Home | Im Mittelpunkt | Licence To Spil?

Licence To Spil?

Wenn wir uns über das Meer unterhalten, sprechen wir meistens über Strände, Urlaub, Wetter oder gegrillten Fisch für den Mittagstisch. Über eine kleine, etwas ausgebleichte gelbe Plastikente aber, die im August des Jahres 2004 den Strand von Carrapateira im Landkreis Aljezur erreichte, haben wir uns noch nie Gedanken gemacht, weil wir davon nichts erfahren haben. Zeitungen verdienen damit kein Geld. Wenn Plastikenten aber sprechen könnten, hätte dieses kleine Kinderspielzeug viel von seiner etwa zwölf Jahre dauernden Weltreise erzählen können. Weltreise? Die Geschichte beginnt am 10. Januar des Jahres 1992 auf dem unter griechischer Flagge fahrenden und 1973 vom Stapel gelaufenen Containerschiff Tokio Express. Der 50.000t-Frachter ist auf dem Weg von Honkong nach Tacoma im US Bundesstaat Washington unterwegs und gerät im Nordpazifik nahe der Datumsgrenze in einen schweren Sturm. Dabei verliert er drei Container, die zerbrechen. Es ist die Geschichte von 28.800 gelben Plastikenten, grünen Fröschen, blauen Schildkröten und roten Plastikbibern, die ins Meer fallen und auf diese Weise schwimmend eine lange Reise unternehmen. Zwei Drittel des Plastikspielzeugs für Babybadewannen treibt zuerst nach Süden, etwa 10.000 aber driften nach Norden. Einige Exemplare findet man 1996 an den Stränden von Australien, Indonesien und Chile. Andere erreichen Alaska 1998, im Jahre 2000 den Osten der USA; England, Wales in 2003 und Portugal in 2004. Eine spannende Geschichte, nicht wahr? Mehr darüber später.

plastik enten und frösche

Wir könnten diesen Bericht im Herbst des Jahres 2015 auch mit dem Leben der Sardine beginnen: woher sie kommt, wohin sie zieht, wovon sie sich ernährt und wo sie schließlich landet, wenn sie von einem Fischer gefangen wird. Im Spätsommer des Jahres 1990 kaufte ich mir auf dem Fischmarkt in Portimão ein Kilo Sardinen zum Preis von 60 Escudos, umgerechnet 30 Cent. Im Sommer aß ich immer Sardinen und zwar für mein Leben gern. Heute, eine Generation später, bin ich – wie ich es fast jede Woche mache – wieder auf dem Fischmarkt und finde ein Kilo Sardinen zum Preis von zehn Euro, also 2.000 frühere Escudos. Der Preis soll noch weiter steigen, höre ich den Fischhändler sagen. Damals bekam ich sie mittags, kurz vor 13 Uhr nachgeworfen, umsonst, weil die Sardinenfischer so viele Schwärme fingen, dass sie am Ende des Tages nicht wussten, wohin mit ihnen. Dieses Problem haben unsere Fischer heute nicht mehr. Sie fangen eher zu wenig. Das Meer des Jahres 2015 ist ziemlich leer im Vergleich zu damals. Die Sardine steht jetzt auf der Liste jener Fische, die es bald nicht mehr geben wird, wenn wir den Atlantik weiterhin auf diese Weise behandeln. Innerhalb von einer Generation sanken die Fänge von jährlich 900.000 auf heute nur noch 200.000 Tonnen.*¹ Die Menschheit hat sich hingegen in 40 Jahren mehr als verdoppelt, Tendenz weiter steigend. Mit dem Wissen, das wir heute haben stellt sich die Frage, ob wir nicht lieber zurückkehren sollten zu den guten alten Zeiten, den Traditionen unserer Vorfahren, die im Winter sich und den Fischen eine Ruhepause gönnten. Sollten wir die Techniken des Fischfangs nicht einmal grundsätzlich überdenken? Und wenn wir schon einmal dabei sind zu fragen, sollten wir uns vielleicht nicht auch einmal grundsätzlich Gedanken darüber machen, welchen Wert das Meer und ihre darin lebenden Bewohner für den Menschen haben, in welcher Relation Land und Meer auf dieser Erde zueinander stehen?

Wem gehören die Ozeane?

Haben Sie eine Idee, wie viele Schiffe täglich auf hoher See unterwegs sind, auf welchen Routen sie fahren, welche Waren über das Meer transportiert werden und in welchen Mengen – welche Bedeutung der Seehandel für die globalisierte Weltwirtschaft hat? Viele Fragen auf einmal. Ich werde sie Ihnen der Reihe nach beantworten.

wellen1.371.368 Seeleute waren auf knapp 53.000 Handelsschiffen im Jahre 2014 weltweit unterwegs, davon 41% Massengutfrachter, 38% Rohöltanker, 14% Containerschiffe und 6% Stückgutfrachter. Passagierschiffe? Gerade einmal ein Prozent. Bewegt wurden in vergangenen Jahr Waren im Wert von 9 Mrd. Tonnen, davon Rohöl von knapp zwei Mrd. Tonnen, gefolgt von Eisenerz (1.093 Mio.), Kohle (976 Mio.), Mineralöle (903 Mio.), Erdgas (265 Mio.), Samen (450 Mio.) und Futtermittel (1.205 Mio.), fertige Verbrauchsgüter in Containern (1.550 Mio.) und diverse andere Waren (992 Mio). Keine Frage, der Seeweg ist der wichtigste und der billigste Transportweg des Internationalen Güterverkehrs. 80% der Menge des weltweiten Warentransportes entfallen auf die Seeschifffahrt, gerade einmal 20% auf Flugverkehr, Schiene und Straße. Weltweiten Schiffstransporteinnahmen in Höhe von 458 Mrd. Euro pro Jahr standen Lufttransporteinnahmen von 45 Mrd. Euro gegenüber. Die Staatsausgaben Portugals im Jahr 2015 betragen rund 85 Mrd. Euro.

Auf 1.000 Vollzeitstellen in der Seeschifffahrt registrierten staatliche Stellen in der EU 124 Arbeitsunfälle im vergangenen Jahr. Im Vergleich dazu ereigneten sich im Bausektor nur 80 Arbeitsunfälle auf 1.000 Vollzeitstellen. Tatsache ist, dass die Schiffe immer größer werden. Heute reichen schon 16 Besatzungsmitglieder aus, um 16.000 Container in 22 Tagen von Hongkong nach Lissabon zu transportieren. Schiffe von 350 Metern Länge und mehr werden bald keine Seltenheit mehr sein.

Größere Schiffe, größere Schlepper, größere Kräne- und Kaianlagen, Fluss- und Hafenvertiefungen, Ausflaggung in Billigsteuerländer wie Panama (39,5%), Liberia (22,6%), Marshallinseln (14,3%), Malta (8,6%), die Bahamas, Zypern, u.a. Es kündigt sich keine Reglementierung an, die der Seeschifffahrt Grenzen setzen würde. Weltweit freie Fahrt für freie Schiffe? Die Ausflaggung der Schiffe geschieht auf dieselbe Art und Weise, wie die Verschiebung der Industriestandorte mit ihren Arbeitsplätzen aus den westlichen Industriestaaten in asiatische Billiglohnländer: bei Textilien, Computern, Konsumgütern u.s.w.

Der Gigantismus des Internationalen Seehandels scheint ungebremst. Wohin soll Wachstum führen? Niemand fragt, wie es dem Meer und seinen Lebewesen damit geht. Offizielle Statistiken von Versicherungen dokumentieren, dass jedes Jahr rund 15.000 Container in den Meeren landen. Jeder Container und seine Waren sind fast immer ein Risiko für die Umwelt, für die Seeleute, für Fischer und Segeljachten, die Gefahr der Kollision nicht ausgeschlossen. Um die Handelsabläufe flüssig zu halten und den Wettbewerb nicht zu behindern, wird von tausend Containern weniger als einer kontrolliert. Versuche der EU, die Seeschifffahrt stärker zu regulieren, stoßen bei den Reedereien (ICS/ECSA*²) immer wieder auf großen Widerstand.

Jedes mit Schweröl betriebene Handelsschiff, nicht wenige von ihnen reinigen ihre Tanks auf hoher See, andere sinken in Stürmen mit gefährlicher Fracht, stellen eine extreme Gefahr für die Artenvielfalt im Meer dar. Anhand des freien Seehandels und seiner Zahlen lassen sich die Praktiken einer globalen Weltwirtschaft gut nachzeichnen: Welthandel und Weltwirtschaft bedienen sich mittels vielfältiger maritimer Wasserwege auf Kosten der Natur und seiner Ökosysteme. Wenn ich auch nicht die Frage beantworten kann, wem nun die Ozeane gehören, so wird doch klar, dass die Meere wohl den Reedern gehören müssen. Sie haben sie sich einfach unter den Nagel gerissen und beuten sie hemmungslos aus, ohne jegliche öffentliche Kontrolle, nach ihren eigenen Gesetzen, an erster Stelle stehen immer die Profite, an zweiter: Kosten sparen.

Ozeane und verschmutzungÜber die Verluste erfahren wir wenig. Was wissen wir über die Tiefsee, ihre Bewohner und die Langzeitfolgen der Verschmutzung durch Erdöl und die Belastung durch Radioaktivität? Spätestens seit dem Tepco-Atomunfall im japanischen Fukushima 2011, spätestens nach der Explosion der BP Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko 2010, spätestens seit der kontinuierlichen Gletscher- und Eisschmelze im Norden unseres Globus, verursacht durch den anthropogenen Treibhauseffekt wissen wir, das einer freien Weltwirtschaft klare ökologische Grenzen gesetzt werden müssen. Doch der Wahnsinn geht ungebremst weiter. Ein Freihandelsabkommen wie TTIP wird das Klima weiter anheizen und ein grenzenlos wachsender Welthandel den Weltmeeren unermesslichen Schaden zufügen. Dass die Weltmeere die Grundlage unserer Existenz sind und unsere wichtigste Ressource, vergessen wir dabei. Dass die Weltmeere der Ursprung allen Lebens auf unserer Erde sind und Wasser unser Lebenselixier, geraten immer wieder in Vergessenheit, wenn wir ungehemmt schalten und walten dürfen in einer Weltwirtschaft mit gieriger Aussicht auf Gewinn und dem Recht, die Meere zu verschmutzen und leer zu fischen. Wasser kommt uns nur dann in den Sinn, wenn es knapp wird.

„Alle kennen das Problem der leergefischten Meere, aber jeder macht einfach so weiter, als sei in all den Jahren nichts geschehen“, sagt mir José Carlos Águas (55), Fischer aus Portimão. Wir kennen uns seit 25 Jahren und treffen uns des Öfteren im Hafen. Zeca‘s Vorfahren waren Sardinenfischer. Sie besaßen eine stolze Flotte von mehreren Trawlern, die Mitte des letzten Jahrhunderts täglich mit vielen Tonnen Sardinen einen Teil der Konservenfabriken der Stadt im Süden Portugals am Laufen hielt. Irgendwann war damit Schluss. Das Sardinen-Business wurde teurer: die Löhne stiegen, schon damals sanken erstmals die Fangquoten. Aber Sardinen in Büchsen konnten die Marokkaner billiger produzieren. „Was wir heute sofort bräuchten, ist ein fünfjähriges Fangverbot auf Sardinen“, sagt er. Er zeigt mir sein neues, altes, kleines Fischerboot. Jahrelang arbeitete er als Kapitän mehrerer Tourismusboote in Lagos und Albufeira. Seit er sich entschloss, zu sinnvoller traditioneller Fischerarbeit zurückzukehren, arbeitet er wieder mit Reusen, um Tintenfische zu fangen. Im Moment renoviert er sein Boot. (Lesen Sie mein Interview)

Zusammenhänge verstehen.

Meer und FischDabei sprechen wir nicht nur über Fische, sondern auch über den Müll im Meer. Überall findet sich Plastik: auf dem Meeresboden, an den Stränden, sogar in den Reusen der Tintenfische. Denn der Oktopus sei ein Lebewesen, das gern und viel spiele, erklärt er schmunzelnd. Manchmal fände er in den Käfigen leere Joghurtbecher, auch Bierflaschen, Kinderspielzeug, dass der Tintenfisch dem Fischer in die Reuse zurücklege und ihn damit auffordere es zurück an Land zu nehmen. Er selber bevorzugt natürlich, sich nicht fangen zu lassen.

Angekommen beim Thema Meer? Fast 29.000 Kilometer legte eine kleine gelbe Plastikente zurück, bevor sie am Strand von Carrapateira bei Aljezur wieder an Land ging. Wie konnte sie das schaffen? Mit der Meeresströmung. Zwischen dem subtropischen und subpolaren Wirbel sind die Strömungen im Pazifik besonders stark, schreibt Professor Dr. Mojib Latif in seinem aktuellen Buch „Das Ende der Ozeane?“ *³. Diese Strömungen nutzte unsere Plastikente, um nach Nordosten zu treiben. Dabei muss sie den „Great Pacific Garbage Patch“ verpasst haben, in dem sich der größte maritime Müllberg aller Zeiten, eine Fläche so groß wie halb Europa, im pazifischen Ozean vereinigt. In seinem Inneren sammelt sich eine riesige Menge Plastikmüll. Unsere Plastikente wurde durch das weltumspannende Netz von Meeresströmungen über Alaska, die Beringstraße, Kanada und den Nordatlantik bis zu uns getrieben. Meeresströmungen befördern Substanzen und Gegenstände, langlebige Schadstoffe wie Plastik, aber auch Karbondioxyd (CO²) aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe von Öl, Gas und Kohle. Unsere Ozeane sind auch die größten Speicher der Abgase unserer konsumorientierten Lebensweise. Rund die Hälfte des weltweit ausgestoßenen Karbondioxyds landet im Meer und verbindet sich dort mit dem Wasser. Über einen längeren Zeitraum gerechnet versauern auf diese Weise unsere Ozeane (PH-Wert 8,1).

Darüber Auskunft gibt der Meereswissenschaftler Professor Dr. Mojib Latif, der an verantwortlicher Stelle im GEOMAR Institut in Kiel forscht und unterrichtet. Mit ihm möchte ECO123 sprechen. Wir vereinbaren einen Gesprächstermin in Deutschland und beabsichtigen uns auszutauschen, ob und falls ja wie man Ökonomie auf der Basis von Ökologie harmonisch betreiben könne. „Denn ändere sich die Struktur der Ozeanzirkulation infolge menschlicher Aktivität grundlegend, kann dies schwerwiegende Folgen haben, für das Klima, für die Meereschemie, für das Leben in den Ozeanen und auf der Erde insgesamt“, betont der Wissenschaftler. Lesen Sie das Interview mit Prof. Dr. Mojib.

 

Macht Euch die Erde Untertan?
Wir verschmutzen die Ozeane, überfischen die Meere und beuten sie aus. Haben wir die Orientierung verloren? Ist unser Kompass kaputt? Was machen wir und warum? Wir stehen an einem Scheideweg und können uns entscheiden, wohin wir uns bewegen wollen. Machen wir die Augen zu und marschieren weiter so wie bisher? Oder halten wir ein und kehren um, um herauszufinden, von welcher Stelle aus wir falsch gegangen sind? Welcher ist der richtige Weg? Was brauchen wir wirklich zu einem glücklichen Leben?

Die Paradoxie unserer Lebensphilosophie ist, das wir mit jedem Schritt hin zu mehr Wohlstand und zu mehr Wirtschaftswachstum an dem Ast sägen, auf dem wir selbst sitzen. Unsere Ressourcen werden immer knapper, die giftigen Müllberge immer größer. Der Aufprall nach dem Fall wird uns mindestens so hart treffen wie der Tsunami Fukushima.

*¹ Der wirtschaftliche Wert des Meeres in Portugal aus „Die Meeresinitiative“ der Calouste Gulbenkian Stiftung; The Economic Value of Oceans in Portugal from “Ocean Initiative” of the Calouste Gulbenkian Foundation, Lisbon
*² Daten nach International Chamber of Shipping/European Community of Shipowners’ Association
*³Mojib Latif, das Ende der Ozeane, Herder-Verlag, Freiburg, Basel, Wien

About the author

Uwe Heitkamp, 53, Journalist und Filmemacher, ist seit 25 Jahren in Monchique, Portugal zuhause. Er unternimmt gern lange Wanderungen in den Bergen und schwimmt in Gebirgsbächen und Seen. Schreibt und erzählt Geschichten über Menschen und ihre Bezüge zur Ökologie und Ökonomie. Sein aktueller Film „Erben der Revolution“, erzählt über 60 Minuten die Geschichte einer Wanderung durch Portugal. Zehn Menschen berichten aus ihrem Leben. Alle Protagonisten zusammen malen ein Bild vom Leben und Arbeiten in den Bergen Portugals. Der Film offenbart Einblicke in die Schönheit der Natur und das Leben der normalen Menschen. Welcher Weg bestimmt die Zukunft des Landes? (Abonnieren Sie ECO123 und sehen Sie den Film in der Mediathek)

 

Check Also

Die Invasoren, Teil 3.

Samstag, der 3. Juni  2023. Landflucht und Wasserknappheit. Am dritten Tag ging Lenz um Monchique …

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.