Dr. Suzanne Simard ist Professorin für Forst-Ökologie an der Universität von British Columbia in Vancouver, Kanada. Ihre wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich darauf, wie Bäume mit anderen Bäumen kommunizieren. Der Film “Intelligent Trees” (Intelligente Bäume) gab der leidenschaftlichen Pädagogin und TED Talk-Rednerin eine exklusive Plattform, um die spannendste Öko-Story des Jahres zu erzählen. Dr. Simard nutzte radioaktiven Kohlenstoff, um zu messen, wie Kohlenstoff zwischen einzelnen Bäumen und Baumarten fließt und geteilt wird. Sie entdeckte, dass Birken und Douglastannen untereinander Kohlenstoff tauschen. Wenn die Birken ihre Blätter verlieren, erhalten sie zusätzlichen Kohlenstoff von den Douglasien; im Gegenzug geben Birken Kohlenstoff an im Schatten stehende Douglastannen weiter. Zur Zeit arbeitet Dr. Simard von zu Hause in einem kleinen Städtchen im östlichen Teil von British Columbia an ihren neuen Buch, das im Frühjahr herauskommen wird. Sie ist Teil eines „Ökosystems“ internationaler Forscher und Waldfreunde, zu dem u.a. der Förster und Bestseller-Autoren Peter Wohlleben in Deutschland (Das geheime Leben der Bäume, 2015) gehört, oder dem brillanten ‘Wander-Schreiber’ Robert MacFarlane (Im Unterland, 2019) in Großbritannien. ECO123 online sprach mit Suzanne Simard via ZOOM.
Interview von Kathleen Becker und Uwe Heitkamp
ECO123: Wenn wir einen Baum pflanzen, wissen wir, daß er Kohlenstoff ausgleichen wird. Das sind zwischen zehn und 15 Kilo im ersten Jahr seines Lebens. Wissen Sie eigentlich, wie viele Tonnen CO2 Ihr eigener Fußabdruck pro Jahr ausmacht?
Suzanne Simard: Was mein CO2-Fußabdruck ist? Das hängt vom Jahr ab [LACHT]. Momentan ist mein Fußabdruck sehr klein, weil ich Covid-bedingt zu Hause bin und nicht reise. Sorry, diese Frage kann ich nicht beantworten; ich habe nie drüber nachgedacht.
Sie sind nicht nur Forstwissenschaftlerin, sondern auch Biologin. Haben Sie Lieblingsbäume?
In British Columbia haben wir fünfzig Baumarten, da ist es schwer, meine Lieblinge zu nennen, und das hat sich auch im Laufe meines Lebens immer mal verändert. Aber der Baum, zu dem ich am meisten geforscht habe, ist die Douglasie, „Douglas Fir“, obwohl sie keine echte Fichte ist. Die Douglastanne ist im westlichen Teil Nordamerikas weit verbreitet, und weil sie auch hier und da in dem Städtchen zu finden ist, wo wir wohnen, ist sie eine meiner Favoritinnen. Aber die andere Baumart, die ich wirklich liebe, ist unsere Felsengebirgs-Tanne, „Subalpine Fir“, eine echte Fichte. Ich fühle mich diesen Bäumen eng verbunden, weil ich einen Großteil meiner Freizeit oben in den höher gelegenen Wäldern verbringe, und zwischen ihnen Ski fahre.
Hier in Portugal sind Waldbrände eine ständige Bedrohung. Wenn Sie einen Wald von einem Hektar besäßen, der abgebrant ist, mit welchen Baumarten würden Sie ihn aufforsten?
Das hängt ganz davon ab, wo ich mich befinde. Ich lebe in einer Bergprovinz und die Baumart, die sich nach einem Feuer leicht etablieren lässt, ist die Kiefer. Wir haben hier eine Menge von Drehkiefern. Aber jede der sechs Kiefernarten in British Columbia würde sich eignen; Kiefern kolonisieren feuergeschädigten Boden schnell, gehen mit den Mycorrhizas, den Pilzen, die sich nach einem Feuer sehr schnell vermehren, eine Verbindung ein und säen sich sehr schnell aus, so dass sie das Waldgewebe schnell heilen.
Wenn Sie Ihre Haustür öffnen und rausgehen, wie weit leben Sie vom Wald entfernt?
Mein kleines Städtchen in den Selkirk Mountains hat nur 16 000 Einwohner, aber ich würde mal sagen, etwa 15 Baumarten. Wenn ich aus der Tür gehe, habe ich etwa zehn Minuten Fußweg und bin im Wald. Entweder laufe ich meine Straße hoch oder über den See zu einem anderen Wald, der wieder ganz anders ist. In meinem eigenen Garten steht ein wunderschöner Ahornbaum, sowie ein Grüppchen von Riesenlebensbäumen, auch wunderschön. Es ist eine Art „Food Forest“, ein Wald, der uns auch ernährt: ich habe einen Garten, in dem ich alle möglichen Kürbisse anbaue, Mais, Tomaten…
In Kürze kommt Ihr neues Buch heraus, ‘Finding the Mother Tree’. Wie findet man diese Mutterbäume denn eigentlich?
Als ich dieses Netzwerk unterirdischer Verbindungen kartierte, diese Pilz- oder mycorrhizalen Verbindungen, die alle Bäume eines Waldes miteinander verdrahten, begriffen wir, dass die größten, ältesten Bäume die meisten Verbindungen zu den anderen Bäumen im Wald hatten. Wir starteten also eine Reihe von Experimenten mit diesen großen alten Bäumen. Wir stellten fest, dass, wenn wir Setzlinge um sie herum pflanzen und ihnen erlauben, sich in die Netzwerke dieser alten Bäume einzuklinken, oder wenn wir die auf natürliche Weise aufgekeimten Samen um diese alten Bäume herum verfolgen, dieses Einklinken in die mycorrhizalen Netzwerke der großen alten Bäume ihr Überleben und Wachstum substantiell verbessert. Nach vielen weiteren Experimenten begriffen wir, dass diese „Mutterbäume“ eine große Rolle spielen in der Aufzucht der Jungpflanzen, also im Ökosystem eine Art Mutterrolle einnehmen.
Das ist ein eindringliches Bild. Genau wie das Bild des ‘Wood Wide Web’, des „Wald-Weiten Netzes“ also, weil es unsere aktuellen Technologien mit dem Wald und der Natur verbindet. Das kommt Ihnen sicher sehr zugute in Ihren pädagogischen Projekten?
Klar, ich meine, wir nutzen ja alle das Internet. Und es ist irgendwie cool, weil genau zu der Zeit, als das World Wide Web und das Internet erfunden wurden, in 1989, den frühen 1990ern – ich kann mich noch erinnern, als ich das erste Mal das „weltweite Netz“ nutzte… – die Zeitschrift ‘Nature’ den Begriff ‘Wood Wide Web’ prägte für das, was ich in meinem Wald beobachtete. Ich machte meine Experimente mit Bäumen, untersuchte, wie sie untereinander in Verbindung standen und wie sie Kohlenstoff und Wasser und Nährstoffe austauschten. Uns wurde bewusst, dass Netzwerke existierten, und wie sie funktionierten, nicht nur in unseren von Menschenhand geschaffenen Systemen, sondern auch in unseren Waldsystemen. Auf wissenschaftlicher Ebene begriffen wir, dass all diese Dinge miteinander in Verbindung standen. Und sie hatten ähnliche Muster. Wissenschaftler, die Systeme untersuchen oder Netzwerke studieren, ob das Internet, soziale Netzwerke, oder das Wood Wide Web, nutzen einen analytischen Prozess, eine Technik namens ‘Graphentheorie’. Die Graphentheorie erlaubt es, die Struktur dieser Systeme zu analysieren, ihre Verknüpfungen und Knotenpunkte. Bestimmte universelle Muster tauchen auf, und diese Muster sind die gleichen, egal, welche Art von System einer betrachtet.
In unserer pädagogischen Arbeit im künftigen Botanischen Garten, den wir neben unserem Verlag eingerichtet haben, wo wir einheimische Bäume pflanzen, fällt uns auf, dass 96% der jungen Leute zwischen 12 und 18 Jahren keinerlei Ahnung von Baumarten haben. Die wissen alles übers Internet, Facebook, Instagram, aber nur vier Prozent junger Menschen zwischen 12 und 18 sind in der Lage, zehn Baumarten zu identifizieren. Was meinen Sie wäre nötig, um das Wissen über Natur im allgemeinen und Flora und Fauna im besonderen zu verbessern – und darüber, wie ein artenreiches Ökosystem funktioniert?
Tja, wissen Sie, die beste Art den Wald zu verstehen, zu würdigen und zu lieben, und seine Abläufe zu beobachten, ist, sich in ihm aufzuhalten. Man kann zu Wäldern lesen, sie im Fernsehen betrachten oder im Internet, aber diese persönliche tief empfundene Überzeugung, den Wald zu verstehen und zu kennen, kannst ein Mensch erst teilen, wenn er sich in ihm befindet. Ich nehme meine Studenten die ganze Zeit mit in den Wald und zeige ihnen Dinge. Sie saugen die Information auf wie ein Schwamm und lernen sehr schnell. Also, sie müssen Zugang zum Wald haben, selbst wenn sie nur mit Freunden gehen, einfach, um ihn zu erleben. Sie müssen gar nicht mal den Namen der Spezies kennen, wenn sie einfach begreifen können, dieses Lebewesen, diesen Baum oder diese Baumgruppe zu würdigen, beginnt der Lernprozess sofort. Wenn ihnen die Gelegenheit fehlt oder sie so an ihrem iPhone oder dem Internet kleben, gibt es Instrumente und Apps, die sie anleiten können, den Wald zu erleben. Wir haben diese Art Technologie in unseren Wäldern in Westkanada bei Vancouver entwickelt, Programme, mit denen sie auf Schatzsuche gehen können, ähnlich wie Geocaching. Dieses hybride Modell, sich im Wald aufzuhalten, aber mit ihrem Smartphone oder einer App erlaubt ihnen Dinge zu nutzen, die sie kennen und lieben. Das kann sehr effektiv sein. Hier in Kanada gibt man sich auch große Mühe in Schulen, den Lernprozess wieder zu „indigenisieren“. Man versucht den Schülern beizubringen, den Wald auf die tiefverwurzelte Art der kanadischen Ureinwohner zu sehen. Sie in den Wald zu führen, wo sie vielleicht durch Stammesältere in Spielen und Übungen geleitet werden. Und selbst wenn einer mitten in der Stadt lebt, in Lissabon zum Beispiel. Da gibt es vielleicht Parks, oder Alleen mit Bäumen. Selbst wenn man sich einfach nur über eine eingetopfte Pflanze freut. Auch das ist eine Möglichkeit, Pflanzen und Bäume kennenzulernen.
Tatsächlich haben wir einen riesigen Waldpark in Lissabon namens Monsanto. Er ist fabulös. Kanada ist ein riesiges Land, das zweitgrößte der Erde. Wie sehen Sie als Kanadierin das Verhältnis der Kanadier zum Wald?
Also, obwohl ich in British Columbia geboren wurde, bin ich Teil der französischsprachigen Gemeinschaft. Meine Familie kam ursprünglich aus Frankreich, zog nach Quebec und dann quer durch Kanada, um sich in den Bergen niederzulassen, ganz nah an dem Ort, an dem ich heute lebe. Ich weiß von meinen Besuchen in Quebec, dass die Menschen in enger Verbindung zum Wald stehen. Schon seit langem zapfen die Québécois im Herbst die Ahornbäume an, um Sirup zu gewinnen. Und die Menschen leben tatsächlich zeitweise im Wald. Wer Montreal besucht, es ist die größte Stadt in Quebec, wird berall Bäume sehen. Neben diesen starken kulturellen Traditionen, den Zucker-Ahorn anzuzapfen, gibt es auch eine starke Forsttradition der Abholzung und des Forstmanagements. In Kanada wuchs die Forstindustrie seit Mitte des 19. Jahrhunderts stark. Seitdem hat sie sich von diesen kleinen Operationen familiengeführter Hauswälder, wie es meine Familie betrieb, zum Kahlschlag auf industriellem Level entwickelt.
Sie erwähnten die Stammesälteren. Ist die kanadische Urbevölkerung im Forstschutz involviert?
80 Prozent der englisch- und französischsprachigen Kanadier lebt in Städten und nur zwanzig Prozent in ländlichen Gebieten, aber bei der Urbevölkerung, den First Nations, ist es umgekehrt, die meisten leben im Wald. Und so haben sich ihre Lebensart, ihre Traditionen, gemeinsam mit dem Wald entwickelt und sind von ihm abhängig. All ihre Ressourcen stehen in enger Verbindung mit der Gesundheit des Waldes.
Diejenigen, die den Wald lieben, weil sie als Kinder nah an Wäldern aufwuchsen, muss manchmal das Gefühl beschleichen, wenn sie heute durch den Wald gehen, dass sie die Verbindung zu ihm, dass sie die Orientierung verloren haben. Sollte der Mensch nun zurückgehen zu dem Punkt, wo wo er vom Weg abgekommen ist oder sollte er so weitermachen? Wir reden hier nicht über GPS oder Kompass, die Frage geht tiefer. Was denken Sie, sollen wir vorwärts gehen oder eher zurück?
Wie Sie selbst wissen, sehen wir uns mit enormen Umweltkrisen konfrontiert: klimatische Herausforderungen, der Verlust an Artenvielfalt, Wassermangel. Der Klimawandel verschlimmert diese Dinge, deshalb müssen wir auf globaler Ebene eminent wichtige persönliche und politische Entscheidungen treffen, wie wir vorgehen wollen. Meiner Meinung nach ist unsere Art den Wald zu betrachten, Teil des Problems. Die westliche Wissenschaft hat in gewisser Weise den Mensch vom Wald entfremdet, als ob Mensch und Natur separate Einheiten wären; ich denke, das war ein großer Fehler [LACHT]. Tatsächlich ist das ein Teil des Problems: wer seine Umwelt nicht versteht, kümmert sich nicht um sie. Ich glaube, da wir uns im Grunde ja alle von Bäumen und Mycorrhizas und der Ursuppe entwickelt haben, dass wir alle ein angeborenes genetisches Verständnis davon besitzen, was es heißt, mit der Erde in Verbindung zu stehen. Wir sind nur irgendwie ein bisschen vom Weg abgekommen Auf globaler Ebene ist es wichtig, dass wir die Menschen wieder in den Wald zurück begleiten, in die natürliche Umgebung, so dass sie sie lieben lernen und in der Lage sind, gute Entscheidungen zu ihrer Erhaltung zu treffen. Das heißt auch, unsere Regierungen bei Strategien zu unterstützen, die auf den ersten Blick schwierig erscheinen mögen, aber unabdinglich sind, beispielsweise die Entkarbonisierung unseres Energiesektors. Das ist schwer für den Einzelnen, der in einer hochgradig kohlenstoffabhängigen Infrastruktur befangen ist.
Es ist einfach für denjenigen, der konsequent leben möchte: den CO2-Fußabdruck verringern heißt, mehr Bäume pflanzen, nicht nur Monokulturen, sondern Mischwälder. Damit verringert jeder seine persönliche CO2-Bilanz. Punkt, aus, Ende. Das ist eine Lösungsmöglichkeit.
Wir können noch so viele Bäume pflanzen, das wird uns nicht vor den Konsequenzen unseres fossilen Brennstoffverbrauchs erretten. Das heißt nicht, dass Bäume pflanzen und unsere Wälder aufzuforsten nicht ein wichtiger Teil der Gleichung ist! Wenn wir unseren Wald auf das Niveau an Reichhaltigkeit und Gesundheit zurückbringen können, die er vor einem Jahrhundert hatte, könnte er ungefähr ein Drittel des Kohlendioxids aufsaugen, das wir in die Atmosphäre emittiert haben. Aber das ist nur ein Drittel, was ist mit den anderen zwei Dritteln?
Ein Drittel ist Ernährung; weniger Fleisch, weniger Fisch. Ein weiteres Drittel ist Mobilität und Strom, wie wir sie produzieren und nutzen. Und das ist der Grund, warum wir unseren Fußabdruck kennen müssen. Das bringt uns zum Anfang unseres Gesprächs zurück: wir müssen wissen, wie viel wir ausstoßen… Denn wenn wir sagen, „Null Emissionen bis 2050“ müssen wir wissen, wo wir heute stehen. Und wenn wir unseren Fußabdruck kennen, können wir ihn verkleinern, Schritt für Schritt… Wir möchten Sie noch zu Ihrem politischen Einfluss befragen. Haben Sie das Ohr des Premierministers? Und wie ist es mit der Forstindustrie, hat sie versucht, Sie für ihre Zwecke einzubinden, für ein bisschen Greenwashing, ‘Dr. Suzanne Simard’s zertifizierter Forst’, so etwas in der Richtung?
Sie halten mich für weitaus wichtiger als ich bin [LACHT]! Ich habe mich noch nie mit Justin Trudeau unterhalten, noch nicht. Ich denke seine Intentionen sind gut, zu versuchen, Kanada zu entkarbonisieren und unseren globalen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, aber er hat auch einen großen Zeitverzug zu verantworten und der fossilen Brennstoff-Industrie zu viele Zugeständnisse gemacht. Er hat verkündet, eine Trillion Bäume pflanzen zu wollen, das ist gut. Allerdings muss das intelligent angegangen werden. Wenn wir nämlich nicht darauf achten, um welches Terrain es sich handelt, welche Baumart wo hin gehört und uns dann nicht um diese Bäume kümmern, könnte es sehr negative Auswirkungen haben. Was die Forstindustrie betrifft, haben die erstmal versucht, mich so lange wie möglich zu ignorieren, aber nun kommen sie langsam an Bord, weil sie müssen. Ich habe ein großes ‘Mother Tree Project’, wo ich mit großen und kleinen Firmen an einem groß angelegten Experiment arbeite: wir versuchen Mutterbäume auf verschiedene Arten zu schützen, um dann zu sehen, wie der Wald sich von unterschiedlichen Störungen erholt. Und sie sind alle sehr willens an Bord gekommen, weil sie wissen, dass die Art, wie sie die Dinge in der Vergangenheit betrieben haben, keine Zukunft hat.
Wir bedanken uns für das Gespräch.