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Der Kreislauf des Lebens

Über die Hälfte aller Nahrungsmittel landet auf dem Müll. Die industrielle Landwirtschaft verschlingt riesige Mengen an Energie, Wasser, Dünger und Pestiziden. Regenwälder werden für Weideflächen und für den Anbau von Industriesoja und Palmöl gerodet. Mehr als ein Drittel der Treibhausgase entsteht durch die Landwirtschaft und den weltweiten Transport von Lebensmitteln.
Wir wissen, dass übermäßiger Verzehr von Fleisch und Milchprodukten krank macht. Warum kaufen wir dennoch Industriefleisch im Supermarkt von Tieren aus Massentierhaltung, die mit genmanipuliertem Sojafutter aufgezogen werden? Überlassen wir die Verantwortung für unsere Ernährung einer Agrar- und Lebensmittelindustrie, die im globalen Konkurrenzkampf nur Wirtschaftswachstum und Profit kennen? 2014 ist das Europäische Jahr gegen Lebensmittelverschwendung.
Wie können wir eine ausgewogene Ernährung verwirklichen, die unserer Gesundheit, dem Wohl der Tiere und auch der Erde als Ganzes dient? ECO123 beginnt in seiner heutigen Ausgabe mit einer Serie über Landwirtschaft, Lebensmittel und Ernährung und sucht nach gesunden und regionalen Lösungen. Haben wir den Bezug zu unserer Erde und zu unseren Lebensmitteln verloren und wie finden wir ihn zurück?

ECO123 sprach mit Filipe Baiona, (28) auf der “Quinta da Hortensia” bei Caldas de Monchique, Algarve.

ECO123: Ihr Supermarkt ist der Garten?
Filipe Baiona - Filipe Baiona - selbstversorgende LandwirtschaftFilipe Baiona: So ist es. Das ist auch gut so, denn hier weiß ich was ich habe und das alles ist ziemlich gesund. Aber es hat auch seinen Preis und der spiegelt sich in der Arbeit wider. Alles, was wir als Familie hier haben, ist natürlich gewachsen. Wenn wir uns das jetzt mal genauer anschauen, stellen wir fest, wie viele verschiedene Dinge überhaupt angebaut werden. Um es kurz zu machen, zähle ich alles was wir hier gesät haben mal auf: Melone, Wassermelone, Zwiebeln, Salat, Tomaten, Paprika, Gurken, Zucchini, drei oder vier Sorten Bohnen, Süßkartoffeln, zwei andere Kartoffelsorten, eine Menge verschiedener Arten von Kohl, Saubohnen, Erbsen und Möhren auch. Wir haben noch Zitronen, Orangen und andere Früchte. All das ist das Resultat harter Arbeit und fordert seinen Tribut: samstags und sonntags früh raus, aber das macht auch gesund und es gelingt dabei zu wachsen.

Sie sind also Bauer?
Am Ende sind wir alle Landwirte: mein Vater, ich und ein Mann, der noch kommt, um uns zu helfen. Aber die Basis dafür, dass uns das Land das Gemüse gibt ist die Vorbereitung der Erde: Maschinen, Samen und Setzlinge, Kraftstoff; das alles und vieles mehr. Es liegt alles in unserer Verantwortung. Das ist die Praxis einer kleinen Subsitenzwirtschaft für den Eigenverbrauch. Viele Menschen hier in Monchique nutzen ihre Grundstücke auf diese Art und Weise. Die Dinge werden mit Sorgfalt und Hingabe getan und wir versuchen, ein wenig von allem zu produzieren, was wir brauchen.

Hier spürt keiner den Hunger wie in den Städten?
Nein, bei uns ist es ganz anders, denn wir sind eine Familie. Fünf Personen oder mehr leben hier im Haushalt. In der Tat gibt es mehrere Familien und Generationen, die sich von diesem Grundstück ernähren. Da ist ein pensionierter Herr, der mit seiner Frau lebt. Die Renten sind heute sehr niedrig in unserem Land, wie wir alle wissen. Er steht jeden Tag in der Früh auf und kommt hierher. Er ergreift die Initiative, um hier zu arbeiten und ein wenig von allem mit nach Hause zu nehmen. So hilft er uns und wir helfen ihm. Das ist der Zyklus. Er nimmt einige Sachen mit nach Hause und mit seiner und unserer Kraft bestellen wir das Land gemeinsam.

Das lernt einer nicht von einem Tag auf den anderen, nicht wahr?
Exakt.

Mal angenommen, jemand zöge von der Stadt hinaus aufs Land und würde ohne konkretes Wissen in der Landwirtschaft arbeiten wollen, wo sollte der beginnen?
Ich muss mir das gerade einmal bildlich vorstellen: ein Leben mit einem Stadtbewohner hier auf dem Land. Die Grundlagen und Ideen, die Stadtbewohner haben, sind ganz andere. Sie leben einen ganz anderen Stil und werden ganz anders erzogen. Ich denke, dass die Landwirtschaft verlieren würde. Drehen wir einmal die Zeit zurück und ziehen wir in Betracht, dass meine Vorfahren schon immer auf dem Land zu leben pflegten. Sie lebten mit der Natur, kultivierten das Land und nahmen, was die Natur ihnen gab. Das setzt sich fort. Heute leben meine Eltern auf dem Land und selbst ich lebe immer noch gerne hier. Ich fahre jeden Tag viele Kilometer zur Arbeit und zurück, der Lebensqualität wegen und weil ich mich hier wohl fühle. In diesem Sinne bin ich erzogen worden und so wuchs ich auf. Und das gibt mir die Stärke und versetzt mich in die Lage, hier mitzumachen, die Erde zu bestellen und weiter zu lernen. Und am Ende ernten wir die Früchte dessen und bekommen wir zurück, was wir reingesteckt haben. Ich kann sogar zu meinen Kollegen in Portimão gehen und ihnen einen Sack Kartoffeln schenken und ihnen zeigen, dass dies die Früchte meiner Arbeit sind. Ich bin autark und kann anderen helfen.

Gerade in den Städten stecken viele Familien in großen finanziellen Schwierigkeiten. Kredite müssen abgezahlt werden. Alte Menschen mit sehr geringen Renten leben ohne Garten. Kinder gehen ohne Frühstück zur Schule, während man in Monchique die Kunst der Landwirtschaft beherrscht.
So ist das. Sie können einige Dinge hier miteinander vergleichen. Ich habe einen Freund, der liebt die Landwirtschaft – und so haben wir uns zusammengeschlossen. Jetzt lebt er im Ruhestand und er hat auch Kinder, und unterstützt sie mit seinem Geld. Ich bin absolut sicher, dass dieser Freund im Grunde von all dem lebt, was er hier erntet. Er kommt um zu helfen und nimmt auf dem Nachhauseweg immer seine Lebensmittel von hier mit, denn unsere Erde gibt immer in Hülle und Fülle. Das ist der Vorteil eines Grundstücks. Wenn er ein wenig faul wäre und vielleicht kürzer arbeiten würde, würde sich die Natur das Grundstück zurückholen und alles überwuchern.

Wie viele Hektar Land bestellen Sie?
Mehr oder weniger sind das drei Hektar.

Gibt ein Hektar genug her für eine Familie?
Bewässerung des GemüseanbausEin Hektar? Das hängt davon ab, wie dieser alte Boden genutzt wird. Früher wurde er auch vielseitig genutzt. Wir haben hier fünf ganz verschiedene Fruchtbäume im Feld: verschiedene Tangerinen-Bäume, einen Orangenbaum und eine andere Sorte die sich ‘Laranja da Baía’ nennt, eine sehr gute alte Qualität…

…Sie haben ja auch japanische Mispeln da vorn…
… und Feigenbäume und auch viele Rebstöcke auf den Terrassen. Das ist alles auf altem Wissen aufgebaut und wir bewirtschaften das Land auf logische Weise. Zum Beispiel kann ein solcher Baum zwischen 200 und 300 kg Mandarinen geben. In Monchique gibt es verschiedene Sorten von Äpfeln, die es nur hier und nirgendwo anders gibt. Zwei von ihnen sind sehr bekannt: der “Pero Malápio” und der “Bravo Pero Mofo”. Für mich sind sie wie Gewürzäpfel, sehr geschmackvoll. Diese Gewürzäpfel wurden früher auf eine ganz besondere Art geerntet. Am Fuß verknotete man einen Draht und dann wurden 20, 30, 40 Äpfel daran aufgereiht, alle in der gleichen Entfernung voneinander. Im Vorratsraum hingen sie während eines ganzen Winters von der Decke herunter. Das war die traditionelle Art unserer Konservierung.

Und Weintrauben?
Weintrauben auch. Wir ernten sogar tropische Früchte wie zum Beispiel Goiaba.

Wie viel Male ernten sie im Jahr Kartoffeln?
Manchmal bauen wir drei Mal im Jahr Kartoffeln an. Die Kartoffel wird das ganze Jahr über angebaut. Es gibt sehr gute Ernten in unserer Region. Wir ernten zum Beispiel gerade jetzt und im September setzen wir neue. Dann dauert es drei Monate bis zu Weihnachten und wir haben wieder neue Kartoffeln. Danach kultivieren wir wieder neue im Januar, um sie jetzt zu essen, gegen Ende Mai. Und in den kommenden Wochen pflanzen wir wieder neue und ernten mitten im Sommer. Durch alle vier Jahreszeiten hindurch haben wir immer neue Kartoffeln.

Sie sind Mitglied in einem Verein?
Ja, ich gehöre dem Jagd- und Anglerverein Monchique an und bin dort im Vorstand.

Wie viel Mal in der Woche essen Sie Fleisch?
Das Fleisch gehört für mich zur Ernährung dazu. Es kann vorkommen, dass ich zwei oder drei Mal – und es kann vorkommen – dass ich vier oder sogar fünf Mal Fleisch esse, oder auch nur ein Mal pro Woche. Im Durchschnitt sind es wohl drei Tage pro Woche, aber mindestens vier Mal pro Woche auch Eintöpfe. Zuhause, in diesem Fall in meiner Familie, kommen verschiedene Eintöpfe auf den Tisch. Unser Organismus hat sich regelrecht an Eintöpfe gewöhnt, dass wenn mal nach zwei Tagen keiner auf den Tisch kommt, irgendwas mit der Küche nicht stimmt.

Baum mit Früchten

Früher aßen die Menschen viel weniger Fleisch als heute. Gucken wir uns nur die Speisekarten in den Restaurants an; nur Fleisch- oder Fischgerichte. Sehr selten treffen wir in Portugal auf fleischloses, vegetarisches Essen.
Unsere Vorfahren haben vielleicht weniger Fleisch gegessen, dafür aber vermutlich von besserer Qualität.

In ihrer Familie isst man auch die landestypischen Süßspeisen?
Ja, auf jeden Fall. Meine Mutter kennt sich da am besten aus. Sie ist eine außergewöhnliche Person, kein Zweifel, eine tolle Frau, eine große Köchin. Sie kennt viele Rezepte traditioneller Süßigkeiten, und speziell der Kuchen, Torten und Süßigkeiten von Monchique.

Mit Feigen Johannisbrot und Mandeln?
Sie benutzt sie alle. Die Minze, um Likör zu machen, den Martunho um Kekse herzustellen, und auch die Pflaume. Eigentlich alles, was uns die Natur gibt, nimmt sie als Zutaten.

Guten Medronho-Schnaps gibt es auch bei ihnen zuhause?
Einen guten Medronho auch, Gott sei Dank. Das ist es, was ich es am liebsten trinke und was mich am meisten interessiert.

Falls sie zum Beispiel mehr Zwiebeln ernten als sie selbst verbrauchen können, aber selbst nicht genug Erbsen haben, tauschen sie dann?
Die Idee könnte bald Wirklichkeit werden. Die Leute kämen zu mir nach Hause und bieten beispielsweise einen Sack Kartoffeln gegen einen Sack Zwiebeln. Aber ich habe nicht den Anspruch, ein Gut durch ein anderes auszutauschen. Was wir haben, teilen wir. Dann besteht die Möglichkeit dass ein anderer auch teilt was sein ist und so schaffen wir einen Zyklus. Ich arbeite in Portimão und die Leute dort haben das Meer vor ihrer Haustüre, mit dem Fisch als Nahrungsmittel. Das Essen ist gesünder dort, aber Fisch essen ohne Kartoffeln oder Tomaten ist nicht dasselbe. Daher ist Tauschen wirklich sinnvoll. Manchmal teile ich meine Sachen, wie Orangen, wenn ich eine Kiste mitnehme, um sie meinen Kollegen in der Cafeteria zu geben.
Wenn wir zurück zu unserem Gespräch über das Problem des Hungers zu kommen, glaube ich, dass die Leute von Monchique fast autark sein können und das garantiert große Lebensqualität. Portimão befindet sich in einer anderen Klasse – obwohl sie dort das Meer haben. Aber sie leben nicht nachhaltig. Ich erfahre das immer wieder, wenn ich zur Arbeit gehe und Kartoffeln, Zwiebeln oder Kohl für einige Leute mitnehme und es für sie ein großartiges Angebot ist. Denn es wird gern gegessen und oft fragen mich die Kollegen, wann ich wieder etwas mitbringe.

Was empfinden sie bei der Vorstellung, dass falls die Supermärkte einmal drei, vier oder fünf Tage keinen Nachschub erhielten, schließen machen müssten?
Mein Gott, das dürfte nicht passieren, aber ich glaube…
…erinnern sie sich an den Streik der Tanklastwagenfahrer vor fünf Jahren?
Das war ein Chaos. Ich habe das noch vor Augen. Das war, als ob das Ende nahte. Ich erinnere mich, dass viele Autos auf der Autobahn geparkt waren, mit leeren Tanks. Da fragten mich Leute, die eine Suppe kochen wollten, wie sie das ohne Kartoffeln machen sollten, denn in den Supermärkten leerten sich die Regale. Überall fehlten Lebensmittel und die Leute gingen hamstern. Was war das für ein Chaos! In diesem Fall bin ich mir sicher, dass diejenigen, die von ihrer Landwirtschaft hier in Monchique leben eine solche Krise überstehen würden, egal ob diese nun lang oder kurz sei. Heute ist für mich ein gutes Zuhause, wo Menschen glücklich und autark sein können, verbunden mit einem guten Stück Ackerland mehr wert, als vielleicht ein schönes Apartment mit Meerblick in Praia da Rocha.

Gibt es Ihrer Meinung nach eine Alternative zu dieser Abhängigkeit?
Filipe Baiona Im GemüsegartenDas Leben in Monchique eröffnet einem vielfältige Möglichkeiten. Man muss dafür allerdings was tun. Von nichts kommt nichts. Wenn wir der Erde etwas geben, erhalten wir immer etwas dafür zurück. Aber viele junge Menschen schieben lieber Hunger, statt ein oder zwei Stunden am Tag ein Beet abzulegen, um die Basis dafür zu schaffen, wenn man ein eigenes Grundstück hat, diese Möglichkeiten auch sinnvoll zu nutzen. Aber die meisten wollen das nicht. Sie ziehen in die Stadt, geben die Felder auf. Dann sterben die Eltern und die jungen Leute haben keine Verwendung für das Land. Sie lassen alles im Stich. Das Grundstück verwahrlost. Das Gras wächst und auch das Unkraut. Und das alles passiert, obwohl das Land ihnen ein nachhaltiges Leben mit gesunder Nahrung anbietet. Heutzutage wollen viele Menschen gar nicht im Garten arbeiten, sie wollen sich nicht anstrengen, vielleicht auch, weil das Grundstück zu klein ist und man auf die traditionelle Art mit dem Spaten und der Hacke arbeiten muss. Da kriegt man ja Rückenschmerzen.
Und weil sich die Menschen nicht plagen wollen, machen sie es sich einfach und gehen in den Supermarkt und kaufen irgendwas wovon sie nicht wissen, woher es stammt und was drin ist. Ich denke, es fehlt all jenen an Initiative und Willenskraft, speziell jenen, die die Möglichkeit zu einem eigenen Garten haben, um diesen zu kultivieren und um anschließend hochwertige Lebensmittel zu haben. Ich denke, die jungen Leute sollten sich ein wenig mehr anstrengen und darüber nachdenken, dass ihnen ihre Vorfahren etwas Wertvolles hinterlassen haben, von dem sie heute leben könnten. Warum lassen Sie ihre Grundstücke so verkommen? Warum lassen sie es erst dazu kommen, so dass es später enormer Anstrengung bedarf, um ein Grundstück wieder zu sanieren, was wiederum mit einer hohen Investition einhergeht oder sie verlieren alles. Ich denke, wer gesunde Arme und Beine hat, sollte sich mit drei oder vier Personen zusammentun, dann kann man jedes Grundstück wieder urbar machen. Und von jedem kultivierten Feld kann man eine gute Ernte einfahren. Ein kleiner Bauernhof lebt von seinen Gärten und von den Tieren. Wir haben eigene Schweine und Hühner, Enten und Puten, von denen wir die Eier essen und die wir mitunter schlachten. Alles funktioniert in einem Zyklus und dieser erlaubt uns, das eine mit dem anderen zu kombinieren.

Der Kreislauf des Lebens?
Der Kreislauf des Lebens, ganz genau.

Vielen Dank für das Gespräch.

About the author

Uwe Heitkamp, 53, Journalist und Filmemacher, ist seit 25 Jahren in Monchique, Portugal zuhause. Er unternimmt gern lange Wanderungen in den Bergen und schwimmt in Gebirgsbächen und Seen. Schreibt und erzählt Geschichten über Menschen und ihre Bezüge zur Ökologie und Ökonomie. Sein aktueller Film „Erben der Revolution“, erzählt über 60 Minuten die Geschichte einer Wanderung durch Portugal. Zehn Menschen berichten aus ihrem Leben. Alle Protagonisten zusammen malen ein Bild vom Leben und Arbeiten in den Bergen Portugals. Der Film offenbart Einblicke in die Schönheit der Natur und das Leben der normalen Menschen. Welcher Weg bestimmt die Zukunft des Landes? (Abonnieren Sie ECO123 und sehen Sie den Film in der Mediathek)

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