Samstag, der 27. Juli 2024.
Ein Taschenmesser kann durchaus ein freundlicher Begleiter im Forst von Monchique sein. Monchique ist ein Bergdorf im gleichnamigen Gebirge im Südwesten Portugals, am Anfang Europas oder an dessen Ende. Es kommt auf die Betrachtung an. Wo stehe ich? Als ich vor 34 Jahren erstmals eine Wanderung durch das Monchique-Gebirge unternahm, hatte ich ein Taschenmesser mitgenommen, um eine Brotzeit zu machen, zum Brot und Käse schneiden. Heute benutze ich das Taschenmesser, um mich gegen die Invasoren durchzusetzen. Invasoren? So nennt man Bäume, die gebietsfremd sind und aufgrund ihrer Beschaffenheit eine Gefahr für heimische Baumarten sind und diese verdrängen.
Portugal und ganz besonders das Monchique-Gebirge sind bekannt für seine Korkeichen- und Kastanienwälder. Das war vor einer Generation, im Jahr 1990 noch der Fall. Dann kam die Papierindustrie und die privaten Besitzer dieser Wälder begannen, ihre Wälder abzuholzen und pflanzten stattdessen Eukalyptus-Forste. In Monchique waren in 1990 noch 82% aller Baumarten nativ, also autochton. Da sich der sogenannte Wald in Portugal zu 98% in Privatbesitz befindet und nur zwei Prozent in staatlicher Hand, ist der Beruf des Försters, der sowohl den regionalen Wald und auch die Fauna des Waldes schützt, in Portugal ausgestorben. Stattdessen gibt es nun den ICNF. Er soll so etwas wie den Schutz des heimischen Waldes garantieren und darauf acht geben, daß sich keine invasiven Baum- und Pflanzenarten auf 92.090 km2 ausbreiten.
Die Arbeit des ICNF begann mit einem Konflikt, einem Interessenkonflikt. Sollte die austarlische Baumart Eukalyptus „invasiv“ erklärt werden oder eher nicht? Der ICNF wurde am Ende der 80er Jahre vor diese Frage gestellt. Und er beantwortete die Frage mit einem NEIN. Somit hatte die Papierindustrie genau das erreicht, was sie wollte und brauchte: Platz, um ihre Ressourcen anzubauen, eine wassersaufende Pflanze: die gebietsfremde Baumart „Eukalyptus“ begann ihren Siegeszug von Nord nach Süd. Heute sind im Monchique-Gebirge rund 80% der Forste Monokulturen. Zehn Prozent der portugiesischen Staatsfläche (knapp 10.000 km²) wurden mit Eukalyptus bepflanzt. Alle Vielfalt eines Waldes ist der Monokultur gewichen. Keine Vogelwelt nistet in einer Monokultur – keine andere Baumart liebt den aufdringlichen Geruch des Eukalyptus. Dabei hätte diese Baumart nicht gepflanzt werden dürfen, denn in den Karten der Europäischen Kommission in Brüssel wurden 92% des ehemals vielfäligen Waldes in Monchique unter den Schutzschirm des Netzwerkes „Natura 2000“ gestellt und als besonders wertvoll hervorgehoben.
Der ICNF und die kommunalen Behörden hatten wichtigeres zu tun, als sich um Korkeichen, Kastanien, Linden, Eschen und Erlen und hunderte andere Baumarten zu kümmern. Von der schwarzen Walnuß gibt es heute in Monchique noch fünf Bäume, von der Monchique Eiche noch drei Exemplare. Das Geld, das der Verkauf von Eukalyptus den privaten Waldbesitzern fortan einbrachte, erstickte jede Kritik an den Monokulturen. Eukalyptus entzieht dem Boden Wasser. Eukalyptus brennt wie Benzin. Eukalyptus wird nach acht Jahren gefällt und wächst sofort nach – und nach acht Jahren kann man ihn wieder schneiden und schneiden und wieder schneiden. Es ist die „never ending story“. Man braucht sich nicht mal mehr die Finger schmutzig zu machen… Nach mehr als 30 Jahren ist der Boden ausgelaugt, jedenfalls dort, wo Eukalyptus steht. Der Grundwasserspiegel in Zeiten des Klimawandels hat sich gesenkt. Viele Gebirgsbäche sind ausgetrocknet: Fische, Wasserschildkröten, Feuersalamander und viele andere Tierarten innerhalb einer Generation ausgestorben. Seit wir mit dem neuen Botanischen Garten begonnen haben, sind Tiere zurückgekommen: die Nachtigall niestet und zieht ihre Jungen bei uns auf.
Daß es 1991 den ersten großen Flächenwaldbrand in Monchique gab, damit hatte niemand gerechnet. Und dann brannte es am 11. September 2003 wieder und weil der gigantische Waldbrand nicht gelöscht werden konnte, brannte es zehn Tage, bis das Feuer am Meer angekommen war. Und wieder brannte es 2004, 2016 und noch einmal am 3. August 2018. Und auch in 2023 brannte es wieder in Monchique. Diese Waldbrände sind nicht zu stoppen, wenn sie nicht ganz am Anfang gelöscht werden können. Das sagt die Feuerwehr.
Das Löschen ist das eine – die andere Gefahr jedoch haben weder der ICNF noch das Rathaus in Monchique auf ihren Schirmen: die Akazien und Mimosen, ebenfalls importierte Baumarten, die man neben dem Eukalyptus in den 30er Jahren auch aus Süd-Ost-Australien nach Portugal einschleppte. Beide invasiven Baumarten sind noch aggressiver und noch wasserdurstiger, sehr schnellwüchig, weil gleichzeitig Flach- und Tiefwurzler. Nach Waldbränden sind Akazien und Mimosen die Pionierpflanzen. Jetzt, im Juli/August 2024, fragen sich der Bürgermeister Paulo Alves und seine engsten Mitarbeiter, warum Quellen, Gebirgsbäche und Wasserminen ausgetrocknet sind? Er müßte seinen Allerwertesten nur mal aus seinem Büro im Rathaus hinausbewegen und in den Forsten nach dem Rechten schauen. Dann würde er feststellen, daß sowohl Akazien als auch Mimosen in allen drei Gemeinden von Monchique, Alferce und Marmelete überall wild wuchern, am liebsten in Bachbetten, an Quellen und an Wasserminen. Millionen von invasiven Baumarten sind dabei, Monchique zu übernehmen.
Und der Clou ist, wenn man Akazien oder Mimosen wie den Eukalyptus fällt, wachsen sie sofort nach. Nicht einmal eine Woche vergeht, und sie schlagen sofort wieder aus und wachsen nach. Und jetzt kommt mein Taschemesser ins Spiel. Mit dem Taschenmesser mache ich Jagd auf Invasoren: Baum für Baum. Ich ziehe ihnen die Rinde vom Stamm. Das ist die einzige Möglichkeit, sie in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Sie trocknen aus, und Blätter, Äste und der Stamm nebst Wurzeln sterben ab. Nach etwa drei Monaten ist es dann soweit. Ich schneide mit meiner kleinen elektrischen Motorsäge auf Bauchhöhe den Stamm und das, was im Boden verbleibt, kann ich hin und her bewegen und die Wurzeln ganz langsam rausziehen. Was man dafüer braucht, ist neben dem Taschenmesser sehr viel Geduld und Vertrauen in die Heilungskräfte der Natur. Im vergangenen Jahr schaffte ich etwas mehr als 250 Akazien und Mimosen. Jeden Tage besuche ich die Ecke, die seitsdem frei ist und wo ich den dort wachsenden Mandelbäumen, Korkeichen, Johannisbrotbäumen und Feigen noch ein paar heimische Bäume hinzufügen werde. Im neuen Botanischen Garten von Caldas de Monchique gehe ich jeden Tag mit meinem Hund Max einige Runden und beobachte genau, wie es der Vielfalt des Baumbstandes – des neuen Waldes – geht. Denn das Wasser ist ein knappes Gut Und einigen Bäumen muss ich fast täglich abends Wasser mit der Gießkanne spenden, damit sie langsam größer werden. Und um die Vielfalt zu schützen, haben wir acht große Sprinkler installiert und sehen dem nächsten Waldbrand sorgenvoll und trotzig entgegen. Happy End? Mal gucken.
P.S.: Wir hatten vor einer Woche den ICNF gebeten, eine Stellungnahme für diese Short Story abzugeben. Unser Lissabonner Kollege besuchte den ICNF in seinem zentalen Büro in der Avenida da Republica, 16 und sprach mit der Pressesprecherin Rita Justo. Bis Redaktionsschluß konnte der ICNF keine Stellungnahme zum Thema abgeben. Na ja, dann vielleicht nächste Woche? …