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Haltbarkeit abgelaufen?

ECO123: Sie eröffneten den ersten Intermarché Supermarkt in Portugal in Guarda. Nun gehören Ihnen die Intermarchés in Monchique, Lagoa, Porches und Messines. Welche soziale Verantwortung hat man da?

Philippe Bourroux: Dass in jeden Laden die Bücher stimmen und alle Mitarbeiter immer pünktlich ihre Gehälter bekommen. In diesem Moment beschäftigen wir rund 250 Menschen und die Zahlung der Gehälter gestaltet sich recht schwierig. Sozial heißt für mich aber auch, die Leistung eines Supermarktes vor Ort zu garantieren: alle Produkte anzubieten, die Menschen zum Leben brauchen. In Monchique zum Beispiel, von seiner Lage, mitten in den Bergen, 30 km oberhalb von Portimão, bringt der Intermarché von Monchique auch Aktivität ins Leben des Dorfes.

Was bedeutet das für die Bauern und ihre Landwirtschaft?
Ich würde sehr gerne mit lokalen Produzenten zusammenarbeiten. Ich versuche, lokale Produkte, das heißt Medronho-Schnaps, Honig und Wurst vom schwarzen Schwein zu verkaufen. Und es wäre richtig gut, das Gleiche auch beim lokalen Obst und Gemüse zu machen. Aber es gibt ein ernstes Problem in der Logistik, beim Bezug von lokalen Produkten. In Monchique gibt es bisher keine Genossenschaft, um die Produkte aller Kleinproduzenten für die Supermärkte zu koordinieren. Unabhängig von den Produktionskosten, können wir nicht mit jedem kleinen Lieferanten, wohl aber mit einer Genossenschaft zusammenarbeiten.

pbIch würde sehr gerne mit lokalen Produ- zenten zusammenarbeiten. Aber es gibt ein ernstes Problem in der Logistik, beim Bezug von lokalen Produkten.

Welche Verantwortung empfinden Sie auf dem Gebiet der Ökologie?
Wir und unser Vertrieb sind in der Regel nicht auf die Ökologie fokussiert. Wir verkaufen verpackte Ware und hinterlassen damit Tonnen von Müll. Das könnte tatsächlich recycelt werden, aber wir wissen auch, dass wir immer noch in unserer Gesellschaft ein großes Problem mit dem Recycling haben. Ich denke, dass die Supermärkte noch nicht reif sind für die Ökologie. Es ist offensichtlich, dass wir in der Zukunft immer mehr und in unterschiedlicher Weise Rücksicht darauf nehmen müssen, wie unsere Produkte für den Vertrieb verpackt werden, um das eigene Produkt und nicht die Verpackungen und ihre Werbung zu verkaufen.

Falls ein Supermarkt alle seine Produkte lokal beziehen würde, wäre das Ergebnis a. weniger Plastikverpackung und b. noch weniger würde mit dem Ablauf des Haltbarkeitsdatums in den Müll wandern.
Sicherlich. Ich denke, unsere Lieferketten müssten hier mit einbezogen werden. Die Art und Weise, wie wir konsumieren, bedarf aber auch einer anderen Form des Kaufverhaltens. Gehen wir mit einem Behälter einkaufen und legen das Produkt dort hinein. Ist das Produkt aber nicht verpackt, stellen wir uns das einmal beim Reis vor, verkaufen wir es als loses Korn und packen es wieder in einen Beutel und die Situation ist wiederum die Gleiche. Der Kunde müsste also seine Verpackung selbst mitbringen. Das wiederum bedeutet, dass der Verbraucher sein Verhalten ändert, nicht nur der Supermarkt. Generell muss es eine Veränderung der Verbrauchermentalität geben.

Müssen Supermärkte nicht mit einem guten Beispiel vorangehen? Um Ihnen ein Beispiel zu geben: verzichten Sie mal auf die Plastiktüten an den Kassen.
Angesichts der derzeitigen Situation des Wettbewerbs im Einzelhandel, kann ein Supermarkt allein diese Entscheidung nicht treffen. Diese Entscheidung sollte von oben kommen. Wie das in Frankreich vor kurzem passiert ist, ein Gesetz zum Verbot von Plastiktüten.

Schön. Was aber machen wir unterdessen in Portugal?
Ich denke, dieses Gesetz wird zwangsläufig auch in Portugal eingeführt. Aber die Plastiktüre ist eine einfache Lösung für den Kunden. Stellen Sie sich einmal vor, ein Supermarkt würde – im Gegensatz zur Konkurrenz – allein entscheiden, es passierte, dass der Konsument zu dem Supermarkt wechseln würde, der die Plastiktüten weiterhin ausgibt.

Ich kaufe meine Lebensmittel doch nicht deswegen in einem Supermarkt, weil ich am Ende dafür eine Plastiktüte zum Verpacken erhalte…
Ich spreche über die Mehrheit der Kunden, die heute noch nicht so denken wie Sie. Die Mehrheit der Kunden sagt, beim Intermarché bezahle ich die Plastiktüten, bei der Konkurrenz bekomme ich sie umsonst. Es gibt nämlich immer noch solche, bei denen der Kunde sie umsonst in die Hand gedrückt bekommt.

Genau das ist doch der Grund, weshalb ich da gar nichts mehr einkaufe. Nun habe ich mich noch dazu entschieden, nur noch Wasser in Glasflaschen zu kaufen. Aber in Ihrem Intermarché finde ich keine. Warum eigentlich nicht?
Ich kann nicht nur Wasser in Glasflaschen verkaufen. Um diese Option haben zu können, benötige ich die Möglichkeit, diese aus meinem Zentrallager zu bestellen. Und wenn die das Produkt nicht kaufen, kann ich es nicht verkaufen. Das muss meine Zentrale managen; die Lieferung und auch die Abholung der Flaschen, wie wir es bereits beim Bier machen.

Müllvermeidung bedeutet, mit einem Pfandsystem beginnen, zu arbeiten.
Das existiert bereits in Belgien, dort gibt es sehr viel mehr Pfandflaschen als in Portugal…

… und in Frankreich haben die Intermarchés mit einer Kampagne begonnen, die sich “Inglorious foods” nennt. Das sind Lebensmittel, die nicht die Norm erfüllen, sowohl bei der Farbe als auch bei der Größe und der Form. Wann können wir damit bei Ihnen in Portugal beginnen?
Ja, habe ich gesehen. Ich sage Ihnen jetzt mal was. Ich arbeite seit 23 Jahren im Vertrieb in Portugal. Als wir begannen, entsprachen alle Früchte aus portugiesischer Produktion durchweg nicht der Norm. Und seitdem bemühen sich Landwirte in Portugal ihre Produkte zu verbessern, um der Qualität und des guten Aussehens willens. Und nun sagen sie mir, wir sollen wieder dahin zurück. Das scheint mir…

…ich gucke in erster Linie nicht danach, wie Früchte aussehen, sondern entscheide mich nach einem anderen Kriterium, ob sie regional produziert wurden und schmecken, selbst wenn sie vom Baum gefallen sind.
Die Orangen der Algarve sind wirklich nicht die schönsten, nicht alle, im Vergleich zu den spanischen Apfelsinen. In Lagoa kaufen beispielsweise die Urlauber die Orangen der Algarve. Weil sie einfach besser schmecken. Abschließend können wir sagen, das Aussehen der Frucht ist nicht der wichtigste Aspekt. Es ist schon wichtig, denn es lässt sich mit einem guten Äußeren einfach besser verkaufen, aber das Wichtigste ist die Qualität des Produktes. Die Frucht darf hässlich, aber die Qualität muss makellos sein.

Und lokale Produkte verkaufen sie hier?
Sicher doch. Wir verkaufen Orangen, Zitronen, Kartoffeln. Aber die Produkte der Jahreszeit, ob hässlich oder nicht, der Kunde weiß auch Qualität zu kaufen. Das lokale Produkt, das er identifiziert und dessen Qualität er kennt, kauft er auch.

Was machen sie eigentlich mit Lebensmitteln, die sie nicht verkaufen. Die schmeißen sie sicherlich in den Müll, oder?
Erstens: Produkte, die wir nicht verkaufen, sind ein enorm teurer Kostenfaktor. Ein Ladenbesitzer wird sich immer darum bemühen, seine Kosten zu minimieren. Unser Ziel ist es, ein Maximum an Verlusten zu vermeiden.

Wie viel Tonnen Lebensmittel landen durch Ihren Supermarkt jedes Jahr im Müll?
Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Prozente?
In Prozenten ausgedrückt, sind das…

… 20, 30, 50%?
Wir arbeiten mit Gewinnmargen von 15%. Wir können uns das gar nicht leisten 50% wegzuschmeißen. Beim Joghurt haben wir beispielsweise zwei Prozent.

Und wie schmeißen Sie die Lebensmittel weg?
Wir engagieren eine Firma, die Laktose-Produkte abholt. Ich habe nicht das Recht, wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen – selbst wenn das Lebensmittel noch zehn bis 15 Tage genießbar wäre – es an Personen oder Körperschaften gratis abzugeben. Im Falle einer Lebensmittelvergiftung, und speziell bei einem Produkt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, und eine Person durch die Gratis-Einnahme Schaden nähme, werde ich verantwortlich gemacht.

Aber sie könnten das Produkt doch kurz vor dem Ablauf des Datums im Preis heruntersetzen.
Ja, aber die Mengen, mit denen wir es hier zu tun haben, sind nicht signifikant. Wir sprechen von maximal drei Prozent. Beim Blumenkohl beispielsweise beläuft sich der Verlust auf 1,2 Prozent. Ihr Aussehen beeinträchtigt den Verbrauch.

Beim Fleisch und Fisch doch auch.
Beim Fleisch sind die Fette der Verlust. Beim Fleisch ist das erklärte Ziel, gar nichts wegzuschmeißen.

Aber auch hier gilt ein Verfalldatum. Was machen sie dann?
Sie sollten einmal hier unseren Supermarkt managen. Beim Fleisch haben wir keine Verluste. Ein guter Fleischer schmeißt normalerweise nichts weg. Wenn ich hier Verluste mache, dann ist der Fleischer nicht kompetent. Weil wir nicht warten, dass unser Fleisch vergammelt. Wir bestellen täglich das Fleisch frisch und das wird anderntags angeliefert. Wir haben immer frisches Fleisch, das kommt. Das Rindfleisch können wir während fünf bis sechs Tagen verkaufen. Dann darf es nicht mehr verkauft werden. Es hat nicht nur einen Tag Haltbarkeit zum Verkauf. Was ich damit sagen will ist, dass nur Fette und Fleischteile, die nicht zum Verzehr geeignet sind, weggeworfen werden.

Wie sieht es beim Fisch aus? Ist das nicht viel schwieriger?
Ja, beim Fisch ist alles viel schwieriger, aber auch hier versuchen wir nichts in den Müll zu werfen. Unser oberstes Ziel ist es, keine Verluste zu haben. Weil wir eine Gewinnspanne von nur 15 Prozent haben. Wenn wir zwei Prozent wegwerfen würden, hätten wir nur noch eine Spanne von 13 Prozent.

Erklären sie uns ihre Gewinnspanne von 15 Prozent.
Die operative Marge ist die Differenz vom Kaufpreis des Kunden minus Großhandels-Einkaufspreis, ohne Mehrwertsteuer. Immer, wenn Sie 100 Euro in einen Laden tragen, gehen 85 Euro für den Kauf des Produkts drauf und 15…

… ist der Gewinn?
… ist nicht der Gewinn, weil wir noch alle Kosten abziehen müssen: Personal, Elektrizität …

P1080742Das ist nicht möglich und entspricht auch nicht die Wahrheit, dass Lebens mittelgeschäfte mit Gewinnspannen von 50 Prozent und mehr arbeiten. Ich wäre richtig reich und hätte keine Probleme, alle meine Arbeiter zu bezahlen. Das ist nicht der Fall.

Aus Erfahrung weiß ich, dass Sie ein Getränke-Produkt für 2,50 Euro einkaufen und für mehr als fünf Euro wieder verkaufen.
Wir kaufen auch Produkte für einen Euro und verkaufen sie für einen Euro. Wenn wir über eine Gewinnmarge sprechen, ist das die durchschnittliche Marge eines Supermarktes. Das Speiseöl Fula ist ein superpsychologisches Produkt, das alle Geschäfte zum Einkaufspreis anbieten und nichts daran verdienen. Am Speiseöl Fula verdient niemand was. Davon gibt es viele Produkte. Der Reis hat eine Gewinnmarge zwischen zwei und vier Prozent. Es gab eine Zeit, in der einige meiner Konkurrenten durchblicken ließen, sie arbeiteten mit Gewinnspannen von 50 bis 70 Prozent. Und dass sie diese Gewinne an die Kunden weitergeben würden. Das ist nicht möglich und entspricht auch nicht die Wahrheit, dass Lebensmittelgeschäfte mit Gewinnspannen von 50 Prozent und mehr arbeiten. Ich wäre richtig reich und hätte keine Probleme, alle meine Arbeiter zu bezahlen. Das ist nicht der Fall.

Die Leute auf der Straße denken, dass Supermarktbesitzer reich seien, dass sie richtig Geld mit Lebensmitteln scheffeln.
Der Supermarkt hier in Monchique kommt gerade an den Break Even Punkt. Das können Sie bei meinem Steuerberater einsehen.

Rekapitulieren wir. Was könnte Ihr Supermarkt Intermarché in Zukunft noch besser machen. Was können wir in 2015 erwarten?
Ich werde alles versuchen, was in meiner Macht steht, aber ich benötige dazu auch Hilfe von außen, weil ich persönlich nicht die richtigen Einfälle dazu habe. Ich bin in meiner Welt gefangen, die so funktioniert, dass ich verpflichtet bin, in meiner Zentrale einzukaufen. Und wir besitzen nicht viele Möglichkeiten, uns dem zu entziehen.

Was bedeutet Entwicklung für Sie? Könnten Sie beispielsweise schon morgen Fleisch von Tieren verkaufen, das nicht industriell aufgezogen und geschlachtet wurde?
Das Problem ist, dass wir grundsätzlich nur Fleisch von Tieren verkaufen dürfen, dass nach den offiziellen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften in offiziellen Schlachthöfen getötet wurden. Es wird kompliziert, wenn wir von der Behörde nicht zertifiziertes Fleisch verkaufen würden. Ich bin jetzt mehr als zwei Jahre vor Ort, auch um lokales Fleisch vom iberischen schwarzem Schwein aus Monchique durch meinen Fleischer hier im Intermarché zu verkaufen – es gelingt mir aber nicht. Nicht ein Schweinezüchter verkauft mir direkt Fleisch, um es in meinem Laden selbst zu verkaufen. Das ist die Wahrheit. Um schwarzes Schwein zu verkaufen, muss ich es bei meinen Zulieferern einkaufen, die wiederum nicht in Monchique einkaufen. Ich würde ja schwarzes Schwein aus Monchique in meinem Intermarché verkaufen, aber das kriege ich seit zweieinhalb Jahren nicht auf die Reihe.

Gibt es außer schwarzem Schwein noch andere lokale Produkte, wie Kartoffeln und Zitronen etc.?
Kartoffeln gibt es in kleinen Mengen. Wir haben immer Kartoffeln aus Monchique. Das Problem ist immer die Menge.

Gibt es etwas, was Sie an innovativen Ideen in Ihrem Supermarkt noch nicht umsetzen konnten? Oder befindet sich alles in bester Ordnung?
Es funktioniert alles innerhalb der aktuellen Normen des Vertriebs. Der Unterschied zu anderen Supermärkten ist, dass wir unabhängige Besitzer sind. Wir haben eine gewisse Freiheit, um lokal Produkte einkaufen zu können. Bisher habe ich einiges umgesetzt, aber wichtig wäre, dass von Seiten der Produzenten der Wille bestünde, mit mir zusammenarbeiten zu wollen. Bei mir existiert keine Struktur, die es ermöglichen würde, mit 50 lokalen Produzenten gleichzeitig zu kooperieren. Ich weiß nicht, wie ich das machen könnte. Abschließend sei gesagt, dass müsste nicht nur von mir, sondern auch von Seiten der Produzenten gewollt sein. Ich würde gern schwarzes Schwein aus Monchique in meinen Läden verkaufen und ich würde mich freuen, wenn ein Schweinezüchter auf mich zukommen und sagen würde, wir werden eine Lösung finden.

Vielleicht wollen die Züchter ihr eigenes Geschäft und ihre eigenen Metzgereien schützen?
In der Wirklichkeit gibt es fünf Metzgereien, die sich damit im Markt sind. Alle von ihnen verkaufen frisches Fleisch vom schwarzen Schwein und beliefern nur ihre eigenen Metzgereien. Und ich weiß nicht, wie ich das ändern kann.

Eine Selbsteinschätzung? Wenn wir eine Skala zwischen Null und 20 haben, wo siedeln Sie ihre Zufriedenheit an?
15.
Danke für das Gespräch.

About the author

Uwe Heitkamp, 53, Journalist und Filmemacher, ist seit 25 Jahren in Monchique, Portugal zuhause. Er unternimmt gern lange Wanderungen in den Bergen und schwimmt in Gebirgsbächen und Seen. Schreibt und erzählt Geschichten über Menschen und ihre Bezüge zur Ökologie und Ökonomie. Sein aktueller Film „Erben der Revolution“, erzählt über 60 Minuten die Geschichte einer Wanderung durch Portugal. Zehn Menschen berichten aus ihrem Leben. Alle Protagonisten zusammen malen ein Bild vom Leben und Arbeiten in den Bergen Portugals. Der Film offenbart Einblicke in die Schönheit der Natur und das Leben der normalen Menschen. Welcher Weg bestimmt die Zukunft des Landes? (Abonnieren Sie ECO123 und sehen Sie den Film in der Mediathek)

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