Samstag, der 13. Juni 2020
Also früher habe ich immer Wollmützen getragen. Das war so eine Zeit, in der ich mich für Science Fiction zu interessieren begann. Ich fand das cool. Jeden Samstag habe ich mir Raumschiff Enterprise im Fernsehen angeschaut und irgendwann war es dann soweit. Kraft meiner Gedanken verabschiedete ich mich einfach vom Alltag und beamte mich weg. Scotty war mein großes Vorbild. Beamen war eine absolut coole Sache. Man wollte einfach irgendwann, wenn es öde und langweilig wurde, nicht mehr dazugehören, oder wenn es peinlich wurde. Meine Eltern fuhren zu jener Zeit einen Fiat Uno. Das war ganz schlimm. Mit dem fuhren sie mich jeden Tag zur Schule. Und alle Mitschüler zeigten mit dem Finger auf mich. Da kommt der Typ mit der weißen Eierkiste. Da habe ich mich das erste Mal weggebeamt. Ich war dann einfach nicht mehr da, Kraft meiner Gedanken. Das war geil. Da machte einer schnipp mit dem Finger und verschwand und tauchte an einem anderen Platz wieder auf: schwupp die wupp, da, wo die Post abging.
Das war die Zeit, als so ein blonder schräger Typ mit kurzen Hosen und langen Haaren, der doofe Donald, im Unterricht von hinten an seinem Stuhl festgebunden wurde, ohne das er es bemerkte. Er aß immer Regenwürmer und wollte in die Wirtschaft. Wir wurden an dem Tag von unserer Klasselehrerin gefragt, welchen Berufswunsch wir hätten. Und als die Stunde endlich zu Ende ging und die Klingel bimmelte, hatte jemand den Donald an seinem Stuhl festgebunden und eine scheppernde Dose mit einem Bindfaden an ihm festgemacht. Wir waren ulkig bis schräg, dabei aber immer cool. Oder wenn es langweilig wurde in der Schule: Mathe-Unterricht war das Schlimmste. Irgendwann nahm ich meine Wollmütze ab und packte seelenruhig die Alurolle aus. Das war der Hit. Alle Leute guckten mich an und fragten, was das denn werden sollte. Ich nahm den Anfang der Rolle und band sie mir um den Kopf. Und dann rollte ich mich in dieses Aluzeugs ein und machte daraus meinen ganz persönlichen Aluminiumhut. Irgendjemand kam dann auf die Idee und sagte, das sei gut gegen die Strahlung aus dem All. Nein, sagte mein Freund Johannes, das hilft auch gegen Abgase von Flugzeugen und Autos. Und bei Heuschnupfen. Alle lachten. Wir haben damals viel gelacht in jener Zeit. Wollmützen kamen aus der Mode und Aluhüte wurden der Renner. Bis heute.
In meiner Schulklasse waren wir 33, 20 Mädels und 13 Jungs. Jungen waren Mangelware, immer zu wenig Jungs. Eines Tages sperrten die Mädels den Mathelehrer in den Schrank mit der Kreide und dem Papier für den Kunstunterricht. Er war so einer von jenen, die sich hinter einen stellten, um den Mädels in den Ausschnitt zu gucken. Danach war nichts mehr so wie zuvor. Wir alle hatten – jeder von uns hatte – von diesem Tag an eine Alu-Rolle mit in die Schule gebracht und wir rollten uns allesamt im Kunstunterricht mit dem Aluminium ein. Es wurde eine Manie, Mode pur. Unsere Kunstlehrerin fand das am Anfang auch noch gut. Echt cool, sagte sie anerkennend! Irgendwann aber wollte sie mit Kunst weitermachen, wir aber nicht. Wir diskutierten, ob man einen Schlitz im Gesichtsfeld lassen sollte, damit man nicht jedes Mal gegen den Schrank läuft, in dem der Mathelehrer immer noch still saß wie ein Häftling in der Zelle. Der Direktor befreite ihn nach der Schulstunde in der großen Pause. Irgendjemandem war aufgefallen, daß er nicht zum Kaffeetrinken gekommen war. Nach ihm wurde gesucht.
Damals wurde Science Fiction Wirklichkeit. Irgendwann kam einer auf die Idee und sagte, ein Virus aus China käme uns besuchen. Ach Quatsch, ihr müßt nicht immer so übertreiben. Ihr habt doch eure Aluhüte, die helfen auch gegen die Viren aus China, sagte Hans, unser junger Geschichtslehrer und erzählte uns von seinem Urgroßvater, der damals noch keine Aluhüte kannte und mit der Spanischen Grippe zu kämpfen hatte und gegen die Amis. Das Spiel hieß Krieg und Frieden. Das kleine Tierchen, dass irgendwann irgendwo irgendwie aus Kansas, drüben in den Staaten in einer Hühnerfarm ausgebrütet wurde kam nach Europa und brachte hundert Millionen Menschen um. Die amerikanische Grippe, die sie im Pentagon einfach zur Spanischen Grippe machten. So ist das Leben, manchmal ist es öde und langweilig. Wir aber hatten immer unseren Spaß mit den Aluhüten. Bis heute.
Eines Tages verabredeten wir uns um zwei Uhr morgens und Alex brachte Ziegelsteine von zuhause mit und Sand und Zement. Sein Vater war Maurer. Wir holten ein paar Eimer Wasser und arbeiteten konzentriert eine Stunde daran, die große Eingangstür zur Schule zuzumauern. Das war ziemlich am Ende unserer Schulzeit. Dann versteckten wir uns hinter ein paar Büschen und filmten, wie der Hausmeister mit dem Hammer das alles wieder einriss. Es war eine wilde Zeit, cool und voller Abenteuer. Irgendwann aber, wenn es langweilig wurde, beamten wir uns einfach weg und tauchten an einem anderen Platz wieder auf, natürlich mit unseren Aluhüten und dem Schlitz darin für die Augen, die Nase, den Mund. Corona! riefen wir dann immer, wenn einer mal niesen musste. Eines jedenfalls war klar, Wollmützen waren seit dieser Zeit nicht mehr gefragt.