20 Stufen führen in den zweiten Stock des Sandsteinbunkers hinauf, der hinter meterdicken Mauern liegt. Dort befinden sich die fünf Gastzellen des katalonischen Zisterzienserklosters Poblet. Bruder Paco, 79, alias Francisco Martínez Soria, überreicht mir den Schlüssel. Er zeigt mir Badezimmer, Besenkammer und den Zinnengang um das Kloster herum. Überflüssiges spricht er nicht: „Singen um 13 Uhr, Mittagessen danach.“ Dann geht er fort. Bett, Schreibtisch, Stuhl, Regal, Mülleimer, Heiligenbild, Heizkörper, Schreibtischlampe. Vier Meter mal zweieinhalb. Hier beginnt die dreitägige, 106 km lange Wanderung der Zisterzienser-Route. Ich beziehe mein Bett, lege mich hin und starre an die Decke. Mobiltelefon ausgeschaltet, Laptop zuhause gelassen. Nur mit einer Karte, mit Notizbuch und Stift bereite ich mich auf die Wanderung vor. Am nächsten Tag in der Früh soll es losgehen. Die Tour verbindet drei historische Orte: das Mönchskloster Poblet mit dem Schwesternkloster Vallbona de les Monches und Santes Creus im Regierungsbezirk Tarragona bei Barcelona.
Um 4.45 Uhr weckt eine helle Glocke. Um 5 Uhr erschüttert Glockengeläut die Mauern. Danach strömen die Mönche zum ersten Gebet in das Gestühl der Kathedrale. Verneigung vor dem Altar und vor der steinernen Alabasterwand, die zur Zeit der Renaissance gebaut wurde. Von 10 bis 13 und von 15 bis 18 Uhr ist Einlass für Touristen. Dann wird wieder laut durcheinander geredet. Während der anderen 18 Stunden des Tages gehört das Kloster den stillen 33 Zeitgenossen. Notizbuch und Stift helfen mir nach dem Mittagessen, ein seltenes Gespräch mit Bruder Paco festzuhalten. Im Refektorium steht derweil Abt José Alegre Vilas mit der Kreuzkette überm Gewand und spricht das Mittagsgebet. Die Mönche stehen vor den Tischen und warten, bis er das Essen freigibt. Dicke Bohnen mit Zwiebelspeck, paniertes Schweineschnitzel mit Pommes, Kirschen zum Nachtisch.
Keiner redet, nur der Vorleser. Die Mönche sitzen mit ihren Rücken zur Wand am Tisch und vertiefen sich ins Essen und in die Neuigkeiten des Vorlesers. Die Flasche roten Hausweines gehört ebenso dazu wie das klostereigene Quellwasser. Am Weltrecyclingtag liest der Mönch aus einer kleinen Vertiefung in der oberen Wand weltliche Nachrichten aus einer Zeitung vor. Das Wort Paradigmenwechsel ist ebenso präsent wie zirkuläres Wirtschaften bei sparsamem Ressourcenverbauch. Ob es sich dabei um einen frommen Wunsch handelt? Nach 15 Minuten fährt der Abt dem Vorleser in die Parade. Das Mittagessen ist beendet. Mir bleibt gerade noch Zeit, die Stoffserviette zu falten und mich wieder einzureihen.
Auf dem Weg zurück in meine Zelle treffe ich Bruder Paco. Wir gehen aus dem Kreuzgang des Schweigens durch ein Tor heraus in eine dunkle Ecke, wo wir uns setzen und leise miteinander reden. Wir sparen das Thema Inquisition aus, auch die Judenverbrennung und die Vertreibung der Mauren und die vielen anderen Verbrechen der katholischen Kirche im Verlauf der Jahrhunderte. Ich möchte nur wissen, ob und falls ja, was die Mönche den lieben langen Tag alles anstellen, außer zu den ungünstigsten Zeiten des Tages Ihre Kraft ins Beten und Singen zu investieren.
Ob sie auch einer Arbeit nachgingen? Ich erfahre, dass es eine Bibliothek, ein Krankenzimmer mit Apotheke, eine Küche, eine Wäscherei und einige andere Arbeitsplätze gibt, um den weltlichen Dingen zu huldigen: studieren, heilen, kochen, waschen und Saubermachen. Ob das Zölibat keinen Frauenbesuch im Kloster erlaube, möchte ich wissen. Außer einer Schneiderin käme keine Frau hinter die dicken Klostermauern, versichert Bruder Paco. Wovon man lebe? Arbeit auf dem Feld?
Weit gefehlt. Außer ein wenig Gemüse werde im Kloster nichts mehr angebaut. „Ohne die Touristen wäre das Kloster in drei Wochen pleite“ meint Bruder Paco resignierend. Man verkaufe Eintrittskarten, Souvenirs, Bücher und betreibe ein Hotel nebst Restaurant. Der Wein würde zwar den Namen des Klosters führen, aber von einem großen spanischen Wein- und Sektproduzenten hergestellt. Nein, ich sei kein Katholik, erwidere ich dem lächelnden Mönch.
Am nächsten Morgen beginnt die 25 km lange Wanderung, die uns vom strengen Regiment der Mönche in die zwei Kilometer entfernte Kleinstadt L’Espluga de Francoli führt. Dort kaufen wir uns Proviant für die nächsten Tage. Wir überqueren die Autobahn AP-2 und wundern uns, wie uns ein kleiner Wanderweg durch die Weizenfelder leitet und verschluckt. Der Wanderer geht bis zum Anstieg in die Serra del Tallat auf dem GR 175. Wer Baguette und Ziegenkäse, Früchte und Schokolade dabei hat, macht es sich irgendwann am Waldesrand bequem und genießt die schöne Aussicht auf die schneebedeckten Pyrenäen. Nach sechs Stunden Wanderung durch Pinienhaine, Steineichen und Medronhobüsche kommt das Kloster Vallbona des Monches in Sichtweite. Auch hier gibt es jahrhundertealte katholische Kultur in Stein gehauen. Die letzten neun Schwestern des Klosters beklagen sich über fehlenden Nachwuchs.
Der zweite Wandertag beginnt um sechs Uhr. Vor uns liegen 45 Kilometer Wegstrecke. Teile davon waren im Jahr 1938 die zweite republikanische Frontlinie des spanischen Bürgerkriegs. Nach zehn Kilometern frühstücken wir im Café des Dorfes Rocallaura. Über Belltall, Forès und Rocafort de Queralt gelangen wir nach Montbrio de la Marca. Feldwege und kurze Abschnitte geteerter Straße mit guter Markierung bringen uns dem Mittagessen im Restaurant EL Celler näher. 25 Kilometer sind geschafft. Eigentlich wäre es jetzt genug. Doch jetzt geht es an den einstündigen Aufstieg auf den 800 Meter hohen Puig de Comaverd mit grandioser Perspektive auf das Mittelmeer. Abseilen vom Gipfel auf den Grat und Abstieg am el Gogulló. Auf den nächsten Kilometern führt der Pfad rechts und links jeweils einige hundert Meter schroff in die Tiefe. Bei sechs bis acht Windstärken bedarf das hoher Konzentration. Über el Pont d´Armentera bis nach Santes Creus sind es noch einmal zehn Kilometer. Ankunft um neun Uhr abends. Das Kloster befindet sich in Renovierung. Man schläft im Hostal Grau zu Füßen des 800 Jahre alten Monuments.
Der dritte Tag beschert 36 Kilometer schönsten Wanderwegs. Aufbruch um 10 Uhr morgens. Bis el Pla de Santa Maria geht man über schmale Wege durch Weizen- und Weinanbaufelder, später über Himbeerplantagen. Figuerola del Camp ist in knapp drei Kilometer Entfernung schon sichtbar. Dort am Hang beginnt der Anstieg hinauf in die Serra de Jordà. Noch einmal die Wasserflasche am Dorfbrunnen füllen und dann geht es bergauf. Beim späteren Abstieg kann sich der Wanderer die Flasche wieder an der Font de San Salvador füllen. Von Prenafeta findet man leicht nach Montblanc. Ein zweiter Anstieg hinauf zum Sant Joan läutet das Finale der Wandertour ein. Wer seine Kraftreserven bisher gut eingeteilt hat, weiß bei sorgfältigem Studium der Karte, dass es noch einen dritten Anstieg geben wird, zum Coll de la Vena. Alle Mittelgebirgsgipfel befinden sich im 700 bis 900 Meter Höhenbereich.
Gegen 20 Uhr erreicht der Wanderer wieder das Kloster Poblet. Bruder Paco öffnet mit großem Schlüssel die Pforte, an der man seine Freiheit gegen Stille und Einsamkeit eintauscht. Wer Gott sucht und die Einsamkeit dazu, hat allerdings auch die Freiheit, diesem außerhalb der Klostermauern zu begegnen. In der Natur, zwischen den im Wind wiegenden Ähren eines Weizenfeldes und den dahinziehenden Rebstöcken der Weinfelder erscheint einem Gott auch ohne Einschränkung.
Anreise mit dem Zug (CP/RENFE) von Lissabon über Madrid nach L’Espluga de Francoli (Richtung Barcelona)
Sektor Poblet- Vallbona des Monches, 25 km
Dauer der Wanderung: 6 Std.
Übernachtung Kloster
Tel. 0034/973 330 266 oder 618 876 004
Mittagessen Picknick
Sektor Vallbona des Monches – Santes Creus, 45 km
Dauer der Wanderung: 12 Std.
Mittagessen im Restaurant El Celler in Montbrió de la Marca
Tel. 0034/977 898 172 oder 687 979 197,
Übernachtung z.B. im Hostal Grau
Tel.0034/977 638 311
Sektor Santes Creus – Poblet, 36 km
Dauer der Wanderung: 10 Std.
Übernachtung Kloster/Gästehaus
Tel. 0034/977 871 201
Mittagessen Picknick
Fazit:
106 km in drei Tagen zu bewältigen, wird nicht jedem Wanderer leicht fallen. Weniger Geübte können den Weg auch in fünf Tagen gehen, da es Übernachtungsmöglichkeiten in Montbrio de la Marca und Montblanc gibt. Alles in allem ist die Ausschilderung überwiegend gut und gelungen dargestellt auch die Pflege der Wege, die kulturelle und historische Thematik des Weges interessant, der Schwierigkeitsgrad machbar mit oft schönen, schattigen und engen steilen Pfaden. Die einsame Naturlandschaft im Mittelgebirge, besonders am zweiten und dritten Tag, ist zum großen Teil sehr beeindruckend.