Am Anfang sehen wir einen glatzköpfigen weißen Mann in überirdisch schönen Aufnahmen wie er sich behutsam barfuß durch den dampfenden Dschungel bewegt. Die Kamera heftet sich an seinen Hinterkopf. Darüber legen sich fremd vertraute Gesänge, die Musik eines Urvolkes. Dann schneidet der Regisseur, während die Musik weiterläuft um, auf Häuserschluchten einer Millionenstadt, einer Steinwüste aus Beton, Glas und Asphalt. Ein weiterer Schnitt führt wieder zurück in den Urwald.
Rückblende. Im Jahr 1985 hörte ein junger weißer Amerikaner namens Louis Sarno (Jahrgang 54), nach einer gescheiterten Ehe und in Holland lebend, eine BBC Radiosendung. Teil der Sendung war ein Mitschnitt geheimnisvoller Gesänge. Diese elektrisierten den jungen Musikwissenschaftler. Er recherchierte. Die Musik stammte von den Pygmäen, einer Gruppe von Völkern, die in den Urwäldern Zentralafrikas lebt. Mit seinen letzten 500 Dollar kaufte er ein One-Way-Ticket nach Bangui. Von dort aus reiste er in den Urwald. Er fand den Stamm der Bayaka. Dort blieb er, lauschte ihren Gesängen, studierte ihre Musik und nahm viele hundert Stunden davon für die Nachwelt auf. Er erkrankte mehrmals und überlebte Malaria, Typhus und Lepra, verliebte sich in eine Frau, die zwei Köpfe kleiner war als er und zeugte mit ihr einen Sohn. Als der Filmemacher Michael Obert von dieser Geschichte erfuhr, beschloss er, über dieses Leben einen Dokumentarfilm zu drehen.
Heute, 29 Jahre später, ist Louis Sarno ein vollwertiges Mitglied dieser Gemeinschaft und der Urwald sein Zuhause. Die Bayaka führten ihn in ihre Musik ein, im Gegenzug verlangten sie sein Leben. „Ich denke, das ist ein fairer Tausch”, sagte uns der Louis Sarno im Film. Zur Zeit der Dreharbeiten bereitet sich Samedi, sein inzwischen 13 Jahre alter Sohn, gemeinsam mit Louis auf eine Reise in die Heimat des Vaters vor. Es ist die Geschichte in der Geschichte dieses Films. Es wird eine Reise in eine Welt mit enormen kulturellen und technologischen Unterschieden, eine Konfrontation von Urwaldleben mit der Großstadt. Gemeinsam treffen sie Familie und alte Freunde, darunter den Freund Jim Jarmusch. Getragen vom Kontrast zwischen Regenwald und urbanem Amerika, einem faszinierenden Soundtrack von Gesängen aus der Renaissance und der Musik der Bayaka und den ruhigen und intimen Bildern des Films, verweben sich leise Geschichten zu einem berührenden Portrait eines außergewöhnlichen Mannes. Ein modernes Epos zwischen Urwaldriesen und Wolkenkratzern.
Song From The Forest bedient keine Afrika-Sehnsucht, sondern kreiert eine überraschend frische, bewegende Synthese. Die Reise verläuft anders als erwartet. Nicht Samedi, sondern den Vater überfordern die grellen Lichter und der Lärm der Großstadt. Schon von Beginn an verbindet eine Parallelmontage beide Welten miteinander. Der still beobachtende Filmemacher schneidet assoziativ, wechselt immer wieder in den Urwald und stellt auf diese Weise Verknüpfungen her. Seine Kamera beleuchtet die Probleme der Bayaka, die unter der Rodung ihrer Wälder leiden und in Zentralafrika diskriminiert werden. Wir sehen einen Film über die Liebe zur Musik, zur Natur, zur Welt; einer Liebe zwischen Vater und Sohn und auch einen Film über den Zustand dieser Welt und über einige der großen Themen zu Beginn des 21. Jahrhunderts – über die Heimat, Identität, Entfremdung, über die Kulturen der Menschen und über die Globalisierung. Sehr schön gemacht.
Drehbuch und Regie: Michael Obert
Mit: Luis Sarno, Jim Jarmusch
Produktion: Tondowski Films
97 Minuten
Originalsprache Englisch
Untertitel Deutsch, Französisisch