Samstag, der 1. Februar 2025.
Bei allem, was in diesen Wochen passiert, tut ein bisschen Trost sicher gut. Und was kann verlässlicher trösten, als zu sehen, was Wunderbares entstehen kann, wenn man sich zusammenschließt, kooperiert und kommuniziert.
Die Evolution besteht nicht nur aus Rivalität, wie wir gerne glauben, sondern vor allem aus Kooperation. Was wir von den Symbiosen der Natur lernen können.
Ein Nashorn ist ein kolossales Wesen, bis zu dreieinhalb Meter lang und 1,5 Tonnen schwer. Löwen oder Hyänen suchen sich lieber leichtere Beute. Trotzdem umgibt sich das Tier gern mit anderen, viel kleineren Wesen. Es braucht sie zum Überleben.
Spitzmaulnashörner leben in Savannen südlich der Sahara und sind vom Aussterben bedroht, nur noch ein paar Tausend Exemplare sind übrig. Das liegt vor allem an ihren Hörnern – eigentlich nicht mehr als ein halber Meter zusammengepresstes Keratin. Doch weil Menschen glauben, dass dieses Keratin ein Wundermittel wäre, das die Potenz steigert oder sogar Krebs heilt, ist das Horn teils wertvoller als Gold.
Also jagen Wilderer die Tiere, hacken ihnen die Hörner ab und verkaufen sie zu horrenden Preisen, meist nach China oder Vietnam. Die Käufer*innen dort zerreiben das Horn und trinken es wie Aspirin mit Wasser vermischt oder streuen es in ihren Wein. Nochmal: Das Horn besteht aus Keratin. Genauso gut könnte man seine Haare in den Tee hängen oder geraspelte Fußnägel schnupfen.
Gefiederte Freunde, die Leben retten
Nashörner bemerken oft nicht, wenn sich Wilderer anschleichen, sie sehen schlecht. Weil bei Nashorn-Optikern aber gerade Fachkräftemangel herrscht, greifen die Tiere zu einem anderen Trick, um sich zu schützen: Sie gehen eine lebensrettende Partnerschaft mit einem besonderen Vogel ein, dem Madenhacker.
Die Singvögel lassen sich auf dem Rücken der Nashörner nieder, und wenn sich ein Wilderer nähert, stoßen sie einen Alarmruf aus. Mit großem Erfolg, wie ein Forscherteam feststellte: Ohne Madenhacker bemerken Nashörner nur jeden vierten Wilderer, mit singender Alarmanlage hingegen jeden einzelnen. Als Dank für ihren Dienst dürfen es sich die Nashorn-Wächter auf dem Koloss gemütlich machen. Dort schnappen sie sich Insekten, Larven oder Zecken, die das Nashorn befallen – und manchmal auch Hautschuppen und Ohrenschmalz.
Wir Menschen lieben Erzählungen vom Bösen, von Konkurrenz und dem Recht des Stärkeren, und die machen auch vor der Natur nicht Halt: Häufig sehen wir in ihr ein erbarmungsloses Fressen-und-gefressen-Werden. Nennen sie mir eine Naturdoku, in der nicht früher oder später ein Löwe seine Klauen in das Fleisch eines Zebras rammt.
„Kooperation ist ein völlig unterschätzter Mechanismus in der Evolution.“
Die Natur besteht aber nicht nur aus Egoismus und Rivalität, auch wenn uns das landläufige Darwin-Interpretationen gerne weismachen wollen. Wenige Aussagen wurden nachträglich derart entstellt wie Darwins „Survival of the fittest“: Angeblich würden nur die Stärksten im Kampf ums Dasein überleben – eine Erzählung, die zu allem Überfluss auch noch von Neofaschisten gekapert und zum „Sozialdarwinismus“ pervertiert wurde. Dabei meinte Darwin mit „Survival of the fittest“ gar nicht die Stärksten, sondern die, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind.
In Wahrheit ist die Natur voll von Symbiosen. Nehmen wir die Waldbrände als ein Beispiel. Sie sind eine Armutserklärung der Menschheit an die Welt. Die so starke amerikanische Nation mit dem größten Militärapparat der Erde, ist nicht in der Lage, einen regionalen Waldbrand zu löschen. Die Presse ist nicht in der Lage, hinter das Fiasko zu blicken. Wenn Politiker, Feuerwehren, Militär, Bürger und Presse miteinander kooperieren und kommunizieren würden, statt Egoismus und Rivalität zu leben, könnten wir sogar die Klimakrise gemeinsam lösen.
Waldbrände entstehen zumeist aus Fahrlässigkeit. Niemand denkt sich etwas dabei, eine Zigarrettenkippe wegzuschnippen. Niemand denkt sich etwas dabei, ein Grillfest im Wald zu veranstalten. Niemand denkt sich etwas dabei, den Wald zu schützen. Niemand denkt sich etwas dabei, Häuser feuerresistent aus Stein und Stahl zu bauen, besonders den Dachstuhl. Niemand denkt an Feuerschneisen, niemand an Brandschutzmauern, niemand an Sprinkleranlagen. Dabei muß jedes Kaufhaus schon eine Sprinkleranlage und ein Notstromaggregat besitzen.
Stellen wir uns einmal vor, drei Nachbarn würden miteinander kooperieren. Sie würden gemeinsam im Winter Wasser über ihre Dächer und Dachrinnen sammeln und in einer gemeinsamen großen Zisternen stauen. Es hat gerade viel geregnet. Deshalb ist mein Erinnerungsvermögen noch ziemlich frisch. Mit Wasser aus dem Winter löschen wir die möglichen Feuer eines trockenen Sommers. Je schneller wir ein aufkommendes Feuer gelöscht bekommen, desto besser, desto erfolgreicher kann die Geschichte weitererzählt werden, desto geringer ist der Schaden an der Natur, desto weniger Bäume und Wälder verbrennen. Diese geretteten Bäume, jeder einzelne Baum, transformiert hunderte von Tonnen CO2 in Sauerstoff, ist für uns Menschen und für andere Lebewesen eine Quelle des Lebens. Jeder Baum spendet Schatten und schenkt uns Früchte: Nüsse, Mandeln, Orangen und viele andere wichtige Vitamine.
Mit einer Sprinkleranlage könnte ein Waldbrand in wenigen Stunden gelöscht werden, bevor er sich ausbreitet. Ãœberall dort, wo Menschen kooperieren, und miteinander gut leben, erleben wir Prosperität. In diesem Sinne ist mir unsere Sprinkleranlage wie die Singvogel-Alarmanlage – die Madenhacker des Nashorns – die für den Fall gebaut wurde, gemeinsam entstehende Waldbrände zu Beginn zu verhindern. Wir spritzen den Wald nass, bevor das Feuer kommt.
Unsern deutschsprachigen Leser*innen empfehlen wir das Buch „Unlearn CO2 – Zeit für ein Klima ohne Krise“ von Claudia Kemfert, Julien Gupta und Manuel Kronenberg, erschienen im Ullstein Verlag Berlin ISBN: 978-3-550-20298-8