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Nº 108 – Die Weltumseglung

Samstag, der 2. Oktober 2021.

Es begann im Juni 1991. Damals waren es zehn Tage, in 2003 ebenfalls; in 2004 dann fünf Tage, ebenso in 2016. In 2018 waren es dann sieben Tage. An diesen Tagen brannte in Monchique der Wald des Gebirge lichterloh, oder das, was von ihm jeweils übrig blieb, und es wurde jedes Mal etwas weniger Wald. Beim letzten Waldbrand zerstörte das Feuer 28.000 Hektar, in 2003 waren es sogar 43.000 Hektar Wald. Doch was das bedeutet, kann keiner mit ein paar Zahlen ausdrücken. Mit jedem Mal wurde in den 27 Jahren der Waldbrände der Reichtum der Menschen geringer, bis dann eines Tages nichts mehr davon übrig blieb: zerstörte Natur, zerstörte Infrastruktur und jedes Mal, wenn über Monchique berichtet wird, werden diese Waldbrände das Thema sein. Da stehen wir jetzt. Immer mehr junge Leute ergreifen die Flucht. Ist es ihnen zu verdenken? Wir in Monchique sind eigentlich am Ende, wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Es kann nur besser werden.

Deshalb hat José Chaparro von der CDS/PP auch die Wahl verloren, denn Monchique hat keine Zukunft, wenn man keinen konkreten Plan hat, wie man diese Waldbrände eindämmen will – oder hat die Zerstörung der ehemals grünen Lunge der Algarve eine Zukunft? So jedenfalls können wir nicht weitermachen. Wer eine Wahlphrase drischt und dann keine Fakten auf den Tisch legen kann, wie diese Zukunft in Monchique denn nun konkret aussehen soll, gewinnt damit auch keine Mehrheit. Ich kenne Monchique seit über 30 Jahren. Und es ist höchste Zeit für eine ganz neue, konkrete, Frieden bringende Politik. Denn meine 30 Jahre Erfahrung in und um Monchique herum, bescherten mir immer nur Krieg: gegen die Natur, gegen die friedliche Welt der Fauna und Flora, gegen sich selbst. Es ist also höchste Zeit, das von nun an zu ändern. Die Leute sehnen sich nach Frieden. Und der Frieden beginnt damit, das schnöde Geld einmal für einen langen Augenblick zu vergessen.

Nach den Wahlen

Ja, es braucht einen nachhalrtigen Wirtschaftsplan für einen Wiederaufbau. Aber wie, fragen mich die Leute, mit denen ich spreche, soll Monchique feuerfrei werden? Ich bin ja ein Ausländer, noch dazu ein unbeliebter Deutscher. Und ich erzähle dann immer die Geschichte aus meiner Heimat, wenn ich nach Antworten suche. Die Geschichte der Stadt Schilda, die abbrannte und wieder aufgebaut wurde. Als man fertig war, stellten die Einwohner dort verwundert fest, daß sie in allen Häusern die Fenster vergessen hatten. In allen war es stockdunkel, wie in der Nacht. Dann kam einer auf die Idee, das Licht in Eimern in die Häuser zu tragen, und so weiter und so fort. Mit solchen Geschichten macht man sich nicht wirklich beliebt. Aber es geht um Licht. Denn mit Licht entdeckt oft man Dinge, die man in der Dunkelheit nicht sieht. Und unser Licht an der Algarve ist einzigartig, es ist das beste Licht.

Kommt uns da keine Erleuchtung? Ich habe vorgeschlagen, die Risiken der Waldbrände zu minimieren, Schritt für Schritt – und eine der vielen Tatsachen ist, daß die Reduzierung der industriellen Eukalyptuswälder vorgenommen werden muß, damit es weniger intensiv brennt – und gleichzeitig müssen die Feuerwehren dezentral arbeiten, um sehr viel schneller, innerhalb der ersten 15 Minuten, bis zum Brandherd vorzudringen. Dann haben wir alle eine Chance, daß Brände noch im Entstehen gelöscht werden können. Die Feuerwehren müssen wir hegen und pflegen und gut ausrüsten – das gleiche Verhalten müssen wir der Natur schenken: Aufmerksamkeit, Hege und Pflege, Liebe. Wir brauchen in Monchique in jeder Gemeinde, in Marmelete, in Alferce und in Monchique selbst, eine eigene Division an Feuerwehren mit jeweils guter Ausrüstung an Gerät- und Mannschaften, gut bezahlte professionelle Mannschaften. Dann brauchen wir uns nicht an die Nachbarfeuerwehren wenden und demütig Hilfe anfordern, nicht in Lissabon und nicht in Évora, nicht in Beja, Lamego und sonstwo. Seien wir mal ehrlich, wir wissen doch sehr genau, wo das Problem liegt und wir kennen die Lösung. Wir sind nur zu bequem, wir schauen auch gerne mal weg, wenn es wichtig ist, genauer hinzuschauen.

Es geht darum, Waldbrände im Entstehen zu verhindern. Und dazu muß man das Feuer von zwei Seiten angreifen: Risiken verringern bedeutet, solide heimische Mischwälder zu pflanzen, in denen die Feuchtigkeit konserviert wird und keine fremden Monokulturen, die dem Boden die Feuchtigkeit entziehen. Es gibt Baumarten unter den heimischen, die sehr genügsam sind und nachhaltig auf dem jeweiligen Böden jene Feuchtigkeit bewahren. Meist sind das langsam wachsende Laubbäume. In meinem Wald stehen Linden gemischt mit Korkeichen, gemischt mit Ulmen, Oliven, verschiedene Fruchtbäume und an Bachufern stehen neben Erlen auch Trauerweiden und Eschen. Nebenbei Johannisbrot, auch die eine oder andere Schirmpinie und Zedern. Es gibt bei mir nur einen einzigen Eukalyptusbaum, nicht mehr. Denn es herrscht Vielfalt und nicht die pure Gier nach Geld. Es geht wirklich darum, den Wald nicht als kommerziellen Ressourcenspender für die Holz- oder Papierindustrie zu mißbrauchen. Nur dann, und ich betone das ausdrücklich, wenn wir den Wald so pflanzen, daß er uns vor Feuern schützt, werden wir wieder sicher leben.

Eine Mehrheit von Abgeordneten, die Politiker in Lissabon, haben keine Ahnung davon, wie man einen Mischwald pflanzt und welche Vorteile as bringt. Sie betrachten ihre Exceltabellen mit den Steuereinnahmen durch die Firma Navigator und Altri. Kaum eineR von denen ist Bauer oder Forstwirt, kaum eineR von diesen Politikern weiß eine Esche von einer Erle zu unterscheiden, denn die meisten von ihnen sind Juristen, Beamte und sie haben Berufe erlernt, die mit dem Leben in der Natur in Konflikt stehen und diesen Konflikt sogar noch schüren. Sie haben Angst, sich aus ihren klimatisierten Büros hinaus in die Natur, in den Wald zu begeben. Sie wüßten gar nicht, was sie dort machen sollten. Wald bedeutet für einen Politiker nichts weiter als Holz und kommerzielle Nutzung und Steuereinnahmen. Die Natur, den Wald zu schützen, um auch den Menschen zu schützen und die Artenvielfalt, kommt sehr vielen von ihnen nicht in den Sinn. Vielleicht kann man im Wald noch ein Picknick veranstalten, am Tag der Nelkenrevolution oder am Tag der Arbeit, vielleicht könnte man den Wald auch noch als Deko benutzen, wenn man irgendwie noch davon profitieren könnte. Aber den Wald als etwas zu sehen, was altruistisch betrachtet, SEIN darf, wie er ist, ihn gemischt wiederauffzuforsten und so, daß er die Feuchtigkeit konserviert, kommt weder dem Umwelt- noch dem Landwirtschaftsminister in den Kopf, denn sie wissen es nicht besser. Und António Costa kann da auch nicht mit Rat und Tat helfen. Hier liegt das Problem begraben, in dem Nichtwissen. Der Wald ist unser wichtigster Freund bei der Transformation von CO2 in Sauerstoff. Ein Feuer im Wald ist ein Sakrileg.

Paulo Alves

Monchique hat gewählt und der Sozialist Paulo Alves ist der neue Bürgermeister, der Wahlsieger der Kommunalwahlen. Herzlichen Glückwunsch. Er sei Pfadfinder, er stamme aus dieser Bewegung, die zu Fuß die richtigen Wege durch den Wald finde, hinein ebenso wie auch wieder heraus. Geben wir ihm einen Kredit für diese ersten vier Jahre in diesem Amt und helfen wir ihm und seinem Team, die richtigen Entscheidungen auf dem Weg in die Klimaneutralität zu finden. Der Klimawandel hat sich auch verschlimmert, weil sich in den letzten Jahren überall auf den Kontinenten Waldbrände ereigneten, die sich in immer kürzerer Folge immer intensiver entwickelten und wir Menschen dem nichts entgegensetzen wollten und konnten.

Es geht darum, das Risiko zu verringern, auf daß ein Waldbrand die Dimension nicht erreichen kann, in der er nicht mehr zu löschen ist. Wenn Wälder wieder so gestaltet werden wie wir sie einstmals hatten, bevor die Motorsäge erfunden wurde, bevor die Industrie Wälder für ihre Nutzung zu Monokulturren umwandelte, dann speichern sie Feuchtigkeit und brennen weniger intensiv. Dann sind gut ausgerüstete Feuerwehren auch in der Lage, einen Waldbrand schnell zu löschen. Es kommt darauf an, wie schnell sie ein Feuer erreichen. Also – wenn Paulo Alves sich dieser Mammutaufgabe bewußt ist und sie bewältigen sollte – wird ihm ein Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher sein und er hat es in seiner Hand, den Frieden über das Land zu bringen, den Menschen mit der Natur zu versöhnen.

Paulo Alves wird seinen Arbeitsplatz in der Bank, in der er in Lagoa arbeitete, nun ruhen lassen. Was das bedeutet? Er wird jeden Tag weniger CO2 in die Atmosphäre emittieren, denn sein neuer Arbeitsplatz liegt um die Ecke, im Rathaus von Monchique. Da kann er zu Fuß hingehen. Was wäre, wenn wir, die Menschheit jetzt beginnen würden, jeden Tag weniger CO2 in die Atmosphäre zu emittieren, wenn wir jetzt begännen, die ersten Schritte zu unternehmen, klimaneutral zu leben?  Davon werden alle unsere Geschichten in der Zukunft handeln, denn sonst werden wir bald keine Geschichten mehr zu erzählen haben.

Bürgermeister Paulo Alves hat einen Namensvetter, mit dem ihn auf den ersten Blick nichts verbindet, außer der Name. Doch uns Menschen verbindet viel mehr als nur ein Name. Wir haben einen Generationenvertrag 2015 in Paris unterschrieben und der regelt, daß wir den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzen. Es gibt noch einen Paulo und der ist gerade mal 23 Jahre jung und er hat sich ein altes Segelboot gekauft und restauriert. Ich spreche über ZOOM mit ihm. Paulo erfüllt sich seinen Jugendtraum. Vor ein paar Tagen erreichte Paulo mit diesem Boot Panama – nach einer erfolgreichen Atlantiküberquerung. Er ist mit diesem neun Meter langen Segelboot auf einer Reise um die Welt. ECO123 wird die Geschichte seiner Weltreise in den kommenden Ausgaben erzählen. Paulo stammt nicht aus Portugal, sondern aus Deutschland. Seine Reise aber begann er in Lagos an der Algarve. Dort fand er das Segelboot seines Lebens und restaurierte das Wrack. Denn Paul Piendl ist von Beruf gelernter Bootsbauer. Im Frühjahr des nächsten Jahres beabsichtigt er über den Pazifik zu segeln, über die Galapagos Inseln, Tahiti und nach Australien zu segeln, bevor er dann in zwei oder drei Jahren wieder in Lagos ankommen möchte, eine Weltreise ohne CO2 Emissionen. Auch das geht.

ECO123 begleitet ihn auf seiner Reise. Und wir begleiten auch Paulo Alves auf seiner Reise durch Monchique und wünschen beiden viel Glück, dem einen Mast- und Schootbruch beim Versuch, umwelt- und klimafreundlich die Welt zu umsegeln und dem Bürgermeister selbst eine geschickte Hand zu haben, die Waldbrände zu stoppen. Ob sie beide heile und sicher ankommen, steht in den Sternen, aber Mut, Achtsamkeit und Zuversicht sollten helfen, diese Aufgaben zu bewältigen.

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, Tim Coombs, João Medronho, Kathleen Becker
Fotos: Uwe Heitkamp, dpa

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