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Nº 104 – Nach einem Waldbrand ist immer auch vor einem Waldbrand
André Varela von der CDU drückt sich vor seiner Verantwortung

Nº 104 – Nach einem Waldbrand ist immer auch vor einem Waldbrand
André Varela von der CDU drückt sich vor seiner Verantwortung

Samstag, der 11. September 2021.

Nach dem großen Waldbrand vom September 2003 rief ich erstmals in meiner Zeitung dazu auf, den Opfern zu helfen und initiierte ein Wiederaufforstungsprojekt in Monchique. Ich ging zu den neuen Besitzern des Grundstücks der Covão de Águia, die am 5. September 2003 den über 60 Hektar großen Forst mit Häusern und Ruinen im Notariat gekauft hatten und keine Ahnung davon, daß ihr Grundstück eine Woche später abbrennen könnte. Wie durch ein Wunder war das Haus selbst nicht abgebrannt – es gab keine Verletzten – und so traf ich mich mit den neuen Besitzern – zwei buddhistischen Mönchen – in ihren völlig abgebrannten Wald und ich fragte sie, ob ich ihnen dabei helfen könne, ihn zu säubern. Sie baten mich erst einmal freundlich ins Haus und boten mir eine Tasse Tee an. Im weitläufigen Sinn waren wir auch Nachbarn. Ich zog also meine Schuhe aus und ging auf Socken ins Wohnzimmer setzte mich in einen Sessel, den sie mir höflich angeboten hatten. Dann besprachen wir diese Hilfe.

Warum schreibe ich das? Weil Monchique ein Ort ist, in dem jeder das bekommt, was er gibt. Daß die beiden Mönche die Stiftung des Dalai Lama in Portugal leiteten, wußte ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Ihr Verhalten berührte mich. Sie mußten in den letzten Tagen und Wochen Schreckliches durchgemacht haben. Ich wollte ihnen zeigen, daß sie nicht allein gelassen werden. Und daß Nächstenliebe sich ganz praktisch auswirken könne. Sie nahmen das mit Gleichmut auf.

Am selben Tag nämlich wurde mir eine Frage gleich zwei Mal gestellt: warum ich das machen würde? Welchen Gewinn es mir brächte? Ein Projekt zur Wiederaufforstung nach den desaströsen Waldbränden zu beginnen? Ganz direkt wurde ich gefragt. Was bringt dir das? Die Mönche fragten mich und auch die Holzfäller da draußen. Beiden sagte ich, daß es mir Freude bereite und weil ich es kann. Die beiden Mönche verstanden mich sofort. Ein Holzfäller aus Monchique aber fragte weiter: und wer bezahlt dich dafür? Ich verstand die Frage nicht gleich und fragte zurück. Was meinst du mit Bezahlen? Na, erwiderte er, du must doch irgendeinen Gewinn mit nach Hause nehmen. Da wurde mir mit einem Mal klar, nach welchen Gesetzen in Monchique gearbeitet wird. Im weitesten Sinn nahm ich ihnen die Arbeit weg. So etwas wie Nachbarschaftshilfe schien es nicht mehr zu geben. Man arbeitete und wurde dafür mit Geld bezahlt. Basta.

Nach einem Waldbrand steht die Natur erst einmal unter Schock des Erlebten. Bäume liegen kreuz und quer wie nach einem Unfall. Vögel und Tiere wie Wildschweine und Schafe liegen tot herum. Zum Teil verkohlt, muß man sich erst einmal einen Weg bahnen, um an das Desaster heranzukommen. Am Besten mietet man sich einen oder mehrere Holzfäller. Die gehen mit ihren Motorsägen in den verbrannten Wald und schneiden einen Weg hinein. Dann stutzen die alles auf ein Minimum und schneiden alles noch Nutzbare heraus: Astwerk von Korkeichen oder Medronheiro, Stämme von Schirmpinien und Buschwerk aus Erika und Stechginster. Als ich über meine Zeitung zur Mithilfe aufrief, kamen 20 Männer und zwei Frauen, die ich nicht kannte, Leserinnen unserer Zeitung. Wir stellten uns einander vor. Jeder brachte eine Motorsäge mit und jeder hatte den Gedanken, sich mit winterlichem Feuerholz einzudecken. Das stand im Aufruf. Hier gab es so viel Totholz. Jeder konnte sich mit Feuerholz gratis eindecken, wenn er dabei gleichzeitig das Grundstück vom abgebranntem Bäumen befreite. Nach ein paar Stunden Arbeit schauten wir uns an und lachten. Wir sahen aus wie Schornsteinfeger, aber jeder hatte sich einen Baum gesichert und in Kleinholz geschnitten. Einige hatten ihre Anhänger dabei und luden bereits das Holz auf. Normalerweise aber mieten sich Forstbesitzer einen oder mehrere Holzfäller, zahlen ihnen einen Stundenlohn und die machen dann die Arbeit und schneiden mit ihren Kettensägen den abgebrannten Wald zu Kaminholz: für den Forstbesitzer. Nun machten wir das als Freiwillige, und wir konnten uns das Kaminholz nach getaner Arbeit einfach einpacken und damit nach Hause fahren. Umsonst.

Die beiden Mönche brachten Tee und lächelten viel und ausgiebig. Sie hatten genug Feuerholz für ihren Kamin und es war ihnen nur recht, Arbeit gegen Kaminholz auf der Basis von Freiwilliger Arbeit zu tauschen.. So mußten sie nichts bezahlen und wir bekamen Feuerholz umsonst. Daß wir später im Winter den abgebrannten Wald mit jungen heimischen Bäumen wiederaufforsten würden, hatte ich ihnen vorher genau erklärt … Wir hatten Baumarten ausgesucht und waren von Korkeichen über Schirmpinien bis hin zu Zedern und Zypressen gekommen. Und so trafen wir uns viele Samstage, meist vormittags, und arbeiteten im Garten Eden des Dalai Lama in Monchique. Gegen Ende des Jahres begannen wir mit der Verlegung der Wasserleitungen, die wir zu den kleinen Bäumchen von einem Tank aus legten.

Die Phase 2 hatte begonnen. Auf einmal waren wir wieder allein. Die Holzfäller zogen sich diskret zurück und wollten beim Pflanzen der jungen Bäume nicht mehr mithelfen. Wir waren nur noch zu Fünft. So bekam ich meine erste Lektion in Nachbarschaftshilfe in Monchique. Aber auch unser Verhalten machte Schule. Es kamen immer wieder zwei ältere Damen mit Spaten und Hacken und sie fanden das gut, sich samstags zu treffen, einen Schwatz zu halten und dann die neuen Bäumchen zu pflanzen. Das machten wir ein paar Stunden. Dann legten wir  eine Pause ein und tranken in einem nahegelegenen Café zusammen einen Medronho mit  bica und sie rauchten eine Zigarette mit Spitze. So kamen wir miteinander ins Gespräch. Hin und wieder kamen die Mönche mit Keksen vorbei und so lernten wir uns besser kennen, in den Arbeitspausen…

Von der Unfähigkeit zu trauern. Das war etwas, was mir sofort auffiel. Jeder wollte dem Thema Trauern und dem Trauma der Waldbrände aus dem Weg gehen. Doch es stellte sich breitbeinig wie eine Schranke vor uns in den Weg und sagte immer wieder: wenn ihr zum Ziel gelangen wollt, müßt ihr Trauern über den Verlust der Natur. Ihr müßt gemeinsam darüber reden, was euch abhanden gekommen ist und was euch fehlt. Die meisten wußten damit nichts anzufangen. Sie machten einfach so weiter wie immer. Nach kurzer Zeit, wenn das Durcheinander im Wald wieder in Ordnung geraten war, wollten alle lieber nach vorn schauen als sich mit dem „gestern“ auseinanderzusetzen. Zu schmerzvoll, waren die Kommentare einiger. Mit dem Trauern, wäre eine Analyse einhergegangen, sich mit den Gründen, warum der Wald gebrannt hat, auseinander zu setzen. Das wäre vermutlich noch schmerzvoller gekommen. Und so blieb alles beim Alten und so kam das Feuer 2018 wieder. Das war absehbar und man schien gerade darauf zu warten… In den Leuten liegt eine Sehnsucht. Wer fünf oder sechs Waldbrände überlebt hat, dessen Wunden haben dicke Narben, man schützt sich das nächste Mal so gut es geht. Das aber hat mit der Fähigkeit zu Trauern nicht das Mindeste zu tun.

Wenn wir ein Resümé ziehen, den Schaden betrachten und buchhalterisch jedes Detail notieren, werden wir feststellen, daß etwas grundsätzlich faul ist in Monchique. Unterschwellig weiß das jeder, nur aussprechen mag das keiner. Und doch müssen wir das Wort in den Mund nehmen und uns gemeinsam Gedanken darüber machen. Natur hat einen Wert, den wir nicht in Geld aufwiegen können. Kein Geld in der Welt kann uns den Wald ersetzen. Man weiß das nur zu gut. Ein Haus kann man bewerten, aber schon bei einem Baum beginnt der Streit. Der Streitwert, ob ein Baum noch zu meinem Grundstück gehört oder schon dem Nachbarn – gehst du am besten aus dem Weg, in dem du den Baum kaufst und so bleibt er von der Motorsäge verschont. Doch das ist nur ein fauler Trick.

Seien wir einmal ehrlich. So ein Baum hat einen ungeheuren immateriallen Wert. Er bietet Schönheit, was wiederum der Naturtourismus braucht. Was kostet der Schatten, was die Wurzeln, die den Wasserhaushalt regeln? Was zahlst Du ihm für die Früchte und was für die Barriere gegen den Wind? Eine Versicherung kommt für keinen Baum auf. Du kannst nur ein Haus und seinen Inhalt versichern, oder einen Gartenschlauch, einen Sonnenschirm, aber Natur ist unbezahlbar. Deswegen ist der Schaden nach einem Waldbrand so immens groß, weil der Schaden auch immateriell ist. Ein Beispiel: du hast 289 Korkeichen verloren. Sie wurden das letzte Mal vor fünf Jahren geschält und hätten in fünf Jahren wieder geschält werden können. Du hast damit vor fünf Jahren 29.000 Euro verdient und stehst nun ohne Einkommen da, wenn in fünf Jahren wieder Kork geerntet werden soll. Was aber ist der Baum wert, unabhängig von dem Einkommen, das er Dir sichert? Er braucht 30 Jahre, bis er Dir erstmals seinen Kork gibt, danach wird in Monchique alle zehn Jahre geschält. Deshalb ist der Baum auch wertvoller, weil sein Kork einen höheren Wert besitzt als zum Beispiel anderswo, wo der Baum alle neun Jahre geschält wird.

Nach einem Waldbrand sterben viele alte Menschen. In Monchique sehe ich die Krankheiten, die nach dem Waldbrand ausbrechen. Mein Nachbar Carlos stirbt im Winter 2018 auf 2019 an Krebs. Ein anderer Nachbar begeht Suizid. Der Wald ist tot und der Mensch stirbt mit dem Wald. Das Leben von Mensch und Wald geht miteinander und verläuft in Kreisen einher mit den Jahreszeiten. Selbst wenn wir leugnen, daß uns der Wald keine emotionale Ebene bietet, er berührt uns tief und prägt uns. Wir müssen uns die Frage stellen und wir nähern uns ihr auf Umwegen, auf Zehenspitzen zaghaft und vorsichtig und die Frage lautet: Was bedeutet uns der Wald? Welche Bedeutung hat der Wald für den Menschen?

Ein verbrannter Wald ist schwarz und mir graut es vor den toten Zeitgenossen mit der vielen Asche. Denn für mich ist ein Baum zuerst einmal ein grünes Lebewesen, das mich all die Jahre lang treu begleitet hat. Weglaufen kann er ja nicht. Er steht, wo er steht und sein Wert ist unschätzbar. Da ist die alte 2.000-jährige Korkeiche in Corte Grande, die niemand geschützt hat, während es brannte. Ihr Wert ist unschätzbar. Wenn er das ist, warum setzen wir ihn dann den Gesetzen des Marktes aus und der Geldwirtschaft, den Gesetzen der Aktiengesellschaften, der Finanzwirtschaft und warum pflanzen wir in 250 Metern Entfernung einen Eukalyptuswald und verkaufen eine Tonne Eukalyptus für 16 Euro und 75 Cent? Ein Vergleich: für ein Arroba (15 kg) Johannisbrot bekommt ein Forstbesitzer bereits 17 Euro.  Warum messen wir das Gewicht eines Baumes, machen ihn zu Holz, bewerten ihn aufs Neue, auf das ihn jeder Holzfäller alle paar Jahre mit der Motorsäge fällt und verkauft? Und dann wächst er nach. Weil Navigator Papier daraus macht oder IKEA Stühle und Tische? Und warum spekulieren wir mit Bäumen? Eukalyptus ja, Olivenbaum nein. Dieser Widerspruch in sich ist nicht erträglich. Wir müssen ihn auflösen. Wir kommen dann unweigerlich von der Monokultur aufgrund von Marktzwängen hin zur Biodiversität von Natur wegen. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als tief über den Verlust eines Baumes oder eines Waldes zu trauern und wenn uns dann klar wird, was wir zu tun haben, liegt das Nahestehende auf der Hand. Der Wald ist Naturschutz pur. Wir dürfen ihn nicht zu Geld machen. Bäume dürfen nicht lebendig gefällt werden, denn sie sind die Freunde des Menschen, sie machen das Klima, in dem sie CO2 in Sauerstoff umwandeln. Man pflanzt keine Bäume, um sie ein paar Jahre später wieder zu fällen, auch deswegen nicht, weil sie als Monokultur eine Gefahr für die Natur darstellen. Man pflanzt nicht pro Quadratmeter einen Eukalyptus-Baum, weil der dann ein Feuer-Risiko für alle Nachbarn darstellt. Eukalyptus brennt gut und sein Öl macht ihn gefährlich. Er ist ein schnellwachsender Baum und entzieht dem Boden nach drei Jahren täglich 60 Liter Grundwasser. Und weil man das mittlerweile weiß, suchen Firmen wie Navigator auch nach guten Argumenten für ihn. Eukalyptus sei gut einsetzbar gegen den Klimawandel. Weil er schnell wachse und schnell CO2 aus der Luft entsorge und umwandele. Aber daß bei einem Waldbrand in einem km² Forst 20.000 Tonnen CO2 in die Atmosphäre abgegeben werden, steht auf einem anderen Papier.

Und weil wir wissen, daß Eukalyptus nur angebaut wird, um die Interessen eines Papierfabrikanten zu befriedigen, weil wir wissen, daß er hochbrennbar und schnell endzündlich ist, weil wir wissen, daß Eukalyptus schlecht für den Boden eines Waldes ist und ihn austrocknet und weil wir damit aber Geld verdienen können, ohne arbeiten zu müssen, gerade deswegen nehmen wir das Risiko der Waldbrände in Kauf, genau deswegen, wir nehmen ein Risiko „in Kauf“. Diesem inneren Widerspruch stehen auch die Politiker bei den Kommunalwahlen gegenüber. Die Frage ist heikel. Klare Kante oder lügen?

ECO123 fragt den Politiker André Varela (CDU), wie seiner Meinung nach die Waldbrände zu stoppen seien und er erscheint nicht zum Interview. Er lehnt das Interview ab. Er ist nicht in der Lage, einer klaren Frage offen eine ehrliche Antwort zu geben. Er will das alles nur schriftlich machen. Das seien unbequeme Themen und ein offen geführtes Gespräch ist ihm vermutlich zu schwierig. Der Politiker, der Bügermeister in Monchique werden will, verpaßt seine historische Chance, für seine Partei, die CDU, aus diesen Wahlen mehr als nur 4,07% zu holen, oder umgerechnet 140 Stimmen, wie bei der letzten Wahl in 2017. ECO123 will ihn fragen, welche Position seine Partei beim Thema Wald in Monchique einnimmt, und wie man Waldbrände stoppen könne? Diese Frage ist berechtigt. Denn diese Frage wollen alle Bürger in Monchique von den Politikern beantwortet bekommen. André Varela hingegen fordert von ECO123, die ihn zum Interview einlädt, alle Fragen vorher schriftlich zu stellen, sonst müsse er sich davon distanzieren. Er ist somit der einzige Kandidat, der sich von einer professionallen Fragestellung distanziert und den Termin nicht wahrnimmt. Wir warten auf ihn am Samstag, dem 28. August um 9 Uhr beim Restaurant Rouxinol. Er läßt den Termin und die Einladung zum Presse-Gespräch verstreichen. Um 9h45 begeben wir uns zurück zum Büro. In Monchique bekommt jeder das zurück, was er selbst zu geben bereit ist.

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, Tim Coombs, João Medronho, Kathleen Becker

Fotos: Uwe Heitkamp, Stefanie Kreutzer, dpa

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