Ein Kommentar zu “Laudato Si´” – der Enzyklika von Papst Franziskus
Einleitend möchte ich auf den Titel der Enzyklika “Laudato Si´” aufmerksam machen, der dem Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi entliehen wurde und Gott preist für “unsere Schwester, unsere Mutter Erde”. Somit wird gleich zu Beginn die besondere Bedeutung herausgestellt, die der Planet Erde, der uns als Lebensraum dient, für uns innehat. Für die weniger mit dem Lesen von Schriften der Katholischen Kirche vertrauten Leser möchte ich kurz erklären, worum es sich bei einer päpstlichen Enzyklika handelt. Sie ist ein Rundschreiben, das sich an einen bestimmten Personenkreis wendet, z.B. an alle Bischöfe, an alle Katholiken oder, darüber hinaus, an alle, “die guten Willens sind.” Doch dieses Mal, so sagte der Papst, wolle er sich an “alle Menschen, die auf diesem Planeten leben”, wenden. Es handelt sich daher um einen für alle so offen wie möglichen Appell. Und der Grund dafür sei, dass “die globale Verschlechterung der Umweltbedingungen” uns alle betreffe.
Die Erstellung eines Textes wie diesem folgt in der Regel einer gewissen Methodik, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verwandt wird. Danach erscheint der Papst nicht mehr nur als jemand, der seine eigenen Gedanken zu einem Thema verkündet, sondern der zur Weiterführung des gemeinsamen Erbes beiträgt. An diese Konzept wird systematisch festgehalten, seit sich Leo XIII in der berühmten Enzyklika von 1891, der Rerum Novarum, zu sozialen Fragen äußerte, woraus die Katholische Soziallehre entstand.
Mit dieser Enzyklika zur ökologischen Thematik und genau zum jetzigen Zeitpunkt möchte Jorge Bergoglio Einfluss auf die nächste internationale Klimakonferenz in Paris nehmen. Es ist ein relativ einfach gehaltenes Dokument, aus vielen leichtverständlichen Abschnitten zusammengesetzt, gleichzeitig jedoch in ihrer Gesamtheit schwierig zu erfassen. Es bedeutet eine echte Herausforderung, weil es die Qualität der Beziehungen zwischen der Natur, dem Menschen, der Gesellschaft und natürlich Gott als alleinigem Schöpfer von allem bewertet. Die Politiker der linken wie der rechten Parteien finden darin Bestätigungen für ihre Positionen, je nach dem Aspekt, den sie daraus hervorheben. So kritisierten beispielsweise eher rechtslastige Kommentatoren diesen Text als naiv und antikapitalistisch. Ich persönlich sehe darin eine Kontinuität mit der Vergangenheit, die in der Sorge um die Zukunft gipfelt. Der Papst holt sich einen großartigen Verweis auf ökologischen Themen direkt aus der eigenen Geschichte der katholischen Kirche: Franz von Assisi, ihr Heiliger mit der größten Nähe zur Natur, der die Schöpfung in all ihren Erscheinungen liebte, und der mit gewagten, jedoch akkuraten Begriffen seine Verbundenheit artikulierte: wer erinnert sich nicht an die Gebete, in denen er von “Bruder Sonne” und “Bruder Feuer” spricht? Es ist auch der große Freund der Tiere. Vor allem aber liebt er die Armen und folglich alle Menschen. Papst Franziskus überführt für uns die Weltsicht des Heiligen Franziskus in das einundzwanzigste Jahrhundert. Er macht sich mit seiner Vision auf den Weg und holt sich Beiträge anderer dazu, insbesondere Reflexionen seiner Vorgänger, vor allem von Johannes Paul II und Benedikt XVI. Er zitiert sogar mehrmals jemanden, den ich sehr bewundere: Romano Guardini, Priester, Theologe und deutsch-italienischer Schriftsteller (1885-1962), der, noch weitgehend von der Öffentlichkeit unentdeckt, schon damals eine außergewöhnlich klare Vorstellung von den Dilemmata des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte. Darüber hinaus bezieht sich der Papst auf Veröffentlichungen verschiedener Bischofskonferenzen (Bischofstagungen der einzelnen Länder).
Die Enzyklika übermittelt uns einen vielschichtigen Eindruck von der Realität in ihrer allumfassenden Gänze. Sämtliche Aspekte der Natur, d.h., physikalische, biologische und menschliche Faktoren, sind voneinander abhängig. Der Mensch spielt darin zwar eine zentrale Rolle, ist jedoch verpflichtet, die ihn umgebende Natur zu respektieren, von der er ein Bestandteil ist. Es geht um die Entfremdung des Menschen von seiner Verantwortung gegenüber der Natur, auf die der Papst den Fokus legt. Und zu dieser Entfremdung gehören für ihn auch soziale Probleme wie die vergessenen Armen. Um all dem etwas entgegenzusetzen, empfiehlt Papst Franziskus eine radikal ökologische Vision, in der die Sorge des Menschen für seinen Lebensraum mehrere Aspekte umfasst: Achtung vor der Natur und die zentrale Bedeutung menschlichen Tuns im Sinne des Gemeinwohls für alle. Die letzten beiden Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte werden vom Papst kritisch reflektiert. Er bestreitet nicht die positiven Seiten des Fortschritts, aber in der jetzigen Phase warnt er vor ihren negativen Auswirkungen, in seinem Kapitel namens “Globalisierung des Technokratie-Paradigma. Diese Technikhörigkeit ist für ihn verantwortlich für eine Reihe von Problemen. Kernproblem ist, dass der Mensch nicht im Zentrum steht, sondern zunehmend als überflüssig betrachtet wird. Es steckt eine enorme Macht in den aktuellen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen über die Dinge, aber von dieser Macht profitieren in Wirklichkeit nur wenige. Wie sagte schon Romano Guardini: “Der moderne Mensch hat den rechten Gebrauch der Macht nicht gelernt.”
Der Papst bezeichnete seine Betrachtungen abschließend als freudig und tragisch zugleich. Und genau dies sind die beiden Gefühle, nämlich Frohsinn und Drama, die uns beim Lesen der Enzyklika, über die ein jeder von uns nachdenken sollte, erfüllen.