, dann hast du ein Problem.” Mit anderen Worten: ein System von regionaler Selbstversorgung ist nachhaltiger, stabiler und gerechter, gesünder für Menschen und die Natur als jede industrielle Intensivproduktion. Nicht sie, sondern viele Gärten und Mischkulturen bringen die Nahrung hervor, die uns wirklich gut tut. Und die Fürsorge, die Menschen dem Land entgegenbringen, um ihre Lebensmittel anzubauen, schützt die Natur und ihre Vielfalt am wirkungsvollsten. Dafür wollte er sich ab jetzt einsetzen und machte sich daran, Stück für Stück die verfallenen Häuser wieder bewohnbar zu machen. 2006 zogen sie ein. Nachdem seine Frau verstarb, bewohnte er den Hof zunächst allein, später gemeinsam mit seinem Partner, zwei Mitarbeitern und gelegentlichen “Wwoofern”. **
Vertikale Gärten
Inzwischen hat sich Porches verwandelt. Noch längst sind nicht alle Häuser wieder bewohnbar gemacht, aber Kunst, Schönheit und liebevolle Details finden sich in allen Ecken. Vor allem Pflanzen, Kräuter und Blumen gedeihen überall – drinnen und draußen; und ganze Wände des restaurierten Teils des Hofes scheinen von oben bis unten überwuchert.
“Ich liebe es, wenn alles grün ist”, erzählt José, “auch im Haus.” Freunde, die er durch seine Leidenschaft für Gärten und Selbstversorgung anstecken konnte, die aber nicht das Land dafür hatten, es umzusetzen, inspirierten ihn zu seiner Entwicklung der vertikalen Gärten. Diese Idee wurde seine Leidenschaft: im und vor dem Haus, auf der Terrasse, im Wintergarten und in den Abschnitten des Hofes, die noch nicht wieder bewohnt werden, stehen verschiedenste Gefäße aus Stein, Holz, Ton oder Eisendrahtgips, in denen Kräuter, Gemüse und Blumen unter- und übereinander gedeihen. Die automatische Wasserversorgung und – wo es nötig ist – Beleuchtung ist unscheinbar angebracht.
José: “Kunden meines Gartenberatungsbetriebes kamen immer wieder zu mir und zeigten mir einen Topf mit Kräutern, den sie im Supermarkt gekauft hatten. Sie versuchten, ihn am Leben zu erhalten, aber er ging immer ein. So begann ich, Menschen zu zeigen, wie sie Pflanzen pflegen können, egal wie viel Platz oder Licht sie im Haus haben. Ich selbst bin dabei immer Lernender und Lehrender gleichzeitig, deshalb ist hier alles voll mit Versuchen. Die erste Regel ist: Keine Pflanze wächst gern allein. Genau wie wir Menschen. Konsequent gedacht, ist das der Anfang von biologischer Vielfalt, und die braucht es auch auf kleinstem Raum.”
Düfte von Basilikum, Schnittlauch, Thymian und Melisse füllen den Wintergarten. Eine Wand ist voller Blätter und Kräuter, sie besteht aus einem vertikalen Garten aus Ton. Oberflächlich sieht es aus wie übereinander gestapelte Kisten, aber es ist ein einziges Gefäß, in dem sich Erde und – unsichtbar – ein Bewässerungssystem befinden. “Alles ist verbunden, damit die Wurzeln sich ausbreiten können. Wichtig ist auch, die lichtbedürftigsten Kräuter nach oben zu pflanzen und die mit den größten Blättern nach unten, damit alle genügend Licht haben.” Nicht nur im lichtreichen Wintergarten grünt es. An der Decke des eher dunklen Wohnzimmers geben Kräuter in halben Korkstämmen, unter der Decke angebracht, dem Raum eine besondere Atmosphäre. Was man für ein Deckenfenster halten könnte, ist in Wirklichkeit ein Pflanzenlicht. In seinen Raumgärten hat José die Wasser- und Lichtversorgung automatisiert, so dass nach dem Bepflanzen alles von selbst geht.
Herzstück der Wiederbelebung
Das Herzstück seiner Wiederbelebung von Porches aber war von Anfang an der Garten. “Als ich ihn anlegte, haben die Menschen den Kopf geschüttelt”, erinnert er sich. “Natürlich hielten sie mich für verrückt und exotisch: den Tänzer aus New York, der so viel Mühe auf einen einzigen Hektar richtet, wo mir doch viele hundert zur Verfügung stehen.” Hinter einer Steinmauer gleich beim Haupthaus liegt der Flickenteppich von kleinen Beeten mit einer bunten Mischung von Gemüse, Kräutern, Sträuchern und Bäumen – und sehr vielen Blumen. Ein kleiner Bachlauf dient der Bewässerung und wird direkt von einer Quelle gespeist. “In jeder Jahreszeit sieht der Garten anders aus und bringt andere Früchte hervor. Er ernährt mich und meine Familie und Gäste. Die Früchte lasse ich zu Marmeladen weiterverarbeiten und verkaufen.”
Am liebsten würde er auch ein oder zwei Restaurants beliefern – vorausgesetzt, diese wären bereit, sich auf die Produkte der jeweiligen Jahreszeit zu beschränken. “Das müssen wir wieder lernen für eine gute Ernährung: Tomaten und Paprika im Januar sind einfach nicht natürlich. Dafür gibt es viele andere gute Dinge.” Inzwischen berät José mit seinem Partner in ganz Portugal Landbesitzer und legt Permakultur-Gärten an. Wann immer Kunden sich über ihre Möglichkeiten informieren wollen, führt er sie durch Hof und Garten. Die Inspirationen sind zahlreich, zum Beispiel der beleuchtete Waschplatz für Gemüse – ein Kleinod aus Holz und Keramik. José: “Das Gemüse gleich im Garten zu waschen, hat viele Vorteile: Die Küche ist nicht mehr voller Erde und Schmutz; und die Erde und die unbrauchbaren Teile des Gemüses bleiben gleich im Garten, wo sie keinen Müll erzeugen, sondern wieder kompostiert werden.”
Josés Garten ist auf Harmonie angelegt, auch mit den Wesen, die wir normalerweise als Schädlinge bezeichnen. “Natürlich muss ich etwas tun, wenn es zu viele Schnecken oder andere Tiere gibt, die im Garten Schaden anrichten. Aber ich betrachte sie nicht als Feinde, ich mache keine Jagd auf sie, sondern ich versuche, sie so freundlich wie möglich zu behandeln und ihnen einen anderen Platz in der Natur zu schaffen, an den sie ausweichen können. Sie waren schon länger hier als ich. Sie sind jetzt heimatlos und brauchen nicht unseren Hass, sondern sehr viel Freundlichkeit. Ich bin davon überzeugt, dass wir nur eine positive Zukunft erleben, wenn wir es lernen, die Gesetze der Natur zu beachten. Und über ein Gesetz bin ich mir absolut sicher: Was wir der Natur antun, kommt auf uns zurück. Es lohnt sich also, freundlich mit ihren Wesen umzugehen.”
Der Abend ist schon fortgeschritten, das Holz fast heruntergebrannt. Doch niemand will schlafen gehen, bevor José allen von seinem großen Traum erzählt: den Aufbau einer Gemeinschaft. “Es wäre wunderbar, dieses Land wieder mit Menschen zu beleben, vor allem mit jungen Familien und Kindern. Ich habe schon ein Stück Land dafür ausgesucht, ein schönes Grundstück in der Nähe des Flusses, auf dem wir bereits heimische Bäume pflanzen. Ich habe sehr viele Freunde in Lissabon, die gerne aufs Land ziehen würden, aber der Sprung aus dem Leben, das sie jetzt führen, ist zu groß. Sie müssen sich erst eine Existenz auf dem Land aufbauen. Deshalb schlage ich als Ãœbergangslösung eine Gemeinschaft von Wochenendbauern vor. Jede Familie, die mitmachen will, verpflichtet sich, zwei Wochenenden im Monat mitzumachen. Zusammen werden wir dann nacheinander alle Häuser aufbauen: aus Lehm, aus Holz, mit Stroh – und die Gärten anlegen. Die Menschen können sich dann nach und nach ihre Lebensgrundlagen und Berufe aufbauen, bis der Sprung nicht mehr so groß ist – und sie ganz herkommen. Dann wird Porches wieder leben.”
*Montado ist ein landwirtschaftliches Ökosystem, das auf der Basis von Korkeichenwäldern u.a. im Alentejo existiert.
**(Willing Workers on Organic Farms – Freiwillige und Reisende, die durch einige Stunden Mitarbeit pro Tag auf Biohöfen sich ihre Versorgung und Unterkunft verdienen – unter wwoofer im Internet findet sich das globale Netzwerk)