Samstag, der 30. Oktober 2021.
Wer bestimmt über unsere Zukunft? ECO123 begleitet Menschen auf ihren Wegen und stellt ihre Ideen zur Diskussion. Der Weltumsegler Boris Herrmann beginnt sein Buch über die Vendeé Globe mit einer Erkenntnis: „Segeln ist kein Sport. Segeln ist Abenteuer, Selbsterfahrung, Naturerlebnis.“ Der Protagonist in der Samstagsgeschichte von ECO123 ist der 23 Jahre junge Paul Piendl vom Ammersee aus Deutschland, der sich in Portugal eine 45 Jahre alte Segelyacht kauft, sie aus dem Wasser holt und auf einer Werft in Lagos an der Algarve in zeitraubender monatelanger Arbeit während der Corona-Pandemie restauriert. Paul ist gelernter Bootsbauer. Am 31. Dezember 2020 ist es dann soweit, er blickt zurück an Land, sagt der Marina de Lagos „Adeus“ und beginnt seine Weltumsegelung. Mit dabei sind seine beiden Freunde Moritz und Leon. Ziel der ersten Etappe sind die Kanarischen Inseln. Von dort aus segeln sie mit den Passatwinden über den Atlantik bis nach Panama. Die Passage durch den Kanal soll die alte Segelyacht WASA nach Costa Rica bringen. Dort will Paul sich sorgfältig auf den Pazifik und die Südsee vorbereiten und Arbeit im Bootsbau suchen. Die nächsten Ziele sind Französisch-Polynesien und Australien. Diese Woche scheibt Paul Piendl in ECO123…
Die gemeinsame Zeit mit Leon und Moritz neigt sich langsam dem Ende zu. Beide haben vor, von Bord zu gehen und ihre eigenen Wege einzuschlagen. Bevor er wieder nach Deutschland zurückkehrt, um dort ein Studium zu beginnen, zieht es Moritz nach Dominika. Leon wird zwei Monate in Panama backpacken, bevor er anschließend in Equador einen einjährigen Freiwilligendienst zum Bewirtschaften von Permakulturen antritt.
Wir wollen es zusammen bis in die Karibik schaffen! Es ist bereits Ende März und Surinam, Guyana, Trinidad und Tobago haben noch immer geschlossene Grenzen. Wir bereiten uns auf eine fünftägige Überfahrt vor, um ohne Zwischenstopp direkt nach Grenada zu segeln. Am Morgen des 27. März ist es so weit. Ich warte schon vor der Öffnung am Coronatestzentrum, um die benötigten Tests für die Einreise in Grenada in Empfang zu nehmen. Dann geht es los. Während wir die ersten Seemeilen im Kielwasser lassen, lobe ich den Tag für seine perfekten Bedingungen.
Drei Tage später schreibe ich in mein Tagebuch: „Es ist das erste Mal, dass ich auf der Überfahrt in der Lage bin, etwas zu notieren. Die vergangenen Tage waren Katastrophe! Sie vermischen sich schon wieder zu einem Erinnerungsbrei: Am Abend der Abfahrt refften wir die Segel, als wir eine Gewitterfront am Horizont bemerkten. Leider nahm der Wind nicht wieder ab und volle zwei Tage kämpften wir gegen über 40kn Wind. In Böen standen über 50kn auf der Anzeige. Mir war schlecht und auch den anderen beiden ging es nicht gut. […] Wir fuhren mit dem Groß im dritten Reff und einer kleine Fock am zweiten Vorstag. Wahrscheinlich wäre die Sturmfock besser gewesen, aber wir hatten keine Kraft mehr, die Segel zu wechseln. Alles ist nass, durchgehend krachen die Wellen über das Deck und fluten das Cockpit. Der Wachehabende liegt mit Ölzeug und Schwimmweste auf dem Boden vorm Niedergang, um alle 20 Minuten nach dem Rechten zu sehen und die Segelstellung zu optimieren. In zwei von drei Fällen kommt er klitschnass zurück unter Deck.“
Nur langsam flaut der Sturm ab. Als sich die Wogen glätten, nehmen wir direkten Kurs auf Grenada und erreichen zwei Tage später unser Ziel.
Ein weiterer Covidtest und fünf Tage in Quarantäne. Dann bekommen wir endlich die lang ersehnten Stempel in den Reisepass. Ich bleibe volle drei Monate auf der Insel. Gebühren für weitere Covidtests stehlen benachbarten Inseln ihren Reiz. Ich finde jedoch Gefallen daran, länger an einem Ort zu verweilen, heimisch zu werden. Ich lerne viele Leute kennen, erledige notwendige Arbeiten am Boot und erkunde „Spice Island“ in vielen kleinen Tagestouren. In den letzten Wochen meines Aufenthaltes baue ich ein begehbares Dach über das Cockpit des Katamarans eines befreundeten Pärchens.
Es kommt die Zeit, weiterzuziehen. Mein Visum läuft in weniger als einer Woche ab und ich möchte mich auf Curacao mit meinen Eltern treffen. Der erste Solotrip steht bevor! Schon seit Beginn an möchte ich wissen, wie das ist: „ein Mann und sein Boot“ (Rollo Gephard). Um das herauszufinden, eignet sich die Strecke perfekt. Ich rechne mit vier Tagen auf See.
Tatsächlich muss ich mein Können schon etwas früher unter Beweis stellen. Auf dem Weg zum Ausklarierungshafen in St. George fängt plötzlich die Bilgenpumpe an, Wasser aus dem Boot zu saugen. Eine eilige und ängstliche Suche zeigt: Der Motor spuckt Wasser!
Es ist ein Leck im Kühlsystem. Am Auspuffkrümmer ist eine Schweißnaht geplatzt. Heißes Wasser spritzt herum. Glücklicherweise passiert das nur, solange der Motor läuft und die Wasserpumpe arbeitet.
Die letzten vier Meilen lege ich also ohne Motorunterstützung zurück und kreuze zum Staunen einiger Zuschauer unter Segeln durch die schmale Hafeneinfahrt. Der Wind ist komplett eingeschlafen und ich lasse die Segel stehen, während ich nach backbord in die Box einbiege. Blöde Idee. Denn natürlich kommt just in diesem Moment eine neue Böe und ich verdanke es nur dem beherzten Eingriff einer befreundeten Seglerin, ohne Kratzer am Bug an Land gehen zu können.
Die Nachricht von meinem kaputten Motor und verschobener Abfahrt verbreitet sich schnell. Alle helfen zusammen, um mir zu helfen! Rodger holt mich ab und fährt mich zur Werft. Der leckende Auspuffkrümmer, den ich ausgebaut habe, wandert von Hand zu Hand und man überlegt, wie er zu reparieren sei. Am Ende bekomme ich einen fast komplett neuen Nachbau überreicht. Geschenkt. Ich baue ihn wieder ein und nach einer letzten Partie Volleyball steche ich erneut in See.
Sehnsüchtig warten meine Eltern auf meine Ankunft auf Curacao und winken mir vom Ufer der schmalen Einfahrt nach „Spanish Saters“ aus zu. Auch ich freue mich wahnsinnig sie wiederzusehen. Wir haben uns seit meiner Abreise in Portugal nicht mehr gesehen und haben das Wiedersehen auf der Insel lange geplant.
Doch auch hier muss ich erst meine Gesundheit unter Beweis stellen und warte drei Tage in Quarantäne, bevor ich Mama und Papa endlich in die Arme schließen kann. Sie ziehen für die verbleibende Zeit zu mir aufs Boot. Wir wohnen, segeln und kochen zusammen und es tut ihnen gut, am eigenen Leib zu erfahren, wie mein von ihrem so stark unterschiedlichen Leben funktioniert. Meine Mama muss lachen, als ich sie darauf hinweise, dass auch die Löffel ihren festen Platz haben und bitte nicht einfach in die Schublade geschmissen werden. „Der Kerl kann plötzlich Ordnung!“
Dann finde ich einen Job auf einem Motorboot. Drei Wochen lang soll ich aushelfen. Wir fahren Touristen zur vorgelagerten, unbewohnten Insel, klein Curacao. Sie verbringen dort einen Tag an Strand und im Wasser, die Crew und ich kümmern uns indessen um das leibliche Wohl, führen Schnorchelsafaris und verteilen auf der Rückfahrt Rumpunsch. Als ich Abends von meinem ersten Tag auf Arbeit nach Hause komme, bemerke ich, dass ich weder riechen, noch schmecken kann! Tatsächlich bestätigt der Test am nächsten Morgen meinen Verdacht: Ich habe Corona! – zum Glück nur mit sehr milden Symptomen, aber die nächsten zehn Tage verbringe ich mal wieder in Quarantäne auf dem Boot. Bis zu meiner Abreise arbeite ich nur vier Mal.
Von Curacao aus geht es eine Tagesetappe gegen den Wind zurück in das Taucherparadies Bonair. Jannika, die Freundin, die mich in Grenada vor der Kaimauer bewahrt hatte, hat soeben ihre Tauchlehrerinnenprüfung bestanden. Gerne stelle ich mich als erster Schüler und Versuchskaninchen zur Verfügung!
Fast täglich tauchen wir direkt vom Boot, tauchen ein in die kristallklare, kunterbunte, für mich noch nicht dagewesene Welt voll von Hügeln, Tälern, Abgründen und Korallen. Wir sehen Schildkröten, Rochen, Aale, Parrotfische, Froschfische, in allen erdenkbaren Farben. Die Liste ist endlos – es ist genial!
Die Tage vergehen und es kommt der Tag, an dem es Zeit ist, den neu gewonnen Freunden „Lebewohl“ zu sagen. Einige von ihnen werde ich wahrscheinlich nie wieder sehen. „Es ist wie es ist“. Auch Julian, Ale und Lotte wissen das. Am Abend vor der Abfahrt treffen wir uns ein letztes Mal, essen Pizza und trinken ein paar Bier.
Mit an Bord auf dem Weg nach Panama ist diesmal Sofie, eine Dänin. Sie ist schon seit ein paar Jahren unterwegs, reist durch verschiedene Länder und sucht einen Weg, möglichst ohne Flugzeug nach Panama zu gelangen. Wir kennen uns zwar kaum, aber nachdem bei mir eh eine Koje im Schiff frei ist und wir uns ein wenig unterhalten haben, beschließe ich, sie mitzunehmen. Es klappt gut! Wir haben gute Diskussionen und können voneinander lernen. Sofie setzt und trimmt Segel und übernimmt Nachtschichten. Ich übe mich im Umgang mit unerfahrener Crew, die ich anleiten und sicher ans Ziel bringen muss.
In Panama, dem Tor zum Pazifik verlässt mich Sofie und ich treffe mich mit meinem Freund Sofien. Wir haben uns in der Bootsbauerschule in Deutschland kennengelernt und ich habe ihn dazu überredet, mit mir zusammen auf einer Werft in Costa Rica zu arbeiten. „Sailcargo“ liegt im Norden Costa Ricas, nahe dem Ort Puntaverales. Wie der Name bereits vermuten lässt, wird hier ein segelndes Frachtschiff gebaut. Genauer gesagt soll bis zum Ende des Jahres 2022 ein 45 Meter langer, acht Meter breiter, dreimastiger Frachtsegler gebaut werden. Damit möchte das Unternehmen nachhaltig und umweltfreundlich Güter entlang der amerikanischen Westküste transportieren. Nachhaltigkeit ist auch schon während des Baus ein wichtiges Thema. Zur Verwendung kommen hauptsächlich heimische Tropenhölzer. Die Crew wohnt zusammen nahe der Werft und wird großteilig aus eigenem Anbau versorgt. Um mit modernen Standards und Richtlinien mithalten zu können, wird auf dem Flaggschiff „Ceiba“ Tradition mit modernster Technik verbunden. Zwei Elektromotoren ermöglichen das Manövrieren in engen Häfen und funktionieren, bei Fahrt unter Segeln, als Hydrogeneratoren. In Kombination mit weiterer regenerativer Ladetechnik soll das Schiff so in der Lage sein, Navigationsinstrumente, Beleuchtung, etc., autark mit Strom versorgen zu können. Das Projekt ist wahnsinnig inspirierend und mich reizt zudem die schiere Größe, die ich von meiner Lehrzeit am See nicht kenne. (www.sailcargo.org, Youtube & Instagram: Sailcargo)
Doch die Dinge laufen nicht immer perfekt.
„Zum dritten Mal nähe ich inzwischen meine Genua. Doch schon beim Hissen des Segels bemerke ich ein neues Loch. Es sind die Kanten, denen das UV Licht und das Salzwasser am meisten zugesetzt hat. Das Material ist spröde. Ohne eine professionelle Reparatur beim Segelmacher sieht es schlecht aus für das rote Tuch. Mein Beiboot leckt nach diversen Reparaturen und hat das Ende seiner Lebenszeit erreicht. Mir fällt auf, dass mein Ruder immer noch quietscht und ich erinnere mich daran, dass die WASA einen neuen Anstrich „Antifouling“ ebenso benötigt, wie ein neues Laminat am Hauptschott im Rumpf. Der Panamakanal verschlingt all meine Ersparnisse und bei „Sailcargo“ bekommen wir neben Kost und Logie nur ein kleines Taschengeld, das niemals reichen wird, um all meine Kosten für die Pazifikpassage zu decken. Ich frage mich, „Wie geht es weiter?“, „Wie soll ich das bezahlen?“ und „Wo kann ich Geld für all die Reparaturen am eigenen Schiff verdienen? Ich suche nach Lösungen, kann sie aber über 400 Seemeilen entfernt vom Ufer nicht finden. Zweifel kommen auf…“
In einem ZOOM Gespräch mit ECO123 erzählt Paul Piendl von seinen Problemen mit dem lieben Geld und macht sich Sorgen und zugleich viele Gedanken darüber, mit welchen Arbeiten er in den nächsten Monaten genug Geld verdienen kann, um sich mit ausreichend Lebensmitteln einzudecken, denn der Pazifik wird die längste Passage sein, die ihn von März 2022 an von Costa Rica über Tahiti nach Australien bringen soll. Er wird mehrere Monate ohne Landgang auf See sein müssen und braucht all sein Talent und all seine Kraft, um die kleine Neun-Meter-Segelyacht zu steuern – und es darf bei dieser Reise nicht viel kaputt gehen. Wie Paul seine Probleme lösen will, lesen Sie in der nächsten Woche Samstag, in Ausgabe 113 ab acht Uhr morgens auf www.eco123.info, der Onlineausgabe von ECO123.