Dürre, Hitzewellen, Wüstenbildung, Überschwemmungen: Die Folgen des Klimawandels werden durch einen weltweit aus der Balance geratenen Wasserhaushalt verstärkt. In einigen Teilen der Erde begegnen Bauern, Initiativen, Landbesitzer dieser Herausforderung mit einfachen, lokalen Maßnahmen – mit Erfolg. Sie folgen dabei immer demselben Prinzip: der Regen soll dort in den Boden versickern, wo er fällt. Dezentralisierung statt Zentralisierung. Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist Tamera im Landkreis Odemira, Alentejo.
Jedes Lebewesen braucht Wasser. Ob eine Landschaft ausreichend Wasser hat oder nicht, bestimmt ihren Wert für alle, die in ihr leben, ob Menschen, Tiere oder Pflanzen. Eine Landschaft mit genügend Wasser hat ökologische und soziale Spannkraft (resilience), d.h. sie kann ökologischen, ökonomischen und sozialen Krisen und auch Wetterextremen besser begegnen. Diese Erfahrung machten die Bewohner des Distriktes Thanagazi Thesil in der Nähe der Thar-Wüste in Rajasthan/Indien. Wo früher Frauen weite Strecken mit ihren Eimern zurücklegen mussten, brauchen sie heute nur noch zum Dorfbrunnen zu gehen. Männer, die in ganz Indien nach Arbeit suchten, betreiben wieder Landwirtschaft und Handwerk im eigenen Ort. Fünf ausgedörrte Flüsse in einem Gebiet von 6.500 Quadratkilometern fließen wieder. Rund 1.000 Dörfer haben wieder Wasser. Wälder wachsen wieder, die landwirtschaftliche Ernte hat sich verfünffacht. Den Mann, der das bewirkt hat, nennen alle nur den “Wasser-Gandhi”: Rajendra Singh, 58 Jahr alt und Arzt. Er hatte erkannt, dass die Ursache vieler auftretender Krankheiten Wassermangel war. Er initiierte eine Volksbewegung. Durch mehrere tausend traditionelle, einfache, dezentrale Stauanlagen aus Steinen und Schotter, so genannte Yohads, konnten Dorfbewohner den Abfluss von Regenwasser verlangsamen. Für seine Errungenschaften wurde Rajendra Singh der renommierte Stockholm-Wasserpreis verliehen.
Dr. Singh ist Teil einer kleinen, aber global vernetzten Gruppe, die durch regeneratives Wassermanagement die Auswirkungen des Klimawandels abmildern will. Sie nennen es das “neue Wasser-Paradigma”. Ob Wüste, Berge oder Küstenregion, das Prinzip ist immer dasselbe: Regen soll dort einsickern können, wo er fällt, dezentral, an möglichst vielen Orten. Das Vorbild dafür ist ein gesunder Mischwald mit humusreichem Erdboden. Er wirkt wie ein Schwamm: Vegetation und Erdkörper nehmen das Regenwasser vollständig auf und geben es langsam wieder ab. Das Wasser verdunstet, neue Wolken bilden sich, es regnet wieder: So entstehen regionale Regenwasserkreisläufe, die weit durchs Land ziehen und das kostbare Nass in die nächste Region bringen. Dieses Wasser-Verteilungssystem der Natur ist perfekt.
Erst wenn Wälder abgeholzt und durch Monokulturen ersetzt werden, wenn Flächen versiegelt, Flüsse begradigt und gestaut werden, wenn Grasland überweidet wird, wenn die Böden verhärten und kein Wasser mehr aufnehmen, dann wird eine Region anfällig. Dann kommt es zu all den Folgen, die als Klimawandel bekannt sind: Starkregenfälle reißen wertvolle Erde weg, Flüsse treten über das Ufer, Grundwasserspiegel sinken, Meeresspiegel steigen, Trockenzeiten werden länger. Sowohl Überschwemmungen als auch Wüstenbildung sind eine Folge von falschem Umgang mit Wasser und Boden.
Der Meteorologe Prof. Millan Millan aus Valencia bestätigt dies durch jahrzehntelange Datenerhebung: Auf der Suche nach den Ursachen für veränderte Regenmuster ganz Europas stieß er auf die Zerstörung der kleinen Wasserkreisläufe durch Entwaldung, Flächenversiegelung, Überweidung. Seine Empfehlung für den Klimaschutz: Verbaute Flächen sollen in artenreiche Regenbiotope zurückgewandelt werden.
Beispiele von Australien bis Zimbabwe
Wo Wald zerstört wurde, können Maßnahmen im Sinne des neuen Wasser-Paradigmas dessen Aufgaben für eine Weile ersetzen – bis der Wald wieder wächst. Sehr unterschiedliche Beispiele dafür kommen aus aller Welt.
“People and Water” – unter diesem Namen aktivierte der Wasserbau-Ingenieur Michal Kravcik Menschen aus 488 Dörfern und Städten der Slowakei. Sie errichteten in einer degradierten Landschaft in 18 Monaten rund 100.000 kleine “Checkdams” aus Steinen und Holz. Diese stauen das Wasser nicht, verlangsamen es aber. Das Ergebnis: Der Boden wurde wieder fruchtbar, Landwirtschaft und Wälder gediehen. Auf den Bau eines geplanten Großstaudamm konnte verzichtet werden.
In Australien erfand bereits in den 50er Jahren der Bauer und Ingenieur P. A. Yeomans das Keyline-System: Durch das Anlegen vieler parallel verlaufender Furchen auf den Höhenlinien eines Geländes mit Hilfe eines Spezialpfluges wird der Abfluss von Regenwasser verlangsamt. Selbst Starkregen wird vom Boden aufgenommen. Dadurch verringert sich die Erosion erheblich, und in den Gräben bildet sich wertvolle Muttererde. Das System wird heute von Permakultur-Aktivisten und Landbesitzern auch in Portugal mit Erfolg angewandt.
Eine andere Erfahrung kommt aus Zimbabwe: Allan Savory studierte die Weidemuster von durchziehenden Wildtierherden. Er beobachtete, dass Antilopen, Zebras und andere Weidetiere die Wasserspeicherkraft von Grasland verbessern. Indem sie die Gräser beim kurzen, aber intensiven Beweiden in den Boden treten und die Böden mit ihrem Mist düngen, zersetzt sich Biomasse rascher. Es entsteht wasseraufnehmender Humus. Nutztierherden dagegen stehen länger auf dem Land und verhärten es durch ihren Tritt. Regenwasser perlt ab, der Boden erodiert und verarmt. Savory entwickelte das Holistic Grazing Management (ganzheitliches Weidemanagement), ein durch flexible Zäune gesteuertes Weidesystem, das dem Weidemuster von Wildtierherden folgt: Intensiv, aber kurz. Da 40% der Landmasse des Planeten aus Grasland bestehen, sehen viele das Weidemanagement als die effizienteste und kostengünstigste Art, die globale Wassersituation zu verbessern.
Auch in Städten findet das neue Wasser-Paradigma Anwendung: In Los Angeles baut Andy Lipkis Siedlungen mit grüner Infrastruktur. Diese zeigen mit Gärten, Gräben, Baumpflanzungen, Nutzung von Brauchwasser und Auffangen von Regenwasser modellhaft, dass selbst eine Wüsten-Metropole wie Los Angeles den Wasserverbrauch stark verringern kann.
Die internationale Gemeinschaft Tamera im Alentejo kombiniert mit Erfolg mehrere dieser Ideen: Unter Beratung des Öko-Visionärs Sepp Holzer aus Österreich begann die Gemeinschaft 2007 mit dem Bau einer Wasser-Retentions-Landschaft. Das vormals sommertrockene Gelände von 150 Hektar ist jetzt von zahlreichen Seen, Teichen und Gräben durchzogen, die nur vom winterlichen Regen gespeist werden. Kein Beton und keine Folie wurden verwendet: das Wasser soll nur verlangsamt werden, damit es in den Erdboden einsickern kann. Das Gelände hat sich enorm verändert: Auf Terrassen wachsen einige tausend Obstbäume. Ganzjährig kann Gartenbau betrieben werden. Zahlreiche Wildtiere stellten sich wieder ein, darunter Störche und Fischotter. Mit seiner Wasser-Retentions-Landschaft ist Tamera ein weithin beachtetes Modell für dezentrales Wassermanagement in einem Land, das von Wüstenausbreitung und Waldbränden bedroht ist. Bernd Müller, verantwortlich für die Wasser-Retentions-Landschaft, ist weltweit unterwegs, um auch in Krisengebieten Landbesitzer und Hilfsorganisationen in dieser Technik zu beraten.
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Tamera: www.tamera.org
Andy Lipkis: www.treepeople.org
Allan Savory: www.savory.global
Sepp Holzer: www.seppholzer.at
P. A. Yeomans: yeomansplow.com.au