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Jose Paixão
Jose Paixão

STÄDTE WIEDERBELEBEN!

STÄDTE WIEDERBELEBEN!
Reboleira GasseIn Portugal stehen immer mehr Gebäude leer. Vor allem Häuser in Großstadtzentren. Das will „Arrebita! Porto“ mithilfe eines Sozialunternehmer-Modells nun ändern. Wenn das Pilot-Projekt in Porto, wo das Problem besonders massiv ist, Erfolg hat, könnte dies ein nachhaltiger Lösungsweg raus aus der Krise für das ganze Land sein.

Die Straßen, die zum Ufer des Douros führen sind gesäumt mit alten Gebäuden. Sie sind Teil von Portos Altstadt Ribeira, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Einst funkelten ihre Farb- und Keramikfassaden bunt im Sonnenlicht und beherbergten glückliche Portugiesen. Doch heute bröckelt bei den meisten schon die Farbe und immer mehr Kacheln fehlen. Hier im Zentrum der zweitgrößten Stadt des Landes wohnen immer weniger Menschen. Deswegen sind viele Fenster zugemauert, mit Holzläden verschlossen oder gar zugenagelt.

Ein Bild was derzeit in zahlreichen portugiesischen Städten zu finden ist und das obwohl viele gerade jetzt zur Zeiten der Krise dringend eine Bleibe bräuchten. In Porto ist die Lage allerdings am prekärsten: in den letzten zwei Jahrzehnten ist die Bevölkerung der Innenstadt dort um zwei Drittel zurückgegangen. Und aller Voraussicht nach wird es so weitergehen. “Nirgendwo auf der Welt habe ich so viel Leerstand gesehen“, sagt der portugiesische Architekt José Paixão, der sein halbes Leben im Ausland verbracht hat. Nachdem er in den USA zur Schule gegangen, in Österreich und England studiert und dort sowie in den Niederlanden gearbeitet hatte, ist er nun allerdings nach Portugal zurückgekehrt, um seiner Heimat etwas zurückzugeben. “Mir wurde klar, dass man etwas gegen diesen zunehmenden Leerstand und Verfall der Städte unternehmen muss“, sagt der 29-Jährige.

Profit durch Interessensautausch


Ein Lösungsansatz dafür musste also her. Nachhaltig und sozial sollte er sein. So setzte sich Paixão mit zwei Freunden zusammen und gemeinsam kamen sie auf die Idee das Interessensaustausch-Prinzip, was sie von den Worldwide Organic Farms kannten – Bauernhöfe, auf denen man arbeitet und dafür dort umsonst wohnt – auf ihr Problem anzuwenden. “Bei Gebäudesanierung ist das allerdings ein wenig komplexer“, sagt Paixão. Dennoch gelang es ihm und seinen Freunden ein nachhaltiges Konzept zu entwickeln, bei dem die Investitionen gering sind und trotzdem alle Parteien profitieren.

Der Name: Arrebita! Porto. Wörtlich übersetzt bedeutet “Arrebita!“ so viel wie “aufmöbeln“, für das Projekt eignet sich wohl eher “Traditionen wiederbeleben“, so Paixão. Den Ausdruck haben er und seine Freund sich von einem portugiesischen Pop-Song abgeguckt. Und im Detail sollte das Projekt so aussehen: junge internationale Architekten und Ingenieure begutachten alte Gebäude, entwerfen einen Nutzungsplan und sanieren sie mit nachhaltigen Materialien. Die, ebenso wie fachliche Unterstützung, bekommen sie von Partnerunternehmen. Betreut wird das Ganze von akademischen Einrichtungen. Alles in Absprache mit den Eigentümern. Nutzen für die Architekten und Ingenieure dabei ist eine einmalige Berufserfahrung mit vielen praktischen Kenntnissen, für die Partnerunternehmen ist es eine Internationalisierungschance und sie können durch die Übernahme von sozialer Verantwortung ihr Image aufbessern und haben steuerliche Vorteile. Für die akademischen Einrichtungen bietet es eine gute Gelegenheit für Forschung und Entwicklung, insbesondere für Fallstudien und die Eigentümer bekommen am Ende ein frisch saniertes Gebäude.

Um Bekanntheit und Glaubwürdigkeit für ihre Idee zu bekommen bewarben sie sich damit im März 2011 bei dem Wettbewerb “FAZ – Ideias de Origem Portuguesa“, der von den zwei anerkannten portugiesischen Stiftungen Fundação Calouste Gulbenkian und Fundação Talento ausgeschrieben wurde. Vier Monate später hatten sie das Ergebnis: Gewonnen, ein Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro. “Sofort war klar, dass wir es für das Pilot-Projekt verwenden wollen“, sagt Paixão. Dafür sollte es unter seiner Leitung ein fünfköpfiges Team geben, das alle drei Monate ausgewechselt wird. Aus zwei Gründen: einmal, weil die Teilnehmer nur Unterkunft und Verpflegung, aber kein Honorar bekommen konnten und um möglichst verschiedene Ideen zu kombinieren. Um diesen Aspekt noch zu optimieren sollten die Mitglieder, so Paixão, zudem aus unterschiedlichen Ländern kommen. Schnell war das erste Team gefunden und nachdem Porto ihnen das Haus Nummer 42 in der engen Altstadtgasse Reboleira zur Verfügung gestellt hatte, das seit fast zwanzig Jahren leer stand, da die Stadt es nicht verkauft bekommen hatte, konnte das Pilot-Projekt im April 2012 starten.

Pilot-Projekt in Portos Altstadt

“Es ist eine großartige Erfahrung, die man mit nichts vergleichen kann“, berichtet Teammitglied Filip Jovic aus Serbien. “Außerdem bringen wir alle unterschiedliche Kenntnisse mit“, so die norwegische Architektin Ingrid Graendsen. Besonders entscheidend, darüber sind sich alle einig, ist allerdings, dass das Projekt gerade jetzt in Zeiten der ökonomischen Krise einen wichtigen Beitrag leisten kann. “Es ist absolut notwendig die Städte wiederzubeleben“, sagt Paixão, “um einen sozialen Wandel herbeizuführen.“ Sein Team sieht das genauso und unterstützt insbesondere den Aspekt der Nachhaltigkeit. “Wir sollten mehr recyceln, das trifft auch auf Gebäude zu“, sagt Guido Crescentini Anderlini, Architekt aus Italien. “Es ist ein neuer Ansatz für ein Problem, das in Portugal bisher nicht gelöst werden konnte“, sagt die portugiesische Teilnehmerin Cristina Pinho.

Und dieses Problem woher kommt das eigentlich? Warum stehen immer mehr Gebäude in Portugal leer? Und warum gerade in Stadtzentren, die doch eigentlich die natürlichen Anziehungspunkte sind? In Portugal reicht das weit zurück. Seit Jahrzehnten wurde hier Stadtplanung außer Acht gelassen. “Nach der Revolution konzentrierten sich die Politiker auf andere Dinge“, erklärt Paixão, “und die Infrastruktur orientierte sich nur an machtpolitischen, nicht aber gemeinschaftlichen Interessen.“ Ein weiterer Aspekt, der das Leerstandproblem verschlimmerte war ein besonderes portugiesisches Gesetz, das die Erhöhung von Mieten in vielen Gebäuden verbot, wodurch die Besitzer kein Geld für die Instandhaltung und Renovierung hatten. Die Konsequenz: Viele Häuser vermoderten. Der wichtigste Grund für die meisten die Stadtzentren zu verlassen war allerdings, weil es wesentlich profitabler war neu in den Vororten zu bauen, als die alten Gebäude in der Innenstadt zu sanieren. Das war alles andere als nachhaltig und Arrebita! Porto will nun beweisen, dass es auch anders geht.

“Wir wollen zeigen, dass man auch mit wenig Kosten und der Integration von verschiedenen Akteuren Häuser sanieren kann“, sagt Tiago Largo von der Beratungsfirma NCREP. Sie ist eine von den fast zwanzig Unternehmen, die Arrebita! Porto inzwischen schon für sich gewonnen hat. Die meisten von ihnen sind verhältnismäßig jung, aber sehen die Krise als Chance. Zu ihnen gehören neben operationellen Partnern, die beispielsweise Holz, Glas und Kacheln liefern, auch institutionelle, die Unterkunft, Essen und als umweltfreundliches Transportmittel Fahrräder für das internationale Team bereit stellen, ebenso wie Bildungseinrichtungen, die das Projekt mit Know-how unterstützen. Motivation gibt ihnen die gemeinsame Einstellung zu: “Wirtschaft und Nachhaltigkeit miteinander verbinden“, sagt Architekturprofessorin Teresa Fonseca von der Universität Porto.

Gebäude wiederverwerten – als Weg aus der Krise

“So können wir unser Schicksaal auch selbst in die Hand nehmen können“, sagt Paixão begeistert. Und das wird nun auch im wahrsten Sinne des Wortes gemacht. Nach monatelangem Pläne zeichnen, Partner akquirieren und Konzepte entwickeln wurde nun etwas später als geplant, über ein halbes Jahr nach Beginn des Pilot-Projektes mit den ersten Sanierungsarbeiten angefangen. “Wir freuen uns, dass es nun endlich zur Sache geht“, sagt der schottische Ingenieur David Brownstein aus dem dritten internationalen Team, das inzwischen an dem Projekt arbeitet.

Fertig sein soll das Haus 2014. Bis dahin ist das Preisgeld sicher erschöpft. Deswegen und um nicht länger abhängig von Fördergeldern zu sein, sollen die oberen beiden Stockwerke als Wohnungen unter Marktpreis vermietet werden. Erdgeschoss und Keller sollen für die Gemeinschaft und kreative Industrie zur Verfügung stehen, beispielsweise für Start-Ups oder von Arrebita! Porto angebotenen Workshops. Die Einnahmen davon, ebenso wie die Mietprovision und Werbung an den Außenfassaden fließen direkt wieder neuen Projekten von Arrebita! Porto zu.

Denn wenn das Pilot-Projekt so erfolgreich verläuft wie beschreiben, soll das Modell auch auf andere Gebäude und Städte in Portugal übertragen werden, so Paixão. Er verspricht sich durch die städtische Stimulierung, nicht nur neuen Wohnraum, sondern auch neue Arbeitsplätze zu schaffen, indem es wieder attraktiver wird dort zu investieren und der Tourismus angekurbelt wird. Das könnte zu einem langfristigem sozialen Wandel führen, der die Lebensbedingungen der portugiesischen Bevölkerung massiv verändert und somit ein Weg aus der Krise des Landes sein.
Auch wenn es noch nicht so weit ist, hat Arrebita! Porto gute Chancen später auch ohne öffentliche Subventionen weiter zu bestehen, denn die Zahl der Unterstützer wächst und das vor allem weil es den Geist der Zukunft trifft: Miteinander Wiederverwerten statt Eigennützigem Wegwerfen.

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