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Saubere Energien im Staatshaushalt inbegriffen?

Die PAN-Partei (Menschen, Tiere, Natur) ist die neue politische Kraft in der Nationalversammlung. Seit im Jahr 1999 der “Bloco de Esquerda” einzog, hat es das nicht mehr gegeben. André Silva, 39, ist der Sprecher und einzige Abgeordnete von PAN. Der Bauingenieur lebt in Lissabon, ist Vegetarier und verfügt über einen Garten inklusive Kompostbehälter im Haus, er praktiziert Biodanza, geht gern tauchen und möchte mit seiner Partei “Teil der Lösung” sein. Seine Kindheit verbrachte er auf dem Bauernhof der Großeltern in Vilar de Besteiros in der Gemeinde Tondela und erlebte in den 80er Jahren den Beginn “der Massentierhaltung von Geflügel und Rindern” mit. Heute ist er es, der unter anderem Themen wie den Schutz von Tieren oder die Erhaltung der Ökosysteme in den Plenarsaal bringt. Seine Ideologie ist weder rechts noch links angesiedelt, sondern steht mit seiner in der Politik selten anzutreffenden ganzheitlichen Sichtweise im Zentrum. André Silva beweist sich als der etwas andere Volksvertreter. ECO123 sprach mit ihm in Lissabon.


Wenn Sie morgen vom Abgeordneten zum Premierminister befördert würden, wie würde es in unserem Land aussehen?

Direkt morgen (er lacht) wäre alles noch genauso wie heute. PAN konzentriert seine Aktivitäten auf die Industrie und andere Unternehmen, die wirtschaftlich überlebensfähig sind und Arbeitsplätze schaffen, nicht nur für eine Verbesserung des Sozialgefüges, sondern immer auch im Sinne von Nachhaltigkeit und Ethik.

Welche Ziele hat PAN?

Wir beabsichtigen Themen zur Sprache zu bringen, die von den anderen Parteien in der Regel nicht berücksichtigt werden, weil sie für sie nur von nachrangiger Bedeutung sind: Juristische Fragen, Rechte von Tieren und soziale Anliegen. Der Mensch arbeitet maßlos und deshalb ist es wichtig, eine Gesellschaft zu schaffen, in der das Geldverdienen nicht die meiste Zeit des Lebens beansprucht. Arbeitszeiten müssen reduziert werden. In den nordeuropäischen Ländern arbeiten die Menschen weniger und produzieren mehr. Wir brauchen auch eine andere Verteilung von Einkommen, die den Menschen mehr Selbstständigkeit erlaubt.

Und in Bezug auf die Natur?

Die ist eines unserer Hauptanliegen. Zurzeit diskutieren wir die Regulierung der Genetisch Veränderte Organismen (GVOs), die von der überwältigenden Mehrheit der aus PS und PSD bestehenden Regierungskoalition abgelehnt wurde und die weiterhin an der Seite der Gentechniker steht. Wir haben schon mehrfach gegen den Premierminister wegen der Verträge für Explorationsbohrungen und Erdölkonzessionen interveniert, weil wir das entsetzlich finden.

Was sind die Alternativen zu GVO?

Portugal braucht keine gentechnisch veränderten Organismen und sollte sich auf den Weg zu einer ökologischen Landwirtschaft begeben. Wenn jemand behauptet, dass wir GVOs brauchen, um den Klimaveränderungen zu begegnen, weil eine bestimmte Pflanze nicht angepasst ist oder von bestimmten Schädlingen befallen wird, ist unsere Antwort: Wir haben ein fantastisches Klima für bestimmte Pflanzen! Lassen Sie uns also in Kulturen investieren, die für unser Land geeignet sind. Wir können Mais nicht in ganz Portugal anbauen, aber genau das ist es, was gegenwärtig angestrebt wird. Wenn Mais nicht kultiviert werden kann, so sollten wir uns auf andere ortstypische Produkte und Kulturen besinnen, die mehr an das Klima der jeweiligen Region angepasst sind und die ganauso zur Wertschöpfung beitragen.

Ist ökologischer Landbau die Antwort?

Wenn wir uns auf einen Weg begeben würden, es muss ja nicht ausschließlich sein, aber in Richtung des ökologischen Landbaus, könnten wir in Europa mit konkurrenzfähigen Produkten Marktanteile erobern und sie europaweit absetzen. Nur mit einzigartigen Erzeugnissen können wir wettbewerbsfähig sein. Zurzeit agieren wir wie alle anderen: durch die intensive Landwirtschaft erodieren die mit Agrochemikalien beladenen Böden und laugen aus. Unsere Wasserressourcen werden verschwendet und die biologische Vielfalt vernichtet. In Hinblick auf Herstellerkosten und Endverbraucherpreis sind wir letztendlich auch nicht wettbewerbsfähig. Die Schaffung eines ökologischen Landbauprogramms würde es ermöglichen, unter Auslassung einiger Kulturen die Böden zu regenerieren, aber auch über eine andere Ernährung die Anzahl der Patienten, die Betten in unseren Kliniken belegen, zu reduzieren.

André Silva
André Silva

Und mit GVOs aufhören?

In der Europäischen Union gibt es nur zwei Länder, in denen GVOs weiterhin angebaut werden: in Portugal und Spanien. Die Gentechnik-Industrie behauptet, es bestehe keinerlei Gefahr, aber andere sagen, es sei gefährlich für unsere Gesundheit und die Umwelt. Solange wir keine absolute Gewissheit haben, dass gentechnisch veränderte Organismen schädlich für die Gesundheit und die biologische Vielfalt sind, sollte der Verzehr verboten sein. Derzeit macht uns die Genindustrie zu Versuchskaninchen, um erst in zehn oder fünfzehn Jahren Rückschlüsse darüber zu ziehen, ob GVOs der menschlichen Gesundheit schadet oder nicht. Wir werden es sehen.

Sie sprechen sich gegen Regierungssubventionen für die Milch- und Fleischindustrie aus.

Es erstaunt mich, dass die PSD und die CDS-PP auf der einen Seite die freie Marktwirtschaft verteidigen und auf der anderen stehen sie an der Seite der Industrie und der Lobby der milch- und fleischproduzierenden Unternehmen, Fleischimporte und GVOs mit eingeschlossen. Jahrzehnt für Jahrzehnt ist es die portugiesische Regierung, die sie am Leben erhält, anstatt nach Alternativen auf dem Sektor zu suchen. PAN ist sich bewusst, dass diesem Bereich eine wichtige Bedeutung für die Wirtschaftsleistung des Landes zukommt. Wir appellieren jedoch dafür, dass Subventionen nicht zum Erhalt der derzeitigen Wirtschaftsweise missbraucht werden dürfen, sondern Diversifizierung zulassen müssen. Gerade die Aktivitäten, Industriezweige, Landwirtschaft und Lebensmittel, die gesünder sind und mit weniger Chemie arbeiten, sollten mehr Unterstützung und eine niedrigere Besteuerung erfahren.

Worauf gründet sich diese Position von PAN?

Wir sprechen hier von einer Industrie, deren Produktionsweise absolut schädlich für die Umwelt ist. Allein die Milchindustrie ist für 6% der in Portugal erzeugten Treibhausgase verantwortlich. Sie schädigt erheblich die Oberflächenwasser-Ressourcen wie auch das Grundwasser und die Böden. Gleichzeitig gibt es diverse Studien, die belegen, dass Milch kein Super-Lebensmittel für uns ist, nicht einmal ein gutes, sondern sogar eher schlecht, weil sich ihr Verzehr in vielerlei Hinsicht nachteilig auf uns auswirken kann.

… und in Bezug auf die Fleischindustrie?

Die Fleischindustrie und die Schweinefarmen sind die größten Umweltverschmutzer unseres Landes. Viele Studien belegen, dass der Verzehr von Fleisch die Quelle vieler Krankheiten ist. Gerade jetzt erst wieder kam die WHO (World Health Organization) nach Auswertung von 800 Studien aus mehr als 20 Jahren und verschiedenen Ländern zu dem Ergebnis, dass der Verzehr verarbeiteten Fleisches die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, signifikant erhöht. So wie es auf Tabak zutrifft, dass das Rauchen einer Zigarette nicht sofort tötet, aber ständiges Rauchen die Wahrscheinlichkeit erhöht, an Zungen-, Kehlkopf- oder Lungenkrebs zu erkranken, gilt das gleiche auch für Fleisch. Ist das nicht unethisch, wenn die Regierung Branchen unterstützt, die schädliche Auswirkungen auf die Ökosysteme und auf die menschliche Gesundheit haben, und dann einen Gesundheitsplan zur Krebsbekämpfung entwirft? Ich spreche von Krebs, weil inzwischen sogar die WHO diese Krankheit mit dem Verzehr von Milchprodukten, Fleisch und Wurstwaren in Verbindung bringt.

… und die lokale Landwirtschaft?

Im Moment ist es so, dass ein Bauer, der ein Projekt mithilfe von öffentlichen Geldern auf die Beine stellen will, große Schwierigkeiten hat, diese zu bekommen, wenn er weniger als vier Hektar besitzt. Eine Möglichkeit, die Entvölkerung des Landes zu vermeiden, wäre jedoch die Anpassung der Vergabebedingungen an die tatsächlichen Verhältnisse der Menschen, die sich auf ihrem eigenen Land der Landwirtschaft widmen möchten. Vor einiger Zeit brachten wir deshalb einen Vorschlag zur Förderung der lokalen Produktion und des lokalen Verbrauchs ein. Wir haben absolut fantastische Wetter- und Bodenbedingungen zum Lebensmittelanbau, um weitestgehend unabhängig zu sein. Und doch sind wir total abhängig! Eigentlich sind wir verrückt: Durchschnittlich legen unsere Nahrungsmittel 5.000 Kilometer vom Ort ihrer Produktion bis zum Ort ihres Verzehr zurück. So essen wir heute vielleicht zum Mittag Kohl aus Italien, Kartoffeln aus Neuseeland, Brokkoli kommen aus Guatemala und dann noch spanische Erdbeeren. Das ist doch krank.

Ist das ein lokales Problem auf globaler Ebene?

Es ist das Paradigma der geopolitischen Orientierung auf der Welt. Wir importieren Lebensmittel aus Abertausenden von Kilometern Entfernung auf Grund dieser Art von Weltpolitik und tragen damit zur erhöhten Produktion von Treibhausgasen bei. Darüber hinaus, da wir nicht genügend Kapazitäten in Europa haben, um genügend Lebensmittel zu produzieren, beginnen große europäische und amerikanische Unternehmen weite Gebiete Südamerikas und Afrikas aufzukaufen. Das führt zur Versklavung einer gigantischen Zahl von Menschen aus indigenen Kulturen – mit dem Einverständnis der lokalen Regierungen! In Südamerika haben die Indianer und die Bevölkerung immer weniger Platz und werden sogar dezimiert, und immer aus dem gleichen Grund: der Produktion von Soja, Mais und anderen Nahrungsmitteln.

Werden die Vereinbarungen, die auf der Weltklimakonferenz in Paris getroffen wurden, zu einer Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks führen?

Der Weltklimagipfel COP21 in Paris Ende 2015 und die Staatsoberhäupter verhalten sich ablehnend. Wir können nicht über die Auswirkungen von Treibhausgasen reden, ohne die intensive Landwirtschaft, den weltweit größten Umweltverschmutzer und Treibhausgasproduzenten, anzusprechen. Aber niemand will darüber zu reden. Es ist wie von Lungenkrebs zu diskutieren und die Zigaretten außen vor zu lassen.

Natürlich ist es notwendig, den Verkehr zu reduzieren, weil er, wie die Energiewirtschaft und die Industrie, eine Menge zur Umweltverschmutzung beiträgt. Aber der Transport, Schiffe, Lastwagen, Autos und Flugzeuge auf der ganzen Welt zusammengenommen, repräsentieren 13% der Emissionen des Treibhausgases, während die Intensivtierhaltung für 51% der Emission von Gasen mit Treibhauseffekt verantwortlich ist, verantwortlich für Erosion und Versteppung der Böden, den hohen Wasserverbrauch, die Reduzierung der Wasserressourcen und für die Abholzung. Zum Beispiel werden 90% der Rodungen im Amazonas für die Schaffung von Weideflächen für Vieh durchgeführt, die dem menschlichen Verzehr dienen. Die Daten, von denen ich rede, kommen von den Vereinten Nationen und der FAO (Welternährungsorganisation der UN). Auch die WHO hat schon darauf aufmerksam gemacht und wurde bisher ignoriert.

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Was ist Ihre Meinung zu den Aussichten einer Öl- und Gasförderung auf dem portugiesischen Hoheitsgebiet?

Laut dem Herrn Premierminister auf der COP21 – der damit sein Regierungsprogramm verteidigt -, sollen wir uns möglichst von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreien, und gleichzeitig investieren wir in die Exploration und die anschließende Verwertung ebendieser Energieträger? Das ist eine Kontradiktion. Was wir aus den großen internationalen Katastrophen lernen können ist, dass sie, wenn sie passieren, was glücklicherweise selten der Fall ist, unkalkulierbare Auswirkungen haben. Wir sind Zeugen des gefährlichen Spiels und des schlechten Geschäfts. Die eventuellen Einnahmen sind für unser Land lächerlich. In anderen Ländern erhält der Staat 70% des Marktwertes, aber hier sprechen wir über nur zwei, drei, vier oder fünf Prozent! Abgesehen davon, dass ein eventueller Unfall eine der ökonomischen Stützen des Landes, die Tourismusbranche ernsthaft gefährden kann. Sie trägt mit zehn Prozent zum BIP bei, wobei allein die Algarve die Hälfte, etwa sieben Mrd. EUR, erwirtschaftet. Und dann wären auch noch die Fischerei und Meeresfrüchte betroffen. Wir brauchen diese Kohlenwasserstoff-Exploration in unserem Land nicht und die PAN setzt sich dafür ein, dass die Verträge neu verhandelt bzw. annulliert werden, auch weil sie die Gasförderung mit anderen Problemen, wie die Möglichkeit der Auslösung seismischer Aktivität, in Verbindung bringt.

Fühlen Sie sich einsam, so als einziger Abgeordneter der PAN in der Nationalversammlung?

Wir sind zwar motiviert, aber in Bezug auf unsere Einflussmöglichkeiten auch etwas eingeschränkt, da PAN mit nur einem Parlamentarier nicht das gleiche Gewicht anderer Parteien hat. Mit zwei oder drei Abgeordneten, wie es in den anderen Fraktionen der Fall ist, hat man mehr Rechte und auch Möglichkeiten in Bezug auf die Dauer von Interventionen. Ich allein kann auf die meisten Debatten keinen Einfluss nehmen und auch nicht auf die Planung von gesetzgeberischen Initiativen. Doch die Anregungen und Werte, die PAN in die Diskussionen einbringt, auch wenn sie nebensächlich und zweitrangig oder gar exotisch erscheinen, werden nicht auf lange, sondern auf kurze und mittlere Sicht im Zentrum der politischen Debatte stehen, und wenn es nur aus finanziellen Gründen ist. Der Umweltschutz und die Klimaveränderungen werden eine so große Herausforderung für den Staatshaushalt sein, dass diese Themen allein deshalb auf der Tagesordnung stehen werden. Und die stärksten politischen Parteien müssen sich darauf einstellen, dass, auch wenn wir in der Tat noch zur Minderheit gehören, sich immer mehr Menschen des dringenden Bedarfes der Pflege unseres Planeten, der Ökosysteme, unseres gemeinsamen Hauses bewusst werden.

Studien kommen zu dem Schluss, dass sich bei einer Temperaturerhöhung von zwei Grad die Meeresströmungen ändern und damit eine Reihe von schwerwiegende Probleme für die Ökosysteme bringen werden. Ist unser Planet in Gefahr?

Die Welt, wie wir sie kennen, ist in Gefahr. Der Planet selbst wird natürlich weiterhin existieren, auch wenn wir Menschen langsam von der Erdoberfläche verschwinden werden. Wenn wir sagen, wir retten den Planeten, sollten wir zugeben, dass es uns dabei vor allem um die Spezies Mensch geht. Denn gegenwärtig zerstören, plündern und verschwenden wir die Ressourcen unserer gemeinsamen Heimat, unseres Planeten. Wenn Mensch mit dieser egoistischen Haltung weitermacht, geht es am Ende nur um unser eigenes Überleben. Wir riskieren damit unsere absolute Basis, nämlich den Boden und das Wasser, die wir zur Nahrungserzeugung brauchen und zum Trinken und die Luft zum Atmen. Ohne diese drei Dinge wird es für uns keine Zukunft gehen.

Vielen Dank.

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