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Theodor W. Adorno: Es gibt nichts Richtiges im Falschen

Im Lauf der letzten Jahrzehnte nahm der Tourismus in der Gesellschaft einen stetig wachsenden Stellenwert ein, was sich natürlich auch durch die damit verbundenen Auswirkungen auf die am meisten besuchten Tourismusregionen bemerkbar macht. Anfänglich führte dies zu einer Verbesserung der Arbeits- und Sozialbedingungen, jetzt auch zum Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen mit dadurch erhöhter Mobilität. Kann Tourismus nachhaltig sein oder zur Nachhaltigkeit beitragen? João Fernandes, Präsident des Tourismusverbands Algarve (RTA), einer Institution, die gerade ihr 50-jähriges Bestehen feiert, meint ja und begründet diese Position hier und heute. Aber geschieht das noch rechtzeitig?

Die Nachfrage im Bereich des Tourismus steigt schneller als die Technologien zur Dekarbonisierung entwickelt werden. Wie sehen Sie dieses Szenario?
Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Aspekt beim Tourismus und wir bemühen uns sehr um Effizienz in diesem Bereich – aber es ist ja gerade der Tourismus, der nachhaltige Technologien anzieht und begünstigt. In Lissabon wurden nach Vorgaben des Stadtrats die Tuk Tuks und GoCars auf Elektrobetrieb umgestellt. Elektroroller sind geradezu prädestiniert als Beitrag zur Lösung der Problematik im Bereich Mobilität und Freizeit. Der Tourismus kann hier sogar zum Wegbereiter für die Akzeptanz dieser Maßnahmen durch die Lokalbevölkerung werden.

Sprechen wir hier bitte nicht nur über kosmetische Maßnahmen. Müssten wir jetzt nicht viel mehr tun, weil es sonst vielleicht bald zu spät sein könnte? Stellen Sie sich vor, dass die Touristen im Jahr 2030 aufgrund eines durch die CO2-Steuer erhöhten Reisepreises nicht mehr mit dem Flugzeug anreisen. Wie würden sie dann an die Algarve kommen?
Ich glaube an eine gegenteilige Entwicklung. Durch die Globalisierung ist die Möglichkeit, Urlaub zu machen, für viele Menschen mehr und mehr zur Realität geworden, selbst in Regionen der Erde, in denen bisher diese Möglichkeit nicht bestand. Es gibt also einerseits mehr Menschen, die ihre Ferien nicht zuhause verbringen und auf der anderen Seite ist Reisen günstiger und nicht teurer geworden. Sie sagen mir, dass die Preise exponentiell steigen werden, weil sich die Rohstoffe und insbesondere die fossilen Brennstoffe erschöpfen. Am Beispiel des Bahnverkehrs können wir aber eine sukzessive Umstellung auf Elektromobilität beobachten. Auch erschließt der Wasserstoffantrieb neue Möglichkeiten der Mobilität und somit neue Perspektiven.

Wie lässt sich das im Bereich der Luftfahrt umsetzen? Laut ANA (Betreibergesellschaft der portugiesischen Flughäfen) wurde auf dem internationalen Flughafen Faro im Jahr 2018 ein Aufkommen von fast 8,7 Millionen Passagieren erreicht.
Erst kürzlich gab der Tesla-Besitzer Elon Musk in einem Interview bekannt, dass er für 2030 ein Auto mit einer Reichweite von etwa einer Million Kilometern beziehungsweise 20 Jahren plant. Ich sage nicht, dass uns diese Möglichkeiten schon morgen zur Verfügung stehen, aber der Geschäftsführer eines großen Unternehmens bestätigte kürzlich, dass uns in den Jahren um 2030 neue Mobilitätstechnologien zur Verfügung stehen und so real werden wie es das Elektroauto in der heutigen Zeit ist.

Bis 2030 müssen wir unseren CO2-Fußabdruck um mindestens 40% und bis 2050 sogar darüber hinaus auf NULL reduzieren. Wie kommen wir also an die Algarve, wenn nicht mit dem Zug?
Die Elektromobilität bietet sich hier als Alternative, sei es mit dem Zug, dem Auto oder sogar mit dem Flugzeug. Ich nenne hier Elektrizität als Beispiel, aber Lösungen gibt es auch im Bereich von Wasserstoff oder mit Hilfe ganz anderer, heute noch unbekannter Möglichkeiten. Die Technologie im Bereich der erneuerbaren Energien hat sich exponentiell weiterentwickelt. Auf der anderen Seite haben wir gemeinsam mit der Regionalverwaltung für Landwirtschaft massiv in die Förderung einer Kreislaufwirtschaft investiert. Unser jetziges Wirtschaftsmodell, in dem extrahiert, produziert, verbraucht und weggeworfen wird, muss umgestellt werden, damit eine Ressource neue Ressourcen generiert. In Zusammenarbeit mit anderen Bereichen wie der Landwirtschaft versuchen wir, die Integration lokaler Güter und Dienstleistungen in die touristische Wertschöpfungskette zu fördern und so den ökologischen Fußabdruck der den Besuchern zur Verfügung gestellten Angebote zu verringern.

Wie lässt sich angesichts der wachsenden touristischen Nachfrage der ökologische Fußabdruck der Algarve verringern?
Wir haben Raum zum Wachsen, denn Nachhaltigkeit beschränkt sich nicht nur auf ökologische Aspekte, sondern bezieht auch wirtschaftliche oder soziale Auswirkungen mit ein. Zum Beispiel existieren an der Algarve zwei Realitäten, die sich für diejenigen, die hier leben und arbeiten problematisch gestalten. Einerseits ist der Tourismus klar der dominierende Sektor der Region, und es gibt nur wenige andere Sektoren von vergleichbarer Bedeutung. Dadurch ist er natürlich auch Grundlage der Weiterentwicklung auf anderen Gebieten, wie auch bei der Einführung einer Kreislaufwirtschaft. Andererseits kann das aufgrund der Saisonabhängigkeit aber auch zu unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und unterbezahlter Arbeit führen – es gilt unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit darüber nachzudenken und andere Stellenangebote zu fördern. Nach Angaben der Welttourismusorganisation können wir im nächsten Jahr im Bereich des Naturtourismus mit etwa 26 Millionen Reisen in Europa rechnen. Auf dieser Basis entwickeln wir Angebote, für die Nachfrage während des gesamten Jahres besteht und die sich nicht nur auf die Küstengebiete beschränken. Dies ist ein Weg, um nachhaltig zu wachsen, sowohl unter dem Gesichtspunkt der ökologischen Auswirkungen als auch in Bezug auf das Wohlergehen derer, die hier leben.

Wie lassen sich Tourismus und Natur überhaupt miteinander in Einklang bringen? Ist der Verkauf der Natur ein Lösungsansatz?
Unsere Lebenszufriedenheit hängt sehr stark von der Interaktion mit der Natur ab. Die Menschen haben sich schon immer gern in der Natur aufgehalten, hauptsächlich um deren Schönheit zu genießen, aber auch zu einer Vielzahl von Aktivitäten. Die Algarve mit der Küstenregion als wichtigstem Touristenmagnet verfügt in ihren 200 Kilometern auch über ein nationales ökologisches Unterwasserreservat.

Und warum dann nicht auch die lokale Landwirtschaft fördern, anstatt Lebensmittel für Einwohner und Touristen unter erheblichem Transportaufwand zu importieren?
Dies ist eine weitere Gelegenheit, Nachhaltigkeit in Wettbewerbsfähigkeit zu verwandeln. Wenn wir reisen, möchten wir etwas anderes sehen als das, was wir von zu Hause kennen – etwas Lokales und Authentisches, insbesondere in der Gastronomie. Aus unseren Traditionen und unserer Authentizität gewinnen wir unter Einbeziehung der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft die Fähigkeit, die lokalen Besonderheiten herauszustellen und unseren Besuchern nahezubringen. So findet auch die örtliche Bevölkerung Betätigungsfelder, sei es im Bereich lokaler landwirtschaftlicher Produktion, oder aber auch in der Ausübung eines von ihren Vorfahren übernommenen Handwerks. Auf diese Weise erreichen wir  wesentlich mehr Authentizität und schaffen so auch ein interessanteres Reiseziel.

Der Tourismus steht für Entwicklung, aber auch für Verschmutzung der Umwelt…
Zusammen mit der CCDR (Kommission für Koordination und Entwicklung), UALg (Universität der Algarve) und Turismo de Portugal (Portugiesische Tourismusbehörde) sind wir dabei, eine Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus einzurichten, mit dem Ziel, den ökologischen Fußabdruck der Algarve zu untersuchen. Einerseits wollen wir dadurch eine verlässliche Diagnose der tatsächlichen Auswirkungen dieses Wirtschaftszweiges erhalten, aber auch weitere diesen Sektor betreffende Probleme untersuchen und so eine Grundlage für politische Weichenstellungen in der Region schaffen.

Sie haben einen Abschluss in Umweltingenieurwissenschaften. Kennen Sie Ihren ökologischen Fußabdruck?
Nicht im Detail. Ich arbeite in einem etwas größeren Maßstab, nämlich bezogen auf die Algarve, und versuche dort in diese Richtung gehende Initiativen zu entwickeln, die eine größere Wirkung haben.

Wie soll diese Beobachtungsstelle arbeiten?
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die gemessen werden müssen, vom Wasserverbrauch bis zur Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und vom Umgang mit Feststoffabfällen bis zur Anwendung erneuerbarer Energien, um nur einige Parameter zu nennen. Diese Beobachtungsstelle wird nicht von Grund auf neu geschaffen, sondern setzt sich aus dem Zusammenspiel einer Reihe von Beiträgen verschiedener Institutionen zusammen, bewirbt sich bereits bei der Welttourismusorganisation und ermöglicht die Integration der Ergebnisse des bereits von der Universität geschaffenen Forschungszentrums.

Zu den gegenwärtig beteiligten Institutionen gehören die UALg (Universität der Algarve), die uns die notwendigen wissenschaftlichen Erkenntnisse liefert; die CCDR (Kommission für Koordination und Entwicklung), die als Kontrollorgan für die Regionalentwicklung fungiert; die RTA (Tourismusverband der Algarve), die die Notwendigkeit einer solchen Beobachtungsstelle erkannt und die Bildung derselben initiiert hat und Turismo de Portugal (Portugiesische Tourismusbehörde), gerade weil die Nachhaltigkeit des Tourismus auch auf nationaler Ebene eine Vorreiterrolle spielen soll. Natürlich müssen wir eine größere Anzahl von Partnern gewinnen und sind diesbezüglich in alle Richtungen offen.

Wie können wir weitere Voraussetzungen schaffen, emissionsfrei zu werden?
Dies ist doch das Ziel aller Länder und in allen Branchen. Für den Tourismus sehe ich das nicht als Problem, sondern als Chance. Wir werden das sehr gewissenhaft angehen und richten deshalb ja auch diese Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus ein, um die Auswirkungen wissenschaftlich zu messen und unsere Maßnahmen entsprechend zu gestalten. Das Programm wurde bereits von AMAL (Zusammenschluss der 16 Landkreise der Algarve) vorgestellt.

Wir wissen, dass der Tourismus für rund acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind.
Wir besitzen die Bereitschaft, die Sensibilität und bestätigen, in einer Reihe von Bereichen positiv darauf einzuwirken. Im Oktober haben wir zusammen mit Ryanair, unserem Partner bei dieser Initiative, auf einer Fläche von 250 Hektar nach einem vorher mit dem Verein GEOTA festgelegten Plan eine Wiederaufforstung einheimischer Baumarten begonnen. Wir haben auch versucht, andere Maßnahmen zu unterstützen, und zum Beispiel zur Initiative „Green Mountain“ vom Zoomarine beigetragen, einem ähnlichen und sehr interessanten Projekt.

Sie sprechen von Bereitschaft. Können Sie das präzisieren?
Wir müssen an Lösungen arbeiten, zum Beispiel beim Wasserverbrauch. Als Umweltingenieur habe ich in einer Wasseraufbereitungsanlage gearbeitet, die Wasser für die Bewässerung von Golfplätzen bereitstellte. Bereits vor 25 Jahren wurde dies an der Algarve schon gemacht. Heute wird der Großteil der 40 vorhandenen Golfanlagen mit wieder aufbereiteten Wasser bewässert. Wir haben auch im Bereich der Effizienz des Wasserverbrauchs gehandelt und im August in Zusammenarbeit mit dem Wasserversorger Águas do Algarve eine Kampagne entwickelt, um den effizienteren Umgang mit Wasser zu fördern: „Wasserverbrauch mit einem Tropfen Verantwortlichkeit“.

Die im Herbst vorhandenen Wasserreserven können die Region nur noch bis Dezember versorgen, falls es nicht mehr regnen sollte.
Das Wasserproblem könnte beispielsweise – um die Speicherkapazität zu erhöhen –  durch den Bau eines Stausees im Zentrum der Algarve gelöst werden.

Ist die Meerwasserentsalzung ein Weg?
Wir müssen vordringlich an anderen, möglicherweise interessanteren Themen arbeiten, denn die Meerwasserentsalzung ist unter den gegebenen Voraussetzungen an der Algarve aus finanzieller Hinsicht nicht einfach. Ich halte die Initiativen zur Einführung des Prinzips der Wasserkreislaufwirtschaft für wichtiger. Manchmal nutzen wir unser Brauchwasser auf unkontrollierte Weise, und ich beziehe mich hier nicht nur auf die Menge. Wir verwenden qualitativ hochwertiges Trinkwasser in einem Kreislauf, der von der allgemeinen Wasserversorgung getrennt sein müsste und entsprechend der Weiterverwendung eine ganz unterschiedliche Aufbereitung erfahren sollte. Zum Beispiel kann das Abwasser des Waschbeckens aufgefangen und zum Spülen der Toilette genutzt werden, wie es in China gemacht wird. Einerseits muss das Brauchwasser effektiver genutzt werden, andererseits muss es auch entsprechend aufbereitet werden, um erneut dem Wasserkreislauf zugeführt werden zu können. Wir müssen ein System entwickeln, das von der reinen Abwasserkläranlage (ETAR) weiterführt: zu einer Brauchwasseraufbereitungsanlage (ETA).

Können Sie das näher erläutern?
Das Abwasser aus der Kanalisation, das derzeit in einer Abwasserkläranlage behandelt wird, kann in einer Brauchwasseraufbereitungsanlage entsprechend gereinigt und dem Wasserversorgungskreislauf erneut zugeführt werden. Anstatt sofort neues Wasser aus einem Stausee zu holen, verbessern wir zunächst die Aufarbeitung unseres Abwassers, und das ist gleich in zweierlei Hinsicht positiv: Wir verhindern einerseits, dass ungereinigte Abwässer in den natürlichen Wasserkreislauf gelangen und können andererseits das qualitativ hochwertig aufbereitete Wasser wieder in den Brauchwasserkreislauf einspeisen. Dies ist für mich eine der wichtigsten Reformen im Bereich der Wasseraufbereitung und -versorgung und wird auch von AMAL als Maßnahme zur Eindämmung des Klimawandels befürwortet.  Ich möchte daran erinnern, dass Portugal eines der wenigen Länder ist, das einen nationalen Klimaplan aufgestellt hat. In vielen Bereichen sind wir vielleicht kein leuchtendes Beispiel, aber in einem, bei der Nutzung erneuerbarer Energien, können wir glücklicherweise Erfolge vorweisen. Natürlich müssen wir uns auch hier noch verbessern.

Werfen wir einen Blick auf Praia da Rocha oder Armação de Pera bezüglich Hotelgewerbe und Bebauung. Ist der Bau weiterer Gebäude geplant oder gibt es bereits genug?
Die Sanierung eines bestehenden Gebäudes ist immer die bessere Option, um die Qualität unseres Angebots zu verbessern und der Problematik der Auswirkungen des Klimawandels Rechnung zu tragen. Vor ungefähr drei Monaten haben wir mit AMAL ein Protokoll unterzeichnet, das einen sehr interessanten Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels in den Bereichen Energieeffizienz und -verbrauch in Hotelbetrieben leistet. Die ersten Maßnahmen bestehen darin, den Verbrauch zu senken, die Möglichkeit der Errichtung von Kleinstanlagen zur Energieerzeugung auszuloten, um Energie ortsnah und dezentral zu erzeugen; des Weiteren in der Installation von Photovoltaikpaneelen und Solarkollektoren für den Eigenverbrauch und auch im Austausch älterer Glühbirnen gegen neue energiesparende Alternativen.

Betrachten Unternehmer in der heutigen Zeit Umweltauflagen aus einer anderen Perspektive?
In den 1980er Jahren wurde dieses Thema leider anders gesehen, aber heute achten Hotel- und Restaurantbetriebe auf den Energieverbrauch und sei es nur, weil die Höhe der Stromrechnung Anlass gibt, in diesem Bereich über die Möglichkeit zur Betriebskostensenkung nachzudenken. Diese Symbiose sollte genutzt werden, um die Richtlinien anzupassen, nach denen der portugiesische Tourismus sein Angebot ausrichten und die Energieeffizienz verbessern muss.

Trotzdem gibt es den Konflikt Nachhaltigkeit versus Wettbewerbsfähigkeit.
Nachhaltigkeit ist heutzutage ein Wettbewerbsfaktor. Sie trägt nicht nur beim Wasser- oder Stromverbrauch zur Kostensenkung bei, sondern auch bei einer effizienteren Abfallbeseitigung. So gesehen ergibt sich die Nachhaltigkeit zwangsläufig bei Maßnahmen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit.

Welchen Einfluss haben die an der Algarve immer wieder auftretenden Waldbrände mit ihren langfristigen Auswirkunen auf die Attraktivität des Tourismus?
Wir haben mehrere Naturparks an der ganzen Algarve. Ich habe mich immer für eine nachhaltige Entwicklung und nicht für einen Umweltschutz ohne Zukunftsaussichten ausgesprochen. Wenn es um verantwortungsbewusste Nutzung geht, in der Regel um Naturtourismus, wie er in Deutschland und den Niederlanden die größte Nachfrage findet, sprechen wir von nachhaltigem Tourismus. Wenn ein zu schützendes Gebiet auf diese Art genutzt wird, gibt es der Bevölkerung etwas zurück. Die Bewohner erkennen den Wert der Natur und werden zu aktiven Teilnehmern bei ihrem Schutz. Wenn im Gegensatz dazu bestimmte Bereiche einfach gesperrt werden, droht der Verfall. Dies bedeutet nicht, dass es keine sensiblen, besonders geschützten Räume geben darf, in denen der Mensch nichts zu suchen hat, andere jedoch sollten verantwortungsbewusst nachhaltig genutzt werden, damit die Ressourcen auf lange Sicht erhalten werden.

Das ist leider keine Antwort auf unsere Frage. Es brannte erst kürzlich in Monchique und 2012 in Cachopo. Einige Jahre lang war die Via Algarviana unbegehbar.
Ist denn die Ursache für diese Brände beim Tourismus zu suchen? Es ist doch vielmehr so, dass in touristisch erschlossenen Gebieten die Bewohner zum Schutz vor Bränden beitragen, die oftmals von kriminellen Elementen gelegt werden.

Im Jahr 2018 erzielte der Tourismus an der Algarve einen Ertrag von rund 16,6 Milliarden Euro und damit einen Beitrag von 8,2% zum nationalen BIP. Wie haben Sie in diesem Zusammenhang die Erwägung von Ölbohrungen an der Algarveküste gesehen?
Dies war ein sehr interessantes Thema und meiner Kenntnis nach eins von wenigen Themen das in der Lage war, die gesamte Region zu mobilisieren – von Geschäftsleuten, die RTA (Tourismusverband der Algarve), die Universität, die CCDR (Kommission für Koordination und Entwicklung), bis zu allen Rathäusern an der Algarve und dem südwestlichen Alentejo. Alle Einwohner der Algarve, Einheimische wie Ausländer, fühlten sich betroffen. Der Tourismus ist die Lebensader der Region und Umweltfolgen, wie sie bei der Ölförderung auftreten könnten, sind deshalb eine Bedrohung. Auch im Hinblick auf die Attraktivität für Touristen ist es wichtig, dass sich die Region insgesamt als Einheit in Richtung Nachhaltigkeit bewegt. Alles Gegenteilige wäre ein Fehler.

Sie feiern das fünfzigjährige Bestehen der RTA. Erfolgt der weitere Ausbau des Tourismus in Form der technologischen Entwicklung?
Die Technologie kann es uns ermöglichen, negative Auswirkungen durch die Mobilität insbesondere bei Urlaubsreisen oder der Erreichbarkeit der Region, aber auch bezogen auf den Straßenverkehr im Allgemeinen zu verringern. Das kann ein sehr wichtiger Faktor beim Klimaschutz werden. Außerdem gibt es auch eine Reihe von vielversprechenden anderen Entwicklungen, deren Möglichkeiten den Entscheidungsträgern aus vielen verschiedenen Bereichen am Herzen liegen und somit eine positive Zukunftsperspektive erlauben – sei es in Bereichen der Versorgung mit, sowie der Aufbereitung und dem Verbrauch von Wasser – oder auch bei Energie, Müllrecycling oder dem allgemeinen Verhaltenscodex von Bewohnern und Touristen.

 

Denken Sie, dass sich das Paradigma des Tourismus verändern läßt?
Endlich bekomme ich das Gefühl – und ich habe vor 27 Jahren angefangen Umweltingenieurwesen zu studieren -, dass auch bisher unbeteiligte Menschen – Normalbürger wie Entscheidungsträger – dieses Thema mit der nötigen Sensibilität betrachten. Der Punkt ist, dass Veränderungen sehr lange zur Umsetzung brauchen. Zum Beispiel bei den Verpackungen. Wir reden viel über Kunststoffe und ich sehe, dass die Europäische Union sich endlich des Themas annimmt. Produktverpackungen sind häufig nicht erforderlich. Ich erinnere mich, dass die Wiederverwendung von Glas in Portugal vor einigen Jahren viel weiter verbreitet war, weil ein Pfand auf Glasflaschen erhoben wurde. Es gibt Maßnahmen, die wir sehr einfach realisieren können. So zum Beispiel die Entscheidung, dass Plastiktüten bezahlt werden müssen. Dies hatte sofort einen enormen positiven Einfluss, weil die Leute erkannten, dass die Tüten einen Preis haben.

50 Jahre RTA, wie soll es in den kommenden 50 Jahren weitergehen?
Tourismus entwickelt sich nur in Abwesenheit von Konflikten und ist somit eine Industrie des Friedens, die Begegnungen unterschiedlicher Kulturen fördert und die Menschen ermutigt, Fremde in ihrem Haus willkommen zu heißen. Letztendlich kurbelt der Tourismus natürlich auch die Wirtschaft an – aber dies nicht zum Selbstzweck – sondern er ist auch Motor für die gesellschaftliche Weiterentwicklung, und leistet einen Beitrag zum Wohlergehen der Einwohner als auch der Gäste, die uns heute und zukünftig besuchen. Daran arbeiten wir entschlossen und mit Maß und Ziel.

Vielen Dank.

Industrie des Friedens…

Die Abwesenheit von Krieg allein bedeutet nicht bereits Frieden. Wenn der Präsident des Algarve Tourismusverbandes (RTA), João Fernandes, davon spricht, dass der Tourismus zur Industrie des Friedens gehört, sollten wir drei Zahlen für sich sprechen lassen:

die des aktuellen Wasserverbrauchs der Algarve (in m3);

den auf den drei Deponien der Algarve vergrabenen Müll (in t);

die Arbeitslosenrate einer Region, die zu 90% vom Tourismus abhängt.

Im Kalenderjahr 2018 verkauft Águas do Algarve S.A., der Zusammenschluss der 16 Kommunen (45,56% Aktienanteil) und Águas de Portugal, SGPS, S.A. (54,44%  Aktienanteil) exakt 67.557.579 m3 Wasser an die Gemeinden, wovon allein in den drei Sommermonaten der Tourismussaison knapp die Hälfte davon verbraucht werden. Die sogenannte Industrie des Friedens raubt also der regenärmsten Region Portugals das Wasser, damit es die Touristen in den Hotels und Apartments komfortabel haben und im Durchschnitt 220 Liter Wasser pro Tag und Tourist konsumieren können. (siehe Grafiken)

Schauen wir mal, wenn wir der Kette des Konsums folgen, was an deren Ende steht. An der Algarve, die an der Nadel des Tourismus hängt, (451.000 Einwohner, 5.000 km2 Fläche) entsteht viel Müll. Die Zahlen der ALGAR S.A., Tochter des Mischkonzerns Mota-Engil S.A. belegen, dass 346.100 Tonnen Müll im Jahr unter die Erde deponiert werden und nur 29.000 Tonnen ins Recycling kommen. Das ist eine Ressourcen-Wiederverwertungsrate von nicht einmal 8,5 Prozent. ECO123 interessierte, wann genau der meiste Müll anfällt? Die ALGAR Antwort lautet: im Winter 2018 wurden 71.100 Tonnen Müll deponiert, im Frühling 86.400 Tonnen, im Sommer 108.900 Tonnen Müll und im Herbst waren es noch 79.100 Tonnen. ECO123 hat in seiner Grafik das Müllaufkommen der letzten fünf Jahre analysiert und stellt fest, dass sich der jährliche Müllberg nicht etwa verringert hat. Im Gegenteil, er ist stetig gewachsen: In 2014 waren es 297.000 t Müll, in 2015 schon knapp 300.000 t Müll, in 2016 bereits 305.700 t Müll, im Jahr 2017 stieg der Müllberg auf 334.400 Tonnen.

Werfen wir einen Blick in die Arbeitslosenstatistiken der Algarve. Im Durchschnitt des Jahres 2018 liegt die Arbeitslosenrate bei 6,4 Prozent. Was heißt das konkret? Im Februar 2019 waren an der Algarve 19.014 Menschen arbeitslos gemeldet, davon allein in Albufeira 3.300, in Portimão 3.541 Arbeitslose und in Loulé 2.666. Vergleichen wir diese Werte mit denen von Februar 2018. Da waren 19.852 Menschen der Algarve arbeitslos gemeldet. Und im Februar 2017 waren es sogar 23.292. Die Arbeitslosenrate hat sich in den letzten drei Jahren also stetig verringert. Vergleichen wir diese Werte mit denen im August dieses Jahres. Im August 2019 waren nur 7.353 Arbeitslose beim Arbeitsamt registriert. Das ergibt einen saisonalen Unterschied von 11.661 Arbeitern im Bereich Tourismus, hauptsächlich im Hotel- und Restaurantgewerbe, die je nach Bedarf für drei oder sechs Monate eingestellt und dann wieder entlassen werden, wenn man sie nicht mehr braucht.

Alexandre Moura

traduções: Chris Young & Kersten Funck-Knupfer | fotografias: Uwe Heitkamp

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