Ecolã ist ein Kleinunternehmen in Manteigas und seit drei Generationen im Besitz der Familie Clara. Eine Säule ihres Erfolges beruht auf dem „Burel“, einem portugiesischen, traditionell handgefertigten Stoff, typisch für diesen Ort und komplett aus Wolle hergestellt. Seit vielen Jahren wird dieses Material für die wärmende Kleidung der Schafhirten und für die Trachten der religiösen Bruderschaften und Orden verwendet. Unter Beibehaltung seines ursprünglichen rustikalen Charakters kommt es heutzutage in zeitgenössische Stücken wieder zu neuen Ehren. Und in den letzten 20 Jahren gab es sogar eine zunehmende Nachfrage aus dem Ausland. Für den Stoff spricht auch, dass der gesamte Herstellungsprozess umweltfreundlich abläuft, frei von Chemikalien und in reiner Handarbeit. João Clara, 59 Jahre alt und verantwortlich für diesen Kunsthandwerksbetrieb in Beira Alta, erklärt uns, warum er an dem von seinem Vater übernommenen Konzept festhält.
Das ist die Herausforderung der Globalisierung: Wie ist es möglich, die lokale Wirtschaftsleistung zu steigern und dabei die nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen zu garantieren? Und das tunlichst durch handwerkliche und umweltfreundliche Produktionsmethoden?
Eine mögliche Antwort darauf finden wir an der sanft ansteigenden Bergflanke am Ortseingang von Manteigas, im Hochland des portugiesischen Festlandes.
Genau diese Frage trieb João Clara de Assunção um, als er im Jahr 1995 den Betrieb seines Vaters und Großvaters übernahm.
Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften bot es sich an, das Unternehmen zu modernisieren und neue ihm Absatzmärkte zu erschließen, um Kontinuität zu garantieren. Er dachte an eine Formel, eine “Botschaft”, wie er uns erklärt.
“Schon immer haben wir hier ökologisch gearbeitet. Unsere Arbeit gründet sich auf traditionelle Techniken, größtenteils in Handarbeit. Ab dem Scheren der Schafe über die althergebrachte Weiterverarbeitung der Wolle zu Garn bis hin zum Weben und Waschen des fertigen Stoffes am Ende des Prozesses kommen keinerlei Chemikalien zum Einsatz.”
Er führt aus: “Und genau dieser ökologische Aspekt wurde zu unserer Botschaft, die auf den Märkten, die sie zu schätzen wissen, sehr gut ankommt. Wir schufen eine für den Export ansprechende Marke – „Ecolã“ – auf der Basis eines lokalen Produktes: der Bordaleira-Wolle aus der Serra da Estrela.“
Vom Norden nach Norden
Zu Zeiten, als Emails noch eine Luxusangelegenheit waren, verbreitete sich die Kunde von der Bio-Wolle aus regionaler Herstellung von Mund zu Mund. Anfänglich präsentierte João Clara seine Waren auf Messen; erst in Portugal, dann auf der ganzen iberischen Halbinsel, um sich dann dem hohen Norden zuzuwenden: Skandinavien.
“Das war eine großartige Strategie. Ich begann mit den nordischen Ländern, die die mit ökologischen Aspekten verbundenen Wollwaren schätzen. Durch sie erfuhr ich die nötige Unterstützung, um mein Projekt nicht aufzugeben, sondern weiter zu wachsen. Dänemark, Norwegen und Schweden waren die ersten Käufer meiner Webwaren”, berichtet er.
“Ich nahm an durchschnittlich 32 Messen pro Jahr teil. Zwar bedeutete das meine überwiegende Abwesenheit vom Betrieb, zugleich aber unsere starke Präsens auf dem Markt.”
Die Ökowolle aus Nordportugal begann Interesse zu erwecken, und ihre Geschichte zum Herstellungsprozess animierte ausländische Interessenten zum Kauf.
Heute hat Ecolã eine Reihe von festen Handelspartnern im Ausland. Das Volumen der Exporte machen etwa 50% des Umsatzes aus, die andere Hälfte entfällt auf den Binnenmarkt. Den Kuchen der Ausfuhr teilen sich Japan mit 35%, Deutschland 30% und die restlichen 45% gehen an Länder wie Frankreich, der Schweiz, Österreich, Spanien und Italien in unterschiedlich starken Anteilen.
Der Vertrieb in diesen Ländern geschieht über Messen und Direktverkauf. Und es gibt auch Kunden, die als Repräsentanten der Marke auftreten und sie an Einzelhandelsgeschäfte verteilen.
“Das Großbritannien ist ein Markt, der uns noch fehlt. Aber wir haben bereits einen Fuß in der Tür, und dieses Jahr werden wir ihn weiter für uns ausbauen”, kündigt er uns an.
Verbindung nach Nippon mit belgischem Design
Dass japanische Geschäftsleute einen Betrieb im Herzen der Serra da Estrela besuchen, kommt nicht jeden Tag vor. Es geschah Mitte Mai 2011: Chirima Hirai, Präsident von Scope – Händler von Ecolã-Produkten in Japan (www.scope.ne.jp) – kam in Begleitung dreier Mitarbeiter nach Manteigas. Vier Tage lang begleiteten sie das Scheren, begutachteten die Weiden und beobachteten den Webprozess.
Clara erklärt: “Wir hatten uns während einer Messe in Frankfurt im Jahr 2008 kennengelernt, wo wir einen großen Stand hatten. Aktuell zählt Scope zu unseren größten Kunden. Er bezieht von uns vor allem Zudecken und Tagesdecken, aber auch Schals und Accessoires.”
Ungewöhnlich ist auch die Tatsache, dass einige der von den Nipponesen am meisten geschätzten Stücke von der belgischen Designerin Nele De Block entworfen wurden. „Sie ist für uns seit sechs Jahren tätig. Sie sah unseren Burel und zeigt uns ihre Entwürfe dazu. Ich war sofort begeistert”, erinnert er sich.
“Wissen Sie, mit dem Burelgewebe kann man auch sehr zeitgemäße Kleidungsstücke herstellen. Da es sich um einen rustikalen, in der Modewelt beliebten Stoff handelt, lässt er sich wunderbar in Haute Couture-Entwürfen einsetzen.“
“Auf der anderen Seite ist es nicht so einfach, diesen Stoff zu Produkten für große Absatzmärkte zu konfektionieren. Man muss ihn in der richtigen Weise interpretieren und die passenden Nischen für ihn finden.”
Nachhaltigkeits-Garantie
„Zur Zeit produzieren wir etwa 30 Tonnen Rohwolle im Jahr auf nachhaltige Art und Weise. Das Ausgangsmaterial stammt ausschließlich von Schafen der Region Beira Alta im Umkreis von Guarda und Viseu, wo die Schafrasse Bordaleira da Serra da Estrela überwiegt. Diese Schafe kommen in drei natürlichen Farben vor: weiß, braun und „surrobeca“ (honigfarben, Ergebnis der Kreuzung von weißem Bock mit schwarzem Schaf). Aus diesen Wollfarben mischen wir das für den jeweiligen Stoff passende Garn”, erklärt João Clara.
“Der Großteil unserer Arbeiten wird aus Bordaleira-Wolle gefertigt. Sie ist es, die ihnen die ihr innewohnenden Eigenschaften verleiht: Härte, Regenfestigkeit, Wärme und Haltbarkeit. All dies gehört zu dem Erbe, das wir bewahren.”
“Weiterhin verwenden wir noch eine andere Wolle für einige Kleidungsstücke, die direkt auf der Haut getragen werden. Dafür nehmen wir Merino-Wolle aus dem Alentejo. Aber zusammengenommen ist das nur ein sehr kleiner Anteil“, rechnet er vor.
Pionierarbeit und die Dynamik des Marktes
Neben der Suche nach neuen Märkten leistete João Clara Pionierarbeit, um den hier ausführlich beschriebenen Stoff zu rehabilitieren. “Dieser wurde schon zuvor verwandt, jedoch nur von Schafhirten und religiösen Orden. Die mit der Wollverarbeitung beschäftigten Branchen stellten alles mögliche her, nur nicht den Burel. Der Absatz war minimal und daher unbedeutend.“
Für die Herstellung von Burel sind verschiedene besondere Verarbeitungsschritte während des Herstellungsprozesses nötig. Beispiel: Wolle, nachdem sie geschoren, gewaschen, gesponnen und auf dem Webstuhl gewebt wurde, kommt anschließend in eine Maschine zum Walken. Dazu wird das Gewebe für mehrere Stunden in eine mit kaltem Wasser gefüllte Wanne gelegt, wo es mit Holznadeln verfilzt wird, um ihm Festigkeit und Dichtigkeit zu geben.
Der von Ecolã hergestellte Burel ist zertifiziert. Er wird in natürlichen und gefärbten Farbtönen hergestellt. Clara warnt uns: „Jetzt tauchen auf dem Markt auch schon Fälschungen auf, die nicht aus der traditionellen Wolle hergestellt wurden!“
Das Unternehmen setzt den Burel in zwei verschiedenen Produktlinien ein: für Bekleidung und für Heimtextilien.
“Im Moment haben wir einen 50/50-Verkauf, beide Vertenten sind wichtig. Wir haben großen Erfolg auf beiden Ebenen. Es bleiben nie Reststücke übrig. Wir stellen immer wieder die gleichen Modelle her. Zum anderen setzen wir das gleiche Produkt auch auf verschiedenen Märkten ab.”
Natürlich gibt es bestimmte Trends. “Zum Beispiel haben Handtaschen aus Burel, deren Design in Portugal nicht besonders gut ankommt, eine breite Akzeptanz auf den asiatischen Märkten. Die einfachsten Produkte ohne besonderes Design verkaufen sich wiederum auf dem heimischen Markt besser. Portugiesen lieben dafür Farben. In Nordeuropa wiederum mag man eher nüchterne, diskrete Naturtöne”, vergleicht er.
Mode-Launen? “Wir haben immer eine traditionelle Linie im Programm, das Schäfer-Kostüm, das auch heute noch gefragt ist. Aber neben den klassischen Stücken präsentieren wir jedes Jahr auch moderne Entwürfe. Wir haben jetzt einen neuen spanischen Kunden, der sich mit einer Linie für Haustiere vorwagt: Teile für Hunde und Katzen und sogar große Tiere wie Pferde, gefertigt aus Wolle der Serra da Estrela!“
Eine leise, aber stetige Musik
Alles beginnt in der Weberei. “Wir haben keinen modernen Firlefanz hier”, scherzt João Clara. Die Technologie stammt größtenteils aus den 1960er Jahren. Es finden sich sogar noch die alten hölzernen Webstühle. Die Hintergrundgeräusche sind rhythmisch: eine leise, aber stetige Musik, die nur verstummt, wenn ein Faden beim Weben reißt.
Manuel Carvalho, einer der Webmeister, lernte sein Handwerk im Jahr 1970, im zarten Alter von 15. Da kannte er bereits den Weberknoten, der ihn von seiner Mutter gelehrt worden war. Heute, nach 45 Arbeitsjahren, zählt er 61 Jahre.
In den Augen eines Laien ist ein Webstuhl ein Gewirr von Schnüren. Carvalho jedoch spricht die Sprache dieser undurchsichtigen Maschinen – , Spule, Schiffchen, Schütze, Lade. “Wenn es gut geht, läuft die Maschine ohne Unterbrechung bis zum Mittag”, sagt er.
Für jedes neue Webstück mit einer Breite von 2,10 m müssen 2400 Fäden eingefädelt werden. Wie lange das dauert? Dreieinhalb Stunden!
Eine Warnleuchte blinkt. Carvalho linst unter den angehaltenen Webstuhl. “Sehen Sie dort den gerissenen Faden?”, und er zeigt auf einen einzelnen unter Aberhunderten. Innerhalb weniger Minuten nimmt das Hintergrundgeräusch den Rhythmus wieder auf: eine leise, aber stetige Musik…
Schlichten und andere Operationen am Gewebe
Es ist ein Beruf ohne Namen. Aber ohne ihn gibt es keine Vollendung. Keine noch so ausgereifte Maschine kann das gut geschulte Auge und ein Paar geschickter Hände ersetzen. Nun müssen Garn, Nadel, Pinzette und eine winzige Schere her. Und sehr viel Geschick.
Maria Leonor, 51, begann auch schon früh zu arbeiten, im Alter von 16 Jahren. Ihre Aufgabe ist das, was in der modernen Industrie Qualitätskontrolle genannt wird.
“Diese winzigen schwarzen Stückchen hier“, sagt sie und zeigt auf einen kaum wahrnehmbaren Fleck, „stammen vom Pech, mit dem die Schafe gekennzeichnet werden.“ Im Jargon des Unternehmens werden sie „Dummerchen“ genannt.
Leonor korrigiert auch Unvollkommenheiten, die von der Webmaschine verursacht wurden. Von Hand und mit großer Präzision ersetzt sie die Wollfäden, die durch ihre Grobheit aus dem Rahmen fallen. Sie ersetzt schlecht ausgeführte, aus der Reihe tanzende Fransen. “Es ist so, wie mir einmal gesagt wurde: ich bin eine Gewebe-Chirurgin” …
Helena Saraiva, 43, zieht die Kette auf. Sie kreiert die Muster und Kombinationen, die dem Stoff seinen Ausdruck geben. Es ist nicht leicht, einen Webstuhl einzurichten. Dutzende von Fäden müssen parallel geführt werden auf einem Gerät, dem Ordnung gegen den Strich zu gehen scheint. Ein Schreibheft dient als Merkhilfe: “6 Streifen aus 52 Fäden gleich 312. Jeder Streifen á 52 Fäden misst 6,0 cm.” Es gibt keinen Spielraum für Ungenauigkeiten.
Ad hoc-Schneiderei
Hinter den Kulissen des Ladens befindet sich eine Näherei. Eile mit Weile. Maria da Conceição, 61, mit sicheren Bewegungen und fester Hand, ist die älteste der fünf Näherinnen. “Wo sind denn die jungen Leute?”, frage ich sie. “Tja, die sitzen arbeitslos zu Hause herum…”, antwortet sie. Sie mag keine Interviews. An der Arbeitsfläche schneidet sie, eine nach der anderen, 170 von Japan bestellte Handtaschen zu.
Alles muss bis zum 15. Juni fertig zur Auslieferung sein. Einen Monat später beginnt die zweite Phase.
Die besondere Leistung dieser Handwerkstätte ist es, einem Kunden in dem Fall, dass ein Stück in gewünschter Farbe oder Größe nicht vorrätig ist (zum Beispiel eine Decke im Ajour-Muster), seinen Wunsch innerhalb einer Stunde erfüllen zu können.
Marta Neves, 41, eine der Jüngsten im Haus und ehemalige Schülerin von Frau Conceição, beendet per Hand das Heften von etwa 300 für die Japaner bestimmten Decken. „Sie sind ein wenig kleiner als üblich, weil sie eine besondere Größe haben sollen“, erklärt sie. “Es ist toll, zu wissen, dass wir auf der ganzen Welt verbreitet sind”, sagt sie stolz.
Anregung zur Kreativität
Eine dritte Geschäftsmöglichkeit ist die wachsende außerhäusige Nachfrage nach dem kräftigen Burel als Meterware. “Bis vor drei Jahren haben wir Burel ausschließlich für unseren Eigenbedarf produziert. Im Jahr 2014 waren es dann schon 3500 laufende Meter, nicht schlecht für unsere Größe. Die Hälfte davon wurde verkauft. Abgesehen von den kommerziellen Verbrauchern gibt es eine Menge Leute – kleine Handwerker, junge Designer aus Portugal und aus dem Ausland – die ihn zu den verschiedensten Dingen verarbeiten möchten, von Kleidung bis hin zu Dekoration”, informiert uns der Unternehmer. „Aber machen Sie sich damit nicht selbst Konkurrenz?“ frage ich ihn.
“Nein. Aber manchmal bemerke ich die Tendenz zu Imitaten. Der Markt hat in dieser Hinsicht nichts zu vergeben. Es war schon immer so: man geht den einfachen Weg. Es gibt Stücke, die sind authentischen Plagiate. Auf der anderen Seite macht es mir auch große Freude zu sehen, wie mit meinem Ausgangsmaterial neue Ideen entwickelt werden. Es gibt sogar Leute, die den Burel richtig ernst nehmen und die mit ganz neuen Formen auf den Markt kommen. Ich glaube, ich verdiene so mehr daran, als ausschließlich nur für meinen eigenen Bedarf zu produzieren”, gibt er zu bedenken.
Desertifikation und die Zukunft
Die bergige Landschaft ist rau und abgelegen. Wie jede andere portugiesische Gegend im Inland leidet auch Manteigas unter der bedrückenden Entvölkerung. Tourismus gibt es nur, wenn es schneit. “Das ist ein Problem. Es gibt weder Motivation noch einen festen Grund für die Bevölkerung, hier zu bleiben, insbesondere nicht für junge Menschen”, gibt der Arbeitgeber für 18 Mitarbeiter zu.
Wie wird die Zukunft für sein auf Handarbeit aufgebautes Geschäft mit seiner wenn auch hoch qualifizierten, jedoch sich langsam dem Ende ihres Arbeitslebens nähernden Belegschaft aussehen?
“Gemeinsam mit dem Direktor des Arbeitsamts von Guarda kamen wie zu dem Schluss, dass wir hier eine praktische Ausbildung für zukünftige Weber anbieten müssen.“
Vor einem Monat nun begann der Kurs mit 22 jungen Menschen beiderlei Geschlechts und einer Dauer von 600 Stunden.
“Wenn von diesen mindestens vier Leute bei uns bleiben, wäre das sehr gut für Manteigas.“