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Ruinas Algarve

Ein aussichtsreiches Leben in den Bergen?

In den letzten Jahrzehnten leidet das Binnenland Portugals zunehmend an Landverödung und Bevölkerungsrückgang: eine Entwicklung, die sich im Laufe der Jahre immer weiter zugespitzt hat. ECO123 sprach darüber mit Alberto Espírito Santo Fernandes. Er ist seit 2004 Mitglied des Nationalkomitees zur Bekämpfung der Wüstenbildung (CNCD) und verantwortlich für das entsprechende Regionalzentrum der Algarve. Der 61-jährige Ingenieur kann auf einen in 40 Jahren gesammelten Erfahrungsschatz zurückblicken, angefangen im Jahr 1976, als er Leiter des ersten Naturschutzgebietes auf dem portugiesischem Festland wurde – dem Reservat „Natural do Sapal de Castro Marim“. Vier Jahrzehnte später, inzwischen als leitender Beamter im halbstaatlichen Institut für Naturschutz und Forstwirtschaft verantwortlich für den Kampf gegen Verwüstung und für die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, teilt er mit ECO123 seine Sicht in Bezug auf das Problem der Landflucht. Er zeigt einige Lösungsmöglichkeiten auf, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Wir behandeln ein Thema, das drei Bereiche umfasst: die Versteppung, hervorgerufen durch den physischen Abbau, den Verlust von Humus und der damit einhergehenden Zerstörung von Bodenfruchtbarkeit; den Bevölkerungsrückgang, genauer gesagt, die Abnahme der Einwohnerzahl in bestimmten Regionen; und die Bevölkerungsentwicklung, das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Menschen über 65 Jahren betreffend. Für unseren Ingenieur liegt einer der Gründe dafür in einer falsch betriebenen Landwirtschaft, die zu abnehmender Bodenfruchtbarkeit und damit zu verminderter Nahrungsmittelproduktion für die lokale Bevölkerung führte. Er vertritt die Meinung, dass diese Entwicklung noch umkehrbar ist und zeigt uns hier den Weg dazu auf.

Auf der Region der Algarve müssen Maßnahmen und Bedingungen geschaffen werden, um die Bevölkerung zu halten und die Böden zu schützen.

ECO123: Wie ist der aktuelle Stand in Bezug auf die Verwüstung und die Landflucht in Portugal und speziell an der Algarve?
Die Algarve ist eine Region, in der eine extreme Verschlechterung auf drei Ebenen zu beobachten ist: Verödung und Entvölkerung, die die Nachhaltigkeit in Bezug auf die Altersstruktur der Einwohner beeinträchtigen. In Alcoutim zum Beispiel kommt auf jeden Einwohner im erwerbsfähigen Alter ein Bewohner von über 65 Jahren – das ist ein Verhältnis von eins zu eins. Und auf nationaler Ebene erleben wir das Gleiche in Penamacor, Vila Velha de Ródão und Idanha Nova, die auch diese Entwicklung zeigen.

Aber Statistiken des INE (Nationales Institut für Statistik) belegen einen Anstieg der Bevölkerung an der Algarve.

Alberto Espírito Santo Fernandes
Alberto Espírito Santo Fernandes

Die Bevölkerung an der Algarve hat in den letzten Jahren zugenommen, aber das bezieht sich lediglich auf die Küste; im Landesinneren ist die Situation erschreckend. Von 2001 bis 2011 verlor Alcoutim 24,08% seiner Einwohner. Das ist der Landkreis mit der stärksten Abnahme innerhalb kurzer Zeit. Albufeira ist in den letzten zehn Jahren von 30.000 auf 40.000 Einwohner gewachsen. Aber auch in diesem Landkreis täuscht das. Denn wenn wir uns Gemeinden im Inneren wie Loulé oder Tavira ansehen, stellen wir in Wahrheit einen deutlichen Bevölkerungsrückgang fest.

Bedeutet das, dass es Landkreise gibt, deren Bevölkerungswachstum nicht der Realität entspricht?
Durch die Landflucht an der Algarve haben sich große Ungleichgewichte ergeben. Wenn wir uns dazu die einzelnen Gemeinden ansehen, stellen wir Folgendes fest: Zwar nimmt die Einwohnerzahl in Küstenregionen und in Städten und Dörfen mit Pendlersiedlungen zu. Dabei handelt es sich aber, wie in São Brás oder Moncarapacho, nicht um eine aktive Bevölkerung, weil die Menschen dorthin hauptsächlich zurückkehren, um zu schlafen.

Welche Probleme verbergen sich hinter diesem Phänomen, und was kann getan werden, um dieses Szenario umzukehren?
Können Sie sich ein Ehepaar vorstellen, das bereits Kinder hat bzw. in Kürze bekommen möchte und das zum Beispiel nach Alcoutim zieht? Wo ist die Schule, wo das Gesundheitszentrum, das Finanzamt, das Sozialversicherungsamt und andere Öffentliche Stellen? Die Voraussetzungen, um die Menschen dort zu halten, müssen wieder neu geschaffen werden. Zurzeit führt jedoch die drastische Abnahme der Einwohnerzahl zur Zentralisierung der Dienstleistungen, was nicht im Sinne der Landbevölkerung ist. Es gibt immer weniger Gründe, dort zu leben. Den größten Erfolg in der Kampagne zur Gewinnung neuer Einwohner im Inland wurde unter den Menschen verzeichnet, die auf die Rente zugehen. Das sind diejenigen, die ihr aktives Leben in anderen Teilen des Landes verbracht haben und jetzt wieder nach Hause kommen möchten.

Wie es auch gerade in Sao Brás de Alportel der Fall ist?
Die Gemeinde São Brás ist bekannt für die Tatsache, dass mit dem Rückgang der Korkindustrie viele Bewohner nach Montijo und Seixal zogen. Und ist es großartig, dass viele von ihnen wieder zurückkehren. Viele setzen bei ihrer Heimkehr aufs Land ihre Gärten wieder instand, einige gründen Unternehmen.
Welche Maßnahmen wurden von Seiten der CNCD zur Bekämpfung der Entvölkerung ergriffen?
Ruinas Algarve
Der Nationale Aktionsplan wurde Ende letzten Jahres genehmigt. Dieser ist sehr breit gefächert und berührt eine Reihe von Aspekten. Es geht nicht nur darum, dass Landliebhaber und Rentner von den Städten aufs Land geholt werden, sondern es müssen die Grundlagen geschaffen werden, dass auch ihre Nachkommen weiterhin dort bleiben. Die Rolle des Nationalkomitees und der Regionalzentren konzentriert sich nun, nach der Erarbeitung und Präsentation von konkreten Vorschlägen für die Verabschiedung bestimmter zu ergreifender Maßnahmen, auf die Einflussnahme der politischen Führer dieses Landes, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften entsprechend der gewünschten Ziele anzupassen und neue Bedingungen zu schaffen. Ab diesem Jahr werden die mit den aktuellen Umständen und Bedürfnissen abgestimmten Maßnahmen im Rahmen des Planes zur Entwicklung des ländlichen Raums (PRODER) bereits umgesetzt werden. Unsere Hauptaufgabe ist die Sensibilisierung der Regierungsführer in diesem Sinne.

Und welches sind die wichtigsten Maßnahmen, die nun umgesetzt werden?
Das geht von Förderprogrammen über das Schaffen von Anreizen bis zur Einrichtung eines Referenzzentrums an der Algarve, was unserer Meinung nach von entscheidender Bedeutung ist. Ein Zentrum, das der Schulung der Bevölkerung dienen soll und wo sie konkret studieren kann, wie man die Produktivität der verschiedenen Böden erhöhen und was man gegen Erosion tun kann. Sie sollen sich dort über trockenheitsresistente Pflanzen mit potenziellem wirtschaftlichen Wert und die Wiederherstellung der Böden informieren können.

Was hat die Bodenbeschaffenheit mit der Landflucht zu tun?
Das Problem ist, dass, wenn die Menschen weggehen, auch die Felder vernachlässigt werden. Der größte Teil der Algarve ist Schiefergebiet und sehr trocken. Das Monchiquegebierge besteht aus Syenit. Manche nennen es Granit, es ist aber Syenit. Monchique besitzt eine höhere Bodenfeuchtigkeit. Das Land hat eine andere Qualität, weil es durch die guten klimatischen Bedingungen immer gut bewaldet war. In Bezug auf die Trockenheit des Bodens haben wir an der Algarve vor allem ein trockenes, semiarides Klima, das sich immer mehr ausbreitet. Nur 1,81% der Algarve hat ein feuchtes bzw. semihumides Klima. Davon sind jedoch 22.58% von der zunehmenden Trockenheit betroffen und liegen nun eher im semihumiden Bereich, während 75% bereits als semiarid bezeichnet werden können.

Landflucht führte zu einer Abnahme der Bodenqualität?
Alberto Espírito Santo Fernandes
Ich würde eher das Gegenteil behaupten. Die Bodendegradation trug ihrerseits zur Aufgabe der Felder bei, zum Beispiel in Alcoutim. Zwischen dem sechzehnten und achtzehnten Jahrhundert bewog der Mangel an Brot die Bewohner dazu, das Buschland abzubrennen, um darauf Weizen, Roggen und Hafer für die Tiere zu säen. Der Getreideanbau auf dafür nicht geeigneten Flächen führte zu extremer Erosion und damit Humusverlust. Als Ergebnis liegen nun die Felsen blank, in diesem Fall Schiefer, kaum von einer lächerlich dünnen Schicht fruchtbarer Erde bedeckt. Ohne Bewuchs werden Erosion und Humusabnahme weitergehen.

Was kann man anders machen?
Üblicherweise wird das Buschland abgemäht und mit einer Egge untergepflügt. Aber warum mit einer Egge? Würden die Büsche geschnitten, geschreddert und an Ort und Stelle liegen gelassen, könnten sie sich auf diese Art wieder in neuen Humus verwandeln, wie das auch in bewaldeten Gebieten der Fall ist, wo diese Aufgabe die fallenden Äste und Blätter übernehmen.

Wäre dies ein Weg, um die Erosion, die auch den Humus betrifft, zu vermeiden?
Diese Vorgehensweise, zu schneiden und abzufahren oder unterzupflügen, hat schreckliche Auswirkungen. Sie verhindert die Produktion dessen, was nötig ist, um den Boden zu halten. Wir müssen uns deshalb zurzeit nicht nur mit der abnehmenden Bodenfruchtbarkeit beschäftigen, sondern auch Wege zu seiner Regenerierung finden. Der Boden darf nur so wenig wie möglich bewegt werden. Die Reinigung des Landes sollte nur durch Schneiden, nicht aber durch den Einsatz von Egge oder anderen Maschinen erfolgen, die ein Unterpflügen oder Herausreißen der Pflanzen verursachen. Außerdem müssen wir auch vorsichtig bei der Verwendung von Wasser sein.

In welcher Form?

Alberto Espírito Santo Fernandes
Alberto Espírito Santo Fernandes

Wenn wir Wasserläufe auf unserem Grundstück haben und wissen, dass Regen in der Algarve-Region sintflutartig fallen kann, müssen wir uns auch sintflutgemäß darauf vorbereiten; zum Beispiel aus Steinen kleine einfache Dämme bauen, um die übermäßige Fließgeschwindigkeit und damit die Erosion zu verringern. Wir müssen den Umgang mit Wasser überdenken: wie speichern wir es, erhalten und nutzen es, welche Art der Bewässerung praktizieren wir. Für die Pflege und Regeneration des Bodens ist es wichtig zu beachten, das Wasser achtsam und differenziert nach Bodeneigenschaften einzusetzen.

Wird der Erdboden durch Wald oder Wiederaufforstung beeinflusst?
Trotz des Versuches, mehr in Kork und Steineichen zu investieren, werden bei der Aufforstung letztendlich doch in großem Umfang Schirmpinien eingesetzt. Von Schirmpinien kann man zwar Piniensamen gewinnen, aber sie fördern nicht den Kohlendioxidabbau, noch schützen sie den Boden. Sie sind nicht feuerresistent und besitzen keine Regenerationsfähigkeit.

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MONCHIQUE E SÃO BRÁS – 2 GEGENSÄTZLICHE WIRKLICHKEITEN

Monchique und São Brás Alportel verzeichneten in den letzten Jahren eine entgegengesetzte demografische Entwicklung, die sich jedoch nicht in der Art der Bodennutzung widerspiegelt. In den letzten 40 Jahren zeigen die Daten des INE (Nationales Institut für Statistik) einen Bevölkerungsrückgang in Monchique um die Hälfte, von 12.000 auf rund 6.000 Einwohner. Umgekehrt nahm die Bevölkerung von São Brás um die Hälfte zu, von 7.415 bis 10.622 Einwohner. “Der Unterschied ist, dass São Brás dicht bei Faro liegt, dem Zentrum der Region, das der Algarve als Bezirkshauptstadt dient und mit seinen Angeboten Menschen anzieht. São Brás ist für sie eher eine Schlafstätte als ein Lebensraum”, sagt Alberto Espírito Santo Fernandes. Gleichzeitig fügt er hinzu: „In Bezug auf den Landkreis Monchique und trotz des Bevölkerungsrückgangs, der in den Ortschaften Marmelete und Alferce zu einem alarmierenden Bild führt, hat die Stadt Monchique eine gewisse Energie beibehalten und kümmert sich darüber hinaus mehr um das Land als São Brás”. Für unseren Ingenieur sind die beiden Landkreise Ausnahmebeispiele für die Algarve. “Besonders Monchique, durch seine geologische Struktur, Unternehmergeist und kulturellen Stil. Trotz allem führt das nicht dazu, Bevölkerung von Portimão anzuziehen und damit zum gegenwärtigen Szenario der Landflucht. Obwohl beide Städte fernab der Küste liegen, sind dies die beiden Gemeinden des Inlandes, die am besten zurechtkommen. Monchique auf der Ebene einer produktiven Wirtschaft, während es in São Brás eher eine Mischung ist: Dort ist der Kork von ausgesprochen hoher Qualität, aber ich weiß nicht, ob die Gemeindeverwaltung dem genügend Beachtung schenkt. Trotz des Engagements in Sachen „Rota da Cortiça“ (Kork-Wanderweg) wird in den ersten Prüfungsberichten des PDM (Flächennutzungsplan) die Existenz von Stein- und Korkeichen als großer Hemmschuh für die Entwicklung der Gemeinde dargestellt. Vielleicht ist mit diesem Satz ein anderes Ziel gemeint?”

About the author

Alexandre Moura (39). JJournalist, gebürtiger Farense. Seit dem Jahr 2000 arbeitet für landesweite und regionale  Presse, für das Fernsehen und verschiedene Radios in den Bereichen des aktuellen Tagesjournalismus ebenso wie in des Ressorts Kultur, Sport und allgemeine Information.

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