Samstag, der 26. Oktober 2024.
Gerade jetzt, wo Sie mit dem Lesen dieser Geschichte beginnen, treffen sich ein paar Menschen in Cali, einer Stadt knapp 500 km westlich von Bogota in Kolumbien zu einer UNO-Konferenz, die das Unglaubliche in die Realität umsetzen will: zwei Drittel der Erde in ein Naturschutzgebiet zu verwandeln. Wie macht man so etwas? Ich wäre schon sehr froh darüber, wir hier in Portugal würden den Landkreis Monchique und seine 400 km² geschützt bekommen, in der Vielseitigkeit seiner Natur. Ich nehme mir gerade ein Fernglas und schaue auf den Wald als ein Beispiel für Biodiversität. Ganz schön grün hier. Wieder grün. Nach der vielen schwarzen Asche. Aber was sagt mir das, wenn ich den Wolf im Schafsfell nicht erkenne? Denn Grün ist nicht gleich Grün. Soviel habe ich bereits gelernt. Und soll das hier jetzt eine Geschichte über den Wolf werden? Oder bin ich vor lauter „Grün“ eher farbenblind geworden? Nein.
Naturschutz ist ein schönes Wort, das es eigentlich gar nicht geben darf. Es zu benutzen, grenzt an Blasphemie. Denn nahezu 98% des Waldes befindet sich in privatem Besitz. Und privater Wald heißt „Holz irgendwie zu Geld machen“. Die Natur muss sich doch irgendwie bezahlt machen, oder? Als ich diese Monokulturen von Forsten vor mehr als 30 Jahren kennenlernte, war ich geschockt. Wald kommerzialisieren? Ja, am Besten in Form von Eukalyptus-Monokulturen, sagte mir ironisch mein Freund Thomas. Aber da gibt es auch noch die Schnapslobby mit dem Medronho und vieles mehr, sagte mir der Kollege Americo Telo. Also den Wald ausbeuten? Richtig.
Dort, wo ich lebe, am Südhang des Picota-Massivs im Monchique Gebirge, gehört kein Flecken dem Staat. Viele der privaten Besitzer haben allerdings ihre Grundstücke aufgegeben. Der Eukalyptus wächst nun bevorzugt wild und mit ihm zwei weitere invasive australische Baumarten namens Akazie und Mimose. Akazien und Mimosen? Ja, Pionierpflanzen aus Australien. Was machen die hier in Portugal? Und vor allen Dingen, wer hat die hier gepflanzt? Niemand? Niemand.
Aus einer Akazie (Mimose) werden nach einem Waldbrand ganz schnell 50 Akazien (Mimosen), aus 50 Akazien werden recht bald 500 Akazien (Mimosen) und aus 500 von diesen Bäumen werden leicht tausende Akazien und Mimosen. In Monchique wachsen gerade fünf Millionen Akazien und Mimosen. Bald könnten es schon zehn Millionen werden. Sie kamen mit den Waldbränden. Ihre Samen fliegen im Wind und sind feuerresistent. Man kann ihnen beim Wachsen zuschauen. Ich habe sie jetzt sechs Jahre lang beobachtet, Tag für Tag, beim Gassi-Gehen mit meinem Hund.
Gäbe es einen Botaniker, der sich mit diesen invasiven Bäumen auskennt und sie erklärt, der wüsste, dass er auf keinen Fall die Motorsäge an eine Mimose oder Akazie anlegen darf, sondern eher ein kleines Taschenmesser und ihnen die Rinde vom Stamm abzieht, nachzulesen bei https://invasoras.pt/ Und dann abwarten und dranbleiben am Baum, nachschauen, ob er auch wirklich abstirbt. Ob die Akazie oder Mimose langsam vertrocknet? Das kann nämlich bis zu drei Monate dauern. Wer hingegen die Motorsäge nimmt, dem wachsen gleich noch einmal 50 neue Triebe aus dem Boden. Ich werde den Verdacht nicht los, dass der finanzielle Reichtum, den der Eukalyptus einigen Forstbesitzern in Monchique beschert hat, jetzt in Gefahr ist. Akazien und Mimosen säen sich von selbst aus und dort, wo sie sich erst einmal eingenistet haben, sind sie wie ein Gast, der sich zum Abendbrot selbst eingeladen hat. Mit dem Holz lässt sich kein Geld verdienen. Im Gegenteil, es kostet richtig viel Geld, jemanden davon zu überzeugen, den ungebetenen Gast wieder rauszuschmeißen.
Seit 1990 hat es in Monchique fünf Mal gebrannt: im Juli 1991, im September 2003, im August 2004, im September 2016, im August 2018. Die Landschaft, ehemals geadelt durch die EU-Netzwerk Plakette Natura 2000, ist nun völlig kaputt. Aber wen kümmert das? Den ICNF? Die GNR? Das Rathaus in Monchique? Irgendeine Regierung? Die Europäische Kommission? Nicht doch. Naturschutzgebiete muss man doch ausbeuten dürfen wie eine Mine. Aber wem gehört nun so ein verlassenes Grundstück im Revier des Netzwerks Natura 2000, wenn es abgebrannt ist und danach verlassen wurde? Niemanden? Wenn der Besitzer gestorben ist und es keine Erben gibt?
Fragen Sie mal den Bürgermeister von Monchique, wem die Quinta da Belle France heute gehört? Der wird nur mit den Schultern zucken. Dann gehen Sie im Finanzamt nachfragen, irgendeiner muss ja die Grundbesitzsteuer für die Ruine und das Grundstück bezahlen. Keine Angaben? Nun, dann gehen wir mal zum Registo Civil. Sie gehen von Pontius bis Pilatus und der Orangenhain, die Aprikosenbäume, die Zitronen und die Clementinen – auf zehn Hektar guter Erde sind, – wenn sie nach fünf Jahren Fragen bezüglich des Besitzers aus Monchique nach Esgravatadouro zurückkommen, – von den Akazien und Mimosen stranguliert. Alle Bäume aus den guten Zeiten sind schlechten Zeiten gewichen und da stehen heute auf einmal nur noch Akazien und Mimosen, ein Baum von fünf bis sechs Metern neben dem anderen, eine Wand an Bäumen, zugewachsen, grün. In diesem Jahr wird noch der Olivenhain den Mimosen und Akazien zum Opfer fallen. Danach haben sie nichts mehr, was sie strangulieren können mit ihren Pfahlwurzeln und mit ihren Flachwurzeln. Man nennt Akazien und Mimosen invasiv, weil sie echte Killer in der Natur sind. Das Klima des Monchique Gebirges ist im Sommer heiß und trocken und im Winter feucht und warm und somit ideal für diese invasive Baumart, sich genau hier explosionsartig zu vermehren … Dem Klimawandel sei Dank geschuldet und dem Wolf im Schafsfell. Und nun frage ich Sie, können Sie vielleicht eine Mimose von einer Jacarandá unterscheiden, eine Esche von einer Erle, eine Akazie von einem heimischen Mandelbaum? Da fängt das Dilemma an. Ich kann es mittlerweile, weil ich mich täglich mit Bäumen und dem Wald in unserem neuen Botanischen Garten beschäftige.
Knapp 70 % der Menschheit lebt heutzutage in Städten und hat keinen blassen Schimmer mehr vom Wald und seinen Bäumen. Nach dem einen Waldbrand ist vor dem nächsten Waldbrand. Ich bekam 2004 von der größten europäischen Baumschule eine Spende: da kam ein Sack mit 5.000 jungen Bäumen in der Redaktion an, um wenigstens einen Teil von Monchique wieder aufzuforsten: Eichen, Erlen, Eschen, dann Linden und Platanen, schwarze Walnussbäume und viele andere einheimische Baumarten, sogar Kastanien. Wir machten einen Plan und fragten Landbesitzer, ob und wie wir ihnen mit einer Wiederaufforstung helfen könnten? Als diese nachfragten, welche Bäume wir anbieten – und ob wir auch Eukalyptus dabei hätten, wurde mir klar, die Leute wollten ausschließlich Geld mit dem Wald verdienen und auf gar keinen Fall die Natur schützen. Aber Eukalyptus benötigt doch sehr viel Grundwasser und laugt die Böden aus und arbeitet wie ein Brandbeschleuniger, erwiderte ich. Und haben wir denn unbegrenzt Wasser in Monchique? Wir sprechen von einer Fläche von mehr als 200 Quadratkilometern Eukalyptus-Monokulturen. Die Hälfte des Landkreises ist mit Eukalyptus bepflanzt! Die Böden sind nun nach 40 Jahren ausgelaugt, aber es gibt ja noch den Wolf im Schafsfell. Der Wolf ist nicht nur im Märchen der Feind des Menschen. Schon in der Bibel wird der Wolf bereits erwähnt, allerdings im Schafsfell. Was bedeutet das?
Vor kurzem wurde mir klar, warum wir Menschen jetzt in Städten leben und uns die Natur nichts mehr lehrt. Es scheint sich leichter zu leben in den Städten. Die Lebensbedingungen haben sich mit der Zeit auf dem Land verändert, es ist immer wärmer geworden, immer trockener und wir Menschen beuten die Natur mit allen möglichen Maschinen aus. Wir nehmen uns und wir geben nichts zurück. Wir leben von der Natur, allerdings getrennt. Das Wasser kommt ja aus der Dusche und aus dem Wasserhahn. Und wenn es nicht mehr kommt? Was dann? Die Quellen des Landkreises Monchique geben seit 2022 nicht mehr genug eigenes Trinkwasser her. Knapp 5.000 Einwohner in knapp 3.000 Haushalten bekommen jetzt ihr Wasser in Monchique vom Wasserwerk in Alcantarilha-Gare, den Berg hinaufgepumpt. Eine absurde Maßnahme: So werden Lösungswege in Monchique gesucht und gefunden.
Am kommenden Sonntag beabsichtigt das Rathaus mit seinen Bürgern und Besuchern nach 25 Jahren mal wieder die Feira de Monchique zu feiern, das sogenannte Erntedankfest der Bauern im Landkreis des höchsten Gebirges im Süden Portugals. Die „Feira de Monchique“ beginnt um 10 Uhr und soll erst abends um 20 Uhr enden. Gibt es denn einen Grund zu feiern? Das war mein erster Gedanke, der mir durch den Kopf schoss…
Die Lebensbedingungen seit der letzten Feira de Monchique von 1999, haben sich stark verändert. Mehrere große Waldbrände, die ihren Teil zur Klimakrise beitragen, haben diese Lebensbedingungen in Monchique stark in Mitleidenschaft gezogen. Es hatte sich schon 2003 angekündigt, was wir heute hinter vorgehaltener Hand beschönigend als „das Wasserproblem“ bezeichnen. Seit dem Waldbrand vom August 2018 hat Monchique die absolute Gewissheit: viele Quellen in den Bergen geben kein Wasser mehr. Bäche sind bereits vor dem Sommer, also im April oder Mai, ausgetrocknet. Und warum?
Auf der Südseite des Gebirgsmassives und überall dort, wo invasive Baumarten als Pionierpflanzen die durch Feuer geschädigten Ökosysteme mit Korkeichen, Medronheiro und anderen Fruchtbäumen verdrängen, sind die Böden ausgetrocknet. Kaum Wasser mehr, kaum Feuchtigkeit ist mehr in der Erde, die pure Dürre herrscht bei denen, die zurückgeblieben sind. Quellen und Bäche ausgetrocknet. Monchique hat in knapp 25 Jahren nicht nur mehr als die Hälfte seiner Einwohner verloren, sondern viele weitere Ressourcen, die wichtigste überhaupt: das Wasser. Viele Grundstücke im Gebirge sind verlassen, die Häuser Ruinen. Darüber spricht man nicht gern im Rathaus: Das ist ein Tabu. Landflucht wird von Jugendlichen in Monchique einfach gemacht. Man zieht nach Portimão, oder gleich nach Lissabon oder ganz weg aus Portugal. In welchen Zukunftsberufen sehen sie ihre Chance, die sie in Monchique nicht finden? Und nun auch noch das Wasserproblem…
Überall, wo ich dieses Problem thematisiert habe, ernte ich ein Schulterzucken. Mehr als die Hälfte der Menschheit zieht aus den Dörfern in die Städte und lebt in den Citys. Biodiversität ist den meisten Bürgern nur ein Begriff einer abgehobenen Kaste, hinter dem sich keine konkreten Geschichten verbergen. Junge Menschen haben Monchique den Rücken gekehrt. Das ist ein Fakt und das hat einen tieferen Grund. Wollen wir uns damit ernsthaft beschäftigen?
Den Wolf im Schafspelz erkennen die Menschen nicht mehr als Gefahr. Die Menschheit macht einfach so weiter, als gäbe es diesen Wolf nicht, bzw. nur ein Schaf. Denn der Blick aus dem Auto auf den Wald, an dem wir gerade vorbeifahren, gibt uns keine Informationen über den Zustand des „Grüns“ der Farbe der Natur, lässt keine Rückschlüsse zu, um welchen Typ von Baum im Wald es sich handelt und wie es dem Wald geht? Und wie viel Wasser er uns Menschen übrig lässt? Sehr viel Wissen um den Wald ist in den vergangenen zwei Generationen verloren gegangen. Ich bezweifle, dass ein Stadtbewohner einen Johannisbrotbaum kennt. Warum auch? Wer die Genügsamkeit unserer heimischen Bäume und ihre Eigenschaften kennt, der wird bald merken, wie wichtig es ist, Invasoren im Wald von heimischen Bäumen unterscheiden zu lernen. Und während Akazien und Mimosen unser Grundwasser trinken, wird das Wasser für die Menschen in Monchique vom kommunalen Wasserversorger Aguas do Algarve SA den Berg hochgepumpt…
Die Frage, die ich mir jetzt stelle ist, wie wollen 5.000 Einwohner mit 5.000.000 Akazien und Mimosen fertig werden? Diese Frage zu diskutieren, wäre eine Maßnahme, die man auf der Feira de Monchique beginnen könnte: sich ehrlich machen. Und was macht der ICNF und was macht GEOTA und was machen all die anderen Umweltorganisationen, die große Sprüche klopfen, wie viele Bäume sie gepflanzt haben? Sie wissen nicht, in welcher Gefahr sich Monchique befindet, wenn Akazien und Mimosen sich weiter unkontrolliert vermehren. Und das werden sie. In Monchique, nein, in Portugal sehen sie den Wolf im Schafsfell nicht.