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Herdade do Freixo do Meio: Montado ist mehr

Sommerkahle Ebenen, soweit das Auge reicht. Kein Wasser, kein Schatten. Nur sehr selten ein einsamer Baum. Ansonsten: Leere. Mit dieser recht übersichtlichen Landschaftsikone versuchen Fremdenverkehrsagenturen, Touristen den Alentejo schmackhaft zu machen. Doch leben und wirtschaften lässt es sich schlecht in einer so sparsamen Landschaft. Verfallene Höfe im ganzen Distrikt zeugen von massivem Bauernsterben.

Vielleicht träumt die Natur im Alentejo ja einen anderen Traum. Einen Traum von lockerer, mehrstufiger Bewaldung, von Bächen, Teichen und einer Vielfalt von Pflanzen und Tieren, von Fülle und Fruchtbarkeit.

Der griechische Philosophen Strabon sagte: “Ein Eichhörnchen kann die Iberische Halbinsel durchqueren, ohne ein einziges Mal den Boden zu berühren.” Die damaligen Landbewohner nutzten und pflegten die natürlichen Mischfruchtwälder mit ihrer Vielfalt und entwickelten ihn zum “Montado”: eine kleinräumige und nachhaltige Anbauweise und Tierhaltung im Schatten lockerer, vielfach genutzter Mischbewaldung. Geschützt vor der heißen Sonne, als Speicherorgan für die winterlichen Regenwassermengen brachte der Boden fast alles hervor, was Mensch und Tier damals zum Leben brauchten.

Mit Staudammbau und Industrialisierung führte man großflächige Monokulturen ein – von Kork über Weizen zu Papierholz-Plantagen, Bewässerungs-Olivenanbau – und zerstörte die alte Waldlandwirtschaft, die Bewässerungsgräben und das ökologische und soziale Gleichgewicht.

Doch heute gibt es wieder Landwirte, die den Wert des Montado erkennen und nutzen.

Im Norden des Alentejo, nördlich von Montemor-o-Novo, abseits der Hauptstraßen, gedeihen lichte Wälder aus Korkeichen, Steineichen, Kastanien, knorrigen Olivenbäumen. Flechtenüberzogene Granitfelsen wirken wie von Riesenhänden hingestreut. Darum herum wuchern Gebüsche von Straucherdbeeren, Brombeeren und einheimischen Kräutern. Ab und zu ein kleines Getreidefeld, hier und dort Regenwasserteiche. Immer wieder stoßen wir auf Rinderfamilien, Ziegenherden und Schweine, die sich am Wegesrand räkeln oder zwischen den Büschen nach Futter wühlen. Eine kleine Gruppe menschenscheuer Sorraia – portugiesische Wildpferde – prescht davon, als sie die Menschengeräusche hört.

Was wirkt wie ein Märchenwald, gehört in Wirklichkeit zur Produktionsfläche des Biohofes “Freixo de Meio”. Wenn der Besitzer Alfredo Cunhal Sendim, 50, Besucher über seinen Betrieb führt, bekommen sie eine Ahnung, was mit Montado eigentlich gemeint sein könnte.

Er erklärt: “Montado ist mehr als extensive Schweinezucht unter Korkeichenmonokulturen. Montado, das sind Biotope aus Bäumen, Sträuchern und krautigen Pflanzen sowie Tieren, die in ihm leben, und Wasser, das in ihnen gespeichert wird. Montado bedeutet, die Wechselwirkung natürlicher Abläufe zu erkennen und gezielt einzusetzen – Wasser, Boden, Biomasse, Futter, Dünger, menschliche Verarbeitung. Montado ist ein Kreislauf, der am Waldrand nicht aufhört. Der ganze Hof ist Teil des Montado. Auch die Menschen.”

Anfang der 90er erhielten die Cunhals ihr Gut Freixo do Meio zurück, das bei der Landreform einer Kooperative zugesprochen worden war. Doch diese war gescheitert, das Gut verwahrloste, und Alfredos Mutter sorgte sich um die ehemaligen Nachbarn und Angestellten. Gemeinsam mit ihr begann der gelernte Tierzüchter, den Betrieb neu aufzubauen und Bewohner der Dörfer einzustellen. Heute ist Freixo do Meio – trotz einer Phase der Gesundschrumpfung – immer noch der größte Biobauernhof in Portugal. Wie jeden Morgen, so begrüßt Alfredo auch heute um acht Uhr seine 16 Mitarbeiter und einige Praktikanten in einem kleinen Morgenritual. Man steht im Kreis, verteilt die Arbeiten, Alfredo grüßt jeden Einzelnen mit Handschlag – ein Gutsherr alter Schule mit neuen Visionen.

Nach seiner Rückkehr stand er vor großen Herausforderungen. Mit konventioneller Landwirtschaft, das sah er, konnte er sie nicht nehmen. “In Bezug auf Landwirtschaft verfolgten Diktatur und Sozialismus dieselbe Strategie: Intensivierung und Spezialisierung. Doch mir war bald klar, dass dies nicht der richtige Weg war. Zum einen aus sozialen Gründen: Die Menschen im Dorf hatten immer auf Freixo de Meio Arbeit gefunden, und ich fühlte trotz Revolution noch die soziale Verantwortung. Bei einer Spezialisierung hätte ich sie alle entlassen müssen.”

Aber auch ökologisch überzeugte ihn die so genannte moderne Landwirtschaft nicht. Denn die Region mit ihren heißen und trockenen Sommern, ihren starken winterlichen Regenfällen und ihrer durch die Granitunterlage extrem langsame Bodenbildung ist, gelinde gesagt, schwierig. Nur wenige Produkte können hier gewinnbringend als Einzelkultur angebaut werden, und das auch nur mit viel Chemieeinsatz. Was wäre eine Alternative?

“Die alten Menschen erzählten mir damals, dass sie noch in ihrer Kindheit alles selbst erzeugt haben, was sie zum Leben brauchten – viele Getreide- und Gemüsearten, Obst, Honig, Holz, Milchprodukte, Fleisch, Pilze, Leder, Wolle, Lehm für Hausbau und Keramik – sowie Kork für den Verkauf. Nur Salz und Eisen wurde in die Region eingeführt. Wie war das möglich bei diesen schlechten Bedingungen?”

Heute ist Alfredo überzeugt, dass Montado in dieser Region die einzige Möglichkeit ist, nachhaltig zu wirtschaften und auch in Krisenzeiten alles Notwendige zu haben. “Im Montado ist der Boden immer bedeckt. Die ganzjährige Vegetation speichert die Feuchtigkeit, und durch die lebhafte Zersetzung von Biomasse haben wir einen ordentlichen Bodenaufbau.”

Im Unterschied zu den Nachbargütern erhielt und pflegte Alfredo die vorhandenen Eichenwälder und Olivenkulturen und pflanzte sogar neue Bäume in Mischkultur hinzu. Wie in alter Zeit ließ er wieder Tiere darunter grasen: seltene Rindersorten, Ziegenherden, Schweine.

Alfredo: “Unsere Gemüsegewächshäuser sind Teil des Montado, denn sie werden mit dem Mist der Tiere gedüngt, die im Wald ihr Futter finden.”

Auf unserem Rundgang sehen wir eine Vielzahl von Synergien: Äste aus der Auslichtung der Olivenhaine werden in abgeerntete Feldgemüseflächen geworfen. Sie dienen den Ziegen als Futter, ihr Mist düngt die Felder. Ein Teil des Getreides, das im Wald ausgesät wird, wird von Schweinen direkt vor Ort gefressen. Dabei zerwühlen sie den Boden und bereiten ihn zur neuen Aussaat vor.

Und natürlich werden alle organischen Abfälle kompostiert oder als Futter verwertet. Sogar die Trester-Rückstände aus der Olivenpresse – normalerweise ein echtes Abfallproblem – werden fermentiert und den Schweinen als hochenergetisches Futter gegeben.

Alfredo: “Solche Synergien kann nur ein Bauer nutzen, der die Betriebsabläufe an der Natur orientiert und nicht durch Spezialisierung und Intensivierung voneinander trennt.”

Mit jeder neuen Synergie entstanden neue Betriebszweige, und so entwickelte sich ein Bauernhof der Vielfalt. Freixo de Meio bietet fast 300 verschiedenen Produkte an, aber von jedem nur eine kleine Menge. Fast erinnert die Erntetechnik an die Sammlerkulturen der Vergangenheit. Hier zwei Kisten Kohl, dort ein paar Tüten getrocknete Tomaten, da ein Bündchen aromatischer Kräuter. Wie kann man so etwas gewinnbringend vermarkten?

“Ökonomisch war es lange Zeit sehr schwer”, gibt Alfredo zu. “Der Markt und die Lebensmittelindustrie sind auf große Mengen ausgerichtet. Alles läuft zentral über Lissabon. Die lokalen Märkte wurden geschlossen. Auch die regionalen Verarbeitungsbetriebe gingen nach und nach ein, und für die industrielle Verarbeitung reichen unsere Mengen nicht. Da die Dörfer um uns herum ausstarben, sahen wir uns gezwungen, unsere Produkte selbst zu verarbeiten und zu vermarkten.”

Die Natur gibt Alfredos Wirtschaftsweise recht – der ökonomische Erfolg lange Zeit nicht. Der Markt für biologische Lebensmittel in Portugal ist noch klein – und die meisten Produkte werden aus zertifizierter Großproduktion in Deutschland, Frankreich oder gar China eingeführt. Lange musste Alfredo seine Bio-Produkte – Fleisch, Wein, Getreide, Gemüse- und Kräuterprodukte – als konventionelle Ware vertreiben – mit entsprechenden Gewinneinbußen. Die Familie machte das nicht ewig mit, sie wollte schwarze Zahlen sehen, es kam zum Konflikt mit den Brüdern. Schließlich wurde der ursprünglich 2000 ha große Betrieb geteilt. Alfredo blieben 400 ha. Die Aussichten, diese Krise und Schrumpfung zu überstehen, waren nicht rosig. Viele andere Bauern in ähnlicher Situation haben das Handtuch geworfen – sich angepasst oder aufgegeben. Alfredo bekam deutlich zu spüren: Bauern, die mit der Natur kooperieren, rudern gegen das System.

“Das Berufsbild des Bauern wird viel zu eng verstanden. Ein wirklicher Bauer tut viel mehr, als Produkte zu erzeugen. Er erhält die Landschaft, den Boden, das Wasser. Er erhält das Saatgut für die Zukunft. Ein Bauernhof, der in seiner Region eingebettet ist, sorgt für Arbeitsplätze und Verarbeitungsbetriebe. Das muss auch honoriert werden.”

Die einzige Möglichkeit, das Bauerntum zu erhalten, seien Verbraucher, die sich des Wertes bäuerlich erzeugter Lebensmittel bewusst sind und bereit sind, den entsprechenden Preis zu bezahlen. Alfredo findet diese bewussten Kunden heute in seinem eigenen Laden in Lissabon. Es ist der ökonomische Rückgrat seines Betriebs. Seitdem Freixo do Meio sein ganzes Sortiment direkt an Endabnehmer vermarktet, läuft es langsam besser.

Auch in der Verarbeitung geht Alfredo eigene Wege. Seine Vision ist es, seinen Gutshof in eine Art Ökodorf zu verwandeln. “Die Dorfgemeinschaften des Alentejo und ihre kleinen Verarbeitungsbetriebe sind verkümmert. Für die industrielle Verarbeitung reichen unsere Mengen nicht, und sie sind auch oft nicht biologisch. Wir sind gezwungen, unsere Produkte selbst zu verarbeiten, wenn wir Gewinn machen wollen. Meine Idee ist es, nach und nach die verlorenen Funktionen und Berufe wieder aufzubauen – auf dem Hof.”

Handwerker, Studenten und ehemalige Arbeiter eröffneten, teilweise mit ihren Familien, auf Freixo de Meio selbständige Kleinbetriebe. Die alten Gebäude, die von drei Seiten einen Innenhof begrenzen, beherbergen heute eine Olivenmühle, Trockner für Tomaten und Kräuter, eine Halle zur Herstellung von Ketchup und Gemüsekonserven, eine Bäckerei, sogar eine Schmiede für traditionelle Landwerkzeuge und einen Hofladen. Die Umstellung zeigt allmählich Erfolge. “Es geht aufwärts”, sagt Alfredo. Freixo de Meio scheint es zu schaffen.

Alfredo Cunhal Sendim ist in Portugal bekannt als mutiger und konsequenter Biobauer, Unternehmer und Visionär. Auf portugiesische Art – sanft und sehr zurückhaltend – ist er ein Agrar-Rebell. Ohne seinen guten Ruf und seinen konsequenten Mut hätte der Betrieb wohl kaum überlebt. Durch sein Durchhalten bahnt er auch anderen Bauern Wege, Ungewöhnliches zu wagen. Hier entsteht ganz unauffällig ein Bild für ein neues Bauerntum. Gesunde Lebensmittel inklusive.

Lesen Sie unser Interview mit Alfredo Cunhal Sendim auf den folgenden Seiten.

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