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Zehn Schritte bis zur Klimaneutralität.
Schritt 3 – Wie befreie ich mich von fossilen Brennstoffen?

Nº 90 – Weltreise
Zehn Schritte bis zur Klimaneutralität.
Schritt 3 – Wie befreie ich mich von fossilen Brennstoffen?

Samstag, der 5. Juni 2021

Im Durchschnitt emittiert jeder in Portugal lebende Bürger rund fünf Tonnen CO2 pro Jahr. Das Ziel ist die absolute Klimaneutralität. Wie erreichen? Bei den ersten beiden Schritten ging es um das Erlernen von Fähigkeiten. Ich machte einen großen Schritt gleich zu Beginn. Sich fleischlos zu ernähren, einen vegetarischen Kochkurs zu belegen und mit einem Permakulturkurs den Anbau lokaler Lebensmitel auf dem eigenen Grundstück zu beginnen, bewirkt einen Schnitt von minus 20 Prozent bei den Emissionen. Ich habe mehr als 1.000 kg CO2 pro Jahr eingspart, in dem ich fortan auch die Tiefkühltruhen und Fleisch- und Wursttheken der Supermärkte mied. Es ging in einem zweiten Schritt darum, Bäume zu pflanzen und sich als Freund des Waldes selbst zu erkennen. Das Ziel des dritten Schrittes nun ist, aktiv dazu beitragen, kein CO2 mehr in die Atmosphäre einzuleiten. Dazu gehört die Fähigkeit, sich selbst infrage stellen zu können. Was mache ich falsch? Mobilität auf leisen Sohlen bedeutet auch, nie mehr fossilen Treibstoff, nie mehr Benzin oder Diesel an einer Tankstelle kaufen zu müssen. Schluß mit den lauten, röhrenden und stinkenden Motoren. Ich fuhr mit meinem Elektroauto 2017 von Monchique nach Idanha-o-Novo zu einem Festival. Ich war bereit, diesen Schritt mit einer Party zu feiern, übrigens der einzigen Feier in diesem besagtem Jahr. Denn ich begann, meine Parties und meine Reisen zu reduzieren.

Es begann damit, als ich mir den Taschenrechner zu Hilfe nahm und kam so auf jährliche Ausgaben von zwischen 1.200 und 2.000 Euro nur für das Benzin meines Fahrzeugs. Bin ich denn nie zur Schule gegangen, fragte ich mich, habe ich immer nur den Matheunterricht geschwänzt? Ich wollte eine weitere Tonne CO2 einsparen, oder auch mehr. Ich habe mir dabei bildlich vorgestellt, wohin mein Geld fließt. Es fließt aus meiner Tasche in ein Unternehmen wie BP, Shell, Galp, Esso, Chevron, Repsol und in die EDP. Über viele Jahre meines Lebens habe ich denen gedankenlos mein Geld anvertraut. Damit sollte von nun an Schluß sein. Mein Geld sollte nicht mehr nach Saudi-Arabien fließen, nicht mehr nach Venezuela und auch nicht mehr irgendwohin, ohne zu wissen, wofür und warum. Ich gebe Geld nur noch regional aus und das oberste Ziel ist, ab heute wirkt mein Geld 100 Prozent klimaneutral. Denn es gibt saubere Alternativen zu Benzin, Diesel und Gas, Alternativen zu dreckig erzeugtem Strom aus Kohle. Ich nahm das Ziel der Null Emissionen bereits 2010 aufs Korn. Der Kraftstoff der Zukunft ist Elektrizität und stammt für mich aus Portugal selbst, wo für uns die Sonne 3.000 Stunden im Jahr scheint. Dabei nehme ich mir ein gutes Buch und lese es in der Hängematte, wähend die Solarmodule für mich das Geld verdienen. Frech? Überheblich? Arrogant?

Vielleicht. Und was ist mit der monatlichen Stromrechnung? Genau, spare ich am Kraftstoff der Mobilität einerseits, verdiene ich andererseits noch etwas Geld mit dem Verkauf von überschüssigem, sauber erzeugtem Strom. Mit Elektrizität, die ich selbst im Haus und Büro nicht verbrauchen kann, weil ich mehr produziere als selbst verbrauche. Der Abschied von fossilen Brennstoffen macht sich in erster Linie als eine enorme Erleichterung in den Geldbörsen derjenigen bemerkbar, die Mut haben, sich zu bewegen. Und mir ist das leicht gefallen, nachdem ich den Taschenrechner in die eigene Hand genommen hatte.

Die meisten denken ja irrtümlicherweise, es würde eine enorme Belastung auf sie zukommen, ein Tsunami. Falsch. Die Mehrheit der Autofahrer kann sich das momentan noch gar nicht wirklich vorstellen. Denn die Frage kommt auf, wie bewege ich mich stattdessen fort? Was fehlt, ist die mentale Beweglichkeit. Denn selbst wenn es vielfältige Alternativen gibt, beginnt der Wandel immer mit einer mentalen Investition bei einem selbst. Die Kraft der Vorstellung hat in erster Linie etwas mit geistiger Mobilität zu tun. Es bleibt nicht dabei. Und dann bleibt nichts mehr, wie es einmal war. Denn es kommt noch etwas hinzu, mentale Energie transformiert den Menschen in praktische Bewegungsfreiheit. Ich kann euch nur zurufen: Leute, befreit Euch!

 

Ich habe mich vom Kauf des Benzins im Jahr 2015 befreit, als ich die Verschrottungsprämie meines Benziners bei der APA* beantragte: 4.500 Euro. Und dann schenkte mir der Staat noch die Mehrwertsteuer für das Elektroauto, weitere 4.000 Euro. Ich bekam sie innerhalb von 90 Tagen vom Finanzamt zurückerstattet. Natürlich mußte ich mich dafür bewegen, geistig, also mental und dann auch, in dem ich einen Antrag ausfüllte, unterschrieb und beim Finanzamt einreichte. Und beim Kauf von Elektrizität befreite ich mich bereits 2010, also fünf Jahre früher, als ich 40 Solarmodule plante, zu kaufen. Denn ich hatte kaum Geld in der Tasche und nicht viel Erspartes. Also ging ich zu meiner Bauernbank im Dorf und fragte einmal nach. Wie viel Zinsen müsste ich bei euch bezahlen, wenn ich mir 50.000 EURO leihe? Und wie viel Zinsen bezahlt ihr mir, wenn ich euch 50.000 EURO gebe und sicher anlege? Mit den Antworten erledigte sich die Vertiefung der Beziehung. Ich wechselte zu einer Ökobank.

Alles beginnt bei mir mit einer mutmachenden Investition in solare Energie. Ich gehöre schon Jahre zu denjenigen, die Ihre wenigen Ersparnisse nicht mehr zu einer portugiesischen Bank tragen, wofür es bekanntlich keinen Grund mehr gibt, weil sie mit meinem Geld spielen, wie im Casino (siehe BES), sondern ich investiere Ersparnisse direkt in Solarenergie, Schritt für Schritt. Ich habe mir kein neues benzinbetriebenes Auto gekauft, wie die Kollegen, auch nicht auf Raten. Denn ich verschulde mich nicht mehr mit Krediten bei diesen Banken. Auch das gehört zu meinem dritten Schritt. Keine Schuldenfalle mehr! Ausgaben verringern bedeutet auch, den Kommerz auf den Prüfstand stellen. Ich gebe Geld nicht mehr ab, auf daß andere damit wirtschaften. Nein, ich werde selbst aktiv. Es ist wichtig, daß jedes Haus, jede Wohnung, auch jede Mietwohnung ein eigenes System zur autonomen, sauberen Energiegewinnung, inklusive Einspeisung in das Stromnetz bekäme. Würde das für jeden Steuerzahler gelten, würde das den Effekt haben, die Wirtschaft anzukurbeln und enorme Mengen, mindestens 30% bis 50% aller CO2 Emissionen in Portugal und der Welt einzusparen. Ich nenne es, energieautonom zu denken und zu werden. Und warum nicht gleich ein Gratis-Jahresticket für die Bahn, Buss und Metro, gefördert vom Staat, wenn eineR Null Emissionen nachweisen kann?

 

Es war wichtig, daß ich diesen Schritt vom passiven zum aktiven Bürger gemacht habe. Ich verabschiedete mich für immer von dem Satz, der da lautet: ich kann ja eh nichts an meiner Situation ändern. Doch, ich kann immer etwas an meiner Welt ändern, zum Besseren ändern und es begann damit, daß ich mir das in meiner Phantasie auch vorstellen konnte. Von dem Augenblick an, an dem ich diese Schwelle passierte, gab es kein zurück mehr zu meiner abgelenkten und passiven Welt von Gestern…

 

Fortsetzung? Nächste Woche…

 

*APA = Agência Portuguesa do Ambiente

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, Tim Coombs, João Medronho, Kathleen Becker
Fotos: Uwe Heitkamp

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