Vor kurzem kaufte ich mir einen Interrail Bahnfahrschein zum Preis von 224 Euro. Mit ihm reiste ich innerhalb von 15 Tagen fünf volle Tage durch halb Europa. Die Vorstellung, ich könnte hier und da anhalten, aussteigen und mir etwas Zeit gönnen, erhöhte die Vorfreude. So konsultierte ich die Fahrpläne der portugiesischen und spanischen Eisenbahnen CP und RENFE. Dabei stellte ich verwundert fest, dass es nur eine einzige Zugverbindung zwischen Lissabon und Madrid (und umgekehrt) gibt. Warum eigentlich? Für die 600 km Distanz zwischen den beiden Städten würde dieser Zug 13 Stunden benötigen. Mir wird klar, dass wir in Portugal irgendwie immer noch hinter dem Mond leben. Ich dachte, ich könnte mich einfach in einen Intercity setzen und morgens von Lissabon über Madrid nach Paris fahren. Pustekuchen. So ließ ich mich von einem Freund ins spanische Huelva bringen und fuhr von dort mit dem ersten AVE mit 300 Stundenkilometern Geschwindigkeit nach Barcelona und von dort mit dem TGV in weniger als sechs Stunden die restlichen 1.200 km nach Paris. Das erste Ziel meiner Reise lag in Deutschland. Ich wollte nach Freiburg, einer der innovativsten deutschen Städte im Dreiländereck Frankreich, Schweiz, Deutschland.
Ich lebe in einem Dorf im Südwesten Europas. Im Gebirge von Monchique zwischen dem südlichen Alentejo und der Algarve in Portugal erwarb ich vor 25 Jahren ein Grundstück und baute darauf ein neues Haus. Schon damals hatte ich eine Vorstellung von Nachhaltigkeit und einen dazu gehörenden Plan. Ich nutzte Kork zur Isolierung des Hauses. Statt drei nahm ich fünf Zentimeter dicken Kork. Die sommerliche Hitze von mehr als 40 Grad C, sollte die Wohnräume nicht erreichen. Ich verbaute Isolierglas für Fenster und Türen. Außenläden isolierten zusätzlich, um den Einbau einer stromverbrauchenden Klimaanlage zu vermeiden. Zusätzlich investierte ich in zwei solare Nachführ-Anlagen mit 40 Solarpanelen zur autarken Produktion von Elektrizität, der Basis für ein gutes und nachhaltiges Leben. Mit ihnen lade ich u.a. mein Elektroauto.
Ich habe das Fliegen aus ökologischen Gründen aufgegeben. Lange Strecken lege ich heute immer mit dem Zug zurück. Züge werden mit Elektrizität betrieben. Wenn uns gestresste Zeitgenossen suggerieren, dass Flugzeuge schneller und billiger seien, vergessen sie dabei den Preis, den wir und unsere Kinder dafür zu zahlen haben, dass Flugzeuge die größten Umweltverschmutzer sind, weil sie das meiste CO2 in die Atmosphäre blasen. Züge hingegen können sich zwischen den meisten Städten Europas schnell, effizient und nahezu emissionsfrei bewegen, nur eben in Portugal (noch) nicht. Theoretisch wäre es nämlich heute schon möglich, abends in Lissabon in einen Zug zu steigen und am nächsten Morgen ausgeschlafen in Berlin oder London wieder auszusteigen, oder auch in Paris, Brüssel, Rom, Genf und Amsterdam. Ich unternehme meine Reise nach Deutschland, weil mich die aktuellen Entwicklungen im nachhaltigen Hausbau inte-ressieren. Ein Interview mit dem Vater der solaren Plus-Energie-Häuser, dem Architekten Rolf Disch in Freiburg, steht auf meinem Programm.
Der Exodus
In Monchique gehöre ich zu den Neubürgern eines Dorfes, in dem von Jahr zu Jahr immer weniger Menschen leben. Als ich 1990 in Monchique ankam, waren wir noch knapp 9.000 Einwohner. Heute sind es nicht mal mehr 5.000, Tendenz weiter fallend, mehr als die Hälfte ist älter als 60 Jahre alt. Ein Blick in die Statistik des Jahres 1974 zeigt, dass damals immerhin noch 12.000 Menschen im Landkreis lebten. Wo sind diese Menschen alle hin? Bei einem Spaziergang durch das Dorf fällt mir auf, dass nahezu die Hälfte aller Häuser und Läden leer stehen und langsam verfallen. Ein Drittel aller Gebäude sind Ruinen, der historische Konvent, das Dorfgemeinschaftshaus, viele Geschäfte. Die Daten, auf die ich mich stütze, stammen aus dem Jahr 2013. Seit 2011 sterben jährlich durchschnittlich 300 Einwohner, pro Jahr gibt es aber nur 50 Neugeburten. Von rund 100 jugendlichen Schulabgängern zieht jährlich die Hälfte weg, auch um Arbeit zu finden. Ich rechne mir aus, dass Monchique innerhalb einer weiteren Generation ausgestorben sein könnte – wenn nicht etwas Weltbewegendes im positiven Sinn geschieht.
Wer keine Verantwortung für sein Eigentum aufbringt, könnte vom Staat oder der Gemeinde enteignet werden. Was könnte man mit all den Ruinen nicht alles machen? Staat oder Landkreis könnte sie jungen Menschen schenken, auf das diese sie wieder bewohnbar machten, sie ökologisch und energetisch sanieren und somit das Dorf Monchique vor dem Aussterben retten. Im Zug bereite ich mich auf mein Interview vor und lese ein wenig über die Plus-Energie-Häuser. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine lange Nutzungsdauer besitzen, energieeffizient gebaut und regenerativ durch Energie versorgt werden, niedrige Nebenkosten besitzen und viel massives Holz dabei verbaut wird. Im Mittelpunkt stehen Wärme- und Schallschutz, geringer Energieverbrauch. Bei Plusenergie werden Häuser zu Kraftwerken. Sie produzieren mehr Energie, als seine Bewohner verbrauchen.
Was spricht dagegen eine konstruktive und nachhaltige Politik der Dorferneuerung in ganz Portugal zu betreiben, um so den Exodus der Jugend vom Land in die Stadt zu bremsen. Attraktive Ausbildungs- und Arbeitsplätze müssten in den ländlichen Räumen neu geschaffen, ein nachhaltiges Konzept zur Revitalisierung der lokalen Wirtschaft in den Rathäusern entworfen, vorgestellt und umgesetzt werden. Historische Handwerksberufe wie die des Schusters, des traditionellen Maurers, des Weber- und Schreinerhandwerks müssten gefördert werden. Alte, traditionelle – und – neue, moderne Berufe im Energiesektor und im IT-Bereich müssten miteinander einen Weg finden, nicht nur junge Menschen in ihren Dörfern zu binden, sondern eine gegenläufige Bewegung zu initiieren: aus der Stadt zurück zum Land. So eine Bewegung beginnt gerade in den mitteleuropäischen Ländern: in den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz und selbst in Großbritannien. Das erklärte Ziel eines modernen Transition-Dorfes auf traditionellem Fundament ist die völlige Selbstversorgung. In Portugal aber leben wir freundlich ausgedrückt, doch manchmal noch etwas hinter dem Mond.
Das liesse sich ändern. Monchiques junger Bürgermeister Rui André (40) hatte da vor kurzem so eine Idee, mit der er es in diese Ausgabe der Zeitschrift schaffte. Ob er sie nur zu Wahlkampfzwecken aus der Kiste holt oder ob er die Idee wirklich auch nach den Kommunalwahlen von 2017 weiterhin praktizieren möchte, weiß nur er selbst. Der erste Mann im Dorf bietet jungen Neubürgern, die in Monchique ein verfallenes Haus zu kaufen beabsichtigen und darin leben werden, einen finanziellen Zuschuss von 5.000 Euro auf den Kaufpreis des Hauses an. Darüber hinaus wird er die Sanierung und Restaurierung eines verfallenen Hauses mit bis zu 15.000 Euro fördern, sagt er. Lesen Sie mehr darüber in unserem Interview mit ihm auf Seite 48.
Nahezu eine Million Häuser müssen saniert werden
Das Nationale Statistische Institut (INE) veröffentlichte seine letzte Langzeitstudie 2013 über den Zustand von Gebäuden und Wohnhäusern Portugals im Zeitraum von 2001 bis 2011. Dabei kamen interessante Zahlen zum Vorschein. Von den insgesamt 3.544.389 Wohngebäuden des Landes, befinden sich 965.782 in zum Teil sehr schlecht bewohnbarem Zustand. Sowohl die Funktion von Dächern als auch ungenügende Isolierung von Wänden und Fenstern wurden gerügt, ungesunde Bauweisen und Infiltrationen von Feuchtigkeit und gesundheitsschädigende Schimmelbildung. Die Landkreise Almada bei Lissabon, Sintra und Loures, Chaves, Castelo Branco, Guarda, Idanha-a-Nova, Covilhã, Lamego, Tarouca, Regionen wie Grande Douro, Trás-os-Montes aber auch einige Gemeinden der Algarve werden gelistet, so Monchique und das Hinterland von Alcoutim, Tavira, Loulé und Silves.
Jede schlechte kann eine gute Nachricht werden. Wo vieles im Argen liegt, besteht riesiges Potenzial für Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen. Es kann ja eigentlich nur besser werden. Herausforderungen gibt es genügend. Was fehlt, ist die Eigeninitiative und dass ganze Regionen zu nachhaltiger Bausanierung stimuliert werden. Diese wichtigen und richtigen Investitionen wiederum könnten dazu führen, langfristigen und nachhaltigen Wohlstand zu bringen. Da Wohlstand nie im Saldo eines Bankkontos seinen ersten Ausdruck findet, sondern im Wissen und in der Umsetzung von innovativen und nachhaltigen Ideen und Plänen, reise ich nach Deutschland, ein Land, das sich innerhalb zweier Generationen aus den Ruinen zweier Weltkriege neu erfand. Etwas an Ideen mit nach Hause nach Portugal mitnehmen, das sollte der Sinn der Reise sein. Plusenergie, so lese ich in der Architekturlektüre böte Lösungen über die Dämmung der Außenfassade eines Hauses hinaus, die Wärmerückgewinnung im Winter, die Kühlung im Sommer und nutze das Dach mittels solarer Installationen zur Elektrizitätsproduktion. Bekanntlich scheint die Sonne in Portugal für jeden gratis.
Wenn wir uns die Epoche, in der wir gegenwärtig leben, als Transformation von einer linearen Vergangenheit in eine zirkuläre Zukunft vorstellen und die Gegenwart einmal hinterfragen, was uns dort, wo und wie wir leben, eigentlich zum guten Leben noch wirklich fehlt, was wäre die Antwort? Investitionen in unsere kaputten Häuser, auf das sie uns künftig gesund hielten, weil sie gut isoliert wären und Energie produzierten, statt nur zu verbrauchen? Arbeitsangebote, die Sinn stiften und korrekt bezahlt würden? Kommunale Einrichtungen wie Rathäuser und Energieversorger, die unbürokratischer und einfacher arbeiten sollten, um uns zufrieden zu stellen? Wie müssten wir alle mit der Natur umgehen, um zukünftig Waldbrände zu vermeiden?
Grünes Dorf Monchique?
Was gehört zum guten Leben dazu, frage ich mich, während die bunte Herbstlandschaft Frankreichs im TGV an mir vorbeihuscht? Betrachten wir einmal genau, wie wir uns unser Land und unsere Gemeinde vorstellen und kommen uns da nicht kreative Ideen und Pläne für ein schöneres Land, für ein schöneres Dorf? Und warum sollen unser Land, unser Dorf nicht schöner werden? Weil wir uns dann in unseren eigenen vier Wänden und unter unseren gut isolierten Dächern, in unseren Gärten, in unserer Gemeinde wohler und glücklicher fühlen würden. Das wiederum würde die Migration vom Land in die Stadt, von einem in ein anderes Land bremsen. ECO123 wollte vom Umweltministerium wissen, ob es sich vorstellen könne, solche Pilotprojekte mit zu initiieren und führte dazu ein Gespräch mit Staatssekretär José Mendes im Umweltministerium in Lissabon. Lesen sie das Interview auf Seite 38.
Nach zwei Tagen Zugfahrt komme ich am Freiburger Hauptbahnhof an, checke in meinem Hotel ein und erhalte dort eine Gratisfahrkarte für alle Fahrten mit der Straßenbahn der Stadt. So komme ich zur Siedlung Vauban, stehe im Dachgarten der dritten Etage des sogenannten Sonnenschiffs, eines Büro- und Geschäftshauses und überblicke hunderte Solarmodule auf den Dächern der Häuser der Siedlung. Der Architekt der Solarsiedlung wartet schon, um mich in das Pilotprojekt der Sonnenhäuser einzuführen.