Nachhaltige Lebensmittelerzeugung am Beispiel der Erfolgsgeschichte von Risca Grande
Es ist ein kühler Samstagmorgen Ende Oktober. Eine Gruppe von 6 Studenten der Escola Superior Agrária de Beja und ihr Professor für Olivenanbau sind auf dem Weg ins ca. 30 km entfernte Sta. Iría. Kurz nach der Ortsausfahrt biegen sie auf einen unbefestigten Weg ab. Ein Hinweisschild weist ihnen die Richtung: Risca Grande – Azeite virgem extra. Das Exkursionsziel hat Professor Carlos Filipe mit Bedacht ausgewählt: Schließlich hat Risca Grande mittlerweile einen Namen als Vorzeigebetrieb für ökologischen Olivenanbau in Portugal.
Auf der Suche nach einer neuen Berufung
Dabei ist Risca Grande eine noch recht junge Firma. Durch die Gründung im Jahr 2007, nur knapp 1 Jahr vor Beginn der Weltwirtschaftskrise, wurde in eine juristische Form gebracht, was eine Familie mit Schweizer Wurzeln kurz nach der Jahrtausendwende angefangen hatte, um sich in ihrer Wahlheimat, dem südlichen Alentejo, einen Lebensunterhalt zu sichern. Dabei stand der Wunsch im Vordergrund, ein gesundes Lebensmittel herzustellen. Dass Olivenöl dazu prädestiniert ist, erscheint als offensichtlich, war doch schon den antiken Römern bekannt, welch gesundheitsfördernde Wirkung von diesem Lebensmittel ausgeht. „Die Bedingungen hier sind optimal für den Anbau von Bio-Oliven“, wusste Andreas Bernhard bereits, als der Familienvater das 90 ha umfassende Areal mit bis zu 500 Jahre alten Olivenbäumen kaufte.
Wer die Wahl hat, …
Doch wer heutzutage in einem Supermarkt vor dem Olivenölregal steht, weiß, dass Vorsicht geboten ist, um nicht ein aus verschiedenen Herkünften gepanschtes oder fälschlich als der höchsten Güteklasse nativ extra deklariertes Olivenöl untergejubelt zu bekommen. Was beim Verzehr wohl weniger gravierende Auswirkungen hat, hat oft für die Umwelt umso negativere Folgen. Das wahrscheinlich ernstzunehmendste mit dem konventionellen Olivenanbau verbundene Umweltproblem ist die Bodenerosion, die durch unangepasste Beikrautkontrolle und Bodenbearbeitung hervorgerufen wird. Begünstigt wird Bodenerosion durch geringe Gehalte an organischer Substanz in landwirtschaftlich genutzten Böden, wie sie im Mittelmeerraum charakteristischerweise vorkommen. Ein wesentliches Ziel der Schweizer Olivenbauern ist es, im Sinne der ökologischen Wirtschaftsweise die organische Bodensubstanz zu steigern und dem Humusabbau entgegenzuwirken.
Ökologische Alternativen im Olivenanbau
Alfred Zehnder, Geschäftspartner und Stiefsohn von Andreas Bernhard, ist verantwortlich für den Olivenanbau und die Qualitätssicherung bei Risca Grande. Der dynamische 30-Jährige erklärt den Studenten auf einer Rundtour durch den Olivenhain, auf welche Art und Weise er die Böden in den Olivenhainen vor Erosion bewahrt. Noch ist kaum vorstellbar, dass das, was durch die ersten Regengüsse nach der langen Trockenperiode in den Sommermonaten nun überall zaghaft zu sprießen beginnt, ab dem Frühjahr zu einer Konkurrenz für die Olivenbäume um das verfügbare Wasser wird. Um dies zu verhindern werden die Kräuter und Gräser auf den Flächen unter den Bäumen nicht untergepflügt oder gar mit umweltschädlichen Herbiziden vernichtet; vielmehr wird das Grüngut drei- bis viermal im Jahr abgemäht, gehäckselt und unter den Bäumen ausgebreitet. „Ein Vorteil hierbei ist, dass der Boden durch die Pflanzendecke vor Austrocknung bewahrt und das Bodenleben gefördert wird“, erläutert Alfred Zehnder begeistert, während die interessierten Besucher ihm – vorbei an der Weide, auf der die kleine Mutterkuhherde grast – zur nächsten Station folgen.
Kompostierung – Recycling von landwirtschaftlichen Nebenprodukten
Hinter einer Kuppe eröffnet sich ihnen der Blick auf den Kompostplatz von Risca Grande. Dort lagern zehn lange Kompostmieten, aus denen Wasserdampfschwaden der Morgensonne entgegenziehen. Eine Mischung aus Oliventrester, der während der Olivenölherstellung in der hofeigenen Ölmühle in großen Mengen anfällt, Olivenblättern, Baumschnitt und tierischem Mist wird hier mithilfe der Arbeit tausender von Mikroorganismen recycelt und gleichzeitig in wertvollen ökologischen Dünger mit nennenswerten Nährstoffgehalten umgewandelt. Seine Ausbringung in den Olivenhainen ist der zweite Pfeiler zur Bodenverbesserung. Auch wenn der Oliventresterkompost bis zur Erlangung der benötigten Reife einiges an Aufwand erfordert, ist diese Praxis, die betriebseigenen Nebenprodukte wiederzuverwerten und somit den Betriebskreislauf geschlossen zu halten, auch aus wirtschaftlicher Sicht interessant. Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit der Kompostherstellung auf dem Betrieb haben ergeben, dass die Kosten für die Deckung der Nährstoffentzüge der Olivenplantagen mit alternativen im Ökolandbau zugelassenen organischen bzw. mineralischen Zukauf-Düngemitteln die Erzeugungskosten des Komposts überschreiten.
Die aktuelle Situation des Ökolandbaus in Portugal
An dieser Stelle haben die jungen Studenten bereits erste Einblicke in die Prinzipien des Landwirtschaftens im Einklang mit der Natur gewonnen. Anders als in Mitteleuropa, sind ökologisch erzeugte Lebensmittel in Portugal noch eine Marktnische und die Hintergründe über ihre Erzeugung nur einer Minderheit bekannt. Im Jahr 2010, als das Land bereits von Rezession und Wirtschaftskrise
betroffen war, lag der Pro-Kopf-Umsatz der Portugiesen mit Bio-Lebensmitteln im Durchschnitt gerade einmal bei 2 €. Zum Vergleich: Ein Schweizer gab im selben Zeitraum durchschnittlich umgerechnet 152€ für Bio-Lebensmittel aus (s. Abb. 1). Doch was die Verbraucher noch nicht so deutlich sahen, schienen portugiesische Erzeuger in der Krise bereits erkannt zu haben: Der Ökolandbau zeigt Lösungswege aus der Wirtschaftskrise auf! Im Vergleich zum Vorjahr sind 2010 die ökologisch bewirtschafteten Flächen umstellungswilliger Landwirte um enorme 49.594 ha auf insgesamt 201.045 ha angestiegen
(Fig. 2).
Perspektiven für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Ökobranche
Doch weshalb stellt diese nachhaltige Form der Landwirtschaft einen Hoffnungsschimmer dar? Ein starkes Argument ist, dass sich die Arbeit hier noch lohnt. Gemäß dem agrarpolitischen Bericht 2005 der deutschen Bundesregierung gibt es im Biolandbau – bezogen auf die bewirtschaftete Fläche – 34 Prozent mehr Arbeitsplätze. Während in der konventionellen Landwirtschaft viele Arbeitsschritte durch das Zurückgreifen auf chemisch-synthetische Mittel wegrationiert werden, fällt bei Biobauern verteilt über das gesamte Jahr Arbeit an. Im konventionellen Olivenanbau zum Beispiel wird Flüssigdünger ganz einfach in das Bewässerungssystem eingeschleust und die wilden Wasserschosse durch eine Chemiekeule vor dem Wachsen gehindert. Beide Arbeitsschritte bedeuten auf Risca Grande Handarbeit über mehrere Wochen für mindestens zwei Personen. Um die zusätzlich geforderten Anstrengungen für die Öko-Zertifizierung sowohl in den Olivenhainen als auch in der Betriebsführung meistern zu können, hat RISCA GRANDE seit 2010 zwei neue Arbeitsplätze für einen festen Mitarbeiter und ein weiteres Familienmitglied geschaffen. Während der Olivenernte kommen sieben weitere Erntehelfer aus Sta. Iría und Umgebung hinzu, darunter vier junge Männer. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosenquote bei portugiesischen Männern (im Alter von 15 bis 24 Jahren), die im Oktober 2012 bei 38,1 % lag und gegenüber dem Vorjahresmonat sogar um 6,1 % gestiegen ist, herrscht bei vielen Perspektivlosigkeit. Umso größer ist die Dankbarkeit selbst für ein befristetes Angestelltenverhältnis.
Mittlerweile ist die Besuchergruppe in der Ölmühle angelangt. Hier tritt Andreas Bernhard in Aktion, dessen Metier die Olivenverarbeitung zu preisgekrönten extra nativen Bio-Olivenölen ist. Gemeinsam mit Sohn Samuel wird er in den nächsten Wochen bis spät in die Nacht den Ölanteil der jeweils frisch am Tag geernteten Früchte gewinnen. Aufgrund von Anfragen von Risca Grande Kunden, die zu einem Großteil im Ausland angesiedelt sind, wird dieses Jahr bereits vor Weihnachten Olivenöl der neuen Ernte aus den Edelstahltanks in Glasflaschen abgefüllt werden. Die Option, das Erzeugnis im Großgebinde zu exportieren, lehnt die Betriebsleitung kategorisch ab. Es gilt, die Beschäftigung für die eigenen Angestellten zu bewahren. Und noch einen Vorteil hat dieses Credo: „Nur weil alle Verarbeitungsschritte auf Risca Grande stattfinden, können wir für die Erfüllung der höchsten Qualitätsansprüche garantieren“, betont Andreas Bernhard.
Fazit: Biolandwirtschaft ist multifunktional
In Anbetracht der Tatsache, dass der Weltmarktpreis für konventionelles extra natives Olivenöl aus Spanien dieses Jahr zwischen 1,85€ und 2,50 €/l schwankte, erscheint der Preis von 1 l Risca Grande-Olivenöl mit 7,40€ auf den ersten Blick horrend. Doch eigentlich lässt diese oberflächliche Betrachtungsweise keinen fairen Vergleich zu. Konventionelle Anbieter können ihre Lebensmittel nur deshalb so preisgünstig anbieten, weil die Kosten der Behebung der von ihnen verursachten Umweltschäden wie etwa die Reinigung von belastetem Grundwasser mit Steuergeldern gedeckt werden. Dagegen sind die Subventionen für Öko-Landwirte nur eine Anerkennung ihrer Übernahme gesamtgesellschaftlicher Aufgaben neben der eigentlichen Lebensmittelerzeugung. Dazu gehört die Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft sowie aktiver Naturschutz.